„Die Gerechtigkeit in Deutschland hat in den letzten Jahren zugenommen,“ verteidigt der FDP-Chef den Armutsbericht, doch wenn das stimmt, warum wird dann ein Bericht einer „Verschönerung“ unterzogen?
Wir wollten Antworten und begaben uns auf Spurensuche. Armutsgefährdet ist nach der EU-Definition, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung eines Landes verfügt. In Deutschland liegt die Grenze bei einem Jahreseinkommen von 11 278 Euro, also knapp 940 Euro im Monat.
1. Statistisches Bundesamt Oktober 2012
Das Armutsrisiko in Deutschland steigt, langsam aber stetig. Schon jetzt gilt jeder Sechste als armutsgefährdet, insgesamt fast 13 Millionen Menschen. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und deren Kinder. Im EU-Vergleich stehen auch deutsche Arbeitslose besonders schlecht da. Frauen sind der Statistik zufolge mit 16,8 Prozent häufiger von Armut betroffen als Männer (14,9 Prozent). Die Armutsquote von Minderjährigen lag 2010 mit 15,6 Prozent leicht unter dem Bundesdurchschnitt. Niedriger lag der Wert mit 14,2 Prozent bei älteren Menschen ab 65 Jahren. Bei Alleinlebenden unter 65 Jahren waren 36,1 Prozent armutsgefährdet. In Haushalten von zwei Erwachsenen unter 65 Jahren traf dies auf 11,3 Prozent zu.
2. Die Niedriglöhne
Das stand da früher: Mehr als vier Millionen Menschen arbeiten für weniger als sieben Euro Brutto pro Stunde. In dem geschönten Armutsbericht fehlt dieser Satz …
Die Fakten: Sieben Euro pro Stunde sind für einen Vollzeitbeschäftigten rund 1200 Euro im Monat. Die Zahl deckt sich mit anderen Studien und mit ähnlichen Schaubildern im Bericht.
3. Bis dato gibt es in Deutschland bereits über 7 Millionen Minijob-Verhältnisse, davon allein im gewerblichen Bereich rund 6,8 Millionen. Seid dem 1.Januar 2013 wurden die bis dato abgabenfreie geringfügige Beschäftigung von 400 Euro auf 450 Euro erhöht. Über die Hälfte der geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Viele Arbeitgeber nutzen die Minijobs häufig dazu aus, Personalkosten zu sparen. Minijobbern sollte der Lohn eigentlich Brutto wie Netto ausgezahlt werden. Arbeitgeber zahlen jedoch ihren geringfügig Beschäftigten im Vergleich zu Festangestellten häufig einen deutlich geringeren Stundenlohn, was sich dann auch spürbar auf die Rente auswirkt. Eine Minijobberin hat, nachdem sie 45 Jahre in ihrem Beruf tätig war, einen monatlichen Rentenanspruch von etwa 140 Euro. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge erhalten Minijobber derzeit im Durchschnitt nur einen Stundenlohn von 7,50 Euro.
Der Amazon-Skandal
4. Nehmen wir den Amazon-Skandal, der in dieser Woche die Republik beschäftigte. Das Internet-Versandhaus beschäftigt in Deutschland schlecht bezahlte Saisonarbeitskräfte, deren Unterkunftsbedingungen teilweise fragwürdig sind. Wer allerdings die Frage stellt, weshalb eigentlich Arbeitskräfte aus Südeuropa für solche Jobs nach Deutschland strömen, der landet umgehend bei der Euro-Krise. Allein Spanien hat inzwischen fünf Millionen Arbeitslose – bei einer Bevölkerung, die nur etwas mehr als halb so groß ist wie die deutsche. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 25 Prozent, Tendenz weiter steigend. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt über 50 Prozent. Die großen Einzelhandelsketten, darunter auch Ikea, verhandeln mit den spanischen Gewerkschaften über Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung.
Ein Ende der Rezession in der Eurozone ist bislang nicht abzusehen. Die Folgen spürt auch Deutschland: Durch die schwächeren Exporte, durch eine verschärfte Lohn- und Standortkonkurrenz in der Industrie – und letztlich eben auch durch die verstärkte Zuwanderung von Menschen. Aktuell will Vattenfall 1500 Arbeitsplätze in Deutschland streichen. Lufthansa kündigte die Schließung der Kölner Hauptverwaltung mit 365 Arbeitsplätzen und der Buchhaltungstochter Lufthansa Revenue Services in Norderstedt mit 407 Arbeitsplätzen an. Bis 2014 verlieren mindestens 2000 Mitarbeiter bei Deutschlands größtem Stahlkonzern ThyssenKrupp ihren Job. Schaut man sich die aktuellen News an, so könnte diese Auflistung noch fortgesetzt werden.
Fazit: Die Armut in Deutschland ist auf dem Vormarsch.
Text und Foto © Doro Schreier
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