Wir trauen den Kleinen viel zu. Das heißt auch: Wir verlangen viel von ihnen. Vor lauter Konsum und Kommunikation schrumpft die Zeit für freies Spiel und ungestörte Entfaltung. Nachbarschaftsbanden, Puppen, Rollschuhlaufen, Fußballspielen – daran erinnern wir uns, wenn wir aus unserer Kindheit erzählen. Wir durften Kind sein. Ich erinnere mich da an ein Zitat von Rudolf Steiner: „Aus der Art, wie das Kind spielt, kann man erahnen, wie es als Erwachsener seine Lebensaufgabe ergreifen wird.“
Haben wir nicht aus unseren Erfahrungen aus der Kindheit gelernt?
- Wir lernten zu teilen, uns durchzusetzen, Freundschaften zu schließen.
- Wir lernten den Umgang mit Menschen und Tieren
- Wir lernten Liebe und Respekt
Wir lernten aber auch, dass man geduldig warten musste, wenn Wünsche, gerade die materiellen Wünsche, erfüllt sein wollten. Meist erfolgte dieses am Geburtstag oder zu Weihnachten. Die Freude war dann riesig.
Ich erinnere mich da an ein Geschenk, worüber sich die Kinder heute amüsieren würden – es war ein Rechenrahmen aus Holz, mit vielen bunten Kugeln. Eigentlich war es nichts Besonderes, vielleicht auch gar nicht teuer, für mich aber sehr wertvoll, so wertvoll, dass ich noch heute die Freude spüren kann. Und das erste richtige Buch habe ich immer noch. Ich konnte zwar nicht schreiben, das beweist meine Kritzelei, ein Versuch meinen Namen hineinzuschreiben, dass es mir gehörte. Vielleicht sollte ich meine Kindheit für meine Enkelkinder schriftlich festhalten, damit sie lernen, dass weniger manchmal mehr ist.
Nun zu meinen Beweggründen, zu meiner Reise in die Kindheit. Ich las einen Bericht über KidsVerbraucherAnalyse und da schlugen bei mir die Alarmglocken. Dass neun von zehn 6- bis 13-Jährigen Computer und Internet zur Verfügung stehen, o. k., das wird ja auch schon für die Schule gebraucht. Dass 57 Prozent eine Spielkonsole besitzen, aber die einfachsten Gesellschaftsspiele nicht mal andeutungsweise kennengelernt haben, lasse ich mal so kommentarlos stehen. Ein Handy hat jeder dritte Acht- oder Neunjährige, und neun von zehn der 12- bis 13-Jährigen besitzen eines. Das ist mittlerweile schon fast als normal zu betrachten, denn mit einem Handy sind sie ja auch erreichbar. Als meine Tochter noch Schülerin war, da war es das Telefon, welches voll und ganz beschlagnahmt wurde. Man hatte sich zwar gerade in der Schule gesehen, doch angeblich noch so vieles zu erzählen, dass man überrascht war, wenn man selber als erste ans Telefon durfte und nicht gleich: „Mam, lass mal, ist für mich!“ ertönte.
Und alles in richtigen Maßen dürfte für die heutigen Kinder auch nicht schädlich sein. Denn die Computerwelt hat ja schon unlängst in den Kinderzimmern ein fester Bestandteil eingenommen. Nur sollten die Eltern dabei nicht vergessen, dass alles seine Grenzen hat, hier besonders auch das Augenmerk auf die zeitlichen Grenzen. Wie soll ein Kind den Umgang mit Menschen lernen, wenn es nur virtuell mit solchen in Kontakt kommt?! Anstatt reden nur schreiben. Gerade bei dem sozialen Verhalten zeigen doch sehr viele Kinder enorme Defizite. Streiten will gelernt sein, auch ein alter Spruch. Ist durch das Virtuelle doch gar nicht möglich, denn man schaltet im wahrsten Sinne einfach ab.
Aber noch ein Phänomen, das mir Sorgen bereitet, ist der Konsumwahnsinn. Verkorkst ist das Konsumverhalten bei vielen Kindern und Jugendlichen ohnehin schon. Was kaputt ist, wird eben neu gekauft. Warum bis zum nächsten Geburtstag oder bis Weihnachten warten? Nein, sofort, bitte. Ach ja, Geburtstag, nein, eine einfache Geburtstagsfeier ist doch langweilig, es sollte schon ein Mega-Event sein. Ist sogar buchbar, warum sich selber darum kümmern, ist ja uncool. Wer backt denn heute noch den obligatorischen Geburtstagskuchen? Der Backofen wird doch eh nur noch zum Aufbacken der Pizza aus der Kühltruhe benötigt. Oder McDonald’s lädt ein, hat ja hierfür eigens eine Ecke eingerichtet.
Und die Ausstattung eines Kindes oder Jugendlichen? Ohne Marken geht bei Kleidung, Entertainment oder sogar bei Essen sowieso gar nichts. Anstatt gegenzusteuern, zahlen die Eltern ihren 6- bis 13-Jährigen so viel Taschengeld wie nie, wie ich einem Bericht entnehmen konnte. Geld, das an anderer Stelle besser angelegt wäre, um vielleicht nicht nur die traditionelle Medienkompetenz des Nachwuchses zu schulen, sondern auch seine Phantasie anzuregen, beispielsweise mit Büchern.
Wir trauen den Kleinen viel zu. Das heißt auch: Wir verlangen viel von ihnen und berauben sie ihrer Phantasie. Denn wer nicht sonst als die Eltern können ihren Kindern zeigen: Weniger ist oft mehr?! Wie sang Pippi Langstrumpf:
… aber dazu braucht es auch Phantasie …
Text und Foto © Doro Schreier
“Verlorene” Kindheit – wenn kleine Kinder zu Pflegekräften werden
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