Inge Hannemann ist nicht nur eine von uns, sondern zählt derzeit zu den wohl radikalsten Kritikerinnen des Hartz-IV-Systems. Als Jobcenter-Mitarbeiterin spricht sie offen über die Schattenseiten von Hartz IV.
Dazu betreibt sie als Netzfrau seit einiger Zeit einen privaten Blog. Auf diesem deckt sie regelmäßig Missstände auf, kommentiert aktuelle Geschehnisse und kämpft für die Menschenrechte von Hartz-IV-Betroffenen. Mit spitzer Feder, aber auch Sachlichkeit und guten Recherchen schreibt sie über das Hartz-IV-System. Sie teilt öffentlich mit, dass sie nicht gegen die Bundesagentur für Arbeit kämpft, sondern für Etwas. Das besondere: Inge H ist selbst Mitarbeiterin der Hamburger „Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration“ (BASFI) im „Jobcenter.team.arbeit.hamburg“.
Eben jene Kritik hat nun die Stadt Hamburg als Arbeitgeber veranlasst, Inge zu einer Anhörung vorzuladen. In der Vorladung war unter anderem folgender skandalöser Satz zu lesen: „Über die Inhalte des Blogs und darüber, ob und wieweit Sie an diesen Inhalten in Zukunft festhalten oder davon abrücken möchte würden wir gern ein persönliches Gespräch mit Ihnen führen.“ Hier muss man sich fragen, ob ein versteckter Versuch der Einschränkung des Artikels 5 des Grundgesetzes vorliegt. Denn noch immer ist es jedem Menschen erlaubt, seine Meinung frei zu äußern. Zweifelhaft ist auch, dass die Vorladung nur zwei Tage vor dem Termin ausgehändigt wurde.
Die Behörde hatte Inge kurzfristig eingeladen und dann überraschenderweise ebenso wieder schnell ausgeladen.
Inge – die auch als Journalistin tätig ist (Preisträgerin des Schreibwettbewerbs “Menschen außer Betrieb”) – betont, dass sie nicht gegen, sondern für etwas kämpft. Und das mit viel Mut: Auf der einen Seite dem Arbeitgeber zur Loyalität verpflichtet, auf der anderen Seite für sozial schwache Menschen kämpfend, bewegt sie sich auf äußerst dünnem Eis, was natürlich nicht gern gesehen wird. Diese Erfahrung haben sicher schon einige von uns machen dürfen. Aber warum sich zum Stillschweigen verdammen lassen, denn wie ist unser Motto: Handeln statt tatenlos zuschauen.
Missstände sieht Inge hier bei der Vermittlung in den sogenannten prekären Arbeitsmarkt oder die Ein-Euro-Jobs, ohne dass ich den Menschen überhaupt kenne, den ich vermittle. Es wird einfach von vornherein davon ausgegangen, dass jeder Mensch, der sich arbeitslos meldet, Leistungsmissbrauch begeht.
Eine Geschichte, die uns Netzfrauen zusätzlich empört
Inge ist wegen einer rheumatischen Erkrankung schwerbehindert. „Meine Behinderung begleitet mich schon seit meiner Jugend. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, über die ich nicht weiter nachdenke. Allerdings stelle ich gerade in Gesprächen mit Arbeitgebern immer wieder fest, dass eine Schwerbehinderung sehr gerne mit der Reduzierung geistiger Fähigkeiten gleich gesetzt wird. So ist es mir persönlich schon passiert, dass man mir gesagt hat, für meine Schwerbehinderung sei ich aber geistig ziemlich fit.“
Ihre Anfrage bei Verdi Hamburg für rechtlichen Beistand, welche sie bereits vor Monaten gestellt habe, wurde mit der mündlichen Begründung abgelehnt, dass sie über ihre Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber nachdenken solle. Ebenso dürfe auch ein Gewerkschafter nicht über seine eigene Gewerkschaft schreiben. Eine schriftliche Begründung liegt ihr bis heute nicht vor. Jedoch erklären sich andere Verdi-Gemeinschaften mit ihr solidarisch. Auch hat sich ein Vertreter eines Betriebsrats eines bundesweiten Großunternehmens bereit erklärt, sie zu beraten oder auch zu begleiten, sofern es nötig ist.
Wie können wir bzw. die Leser Inge unterstützen? Welche Möglichkeiten gibt es?
Um eine Diskussion und das Nachzudenken über die Abläufe in vielen Jobcentern, wie nachgewiesene Willkür, Beratungsdefizite, die zum Teil fehlende Berücksichtigung der Menschenwürde anzuregen, benötigt es eine Unterstützung durch die breite Öffentlichkeit wie die Medien, sozialen Netzwerke, Blogs und öffentliche Veranstaltungen. Das können Vorträge über Hartz IV und deren tatsächliche Auswirkungen sein, aber auch öffentliche friedliche Kundgebungen. Betroffene, Engagierte, Interessierte, Persönlichkeiten, Kritiker, Politiker, Verbände und Initiativen gehören auf die Straße, um friedlich und konstruktiv gegen diese gewollte Abhängigkeit im System von Hartz IV und dessen Umsetzung zu demonstrieren. Ein gutes Beispiel sind die bereits geführten Diskussionen in den sozialen Netzwerken oder die zahlreichen Kommentare auf den unterschiedlichsten Blogs.
Inge schreibt: „In der letzten Zeit sind per Mail Schreiben an die Bundesagentur für Arbeit Nürnberg, den Hamburger Senat (Herr Olaf Scholz), das Jobcenter Hamburg und team.arbeit.hamburg (Zentrale Jobcenter Hamburg) mit Solidaritätsbekundungen meiner Person und Hinweise auf die Berücksichtigung des Grundgesetzes versendet worden. Aber nur Hamburg ist zu wenig. Die Konzentration muss bundesweit gelegt werden. Wichtig ist die Kontinuität. Warum nicht Trittbrettfahrer sein, im Jahr der Bundestagswahl? An dieser Stelle bedanke ich mich bei allen bundesweiten Unterstützern für die bisherige Hilfe ganz herzlich. „
Text © Doro Schreier Foto © Inge Hannemann
www.inge.hannemann.over-blog.de
www.soziales-zentrum-hoexter.de
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