Erfahrungsbericht einer Pflegekraft

In zehn Jahren wird es 3,4 Millionen Pflegebedürftige bundesweit geben, eine Million mehr als heute. Kritiker sprechen von katastrophalen Zuständen, doch verlässliche Studien gab es bislang kaum. Ich bin Anna und eine Pflegekraft.

Ja, ich habe für 8,50 brutto die Stunde gearbeitet. Die An- und Abfahrtzeiten wurden nicht berechnet, ich wurde nur für die Stunden bezahlt, die ich ‚tatsächlich‘ gearbeitet habe. Ältere Menschen kommen auch mal ins Krankenhaus oder sterben, dann hatte ich plötzlich z. B. drei Stunden weniger, bekam ja nicht gleich neue zu betreuende Personen. Mit anderen Worten, ich wusste nie, wie viel Geld ich am Ende des Monats wirklich hatte. Pausen wurden nicht bezahlt.

Am liebsten hätten sie gesehen, dass 10 Tage am Stück gearbeitet wurde und dann vier Tage frei. Ich hatte es zwei Mal probiert, ging gar nicht, schließlich habe ich ja Verantwortung meinen Kindern und anderen Menschen gegenüber. Es lief dann auf 7 Tage arbeiten und zwei Tage frei hinaus. Ich war „einfache“ Pflegekraft, aber immer mehr wurde auf mich abgewälzt, was sonst Pflegefachkräfte, also Krankenschwestern machen sollten. Als ich 2008 von einem Auto auf dem Rad angefahren wurde, ein Wegeunfall, war die erste Frage der Einsatzleitung, wann ich denn wiederkommen würde, keine Frage nach meinem Gesundheitszustand. Es ist auch eine Schande, dass Menschen im Minutentakt versorgt werden.

Frühstück 7 Minuten, Einkauf 30 min, Hilfe bei der Nahrung 25 min. Diese Menschen haben einmal Deutschland aufgebaut, Kinder großgezogen und so manchen Politiker gäbe es nicht, wenn es sie nicht gegeben hätte. In Berlin wurden schon häufiger kleine Pflegeeinrichtungen kontrolliert z. B. wegen Betrug von Sozialleistungen, an die kirchlichen Träger aber trauen sie sich nicht ran. Es gab auch keinen Betriebsrat bei der dortigen Diakonie, sondern Mitarbeitervertreter, obwohl dort über 100 Leute beschäftigt waren. Der letzte MAV (Mitarbeitervertreter) wurde gemobbt, weil er die Gewerkschaft mit an den Tisch setzen wollte. Er bekam einfach keine PatientInnen mehr. Er klagte und gewann.

Ich bekam es auf eine andere Art und Weise zu spüren. Von der schweren Arbeit hatte ich Muskelfaserrisse in der Schulter und wurde auch am Ellenbogen operiert. Also versuchte ich, intern versetzt zu werden, z. B. in die Tagesklinik oder in eine WG für Demenzkranke. Nein, das wollte die Pflegedienstleitung nicht, sondern nur das Hamburger Modell, also gab man mir Schwerstpflege Pflegestufe III. Nach ein paar Tagen ging es dann körperlich nicht mehr. Jetzt bin ich nicht mehr dort tätig. Die, die am Menschen arbeiten, werden unter Druck gesetzt, das Personal immer weniger, doch die Taschen machen sich die Anderen voll.

Ich würde mich über weitere Erfahrungsberichte freuen.

Anna

„Jetzt auch bei den Netzfrauen, denn hier kann ich endlich darauf hinweisen, was ich schon immer sagen wollte.“

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