Meine afrikanische Kindheit

Südafrika

Südafrika

Seit ich in Deutschland lebe, werde ich ständig gefragt, warum ich hierher gekommen bin und wie meine Kindheit war. Ich gebe natürlicherweise immer die gleichen Antworten. Also erzähle ich euch meine Geschichte, weil die Nachfrage so hoch zu sein scheint.

Ich bin 1980 in Johannesburg, Südafrika geboren. Während der Apartheid. Ich kann nur für ein weißes Kind, mitten in Südafrika sprechen. Meine Familie war relativ wohlhabend, im Gegensatz zu vielen. Wir hatten ein schönes Zuhause, mit vorderem und hinterem Garten, ein Schwimmbad und alles, was man sonst gebrauchen kann als Kind. Wir lebten in einer Gegend, in der nur die Weißen lebten durften. Was ihr verstehen solltet, ist, dass wir Kinder, kaum etwas von dem Ganzen mitbekamen.

Hinter unserem Haus war ein kleines Zimmer mit „Bad“, wo unsere Putzfrau („maid“) lebte. Dieses Wort: „maid“, darf übrigens nicht mehr in SA benutzt werden, da es an der Apartheid erinnert, wie viele andere bestimmte Wörter. Sie war eine schwarze Afrikanerin. Schätzungsweise um die 35 zur der Zeit und sie hieß Helen. Sie war immer da, sie kochte, putzte, bügelte und war sozusagen unsere Ersatzmutter. Ich habe eine Schwester, die ist zweiundhalb Jahre älter als ich. Unsere Mutter ging wie unser Vater arbeiten, kurz nach der Geburt von uns beiden.

Ich kann mich nicht an Vieles aus dieser Zeit erinnern, aber manches ist doch geblieben. Zum Beispiel, wie Helen ihr eigenes Ginger Ale im Zimmer braute und wie lecker es schmeckte, wie stark es war und wie die Blasen in die Nase hochgingen. Sie brachte manchmal lebende Hühner nach Hause in ihrem Zimmer und man hörte, wie die schrien, als sie die tötete. Nach einiger Zeit war sowas normal für uns.

Meine Familie bestand aus meinen Vater, der gebürtiger Südafrikaner war und 1985 starb. Meine Mutter ist Britin und sie ging nach Südafrika Ende der 1970er-Jahre, wo sie meinen Vater kennenlernte.

Wir nahmen Helen an als einen Teil der Familie, da keine rassistischen Gefühle vorhanden waren. Sie aß zwar alleine, entweder in der Küche oder in ihren Zimmer, während wir als Familie zusammen am Esstisch saßen. Wie es bei den Schwarzen in weißen Familien üblich war, hatte sie auch ihr eigenes Essgeschirr aus Metall. So etwas gibt es jetzt noch dort, aber nur als Souvenir.

Was mir als Kind so gefiel an Helen, war ihre andere Kultur. Wenn die Mama nicht zu Hause war, durften wir drei zusammen fernsehen, wir schauten schwarze Sendungen an. Die haben mir gefallen, auch wenn ich die Sprache nicht verstand. Wir aßen auch das, was Helen für sich selbst kochte, was meiner Mutter nicht gefallen hätte, aber es schmeckte uns. Wir hatten halt unsere kleinen Geheimnisse. Wir kamen nicht in Kontakt mit anderen Schwarzen außer Helen und unser „garden boy“, der arbeitete im Garten ein paar mal der Woche, wie es in SA üblich war. Die Schwarzen verrichteten „Sklavenarbeit“, zu mehr waren sie nicht zu gebrauchen. (Dieser Satz ist nicht meine persönliche Meinung, ich zitiere die Weißen aus der Zeit!)

Ich entwickelte sehr schnell und einfach Gefühle für Helen. Sie war seit meiner Geburt bei mir und sie war genauso wie meine Familie, eine Person, ein Mensch, der Gefühle und Schmerzen hatte. Als mein Vater starb, zogen wir in einen anderen Staat. Wir ließen Helen zurück. Sie musste sich eine neue weiße Familie suchen, wo sie ihre Liebe weitergeben durfte. Ich sah sie nie wieder, es brach mein Herz, sie da stehenlassen zu müssen, als wir weg fuhren.

Ich begriff di- ganze Apartheid Geschichte gar nicht, wir redeten auch nicht während meiner Kindheit darüber. Unsere Geschichtsbücher waren gefüllt mit dem „Boer“-Krieg und der Geschichte Afrikas. Wir lernten nichts über Europa oder Hitler oder den Ku-Klux-Klan. Es gab nur zwei Sprachen an der Schule. Die waren Englisch und Afrikaans. Afrikaans ist die „Boer“-Sprache. „Boers“ waren/sind die Afrikaans sprechenden Weißen, die die Apartheid hervorgerufen hatten. Frederik Willem (F.W) De Klerk war der Präsident von SA, von 1989 bis 1994. Er kämpfte für die Transformation seines Landes. Er brachte Verhandlungen ins Rollen, die das Resultat hatten, dass jeder Bürger das Recht zur Wahl der politischen Partei hatte. Egal, welche Hautfarbe sie hatten.

Lustige und aufregende Geschichten erlebte ich genügend. Wir lebten entweder am Rande eines Waldes oder eine Straße weg vom Strand. Ich erfuhr alles Mögliche. Z. B. hatten wir mal Paviane in unserer Küche, die kamen durchs Fenster, als keiner zu Hause war, und entdeckten Eier, die in einen Korb auf dem Kühlschrank waren. Meine Mutter kam rein und sah, wie die Affen die Eier nahmen und auf dem Küchenboden warfen, um an den Inhalt zu kommen. Wie in manche Städten kommen Ratten usw., wenn man Müll stehenlässt. Bei uns waren es Affen und die waren nicht ungefährlich. Ich beobachtete einmal, wie ein Pavian auf den Stromleitungen herumsprang, Seine Füße trafen die Holzstange, die die Leitungen spannt und er wurde elektrisiert, wurde blau und fiel tot in die Büsche. Wir sammelten als Kinder Zuckerrohr, als wir aus dem Schulbus ausgestiegen waren, um nach Hause zu laufen. Da findet man Zuckerrohr-Ratten, so groß wie Katzen. Diese Gefahren haben wir gerne angenommen als Kinder. Es war schön, Kind sein zu dürfen in Afrika. Mehr kann man für sein Kind nicht wünschen. Busch, Strand, Unbekümmertheit, Freiheit.

Meine ganze Schulkarriere kannte ich nur die Weißen und lernte einen Inder kennen. Der erste richtige Kontakt, den ich mit Schwarzen hatte, war im Jahr 1993. Ich ging ein Jahr lang auf ein Internat in Natal, Südosten, am Indischen Ozean. Jeder Staat hat seine eigenen Schwarzen sozusagen. Jeder „Tribe“ wohnt zusammen und hat sein eigene Sprache. Es gibt über 20 offizielle Sprachen heute in SA. In Natal sind es die Zulus. Die sind die typische Schwarzen, die man im Fernsehen sieht, mit getigerten Leinentuch, und die Frauen oben ohne. Mit Speer und Schutzschild. Hier war ich in der Minderzahl. Es war ungewohnt, aber es war trotzdem, als 13 Jährige, normal und okay. Ich dachte mir nichts dabei. Ich sah die Schwarzen nie als anders oder als eine Bedrohung. Die waren Menschen. Ich verstand mich manchmal besser mit manchen von denen als mit manchen Weißen. Bis zu meiner Abreise, war mir das ganze wirklich nicht bewusst. Als Mandela frei gelassen wurde, war es ein sehr große Geschichte, aber ich habe anscheinend eine andere Wahrnehmung gehabt. Ich sah ihn als einen normalen Präsidenten. Ein Präsident, der es verdient hatte, ein solcher zu sein. Er hatte sich sehr für die Menschen, seien sie weiß oder anderweitig, eingesetzt. Er wollte keine Gewalt, er wollte nur Gerechtigkeit. Ich bin stolz zu sagen, das ich ihn als Präsidenten hatte.

Ab seiner Freilassung lief alles ganz schnell. Alles wurde anders. Es war, als ob alles gleich blieb, aber wenn man richtig hinsah, änderte sich alles zu schnell. Weiße Wohnanlagen, Einkaufszentren, Arbeitsstellen, Freundschaften, Beziehungen. Alles mischte sich. Für mich war es das Normalste der Welt, so sollte es immer gewesen sein. Für manch anderen war es die Hölle. Die waren darauf programmiert, dass etwas an den Schwarzen anders wäre. Als ob die Tiere wären, die keine soziale Bildung hätten. Natürlich hatten die eine andere Art. Die haben anders gewohnt als wir. Die mussten wie Tiere leben. In selbstgebauten Hütten weit weg von dem Rest der „Welt“. Die hatten kein laufendes Wasser, Toiletten, Platz. Generationen von Familien haben zusammengewohnt in einem einzelnen Raum, der Größe von einem allgemeinen deutschen Wohnzimmer. Die Buren hatten festgelegt, dass in alle Schulen nur in Afrikaans gelehrt wird in den meisten Staaten. Da die Schwarzen kein Afrikaans konnten, waren die Schulkinder, die überhaupt die Schule besuchten, im Nachteil und konnten nicht lernen. Die wurden sozusagen dadurch herausgejagt. Also hatten ca 90 Prozent der Schwarzen keine Bildung, egal im welchem Alter.

Es gab eine neue Regelung, nach der die Apartheid abgeschafft wurde. Jedes Büro, jedes Arbeitsstelle musste ein bestimmtes Prozent von an Schwarzen einstellen. Soweit ich mich erinnern kann, waren es um die 30%. Meine Mutter hatte ihre ganze Karriere als Chef-Sekretärin verbracht. Theoretisch immer in der gleichen Firma, bloß in verschiedene Staaten. Eines Tages ging sie zur Arbeit und wurde entlassen weil ihre Firma, genau wie alle anderen, ihre Prozente einbringen musste. Ihre Stelle verlor sie. Sie ging an eine schwarze Frau, die nicht schreiben oder lesen konnte und die kaum Englisch sprechen konnte. Das macht für mich keinen Sinn. Auch wenn ich es ungerecht finde, wie die Schwarzen behandelt wurden, kann man nicht eine nicht gebildete Frau so einfach einstellen. Was ich damit sagen möchte, ist, das diese Frau gar nicht Englisch konnte. Sie war in dem Sinn eine Gefahr für der Firma. So etwas findet man immer noch dort, Beamtenstellen sind von Menschen besetzt, die keinen blassen Schimmer haben, was die eigentlich tun oder zu tun haben. So etwas ist definitiv nicht positiv für das Afrikanische Wirtschaft. Die sollten lieber die Menschen dafür ausbilden vorher.

Wie gesagt, ich bin in Deutschland seit Dezember 2000. Ich verließ SA, weil ich eine Ausbildung nicht selbst bezahlen konnte. Sei es eine normale Ausbildung oder eine Universitätsstelle. Ich sah keine Zukunft für mich dort. Ich habe meine Mutter dort gelassen, ihr Leben hat eine totale Veränderung angenommen. Die wohnt jetzt in der Mitte eines Dorfes, wo sie eine der einzigen Weißen ist. Sie ist manchmal unsicher. Aufruhr passiert öfter dort, ihre einzige Sicherheit ist, sich selbst in ihrem Haus einzusperren. Hinter Metallgittern an Türen und Fenstern, wie übrigens jeder Haushalt in SA hat. Man hat zahlreiche Schlüssel für sein Zuhause. Ansonsten fühlt man sich nicht sicher und man ist ehrlich gesagt auch nicht sicher.

Ich war im August 2012 nochmal in SA. Zuhause, wollte ich gerade schreiben. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Trotzdem, während ich dort war, habe ich mich wie eine Fremde gefühlt. Ich habe mich gewundert, dass ich so aufgewachsen bin. Sei es wegen Europa oder der Tatsache, dass wir es hier so gut haben. Sei ich es selbst, dass ich mich soweit entwickelt habe. Ich weiß die Antwort nicht. Ich weiß nur, dass ich mich nicht wohlgefühlt habe. Angst hatte ich irgendwie gar nicht, aber es hat sich nicht angefühlt wie sich ein Zuhause anfühlen sollte.

Man sieht den Unterschied überall jetzt dort. Es gibt nicht nur schwarze Bettler oder Obdachlose. Nicht nur schwarze Kinder, die Klebstoff an Ecken schnüffeln. Nicht nur Weiße, die große Autos fahren oder schicke, sichere Häuser besitzen. Nicht nur schwarze Familien, die es sich nicht leisten können, ihre Kinder zur Schule zu schicken.

Es hat sich alles gemischt, wie es eigentlich sein sollte. Wie es gerecht ist.

© Natasha du Toit

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