Unsere „heile“ Welt

give us hope

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Rien ne vas plus – nichts geht mehr, die Kugel rollt auf ihrer vorbestimmten Bahn, nur dass wir uns keineswegs in einem Spielcasino befinden, sondern dass das metallische Rund unsere „heile“ Welt darstellt.

Über 200 000 Menschen füllten die Straße von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor, als am 24. 07. 2008 Barack Obama zum Mikro griff und eine Rede an die Völker der Erde richtete.

Als Herausforderungen für dieses Jahrhundert nannte er den Kampf gegen den Terrorismus, die Eindämmung des Klimawandels, die Kontrolle über die Atomwaffen und die Verteidigung der Menschenrechte in aller Welt. «Die Partnerschaft und die Kooperation unter den Nationen ist keine Frage. Sie ist der einzige Weg, die gemeinsame Sicherheit zu bewahren und die gemeinsame Menschlichkeit voranzubringen.» „Yes we can“, und irgendwie war auf einmal ein Hoffnungsträger geboren. Für Menschen rund um den Glo­bus wurde Obama zur Projektionsfläche für eine bisher unerfüllte Friedenssehnsucht. Deshalb waren so viele Menschen zur Siegessäule gekommen, deshalb liebten sie ihn. Die Menschen hier ebenso wie in den USA wollten kein Abu Graib mehr, kein Guantanamo, kein Blut­vergießen im Nahen Osten, keinen Krieg im Irak. Sie wollten Frieden.

Am 19.Juni spricht Obama wieder in Berlin diesmal vor dem Brandenburger Tor, mittlerweile ist er sogar Friedensnobelpreisträger.

„Ich bin ein Berliner“ ist ein berühmtes Zitat aus der Rede von John F. Kennedy am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in Berlin, anlässlich des 15. Jahrestages der Berliner Luftbrücke und des ersten Besuchs eines US-amerikanischen Präsidenten nach dem Mauerbau im Jahr 1961, mit dem er seine Solidarität mit der Bevölkerung von West-Berlin ausdrücken wollte.

Genau vor 50 Jahren. Wird auch Obama diesen legendären Satz rufen?

Doch was ist wirklich in seiner Amtszeit geschehen? Was ist übrig geblieben von dem einst als Hoffnungsträger für Frieden und Freiheit gefeierte Mann?

Aus seiner Rede als Nobelpreisträger 2010: „Es sei die Aufgabe aller freien Menschen, den Unfreien und Bedrückten zu versichern: „Hope and history are on your side“, Hoffnung und Geschichte sind auf eurer Seite, sagte er. Auch wenn die Menschheit mit sich selbst oft im Streit liege, es gebe da „the law of love“, das Gesetz der Liebe.“

Er sprach von den Bürgerrechten, ohne die ein Frieden kein richtiger Friede sei. „Just peace“ sei nicht genug.

Wenn der Friedensnobelpreis für außergewöhnliche Reden verliehen würde, Barack Obama hätte ein Dutzend davon verdient.

Doch der Nobelpreis war bisher kein Preis fürs Redenhalten, auch keine Auszeichnung fürs Ankündigen. Nicht das Wort, auch nicht das geistreiche, das geschliffene Wort, sondern die Tat wurde bisher geehrt.

US-Präsident Woodrow Wilson bekam den Preis, weil er die Gründung des Völkerbunds anregte, den Vorläufer der Vereinten Nationen. Martin Luther King wurde geehrt, weil er für die Rechte der Schwarzen kämpfte, so wie Gewerkschaftsführer Lech Walesa für jene der unterdrückten Arbeiter im Kommunismus.

Ein US-Präsident muss bereit sein, seine Ziele mit allen nur erdenklichen Mitteln zu erreichen, dass erreicht er aber nicht, nicht mit seinen außergewöhnlichen Reden.

In seiner Amtszeit entstand die Occupy -Bewegung – die Demonstrationen in vielen Städten der USA, ein Ausdruck der Kritik der Menschen an den Banken.

Occupy-Wall-Street, ob Oakland oder New York – die Polizei verschärfte ihr Vorgehen gegen die Demonstranten. 2011 war erstmalig das Jahr des Pfeffersprays, obwohl Obama noch 2010 in seiner Nobelpreisrede sagte: „Bürgerrechte, ohne die ein Frieden kein richtiger Friede sei“. Die Realität sah anders aus – wenn man gegen Demonstranten vorgeht, greifen sie zu dem Reizgas, das harmlos aussieht, aber töten kann.

Wie sagte ein von der Front heimgekehrter amerikanischer Soldat, der nur durch Zufall gerade am Ort war, wo die amerikanische Polizei sich mit Wasserwerfern und Pfefferspray auf die meist jungen Demonstranten stürzte: Er hätte für sein Vaterland im Irak gekämpft, nun kommt er nach Hause und wird von seinen eigenen Brüdern angegriffen, sie sollten sich was schämen.

Ja, viele Bilder der Proteste und die zunehmende Gewaltbereitschaft der Polizei zeigen, dass Kritik an der Regierung nicht gewünscht ist.

Wir sehen diese Bilder immer wieder, ob im „arabischen Frühling“, in der Occupy-Bwegung, in Spanien, Portugal, Griechenland oder Russland und nun auch in der Türkei.

Russland! Der Prozess gegen die Frauen von Pussy Riot zeigte mal wieder, was mit Menschen geschieht, wenn sie sich auflehnen. Die ganze Welt schaut zu, wie Russlands Präsident Putin auf einen Unterdrückungsstaat nach altem Muster setzt.

Schon jetzt haben die jungen Frauen, darunter zwei Mütter, mehr erreicht als viele der im Widerstand gegen Putin gealterten Oppositionsführer und kritischen Kulturschaffenden – die Punkerinnen stehen, simplen Botschaften zum Trotz, mit ihren Gesichtern für ein Russland, das die Nase voll hat von Rechtswillkür, Gängelung und korrupten Eliten.

Alles ist ja so weit weg, da macht man doch gleich Urlaub in Ägypten, weil es ja so billig ist, vielleicht noch kurz mal auf den Tahir-Platz schauen.

Der „arabische Frühling“: Brutal wurden die Demonstranten niedergemacht, meist junge Menschen, die sich gegen die Regierung auflehnten. Wie sagte ein ägyptischer Student: „Wir haben Hunger, ein Brot kostet umgerechnet 10 Euro. Wir müssen unsere Studien abbrechen, da unsere Eltern es sich nicht mehr leisten können. Viele Mütter weinen.“ Dieser Student zeigte mir ein Handy-Video, wo sein Freund, außerhalb des Tahrir-Platzes in Kairo, auf dem Heimweg einfach vom Militär niedergeschossen wurde. Ein junger Student, seine Zukunft noch vor sich. Auch der junge Student, der mir dieses Video per Mail schickte und der so alt wie meine Tochter ist, ist verschollen.

Europa!  Im Oktober 2012 hieß es “Wut der Krisen-Staaten legt Europa lahm“. In den Ländern Spanien, Belgien, Italien, Portugal, Griechenland und Frankreich streikten ArbeiterInnen wegen der harschen Sparpolitik. Schon 2011 hieß es: Kommt nach dem arabischen Frühling der europäische Sommer? Von Nordafrika kommend hatte der Protest der Unzufriedenen erst Spanien erfasst und war auf dem Protestplatz schlechthin angekommen: der Place de la Bastille. 222 Jahre nach der französischen Revolution forderten die Jugendlichen nun nichts Geringeres als die Weltrevolution.

Dieser „Europäische Sommer“ war da und blieb, bis heute. Nur leider wird er eher verschwiegen, denn wir leben doch in einer „heilen“ Welt. Warum also protestieren, warum demonstrieren oder gerade eine neue Revolution ausrufen?

Angst vor dem eigenen Volk? Oder warum soll die Polizei es gar nicht zu einer neuen Revolution kommen lassen. Diese Polizei, dein Freund und Helfer, räumten damals noch am selben Sonntagabend den Bastille-Platz.

Die Demonstranten sind für die Regierungshäupter aber lästig, denn sie wagen es wiederzukommen und zwar in einer weitaus größeren Zahl.

Ja, sie wagen es, und dass ist auch gut so.

Ob in Lissabon, Athen, Budapest, Wien oder Berlin, in den arabischen Ländern genauso wie in Asien oder neuerdings Türkei. Überall verabreden sich „Empörte“ über das Internet und das soziale Netzwerk Facebook, um gegen Sparhaushalte, Sozialabbau, Korruption, eine ungerechte Verteilung des Reichtums und die politischen Eliten zu protestieren. So wird es uns zumindest öffentlich dargestellt.

Aber protestieren sie nicht für Hoffnung, für ihre Zukunft für Perspektiven, die man ihnen genommen hat?

Schon Napoleon sagte damals: „ Eine Revolution ist eine Meinung, die auf Bajonette trifft.“

Heute trifft sie auf Wasserwerfer, Reizgas oder Pfefferspray und in vielen Ländern der Erde sogar auf Panzern.

Der Einsatz von Reizgas oder Pfefferspray wächst mit jedem Jahr. Wie viele Liter von dem Zeug, das die Genfer Konvention für Kriegseinsätze geächtet hat, unter die Leute gebracht wurden, weiß wahrscheinlich nicht einmal die Polizei selbst.

Und sie werden weiter ausharren, da, wo die Krise mit jedem Tag drängender wird, ist die Jugendarbeitslosigkeit verheerend. Was machen die jungen Leute, die im eigenen Land kaum noch eine Chance haben? Sollen sie warten? Was würden Sie machen, wenn sie wüssten, dass sie sich morgen vielleicht schon einen Platz unter einer Brücke suchen können? Warum dann nicht gleich einen Platz suchen, genau vor dem Regierungsgebäude, damit auch die Menschen, die dort tagtäglich ein und ausgehen, es sehen, dass die sogenannte „heile“ Welt Risse hat.

Proteste in der Türkei: Sie erinnern mich an den „arabischen Frühling“ auf dem Tahrir-Platz in Kairo, nur diesmal heißt der Platz des Geschehens Taksim-Platz. Hier versammeln sich Menschen um ihre Rechte einzufordern.

Auch diesmal wieder ging die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen vor.

Bei den Protesten wurden nach Ärzteangaben fast 5000 Menschen verletzt. Die USA äußerten sich unterdessen besorgt über das gewaltsame Vorgehen der türkischen Polizei. Ja, genau die USA, die selber, wir erinnern uns, mit grober Polizeigewalt gegen seine eigenen Bürger vorgeht.

„Proteste sollten friedlich sein, und das Recht auf Versammlung und freie Meinungsäußerung sollte respektiert werden, denn das sind fundamentale Prinzipien eines demokratischen Staates“, so ein Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der die Entwicklungen in der Türkei sehr genau verfolge.

Deutschland, nein, hier demonstriert keiner, ist ja alles in Ordnung, oder doch nicht?

Nehmen wir den Fall Gustl Mollath, der mit den Schwarzgeldverschiebungen seiner Ex-Frau als Kundenberaterin der Hypo-Vereinsbank , seinen Anzeigen, den psychiatrischen Gutachten mit dem attestierten „paranoiden Wahn“ und dem Prozess im Jahr 2006 wegen angeblicher Körperverletzung „Zum Irren“ abgestempelt wurde. Längst ist bekannt, dass er zu Unrecht in der Psychiatrie sitzt, doch die deutsche Bürokratie mahlt langsam. Gustl Mollath, ein 56-Jähriger aus Nürnberg, der aus zweifelhaften Gründen seit mehr als sieben Jahren in geschlossenen Anstalten eingesperrt ist, weil er möglicherweise gar nicht verrückt, sondern Opfer eines großen Versagens von Justiz und Steuerfahndung ist.

Wo kann man da noch von einem Rechtsstaat sprechen?

Blockupy-Kundgebung in Frankfurt, am 01.Juni dieses Jahres, auch hier trafen Demonstranten, aber auch Journalisten, auf eine gewaltbereite Polizei, die mehr als 1000 Menschen für Stunden eingekesselt hatte.

„Heile“ Welt in Deutschland?

Warum gibt es die Arche und die Tafel? Warum steigt die Zahl der RentnerInnen, die sich was dazuverdienen müssen. Laut Arbeitsagentur waren im Herbst mehr als 800 000 Minijobber älter als 65 Jahre. Ist das nicht ein Beleg für wachsende Altersarmut?

Da haben sie geschuftet, Familie, Jobs und oftmals die Pflege der Eltern übernommen und was ist das Ergebnis nach all der harten Arbeit? Zum Leben zu wenig zum Sterben zu viel.

Nicht nur Frauen kämpfen mit der Altersarmut, aber sind sie es doch, die am meisten leiden.

Erschöpft, nach Ruhe sich sehnend und was ist geblieben, von dieser einzigen Hoffnung, im Alter wird alles besser? Der Kampf geht weiter und werden sie krank, dann müssen die letzten Ersparnisse für die Medikamente herhalten und am Ende geht es ins Pflegeheim, wo man letztendlich geduldet wird.

Tatort Pflegeheim: Miese Betreuung und überfordertes Personal, immer öfters bekommen wir solche Schlagzeilen zu lesen. Nicht gerade beruhigend. Erst recht wenn ich mir so Gedanken über meine letzten Jahre mache.

Was erwartet uns in unserer „Heilen“ Welt?

Genmanipulierte Lebensmittel, privatisiertes Wasser, überteuerte Mieten, gefährliche Arznei-Cocktails im Alter, Rente, die nicht reicht, Bildung, die nicht gefördert wird, eine Meinung, die nicht mehr frei ist, Banken die gerettet werden wollen, neumodische Form der Sklaverei, auch Zeit- und Leiharbeiter genannt und am Ende ein Tatort Pflegeheim und sicher vieles Mehr…

Am 19.Juni spricht der Nobelpreisträger Obama wieder in Berlin. Diesmal vor dem Brandenburger Tor, ein Mann, der einst als Hoffnungsträger galt, und wie nun bekannt wurde, mit dem Prism-Skandal in die Geschichte eingehen wird.

2008 – Als Herausforderungen für dieses Jahrhundert nannte er den Kampf gegen den Terrorismus, die Eindämmung des Klimawandels, die Kontrolle über die Atomwaffen und die Verteidigung der Menschenrechte in aller Welt. «Die Partnerschaft und die Kooperation unter den Nationen ist keine Frage. Sie ist der einzige Weg, die gemeinsame Sicherheit zu bewahren und die gemeinsame Menschlichkeit voranzubringen.» „Yes we can“

Was daraus geworden ist, darüber können Sie sich selber eine Meinung bilden.

Ich sage mir, mit „Yes we can“ können unsere sogenannte „heile“ Welt noch retten, indem wir zeigen: Nicht mit uns!

Für meine Kinder und Enkelkinder und die folgenden Generationen, denn die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit wird bleiben, also suchen wir uns einen neuen Hoffnungsträger. Give us Hope!

Rien ne vas plus – nichts geht mehr, die Kugel rollt auf ihrer vorbestimmten Bahn, nur dass wir uns keineswegs in einem Spielcasino befinden, sondern dass das metallische Rund unsere „heile“ Welt darstellt.

Doro Schreier, Netzfrau

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