Polystyrol am Bau hat viele „gute“ Eigenschaften. Als Dämmstoff ist er preiswert, schnell und einfach zu verarbeiten. Seit Deutschland sich in einen energetischen Isolierwahn katapultiert hat, kommt Styropor in nahezu 80 Prozent aller Sanierungen und ebenso bei Neubauten, subventioniert aus der Staatskasse, zum Einsatz. Laut Bundesregierung ein für die Umwelt erfolgreiches Energiekonzept und ganz nebenbei ein gigantisches Business der Dämmstoffindustrie zu Lasten von Umwelt und Mensch.
Warum ist Polystyrol das Produkt number one, wenn es um Maßnahmen von Energieeinsparungen an Gebäuden geht?
Die Frage nach der Umweltverträglichkeit von Polystyrol ist schnell mit „nein“ beantwortet. Denn es ist von seiner Herkunft (Rohöl, nicht erneuerbarer Rohstoff), der Produktion, der Anwendung bis zur Entsorgung, die wir unseren Kindern und Enkelkindern in 50 Jahren als Sondermüll überlassen, problematisch. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre wird das Produkt jedoch schon infolge von vorzeitigen Sanierungsmaßnahmen entsorgt werden müssen oder wurde frühzeitig zum Brandbeschleuniger.
Styrol ist ein wichtiges Monomer zur Herstellung von Kunststoffen, u. a. des Standardkunststoffes Polystyrol mit einer Gesamtproduktionskapazität (2007) von ca. 15 Millionen Jahrestonnen.[1] Polystyrol, die Billigware am Bau mit auf den ersten Blick guten Isoliereigenschaften, konnte sich in den letzten Jahren zur Massenware etablieren und ist der Renner in jedem Baumarkt. Gewiss ein weiteres Argument, weshalb ökologische Gesamtzusammenhänge bei der Produktwahl nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Das Brandverhalten von Polystyrol
Polystyrol ist, so seine Befürworter, nicht brennbar, brandsicher, schwer entflammbar. Auch das stimmt nicht. Da wurde wieder einmal die Messlatte der Industrie angelegt, abgesegnet von unserer Bundesregierung; denn laut Brandexperten sind Styroporplatten im Brandfall extrem gefährlich, da es Fassaden in Sekundenschnelle schmelzen lässt. Das schnell entflammbare Material verflüssigt sich und Rettungsaktionen der Feuerwehr werden für Menschen, die sich noch im Gebäude aufhalten, nahezu unmöglich. Der schwarze Rauch enthält Ruß sowie Zersetzungsprodukte wie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Stickoxide und Styrol. Ein gefährlicher Mix, der beim Einatmen zu Gesundheitsschäden führt. Das ist alles längst bekannt und deshalb fordern Brandexperten, den Styroporeinsatz als Dämmmaterial zu stoppen.
Um die Brandgefahr von Polystyrol zu reduzieren und die Brandschutzbestimmungen zu erfüllen, wird als Flammschutzmittel HBCD (Hexabromcyclododecan) hinzugefügt, ein Stoff, der bereits 2008 als PBT-Substanz in die Liste der „substances of very high concern“ registriert und im vergangenen Monat in der Stockholmer Konvention über persistente organische Schadstoffe aufgenommen wurde. Für den Einsatz als Flammschutzmittel gilt weltweites Herstellungs- und Anwendungsverbot. Nicht so für Polystyrol-Dämmplatten, denn für diese gilt eine vorübergehende Ausnahmeregelung.
HBCD kommt nicht nur in Dämmmaterialien vor, sondern es ist inzwischen in Luft, Wasser, im Boden und im Blut von Lebewesen nachgewiesen. Brennt HBCD, bilden sich hochgiftige Dioxine.
Wann wird es zu einem gänzlichen Verbot kommen?
In der Niederschrift der Bauministerkonferenz vom 20./21. September 2012 zum Brandverhalten von Wärmedämmverbundsystemen mit Polystyroldämmstoffen ist nachzulesen[2]:
„1. Die Bauministerkonferenz stellt fest, dass Wärmedämmverbundsysteme mit Polystyroldämmstoffen ordnungsgemäß zertifiziert und bei der zu- lassungsentsprechenden Ausführung sicher sind. Gleichwohl nimmt sie die Brandereignisse mit solchen Wärmedämmverbundsystemen ernst.
2. Die Bauministerkonferenz beauftragt den Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen unter Einbeziehung der Feuerwehr, alle relevanten Brandereignisse von Wärmedämmverbundsystemen mit Polystyroldämmstoffen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und Gefahren bei Montagezuständen zu untersuchen. Sofern angezeigt, sind konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen.“
Die Bundesregierung ist also noch in der Prüfphase. Wird es in absehbarer Zeit Änderungen geben?
Mit Gifteinsatz gegen Algenbildung
Flächendeckend, nicht nur in Deutschland, kommt es auf dem Putz der aufgeklebten Styroporwände nicht selten zu Algenbildung. Auch zu diesem Thema steht die Dämmstoff-Industrie selbstverständlich mit Rat und Tat Hausbesitzern zur Seite; denn vorsorglich werden Giftkeulen, d. h. Biozide in Putz und Farben gemischt, damit die Herstellergarantie gewährleistet ist.[3] Das Regenwasser transportiert von Dämmfassaden samt Putz und Farbe die giftigen Schadstoffe in unser Grundwasser und belastet unsere Trinkwasserversorgung und Flüsse, ein zusätzlich problematischer Aspekt bei Hochwasserüberschwemmungen.
Großbrand in Ludwigshafen
Am Samstagnachmittag erforderte ein Brand in einer über 9000 qm großen Lagerhalle eines Logistik-Unternehmers des Chemiekonzerns BASF, in der größtenteils Styropor-Granulat gelagert wurde, einen Großeinsatz der Feuerwehren aus Ludwigshafen, Mannheim, Neustadt, Bad Dürkheim und der Werksfeuerwehr von BASF.
Über Ludwigshafen und Mannheim gingen Rußflocken nieder und das Gesundheitsamt warnte davor, Lebensmittel zu essen, die mit dem Ruß in Kontakt gekommen sind, und riet dazu, Kinder von Spielplätzen, die mit Ruß belastet sind, fernzuhalten. In einer Pressekonferenz wurde gestern versichert, dass der Ruß weder akut noch latent giftig sei und Schadstoff-Grenzwerte nach Angaben der Stadtverwaltung nicht überschritten wurden.[4]
Wieder einmal hat ein Brand von Styrol „keinerlei umwelt- und gesundheitliche Nebenwirkungen“ und heute, zwei Tage nach dem Brand, scheint das Thema bereits vergessen und abgehakt.
Mehr zum Thema demnächst bei den Netzfrauen
© 2013 Netzfrau Birgitt Becker
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Polystyrol
[2] http://www.aho.de/pdf/protokoll_123-bauministerkonferenz_20120921.pdf
[3] u.a. Terbutryn, Diuron, Isoproturon, Carbendazim, Zink-Pyrithion
[4] http://www.rnf.de/ludwigshafen-abschlusspressekonferenz-zum-grosbrand-hafenstrase-11612/#.UcgtduCHiu0