Gulag – Straflager – oder einfach durch die Kinder- und Jugendfürsorge „betreut“ und verwahrt?

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durch die Kinder- und Jugendfürsorge

„betreut“ und verwahrt?

Der Abschlussbericht

 

Univ. Prof. Reinhard Sieder veröffentlichte vor einem Jahr seine Studie über die Fürsorge-Erziehung in Wien. Sein Tenor: „Nationale Katastrophe“. Die Arbeit war Auslöser für die jetzt vorliegende Studie über Pflegekinder.

Die Kommission um Barbara Helige beleuchtete die Geschichte des Kinderheimes  Wilhelminenberg und fand viele Indizien für sexuellen Missbrauch.

Die Stadt Wien veröffentlicht eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Kommission zur Erforschung der Gewalt in den Kinderheimen der Stadt Wien

Die Untersuchung widmete sich struktureller, sozialer, materiell-ökonomischer, körperlicher, psychischer, sexualisierter und sexueller Gewalt in Kinderheimen der Stadt Wien von den 1950er-Jahren bis in die 1970er-Jahre. Untersucht wurden die städtischen Kinderheime und jene konfessionellen und privaten Heime, die vom Wiener Jugendamt regelmäßig mit Kindern beschickt wurden.

Erstes Ziel des Berichts war es, ausführliche Erzählungen ehemaliger Heimkinder zu dokumentieren, um deren Leid anzuerkennen. Ein zweites Ziel war es, die in den Heimen von Erzieherinnen und Erziehern heiminternen Lehrerinnen und Lehrern sowie von anderem Personal ausgeübte Gewalt zu erklären.

Mit zwanzig ehemaligen Heimkindern wurden ausführliche Gespräche in der Länge von drei bis vier Stunden geführt. Weiterhin wurden drei Expertinnen- und Experten-Interviews mit einem ehemaligen Heimleiter, einer ehemaligen Fürsorgerin und einer Psychologin des Jugendamtes geführt.

Thesen

Ausbildungsmängel

Im Unterschied zu heute fehlte es in den 1950er-Jahren bis zu den 1970er-Jahren an gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern. Etwa die Hälfte aller Erzieherinnen und Erzieher hatte keine oder nur eine minimale Ausbildung. Dies erklärt zum Teil, warum „populäre“ und „autoritäre“ Vorstellungen von gewaltsamer Erziehung in Heimen vorherrschten.

Die totale Institution

Städtische wie private Erziehungsheime entsprachen dem Modell der „totalen Institution“: Alle Maßnahmen und Routinen sowie die gesamte Zeiteinteilung wurden durch die Hausordnung bestimmt.

Die Notwendigkeit, alle Lebenstätigkeiten der Gruppe zu kontrollieren, führte zu Anordnungen und Geboten, die gar nicht vollständig eingehalten werden konnten. Sie erzeugten unvermeidlich eine notorische Reihe von Übertretungen. So führte die strikte Regel, die Toilette nur in der großen Pause aufzusuchen, bei Kindern, die ihre Körperfunktionen (teilweise infolge von Verängstigung) noch nicht vollständig kontrollieren konnten, zum Hosennässen. Das Gebot, das zugeteilte Essen aufzuessen, führte zum verbotenen Erbrechen, was ein neuerliches Gebot, das Erbrochene aufzuessen, nach sich zog.

Jeder Regelverstoß wurde, sofern er von einer Erzieherin beziehungsweise einem Erzieher beobachtet wurde, umgehend bestraft. Die Strafe richtete sich auf die Gruppe oder auf die Einzelne beziehungsweise den Einzelnen, die oder der vor den Augen der Gruppe bestraft wurde. Der demonstrative und zugleich demütigende Charakter der allermeisten Strafen ist offensichtlich. So gut wie jede Strafe enthielt physische und psychische Gewalt. In einigen Fällen verband sich das Strafen überdies mit sexualisierter Gewalt.

Die totale Erziehung

Das Repertoire der totalen Erziehung umfasste:

  • Die Zufügung von physischen Schmerzen, beispielsweise:
    • Mehrmaliges Eintauchen des Kopfes in die Klomuschel
    • Zerschlagen des Gesichts
    • Hinunterstoßen über Treppen
    • Verrenken eines Unterarmes
    • Würgen mittels eines um den Hals gelegten nassen Handtuchs
    • Schweres Verprügeln mit Reitgerten, ledernen Hosengürteln, Ochsenziemern, Linealen und Holzschlapfen
    • Wurf von schweren Schlüsselbunden an den Kopf
    • Die Duldung oder Provozierung einer Art Selbst-Justiz in den Kinder- und Jugendgruppen sowie die Disziplinierung beziehungsweise Quälung und Misshandlung von jüngeren oder körperlich schwächeren Kindern durch stärkere Kinder und Jugendliche.
  • Psychische Gewalt durch systematisches Verächtlichmachen, Herabwürdigen, Sarkasmus und Zynismus, in einzelnen Fällen die Zufügung von Todesängsten.
  • Soziale Gewalt, beispielsweise:
    • Die über jedes pädagogisch erforderliche Maß hinausgehende Einschränkung der Kommunikation im Schlafsaal und bei Tisch (Redeverbot)
    • Die Einschränkung von Besuchen
    • Die oft willkürliche Untersagung von Ausgängen zu Eltern und Verwandten
    • Die unbegründete Vorenthaltung von angemessenen Bildungschancen
    • Die Vorenthaltung des Zugangs zu gewünschten Lehrberufen und von mittleren und höheren Schulen
    • Damit verbunden die Verursachung von materiellen Nachteilen im späteren Berufsleben
  • Materielle Gewalt, beispielsweise:
    • Die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kinder und Jugendlichen im Anstaltshaushalt
    • Die Einbehaltung von persönlichem Eigentum von Heimkindern durch Erzieherinnen und Erzieher
    • Die vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren erbärmliche Ausstattung mit Kleidern
    • Der Zwang zum Tragen von Heimkleidung, die stigmatisierte, ausgrenzte, die Zöglinge abwertete und deprimierte.
  • Sexualisierte Gewalt, die vorgeblich in erzieherischen Absicht ausgeübt wurde, beispielsweise:
    • Das Antretenlassen der Buben, um den Penis zu prüfen und zu misshandeln (im städtischen Heim Hohe Warte: „Schwanz abschlagen“)
    • Die Inspektion von Vagina und After bei Mädchen, verbunden mit herabwürdigenden sexualisierten Bemerkungen
    • Schläge auf die Vagina mit einem Besenstil (im Heim der „Kreuzschwestern“ in Laxenburg)
  • Dem Zwang, das oft nicht kindgerechte, zu fette Essen zur Gänze aufessen und in der Folge mehrfach Erbrochenes neuerlich aufessen zu müssen (Esszwang).

Die genannten Gewaltformen wurden regelmäßig von einem Teil der Erzieherinnen und Erzieher praktiziert. Sie waren Teil der Erziehung, die in vielen Heimen als legitim und angemessen galt.

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt, über die aus Heimen wie Eggenburg, Hohe Warte, Wilhelminenberg, Pötzleinsdorf, Wimmersdorf, Pitten, Laxenburg und anderen berichtet wird, ist nicht zum Repertoire totaler Erziehung zu zählen. Es war unmöglich, sie noch als erzieherische Maßnahme zu tarnen. Sexuelle Gewalt wurde unter Ausnutzung von Machtpositionen durch Erzieherinnen und Erzieher an Zöglingen ausgeübt.

Auch anderes Heimpersonal – wie ein Heizer und Gärtner im städtischen Kinderheim Wilhelminenberg oder ein Hausarbeiter im konfessionellen Heim St. Benedikt – übten sexuelle Gewalt an Kindern aus. Die Formen sexueller Gewalt reichten vom Zwang zur oralen oder manuellen Befriedigung des Täters beziehungsweise der Täterin bis zum erzwungenen Koitus. Weltliche wie geistliche Erzieherinnen und Erzieher erpressten von Mädchen und Burschen manuelle Masturbation (städtisches Heim Pötzleinsdorf, privat geführtes Heim Wimmersdorf und andere).

Häufiger als von Erzieherinnen und Erziehern wurde sexuelle Gewalt von Jugendlichen an Kindern beziehungsweise von stärkeren Kindern an schwächeren und jüngeren Kindern ausgeübt. Körperliche und soziale Überlegenheit der Täterin oder des Täters erlaubte es, körperlich schwächeren Kindern homosexuelle Dienstleistungen abzuverlangen. Dies wurde von einigen Heimerzieherinnen und -erziehern beobachtet und geduldet, jedenfalls nicht unterbunden. Die sexuelle Gewalt soll von einzelnen Erzieherinnen und Erziehern sogar gefördert worden sein (städtisches Heim Eggenburg und andere). Duldung oder Förderung dienten den eigenen Interessen der Erzieherinnen und Erzieher, das System der Gewalt aufrecht zu erhalten.

Auch ein Teil der geistlichen oder konfessionellen Erzieherinnen und Erzieher war zu Formen der Gewalt, auch der sexualisierten und der sexuellen Gewalt, geneigt. Die Peinigung von kleinen, fünf- bis sechsjährigen Kindern im Bereich der Genitalien (Heim der Kreuzschwestern in Laxenburg und andere) weist auf die Bekämpfung der eigenen sexuellen Bedürfnisse beziehungsweise auf deren Dämonisierung hin. Andere konfessionelle Erzieherinnen und Erzieher erzwangen sexuelle Handlungen wie ihre manuelle Befriedigung durch Zöglinge zu ihrem sexuellen Lustgewinn.

Erklärungen

Die Kommission fand sechs Erklärungen, warum in den Heimen exzessive Erzieherinnen- und Erzieher-Gewalt möglich war:

„Autoritäre Gesellschaft“ (soziologisch-psychologische Erklärung)

Die in den Heimen, Schulen, Internaten und Familien übliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche wurde von autoritär erzogenen Menschen ausgeübt, die selbst an Gewalt gelitten haben. Aus Angst vor den eigenen Schwächen wollten sie sich gegenüber Kindern und Jugendlichen als stark und überlegen erweisen. Viele Eltern waren gegenüber ihren Kindern gewalttätig. Andere delegierten den Wunsch nach Gewalt an Kindern und Jugendlichen an die Exekutive – also an die Schule, an Internate und Kinderheime.

Folge von NS- und Kriegssozialisation (zeit- und politikgeschichtliche Erklärung)

Die 1950er-Jahre standen im Schatten der faschistischen Epoche in Europa sowie der physischen und mentalen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. In der Fürsorge zeigt sich die Kontinuität eugenischer beziehungsweise „rassenhygienischer“, rassistischer und autoritärer Begriffe. Die damit verbundene Denkweise bereitete der exzessiven Gewalt in der Heimerziehung den Weg.

Nach 1945 waren in der NS-Periode tätige und ausgebildete Fürsorgerinnen und Fürsorger, Psychologinnen und Psychologen sowie Ärztinnen und Ärzte wieder oder weiter im Dienst. Unter ihnen auch Dr. Heinrich Gross. Für eine gewisse mentale Kontinuität in der Erzieherschaft sprechen belegte Aussagen und Praktiken einzelner Erzieherinnen und Erzieher im Kinderheim am Wilhelminenberg, nahe zum Spiegelgrund in den frühen 1950er-Jahren. Einzelne Zöglinge erlebten hier einen rassistischen Vernichtungswillen gegenüber „dunkelhaarigen“, für jüdisch oder zigeunerisch gehaltenen Kindern.

Mangelnde Kontrolle der Heimerziehung

Die Entdeckung von einzelnen Misshandlungen in Kinderheimen in den 1950er- bis 1970er-Jahren geschah nur zufällig. Dennoch muss es im Jugendamt ein begrenztes, „inoffizielles“ Wissen um grundlegende Missstände in Kinderheimen gegeben haben. Ausmaß und Vielfalt der Gewalt waren mangels Untersuchungen unbekannt. Eine systematische Kontrolle der Erzieherinnen und Erzieher oder ihrer Praktiken ist nicht zu erkennen.

Es gab jährliche Besuche von zuständigen „Dezernenten“ sowie Kontakte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes mit den Heimen. Aber dies diente nicht der Kontrolle der Erzieherinnen und Erzieher. Die gewalttätigen Erzieherinnen und Erzieher konnten sich gut vor Disziplinarverfahren schützen. Was sich in den Nächten in den Schlafsälen und auf den Gängen der Heime abspielte, blieb Besucherinnen und Besuchern verborgen, von zufälligen Entdeckungen abgesehen.

Es gab auch keine Stelle außerhalb des Heimes, an die sich Angehörige der Kinder hätten wenden können. Es sind Fälle bekannt, bei denen Angehörige von Heimkindern oder die Heimkinder selber versuchten, auf dem nächsten Polizeiwachzimmer eine Anzeige gegen gewalttätige Erzieherinnen und Erzieher zu erstatten. Sie trafen auf Unverständnis. Polizisten wussten offenbar im Grunde von der Gewalt in den Heimen, hielten sie aber für berechtigt. Eine Anzeige wiesen sie entrüstet von sich.

Spaltung des Fürsorge-Systems

Die Innenwelt der Heime war vom zentralen Jugendamt ebenso wie von den einzelnen Bezirksjugendämtern abgetrennt. Bis in die 1960er-Jahre war das Anstaltenamt, nicht das Jugendamt, für die Heime zuständig. Die faktische Spaltung verschärfte sich noch ab Beginn der 1970er-Jahre. Einige Heime (Biedermannsdorf, Hohe Warte, Eggenburg, Wilhelminenberg) blieben „reaktionäre Inseln“ in einer sich demokratisierenden Gesellschaft. Erzieherinnen- und Erzieher-Gruppen, die am Repertoire der totalen Erziehung festhielten, konnten sich hier festsetzen. Auch eine reformfreudige Heimleitung hatte wenige Chancen, sie loszuwerden. Es gab keine Instanz, die das Scheitern einer Erzieherin beziehungsweise eines Erziehers feststellen und entsprechende Schritte der Kündigung hätte erfolgreich einleiten können.

Mangelnde Kontrolle aus der Verstrickung der ExpertInnen

Die Kontrolle der Fürsorge und der Fürsorgeerziehung durch Wissenschaften und Gerichte funktionierte nur sehr bedingt, da sich ein geschlossener Kreislauf ausbildete, in dem alle professionellen Akteurinnen und Akteure voneinander abhängig waren. Eine externe und verfahrenskritische Kontrollinstanz in der Entscheidungs- und Administrationskette wurde nicht eingerichtet. Vor allem mangelte es an einer effizienten Kontrolle der Erzieherinnen und Erzieher in den städtischen, konfessionellen und privaten Erziehungsheimen.

Gleichgültigkeit der Gesellschaft

Verstörend scheint die anhaltende Gleichgültigkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in Erziehungsheimen oft schwer gelitten haben. Man hält (ehemalige) Heimkinder immer noch pauschal für gefährlich. In Wirklichkeit waren sehr viele Heimkinder noch sehr klein, als sie in die Heime kamen. Nicht weil sie auffällig, „schlimm“ oder gar „aggressiv“ gewesen wären, sondern weil in ihren Familien kein Platz für sie war.

Häufige Gründe waren Arbeitslosigkeit und soziales Elend, Trennung und Scheidung der Eltern, Alkoholmissbrauch oder Kriminalität eines Elternteils oder die Unfähigkeit der Eltern, ihre Kinder hinreichend zu versorgen. Zu „schwer erziehbaren“ Kindern wurden einzelne dieser Kinder nur, weil sie in den Kinderheimen in eine Kultur der Gewalt und des Missbrauchs gerieten. Hier zu überleben erforderte hohe Widerstandskraft, Gegengewalt, aber auch Techniken der inneren Emigration. Nicht selten führte dies zu seelischen und körperlichen Erkrankungen.

Die Fehleinschätzung, die Heimkinder seien alle schwer erziehbar gewesen, erklärt sich aber auch aus ideologisch-politischen Gründen. Die den Kindern pauschal zugeschriebenen Eigenschaften (Aggressivität, Egoismus, Gewaltbereitschaft, Verwahrlosung, et cetera) werden im Nachklang von Eugenik und Rassenhygiene als genetisch bedingt und sozial vererblich gedacht. Dabei wirkt hierzulande neben dem Katholizismus auch der Nationalsozialismus immer noch weiter.

Die Kommission um Barbara Helige untersuchte die Vorkommnisse im Heim am Wilhelminenberg.

Es war im Jahr 1781, als der damalige Feldmarschall Franz Moritz Graf von Lascy das Grundstück am Stadtrand von Ottakring kaufte und das Schloss erbauen ließ. Ein Freund kaufte ihm das Besitztum ab und erweiterte es um weitere Waldteile und Hutweiden. Daraus wurde der heute 120 000 Quadratmeter große Park rund um das Schloss.
Nach mehreren Besitzerwechseln erging das Grundstück an Moritz von Montléart, der 1866 Grund und Schloss seiner Frau Wilhelmine schenkte.

Seitdem hat das Schloss am Wilhelminenberg viele Gestalten angenommen. Im Ersten Weltkrieg diente es als Lazarett für Kriegsopfer, im Zweiten wurde es zu einem Heereslazarett mit Anschluss an das Wilhelminenspital. Es war Sitz der Wiener Sängerknaben und ein städtisches Heim.

Nach dem Krieg wurde es zu einem Heim für erholungsbedürftige Kinder und ehemalige KZ-Häftlinge umgebaut, ehe es in den Sechzigerjahren zu eben diesem Heim für Sonderschülerinnen und Sonderschüler umfunktioniert wurde. 1977 wurde das Heim geschlossen, die Kinder teilte man auf andere Heime auf.

Gästehaus 1986 beschloss die Stadt Wien, das Schloss zu sanieren. Das Gebäude wurde zum Gästehaus und schließlich zum Vier-Sterne-Hotel. An das Heim für Sonderschüler erinnert das Schloss noch heute: das Gemäuer, die Stiegenaufgänge oder die Doppelflügeltüren.

Verdacht der organisierten Prostitution

„Man stößt auf Vieles bei den Nachforschungen“, räumt Helige ein. Das Thema Rotlicht sei jedoch eine andere Baustelle. „Es ist ein wichtiges Thema und alles ist interessant für uns, um den Lebensweg der Kinder nachzuzeichnen.“ Bereits in einem Zwischenbericht im Oktober war vom Verdacht des „vielfachen, organisierten sexuellen Missbrauchs von Heimkindern“ die Rede.

Bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring haben sich bisher rund 1500 Personen im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Heime gemeldet, in welche die Stadt Wien eingewiesen hat. Rund 1200 davon wurden bereits behandelt. Darunter seien auch Einzelfälle gewesen, die auf mögliche organisierte Prostitution hinwiesen, bestätigt Marianne Gammer, Geschäftsführerin des Weißen Rings.

„Schreckensnächte“

Derartige Vorwürfe hätten immer das Heim am Wilhelminenberg betroffen. In Bezug auf andere Kinderheime sei diesbezüglich nichts bekannt, sehr wohl aber sexuelle Übergriffe heiminterner Personen.

Auch Erika T. war als Kind im Heim am Wilhelminenberg. Sie kommt in dem Buch „Der Kindheit beraubt“ von Historiker Sieder und Co-Autorin Andrea Smioski zu Wort und schildert darin „Schreckensnächte, in denen die großen Türen (…) des Schlafsaals ständig knarrten, dunkle Gestalten hereinschlichen und sich über die Betten der Mädchen warfen. Schreie, Ohrfeigen, Stöhnen und Weinen mischten sich mit rauen schimpfenden Männerstimmen. Hier fanden brutale Vergewaltigungen statt!“

„Ungeklärt, ob Täter von außen kamen“

T. war damals acht Jahre alt. Bei der Betroffenen handelt es sich übrigens nicht um eine der beiden Schwestern, die schon bei Aufkommen des Wilhelminenberg-Skandals im Herbst 2011 mit derlei Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Sieder und Smioski schreiben, es sei „bislang ungeklärt, ob die Täter von außen“ kamen. Es sei aber auch „völlig verfehlt“, die diesbezügliche Erzählung T.s mit dem Argument entkräften zu wollen, dass bekannt sei, dass sich „die meisten“ Mädchen im Heim sich prostituiert hätten.

Kooperation zwischen Erziehern und Zuhältern

Auch in der Szene wird zunehmend lauter geraunt, dass Fälle von Zusammenarbeit zwischen Erziehern im Kinderheim und und Zuhältern bekannt sind. „Der ein oder andere hat da gut mitverdient“, sagt ein Mitarbeiter einer Schutzorganisation für Prostituierte, der anonym bleiben möchte.

Auch der Wiener FP, die mit einigen Betroffenen Gespräche geführt hat, seien die Vorwürfe bekannt. „Das ist nicht nur der Verdacht: Auch Täter haben sich bei uns gemeldet und gestanden, sie haben sich Mädchen im Heim gegen Geld ausgeborgt“, sagt der Parteisprecher. Nach Aufzeichnungen der Wiener FP hätten Heimmitarbeiter die Kinder, auch Buben, an Zuhälter „vermietet“. (Julia Herrnböck, Gudrun Springer, DER STANDARD, 16.1.2013)

Dass es bei all den Prügeln, Hieben und Schlägen durch Erzieher keinerlei Aufzeichnungen von Ärzten oder Rettungsdiensten gibt, die wegen der Schwere der Verletzungen immer wieder gerufen werden mussten, ist blanker Hohn für die ehemaligen Heimkinder. Zahlreich sind sie im Jänner 2013 zur Vorstellung des Buches „Der Kindheit beraubt“ erschienen, das der Historiker Reinhard Sieder im Auftrag von Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) einst als Bericht erarbeitet hat.

„Diese Institutionen haben ihren Zweck völlig verfehlt. Wer es als Heimkind geschafft hat, im Leben Fuß zu fassen, hat das ausschließlich seiner eigenen Kraft zu verdanken“, beschreibt Sieder den Schaden, der Tausenden Menschen in dieser Zeit an Leib und Seele zugefügt wurde. „Es ist schwer zu glauben, dass Verantwortliche der Stadt nichts von den Zuständen wussten – die Gerüchte, die in der Bevölkerung bekannt waren, werden dem Jugendamt auch untergekommen sein“, verdeutlicht Sieder den Vorwurf.

Betroffene beschreibt Missbrauch

„Die Berichte sind wohl genauso verschwunden wie die Axt bei uns im Heim, wenn Besuch da war“, flüstert ein Mann seinem Sitznachbarn zu. Sie und zwei andere, die ihre Jugend im Heim im niederösterreichischen Wimmersdorf verbringen mussten, hätten schon 1982 Anzeige erstattet, erzählen sie. „Ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet, zu dem wir aber nie geladen wurden. Passiert ist nichts“, sagt einer von ihnen. Ein Amtsarzt habe die Erzieher, von denen sie jahrelang terrorisiert wurden, damals als „nicht vernehmungsfähig“ eingestuft. „Somit ist das verjährt.“

Während eine Betroffene aus ihrem Bericht vorliest, beschreibt, wie sie bereits als Siebenjährige vom Hauswart am Wilhelminenberg zu Oralverkehr gezwungen wurde, um den Prügelstrafen zu entgehen, nesteln einige Zuhörer sichtbar aufgewühlt an ihrer Kleidung. Andere starren auf den Boden, wieder andere nicken.

Nur eine Schwangerschaft habe sie aus dem Martyrium befreit, erzählt die Frau. „Damals war ich 13 Jahre alt, es war die einzige Möglichkeit, dem Heim zu entkommen“, sagt sie mit fester Stimme.

Drei andere lesen ebenfalls ihre Geschichten aus dem Buch vor. Eine Frau widmet ihre Lesung all jenen, „die am System verzweifelt sind und deswegen nicht hier sind“. Entweder weil sie die Kraft dafür nicht haben oder weil sie gestorben sind. „Es gab Berichte über Suizidversuche, die auch der Magistrat bekommen hat“, erzählt ein Zuhörer. Die Frau entschuldigt sich unter Tränen bei ihrem Sohn für all das, was er mittragen musste auf Grund ihrer traumatischen Vergangenheit.

Bei der anschließenden Diskussion steht ein Mann aus dem Publikum auf. Er will fragen, warum es keine österreichweite Untersuchung gibt. Er stamme aus Kärnten und sei dort blutig geschlagen worden. Doch dann bricht er in Tränen aus, ein großgewachsener Mann von etwa 50 Jahren. Er kann nicht weitersprechen, jemand nimmt ihm das Mikrofon ab.

Die Frage, warum niemand von der Stadt Wien an diesem Abend anwesend ist, wird immer lauter. Die Einladung zur Veranstaltung sei zu kurzfristig erfolgt, sagt ein Sprecher von Oxonitsch am Mittwoch auf Nachfrage. Zudem habe die gemeinsame Präsentation des Berichtes bereits im Juni 2012 stattgefunden. Der zuständige Magistrat werde nun in Arbeitskreisen aus dem Bericht herausarbeiten, was für die Zukunft der Fürsorge Relevanz hat.

Am 28. 6. 2012 hat sich der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ)  für eine „Entschuldigungszeremonie“ für Missbrauchsopfer in Heimen ausgesprochen. Eine solche sollte auf nationaler Ebene stattfinden, da nicht nur Wien, sondern auch andere Bundesländer bzw. andere Institutionen betroffen seien, schlug Häupl in der Fragestunde im Landtag vor. Und er versicherte: „Wir bemühen uns, alles zu tun, um den Betroffenen zu helfen.“

Eine Woche zuvor war der Endbericht jener Historikerkommission präsentiert worden, die sich mit den Zuständen in den ehemaligen großen Kinderheimen beschäftigt hat. Körperliche und psychische Gewalt, so ergaben die Recherchen, waren in diesen Einrichtungen offenbar Alltag. Häupl betonte, dass er sich bereits 2010, bei der ersten Pressekonferenz zu dem Thema entschuldigt habe. Angesichts der seither bekannt gewordenen Fakten sei er aber der Ansicht, dass es für die Opfer auch eine spezielle Zeremonie geben sollte.

„Mit Respekt gegenübertreten“

Die Ereignisse seien „ganz, ganz schrecklich“, so Häupl, der eingestand: „Eine Wiedergutmachung werden wir nicht durchführen können.“ Man könne den Betroffenen aber mit Respekt gegenübertreten und ihre Geschichte ernst nehmen. Hilfe, so berichtete er, sei bereits in Form von Entschädigungen bzw. der Übernahme von Therapiekosten geleistet worden.

Die Frage, ob für ihn denkbar sei, dass am Schloss Wilhelminenberg (ein ehemaliges städtisches Kinderheim, Anm.) eine Gedenktafel angebracht wird, bejahte Häupl: „Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen.“ In diesem Fall solle man aber auch auf die frühere Geschichte verweisen. Im Schloss seien etwa Kriegswaisen des Ersten Weltkrieges untergebracht gewesen: „Es war nicht immer nur ein Haus der Finsternis und des Schreckens.“ (APA, 28. 6. 2012)

Die einstigen Wiener Kinderheime waren ein Ort des Schreckens. Das geht aus dem präsentierten Endbericht der Heim-Historikerkommission hervor. Das Gremium unter dem Vorsitz des Zeithistorikers Reinhard Sieder hat sich mit den Zuständen in den Anstalten beschäftigt. Untersucht wurde der Zeitraum von den 1950er- bis zu den 1970er-Jahren. Damals war in den großen Heimen Gewalt offenbar Alltag: „Es ist eine historische Katastrophe von eigentlich unglaublichen Ausmaßen“, zeigte sich Sieder erschüttert.

Die Fälle sind laut Sieder alle verjährt. Auch finden sich keine Namen mutmaßlicher Täter in dem Bericht, berichtete der Leiter der Kommission, die 2010 ihre Arbeit aufgenommen hat. Seit damals gibt es für Opfer auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung bzw. therapeutische Hilfe zu erhalten. Inzwischen haben sich laut Oxonitsch 1105 Personen bei der Stadt gemeldet, die über Gewalterfahrungen in den einstigen Wiener Kinderheimen (die sich nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Bundesländern befanden, Anm.) berichtet haben.

Klar ist nun auch: In so gut wie all diesen Fällen fand tatsächlich körperliche und psychische Gewalt statt. Fast die Hälfte der Betroffenen musste auch sexualisierte Gewalt erleiden, hieß es am Mittwoch. Insgesamt wurden seither 769 Fälle in den Gremiumssitzungen der Opferschutzorganisation Weißer Ring behandelt. Für 550 Personen wurden finanzielle Unterstützungen beschlossen und für 396 Psychotherapie bewilligt (gesamt rund 25 000 Stunden, Anm.). Zuerkannt wurden bisher 17,1 Mio. Euro.

Die meisten Meldungen entfallen auf die ehemaligen Heime Wilhelminenberg (132), Eggenburg (91), Hohe Warte (86), Hütteldorf (64), die Wiener Kinderübernahmestelle (64) und Biedermannsdorf (59). Mit dem ehemaligen Heim im Schloss Wilhelminenberg beschäftigt sich auch eine eigene Kommission.

„Es sind unfassbare, es sind erschütternde Geschichten, die man hier lesen kann“, kommentierte Jugendstadtrat Oxonitsch den mehr als 500 Seiten starken Bericht. Den Opfern sei es wichtig gewesen, dass man ihre Erzählungen höre und ihnen Glauben schenke. Erlittenes Leid könne man nicht wiedergutmachen, man könne aber versuchen, zumindest ein Zeichen zu setzen, so der Stadtrat. (APA, 20. 6. 2012)

Strikte Regeln in der „Gruppe“

Das Leben in den Heimen war völlig durchorganisiert – mit Zugriff auf alle Tätigkeiten, die im alltäglichen Zusammenleben der „Gruppe“ anfallen: Körperpflege, Mahlzeit, Notdurft, Schlafen, Bettenbauen, Spaziergang, Lernen, Spielen, Schulunterricht, Freizeit.

„Wie in anderen totalen Institutionen führte die Notwendigkeit, alle Lebenstätigkeiten der Gruppe zu kontrollieren, zu Anordnungen und Geboten, die gar nicht vollständig eingehalten werden konnten“, heißt es in dem Bericht. Übertretungen seien nicht zu vermeiden gewesen: „So führte die strikte Regel, das WC nur in der ‚großen Pause‘ aufzusuchen, bei Kindern, die ihre Körperfunktionen (tlw. infolge diverser Verängstigungen) noch nicht vollständig kontrollieren konnten, zum Hosennässen.“

Wasser aus der Klomuschel, Essen bis zum Erbrechen

„Das Verbot, ab mittags Wasser zu trinken, um das nächtliche Bettnässen zu unterbinden, zwang die Durst leidenden Kinder, heimlich Wasser zu trinken, und sei es aus der Klomuschel. Das Verbot, bei der gemeinsamen Gruppen-Mahlzeit oder abends im Schlafsaal zu kommunizieren, erzeugte zwangsläufig heimliches Tuscheln. Das Gebot, das zugeteilte Essen aufzuessen, führte zum verbotenen Erbrechen, das ein neuerliches Gebot, das Erbrochene aufzuessen, nach sich zog.

Jeder Regelverstoß wurde, sofern er von einem Erzieher bzw. einer Erzieherin beobachtet wurde, umgehend bestraft. Die Strafe richtete sich auf die Gruppe oder auf den Einzelnen, der vor den Augen der Gruppe bestraft wurde.“

Physische, psychische und sexualisierte Gewalt

So gut wie jede Strafe enthielt demnach physische und psychische Gewalt. In einigen Fällen verband sich das Strafen überdies mit sexualisierter Gewalt. Das Repertoire umfasste unter anderem:

  • die Zufügung von physischen und psychischen Schmerzen, darunter das mehrmalige Eintauchen des Kopfes in die Klomuschel, das Zerschlagen des Gesichts, das Hinunterstoßen über Treppen, das Verrenken eines Unterarmes, das Würgen mittels eines um den Hals gelegten nassen Handtuchs
  • die schwere Verprügelung mit Reitgerten, ledernen Hosengürteln, Ochsenziemern, Linealen und Holzschlapfen
  • die Duldung oder Provozierung einer Art Selbst-Justiz in den Kinder- und Jugendgruppen sowie die Disziplinierung, tlw. auch Quälung und Misshandlung von jüngeren oder körperlich schwächeren Kindern durch stärkere Kinder und Jugendliche
  • psychische Gewalt, darunter das systematische Verächtlichmachen, Herabwürdigen, Sarkasmus und Zynismus, in einzelnen Fällen die Zufügung von Todesängsten
  • soziale Gewalt, etwa die Einschränkung der Kommunikation im Schlafsaal oder bei Tisch (Redeverbot), die Einschränkung von Besuchen, die oft willkürliche Untersagung von Ausgängen zu Eltern und Verwandten
  • materielle Gewalt wie die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kinder und Jugendlichen im Anstaltshaushalt, die Einbehaltung von persönlichem Eigentum von Heimkindern durch Erzieher
  • sexualisierte Gewalt, die vorgeblich in erzieherischer Absicht durch weltliche und geistliche Erzieher ausgeübt wurde. Darunter das Antretenlassen der Buben, um den Penis „zu prüfen“, oder die Inspektion von Vagina und After bei Mädchen bzw. Schläge auf die Vagina mit einem Besenstiel (im Heim der Kreuzschwestern in Laxenburg)
  • Esszwang, also den mit Drohungen einhergehenden Zwang, das oft nicht kindgerechte (zu fette) Essen zur Gänze aufzuessen und in der Folge mehrfach Erbrochenes neuerlich aufessen zu müssen.

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt gab es laut dem Bericht auch – es sei jedoch nicht möglich gewesen, sie als erzieherische Maßnahme zu tarnen. Derartige Vorfälle wurden aus Heimen wie Eggenburg, Hohe Warte, Wilhelminenberg, Pötzleinsdorf, Wimmersdorf, Pitten und Laxenburg berichtet. Die Täter waren nicht nur Erzieher, sondern auch anderes Hauspersonal. Die Formen sexueller Gewalt reichten vom Zwang zur oralen oder manuellen Befriedigung des Täters bzw. der Täterin bis zum erzwungenen Koitus.

Häufiger als von Erziehern wurde sexuelle Gewalt von stärkeren Kindern an Mitzöglingen ausgeübt. Dies wurde von einigen Erziehern beobachtet bzw. geduldet.

Mit dem Bericht, so wird versichert, würden nun erstmals die konkret praktizierten Formen der Gewalt in ihrer Vielfalt und in den unterschiedlichen Auswirkungen dokumentiert. Eine derart systematische Sammlung bzw. empirische Untersuchung habe es bisher nicht gegeben – obwohl das System der Wiener Kinderheime schon ab den 1970er Jahren in Frage gestellt wurde, wodurch die Großheime schließlich geschlossen und Reformen eingeleitet wurden. (APA, 20.6.2012)

Nach eineinhalb Jahren akribischer Aktensuche und 170 Interviews mit ehemaligen Heimzöglingen, Erziehern, Psychologen, Anrainern und Polizisten bestätigt die Untersuchungskommission Wilhelminenberg den schlimmsten Verdacht: In dem ehemaligen Kinderheim der Stadt Wien herrschte über drei Jahrzehnte lang körperliche Gewalt, Demütigung und sexueller Missbrauch.

Der Bericht beschreibt aber auch einen gesellschaftlichen Skandal. Das Unrecht war nicht fernab hinter Klostermauern geschehen, sondern unter den Augen von Personalvertretern, Jugendamtsleitern, Stadträten, Erziehern und Reformpädagogen und Anrainern. Schon in den 1950er-Jahren mussten sich Erzieher vom Wilhelminenberg wegen Schändung von Buben vor dem Richter verantworten. In den 1960er-Jahren war allgemein bekannt, dass Männer in den Parkanlagen um das Heim herumstrichen, und dass man hier zu „Mädchen kommen“ könne. Spätestens Anfang der 1970er-Jahre wurden die Zustände, die nach der Wiener Heimordnung 1956 eigentlich verboten waren, über ORF-Filme, Berichte in profil und Tageszeitungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Ehemalige Heimkinder und couragierte Erzieherinnen hatten sich an Journalisten gewandt und erzählt, wie es am Wilhelminenberg und in anderen städtischen Heimen zugehe: Schläge mit dem Ochsenziemer, Kniebeugen um Mitternacht, Kellerhaft, Demütigung durch Blöße, Korrektionszellen. Man werde gezwungen, alles aufzuessen, auch das Erbrochene. Bettnässer würden verhöhnt und müssten Strafe stehen mit dem beschmutzen Laken über dem Kopf. Kollektivstrafen seien üblich, um den Zusammenhalt der Kinder zu brechen. Und ein System von Kapos terrorisiere die Schwachen. All das und noch mehr – auch Berichte von sexueller Gewalt – finden sich jetzt in den Protokollen der Wilhelminenberg-Kommission wieder.

Nach Aussagen ehemaliger Zöglinge seien selbst in der antiautoritären Versuchsgruppe, die 1971 am Wilhelminenberg eingerichtet wurde, schlimme Dinge passiert. Die Heimleitung und die meisten Erzieher waren gegen das Experiment, die Reformpädagogen isoliert und den heimerfahrenen Kindern hilflos ausgeliefert, der Umgang mit Sexualität auch bei ihnen problematisch. Erzieher und Kinder gingen etwa gemeinsam zum Nacktbaden in die Lobau. „Auf sexuelle Gewalt und Missbrauch waren wir absolut nicht geschärft. Fast im Gegenteil. Alles, was als verklemmt und zu abgrenzend beschrieben wurde, war eher etwas für die anderen“, gab eine ehemalige Reformpädagogin gegenüber der Untersuchungskommission zu Protokoll.

„Verwahrloste“ oder „asoziale“ Familien
Bei den ehemaligen Zöglingen wiegt die Scham über das Geschehene immer noch schwer. Sie sprechen nicht leicht von Vergewaltigung und erzwungenen sexuellen Handlungen durch männliche Erzieher und Hausarbeiter, von Erzieherinnen, die sie fremden Männern vorführten, von Situationen, in denen sie, um ein neues Stück Kleidung zu bekommen, sich betatschen oder beim Duschen ansehen lassen mussten. Sie waren zweifach Opfer. Man hatte ihnen eingebläut, sie seien selbst schuld. Es herrschte der Ungeist aus der NS-Zeit, der Mädchen aus „verwahrlosten“ oder „asozialen“ Familien, wie es im Amtsjargon hieß, ebensolche Erbanlagen zusprach, sie als „sittlich verdorben“ charakterisierte und ihnen eine natürliche Neigung zur Prostitution unterstellte. Dazu kam, dass Mädchen, die aus dem Heim ausrissen, des öfteren dubiosen Helfern in die Hände fielen. Es hatte sich herumgesprochen, dass man am Wilhelminenberg leicht Zugang zu jungen Mädchen bekommen konnte.

Die Heimleitung und das Jugendamt nahmen das hin. Ehemalige Erzieherinnen gaben jetzt an, sie hätten selbst Angst vor diesen Männern gehabt, sie hätten sich in ihren Zimmern eingesperrt, sich nicht getraut, abends allein die Duschräume im Keller oder die abgelegene Krankenstation aufzusuchen.

Mehrmals wurde Polizei mit Blaulicht auf den Wilhelminenberg geschickt, um die Besucher zu vertreiben. Einmal wurde einer dieser Männer gestellt. Man habe ihm gesagt, hier könne man Mädchen haben, rechtfertigte er sich. Ein Vergewaltigungsversuch im Heim wurde aktenkundig, weil der Mann gefasst wurde. Die Erzieherin gab dem kleinen Mädchen, das im Schlafsaal überfallen und gewürgt worden war, den Rat, sie solle das nächste Mal mit ihren Holzpantoffeln zuschlagen. Auch im Jugendamt und bei der Gewerkschaft herrschte die Einstellung vor, die Mädchen würden eben Burschen anlocken, da könne man nichts machen, und die kleineren Kinder würden von den Männern ohnehin in Ruhe gelassen.

Der Leiter des Jugendamts, Walter Prohaska, meinte noch 1973 in einer Heimkommissionssitzung, die Probleme am Wilhelminenberg seien „der Art der Mädchen, die dort untergebracht sind“, geschuldet.

Jeder war ein kleines Rädchen in diesem Unrechtsregime: Die überforderte Heimleiterin, die, ohne jemals dafür ausgebildet worden zu sein, 1962 mit Hilfe der Gewerkschaft den Führungsposten am Wilhelminenberg bekommen hatte. Erzieherinnen, die das Erziehungslagerdenken der NS-Zeit verinnerlicht hatten und sich barbarische Gemeinheiten einfielen ließen. (Ehemalige Zöglinge berichteten gegenüber der Kommission, dass sie zur Strafe mit Zahnbürsten die Fliesen putzen mussten.) Junge Erzieherinnen, die zu unsicher waren, um sich durchzusetzen. Aufstrebende Psychiater, die ihre Karriere nicht gefährden wollten. Reformpädagogen, die mit ihren Ansprüchen scheiterten.

Auch personelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit spielten eine Rolle.

In der Direktion am Wilhelminenberg war ab 1971 ein Verwaltungsoberkommissär mit SS-Vergangenheit beschäftigt. Er hatte im Zweiten Weltkrieg einer SS-Einheit angehört, die unter anderem im KZ-Buchenwald eingesetzt war. Ein paar Jahre zuvor war der Mann wegen Zöglingsmisshandlung verurteilt worden. Am Wilhelminenberg erreichte er seine Pragmatisierung.

Auch andere Ex-Nazis machten in der Jugendwohlfahrt Karriere. Der ehemalige Leiter der Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, Hans Krenek, von dessen Abteilung Kinder zur Tötung auf die Euthanasiestation überstellt wurden, veröffentlichte schon 1946 einen Erziehungsratgeber (eine Warnung vor „Arbeitsunlust und sexuellen Verwirrungen“) und heuerte beim Bund Sozialistischer Akademiker und der SPÖ an. Von der Ermordung der Kinder habe er nichts gewusst, sagte Krenek als Zeuge im „Spiegelgrund“-Prozess. Im April 1954 wurde er mit der Leitung des Referats der Wiener Jugendfürsorgeanstalten, also mit dem Wiener Heimwesen betraut, 1966 mit dem „Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“ ausgezeichnet.

Ein Großteil des Personals am Wilhelminenberg hatte – die Regelung galt bis 1962 – nur einen Sechswochenkurs absolviert. Durch dieselben Kurse (plus Schießen) wurden übrigens auch zukünftige Gefängniswärter geschleust. Aus einer Befragung von Heimerziehern Mitte der 1970er-Jahre ging hervor, dass viele Erzieher zuvor in ihren angelernten Berufen gescheitert waren und sich in die Sicherheit einer beamteten Anstellung geflüchtet hatten. Fast alle waren gewerkschaftlich organisiert. Beschwerdefälle über Misshandlungen gingen an die zuständigen SPÖ-Stadträte. Die Gewerkschaft stellte sich jedoch immer schützend vor ihre Erzieher und Mitglieder.

Dass die letzten Inseln des Totalitarismus bei den Schwächsten überlebten, war so perfide wie logisch. Im vergangenen Jahr wurden Anzeigen gegen ehemalige Erzieher vom Wilhelminenberg wegen Verjährung zurückgelegt. Jetzt wird neu geprüft.

Wiener Heimkinder waren bis in die 1990er Jahre massiver Gewalt ausgesetzt. Während in den vergangenen Monaten Fälle aus den 1960ern und 1970ern bekannt wurden, habe sich an der Situation und den Formen der Gewaltausübungen auch in den Jahrzehnten danach nichts geändert, berichtet das Ö1-Morgenjournal.

Laut dem Kinderpsychiater Ernst Berger waren Heimkinder zwischen 1975 und 1990 “in ganz ähnlichem Prozentsatz von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt” betroffen wie in den Jahren zuvor. Eine Heimreform Anfang der 1970er Jahre habe daran nichts geändert, so Berger.

Systematischer Sadismus und Entwürdigung

Der Kinderpsychiater hat 100 Gespräche mit Betroffenen ausgewertet, 25 davon lebten zwischen 1975 und 1990 in Heimen. 63 der ehemaligen Heimkinder berichteten von massiver körperlicher und psychischer Gewalt, 40 wurden Opfer von sexueller Gewalt. Zwar haben sich von den rund 50 000 ehemaligen Heimkindern bisher nur 900 gemeldet, Rückschlüsse auf das Gesamtsystem könnten dennoch gezogen werden, sagt Berger.

Besonders stark seien Traumatisierungen durch psychische Gewalt. Berger berichtet von “Formen eines fast systematischen Sadismus, wo Kinder entwürdigt und Situationen ausgesetzt worden sind, die man als öffentliche Beschämung bezeichnen muss, dass die Betroffenen noch heute, 40 Jahre danach, bei der Schilderung solcher Situationen im Gespräch in Tränen ausbrechen”.

Massive soziale Auswirkungen auf die Betroffenen

“Es zeigt sich, dass nur etwa ein Drittel der Gesprächspartner von relativ stabilen späteren Partnerschaften berichtet haben und dass mehr als ein Viertel kriminell wurden, wobei bei etwa fünf Prozent die kriminelle Laufbahn lebensbestimmend wurde”, so Berger. 46 Prozent der Betroffenen gaben an, noch heute an psychischen Folgen wie Angst- und Panikzuständen oder Depressionen zu leiden.

Ins Rollen brachten diese Untersuchungen zwei mutige Schwestern im Jahre 2011.

Vor 40 Jahren kamen sie in das Kinderheim der Stadt Wien im Schloss Wilhelminenberg. Was die beiden Schwestern, damals sechs und acht Jahre alt, dort erlebten, erzählen sie in einem erschütternd offenen Interview, das der KURIER in zwei Teilen bringt.

Eva L., 49, und Julia K., 47, (beide Namen von der Redaktion geändert, Anm.) geben ein schockierendes Zeugnis der Zustände in öffentlichen Heimen in den 1970er-Jahren. Psychoterror, Gewalt in ungeahntem Ausmaß und jahrelange sexuelle Misshandlungen.

KURIER: In einem Vorgespräch sprachen Sie über sexuellen Missbrauch im Kinderheim Schloss Wilhelminenberg …
Eva L.:
Sie haben uns auch gezwungen, dass wir uns nackt ausziehen und ans Fenster stellen oder auf die Terrasse. Da durften wir nichts bedecken. Vielleicht sind wir fotografiert worden, ich weiß es nicht. Die Erzieherinnen haben uns dazu gezwungen. Das waren Waltraud, die Linda … das war öfters.

Waltraud und Linda waren Erzieherinnen?
Eva L.:
Ja.
Julia K.: Und auf einmal waren Männer da, die uns vergewaltigt haben. Wir haben da so eine Wiese gehabt, wir haben dazu gesagt “Schlangenwiese”. Und da hat man dann immer in der Nacht die Taschenlampen gesehen. So Lichter. Ich weiß nicht, ob das ein Zeichen war mit den Schwestern, ob sich die was ausgemacht haben, denn die Männer waren auf einmal bei uns im Zimmer und haben uns dann eben vergewaltigt.

Wie viele Männer waren das?
Eva L.:
Es waren mehrere Männer und mehrere Mädchen. Im Zimmer waren 20 Mädchen. Da ist jede drangekommen. Wir haben darüber nie im Heim gesprochen, weil die Scham so groß war und die Schmerzen, diese unerträglichen Schmerzen (weint), was uns die angetan haben.
Julia K.: Es waren mehrere. Vielleicht sechs oder sieben. Wir haben uns versteckt, die haben uns dann rausgezogen.

Gibt es Namen?
Julia K.:
Gar nichts, gar nichts. Ich habe sie nicht gekannt.
Eva L.: Das waren fremde Männer, die wir nicht kannten. Die haben Taschenlampen gehabt und müssen irgendwo reingelassen worden sein. Im Flur habe ich mehrere Männer mit Taschenlampen gesehen. Aber gekannt habe ich niemanden. Ich habe, ehrlich gesagt, so eine Angst gekriegt, weil ich ja nicht gewusst hab’, was da überhaupt passiert. Vielleicht waren es Hausarbeiter oder Gärtner oder Männer von außerhalb.

Das war im Schlafsaal?
Julia K.:
Ja, bei den Hasen. Die Gruppen hatten alle solche Namen. Wir waren in der Hasengruppe. Die Männer sind zu uns reingekommen. Wir wurden alle vergewaltigt. Alle.

20 Mädchen?
Julia K.:
Ja.

Wie oft sind Sie vergewaltigt worden?
Eva L.:
Manchmal täglich und dann war ein, zwei Wochen Ruhe.
Julia K.: Über Jahre. Und es hat ja mehrere Mädchengruppen gegeben.
Eva L.: Es war auch so, wir waren im Schlafsaal in so Stockbetten untergebracht. Dann ist die Türe aufgegangen und wir haben geglaubt, es ist halt jetzt wieder so weit, dass wir geschlagen werden oder knien müssen. Dann sind wir aus dem Bett gezerrt worden und in einen Raum gebracht worden. Welcher Raum das war, weiß ich nicht. Wer es war, weiß ich auch nicht. Geholt hat uns der Jochen, den ich an der Stimme erkannt habe. Er hat gesagt “Nix sagen”. Oder war es der Brian? (“Herr Jochen” – mittlerweile gestorben – und “Herr Brian” – Identität ungeklärt – waren Erzieher, Anm.)

In dem Zimmer sind Sie auch vergewaltigt worden?
Eva L.:
Ja.
Julia K.:Ich hab’ gehört, wie meine Schwester geschrien hat, weil da ein Mann dabei war, der sie dann herausgezerrt hat an den Haaren und sie vergewaltigt hat. War das der Herr Jochen oder der Herr Brian, oder war das ein anderer Erzieher? Ich sehe die Gesichter vor mir, weiß aber den Namen nicht mehr.

Sie wurden von fremden Männern und von Erziehern vergewaltigt?
Julia K.:
Ja. Wir wurden zu der Heinzelmännchen-Gruppe gebracht. Da war der Herr Jochen. Wir haben zu ihm immer Onkel oder Bruder gesagt. Da waren auch der Herr Brian und zwei andere Erzieher, nur kann ich mich an die Namen nicht mehr erinnern. Es waren mehrere und es waren auch Burschen im Schloss Wilhelminenberg. Da kommt dann der Herr Brian zu mir und hat mich in sein Zimmer geholt, hat einmal mit mir gesprochen und … dann hat er … eben angefangen, mich zu streicheln und eben gesagt, wir wollen ein bisschen was spielen und so. “Du brauchst keine Angst haben.” Ich wollte nicht, dass er mich angreift. Aber das war ihm total egal. Er hat mich gezwungen, dass ich bei ihm Sachen mache und er hat das dann auch bei mir gemacht und dann hat er mich vergewaltigt. Und dann hat er zu mir gesagt: “Das war ja eh nicht so schlimm, das war ja eh ein schönes Spiel für uns beide.” “Julia”, hat er gesagt, “das werden wir öfters machen.”

Das wurde dann auch öfter gemacht?
Julia K.:
Ja. Ja.

Nur von dem einen Mann?
Julia K.:
Nein, es war auch der andere Erzieher, der Herr Jochen, und dann waren noch zwei andere dabei. Die waren dann einmal alle … darunter war auch ein anderes Mädchen. Es war immer irgendwie … ich weiß nicht, wurde das mit den Schwestern abgesprochen, dass das eigentlich auch so gehen hat können? Es müssen bestimmt auch viele Mädchen von dort von den Erziehern sexuell missbraucht worden sein, weil bei meiner Schwester war das ja auch der Fall. Ich habe gesehen, wie der Herr Jochen oder der Herr Brian gekommen ist und sie mit ihm in ein Zimmer gegangen ist.
Eva L.: Ein Mal war es so schlimm, dass ich auf die Krankenabteilung gegangen bin, heimlich, weil ich so stark geblutet hab. Und der Arzt hat mich dort aufs Brutalste berührt und gefragt, was ich da will und hat gelacht und hat gesagt: “Du bist keine Jungfrau mehr.” Ich hab’ mich nicht ausgekannt, was das ist. Die größeren Mädchen von der anderen Gruppe haben uns dann ein paar so Sachen erzählt, aber wir haben damit nicht viel anfangen können.

Wie alt waren Sie, als die Vergewaltigungen zum ersten Mal passiert sind?
Julia K.: Sechs oder vielleicht sechseinhalb. Ich kann es wirklich nicht sagen.
Eva L.: Wie oft ich vergewaltigt wurde, kann ich nicht sagen. Es war sehr, sehr oft und ist über viele Jahre gegangen. Ich war ja noch selbst ein kleines Kind. Es hat angefangen, da war ich acht. Gleich im ersten Jahr. Nicht bis zum Schluss, weil die
Erzieher dann weg waren, weil auch die Buben weggekommen sind. Ich war genau 13, wie das das letzte Mal von Männern passiert ist.

Glauben Sie, dass in dem Zusammenhang Geld geflossen ist?
Eva L:
Im Nachhinein kommt es mir so vor, dass jemand für uns bezahlt wurde. Weil sie uns immer zurechtgemacht haben. Wir mussten Strumpfbandgürtel anziehen und durften uns nicht die Haare schneiden lassen.

Strumpfbandgürtel?
Eva L.:
Ja, wir haben Strümpfe bekommen und Strumpfbandgürtel, was ich gar nicht gekannt hab’. Daheim habe ich nur eine Strumpfhose angehabt. Wir sind von den Schwestern richtig herausgeputzt worden. Ich habe mir nicht die Namen von allen Schwestern gemerkt. Aber die Schlimmste, die Linda, hat auf jeden Fall davon gewusst. Waltraud, Gabriele, die B. … auf jeden Fall, die waren zu uns auch sehr brutal.

Wurde der Verdacht der Kinderprostitution schon bestätigt?
Eva L.:
Ja, vom Weissen Ring (Opferschutzorganisation, Anm.)sind wir heuer zu einer Anwältin geschickt worden. Ich habe ihr erzählt, was passiert ist. Und sie hat gesagt: “Ja, eindeutig, ich weiß, ihr seid verkauft worden.” Die Erzieherinnen wollten uns dann auch zu so etwas zwingen, vor allem die Schwester Lydia war da ganz arg.

Wozu wollten die Sie zwingen?
Eva L.:
Dass wir bei ihnen im Bett übernachten. Das war auch schon früher der Fall. Mit 14 bin ich dann aus dem Heim ausgerissen.
Julia K.: Da hat es auch Mädchen gegeben, die haben gesagt, sie fliehen und gehen zur Polizei und sagen das, was hier alles passiert. Und diese Mädchen haben wir nie mehr wieder gesehen.
Eva L.: Die Erzieherinnen haben uns einmal auf die Terrasse rausgezwungen und alles beleuchtet. Da hab’ ich gesehen, dass der Erzieher Jochen ein Mädchen, den Namen weiß ich nicht … Das Mädchen lag am Boden und hat geschrien. Er hat so einen Tannenzapfen in den Unterleib eingeführt. Sie hat ganz stark geblutet und hat geschrien. Er hat zu uns gesagt: “Trauts euch ja nicht ausreißen, sonst passiert dasselbe mit euch.” Wir sind fast verrückt geworden vor Angst.

Wissen Sie, wie das Mädchen geheißen hat?
Julia K.:
Sie war in einer anderen Gruppe, ich weiß leider ihren Namen nicht. Das war ein großes Mädchen. Sie war bei den Sternenkindern oben.

Haben Sie das Mädchen später wiedergesehen?
Julia K.:
Nein, dieses Mädchen haben wir überhaupt nie wieder gesehen.
Eva L.: Das Mädchen ist verschwunden. Wir haben uns damals gedacht: “Die haben sie umgebracht.” Das ist auch bei vielen anderen passiert, dass die weggekommen sind, wenn sie schwer verletzt worden sind. Wir haben die nie wieder gesehen.
Julia K.: Sie haben gesagt, dass passiert uns auch, wenn wir davonlaufen und was erzählen. Es war Psychoterror. Heute denk’ ich, dass diese Schwester oder die anderen Schwestern gesagt haben, “Die g’hört ja umgebracht.” Ob die das nicht wirklich gemacht haben? Warum ist im Jahr 1977 dieses Schloss Wilhelminenberg geschlossen worden? So abrupt, wissen Sie? Ich habe gemerkt, auch die Heimleiterin war nervös zu dieser Zeit.

Im zweiten Teil des Interviews gehen die beiden Schwestern auf das Personal ein und im Besonderen auf Schwester Linda.

Wann sind Sie in das Kinderheim der Stadt Wien im Schloss Wilhelminenberg gekommen?
Eva L.: Im Jahr 1970. Meine Schwester war bis zur Schließung 1977 dort, ich ein wenig kürzer.

In den amtlichen Aufzeichnungen steht 1972.
Eva L.: Das stimmt nicht. Ich bin mit acht Jahren in das Heim gekommen. Wir durften uns nicht von den kleineren Geschwistern verabschieden. Diese Schreie meiner Geschwister werde ich nie vergessen. (weint) Dann hat die Hölle begonnen. Die richtige Hölle.

Erinnern Sie sich an die ersten Eindrücke?
Eva L.: Wie ich dort hingekommen bin, wurden wir in Empfang genommen im Beisein sehr, sehr vieler anderer Kinder. Es wurde gesagt, dass wir Zigeuner sind. Dreckige, diebische, verlogene Zigeuner, die nicht das Recht haben zu leben (weint).
Julia K.: Die Heimleiterin, die hat so einen Pudel gehabt, hat
uns zu dieser Tante gebracht, zur Schwester B.. Alle Gruppen haben Namen gehabt. Wir waren bei den Hasen. Wir waren einige Zeit dort und dann haben wir ins Bett genässt. Wenn wir ins Bett gemacht haben, hat sie uns an den Haaren gezogen und mit dem Kopf ins Lulu hineingehalten.

Wen meinen Sie mit „sie“?
Julia K.: Die Schwester Linda. Dann hat sie uns so geschlagen, dass ich nur mehr geschrien habe. Die anderen Kinder haben das natürlich auch alles mitbekommen. Aber die wurden ja auch dermaßen geschlagen, dass wir alle Angst hatten.
Eva L.: Nach kurzer Zeit haben meine Schwester und ich Mumps bekommen. Wir sind in die Krankenabteilung gekommen. Da waren Gitterstäbe vor den Fenstern. Es war dort sehr grausam und brutal. Wir waren in einem ganz kleinen Zimmer, da war so ein kleiner Vorraum und… (weint) da hat man uns eingesperrt. Da war keine Dusche, nur ein Waschbecken und ein WC. In der Tür war so ein Türschlitz, eine Klappe, da haben sie uns das Essen durchgeschoben.

Klingt wie im Gefängnis.
Julia K.: Wir haben geweint, es war niemand da, der uns irgendwie was Liebes sagen konnte. Wir haben ein Kreuz gehabt in diesem Zimmer, wir haben uns hingekniet und gebetet. Wir haben selbst versucht, uns ein bisschen Trost zu geben und von der Mama zu sprechen. Das hat uns dann wieder etwas Mut gegeben.
Eva L.: Wir waren immer alleine in dem Krankenzimmer. Am Abend ist eine Schwester gekommen mit einem Holzstäbchen und hat uns eine braune, komisch riechende Creme raufgeschmiert. Dann sind wir wieder zurück ins Heim gekommen. Da gab es grundlose Schläge und Beschimpfungen.

Wer hat Sie geschlagen?
Eva L.: Die Erzieherinnen. Die Männer haben uns nie geschlagen, aber uns dann was anderes angetan (gemeint sind sexuelle Übergriffe, siehe KURIER vom Sonntag) . Es waren sehr viele Erzieherinnen, die Waltraud, die B.. Aber am schlimmsten von allen war die Schwester Rosalinde. So hat sie sich genannt. Linda haben wir zu ihr gesagt.

Was hat diese Schwester Linda gemacht?
Eva L.: Die Kinder, die zu mir und meiner Schwester lieb waren, sind sofort bestraft worden. Linda hat immer gesagt, wir haben nicht das Recht zu leben. Sie hat uns immer Zigeuner gerufen. Wenn wir nicht fertiggegessen haben, hat sie uns gezwungen, dass wir aufessen. Wenn wir erbrochen haben, hat sie uns gezwungen, dass wir das Erbrochene aufessen. Das haben sehr viele Kinder getan, aber ich nicht.
Julia K.: Es war auch so, dass meine Schwester mit nassen Handtüchern geschlagen wurde … (weint) Die hat sie total zusammengeschlagen.

Wer hat das getan?
Julia K.: Die Linda.
Eva L.: Linda hat mich an den Haaren in den Waschraum gezerrt, hat mich aufs Brutalste in die Ecke geschlagen oder mit dem Kopf ins volle Waschbecken getaucht. Sie hat ein Handtuch genommen, einen Knoten reingemacht, hat ihn nass gemacht und auf mich eingeschlagen.

Ist das öfter vorgekommen?
Eva L.: Das war so oft, dass ich es nicht zählen kann. Die war wie von Sinnen.

Gab es Zeugen?
Eva L.: Da war ich alleine. Aber das hat sie auch mit anderen Kindern gemacht, nicht nur mit mir. Danach musste ich stundenlang knien mit dem ganzen nassen Gewand, das ich angehabt habe.
Julia K.: Auch beim Essen haben sie uns gequält. Wenn es was gegeben hat. Manchmal haben wir nur Suppe bekommen und nichts anders. Oder wir haben Durst gehabt. Die hat uns nicht einmal Wasser trinken lassen. Den Waschraum hat sie abgesperrt. Da war ein Abteil, da waren nur WCs. Da sind wir reingegangen und haben aus der Toilette getrunken, weil wir schon so einen Durst gehabt haben.

Können Sie sich noch an andere Vorfälle erinnern?
Eva L.: Wenn sie (Schwester Linda, Anm.) zornig war, hat sie uns in der Nacht grundlos aus den Betten gezerrt und wir mussten knien. Wir haben uns nie auf den Unterricht konzentrieren können, weil wir nicht sehr viele Nächte gehabt haben, wo wir schlafen haben dürfen.

Wo wurden Sie unterrichtet?
Eva L.: Wir sind im Heim in die Schule gegangen. Ich war vorher in der Volksschule. Dort haben sie uns gleich in die Sonderschule gesteckt.
Julia K.: Ich war in der Sonderschule. . . Erste Klasse, zweite Klasse, dritte Klasse und hab lauter Einser gehabt. Hab mir dann auch gedacht – komisch?!

Im Vorgespräch haben Sie erzählt, dass sie einmal einen Film vorgespielt bekommen haben.
Julia K.: Ja, das war von dem Konzentrationslager. Da wurde gezeigt, wie es den Menschen gegangen ist, die der Hitler verbrannt oder vergast hat.
Eva L.: Ja genau, das war im Keller. Da war so ein Filmvorführraum. Da hat Linda uns Dias und Filme gezeigt. Sie hat gesagt, das, was wir sehen, ist ein Konzentrationslager. Da waren viele dunkle Menschen wie meine Schwester und ich (weint) . . . Sie hat gesagt, dass die auch umgebracht worden sind und ob wir jetzt endlich verstehen, dass wir dort auch hingehören und dass wir nicht das Recht haben, zu leben.

Wie alt waren Sie, als Ihnen der Film vorgespielt wurde?
Julia K.: Da war ich noch ganz klein. Vielleicht sieben Jahre, meine Schwester war gerade neun. Der Film war so grausam. Da haben wir Menschen gesehen, die dunkel waren und in eine Gaskammer kommen. So Ausschnitte waren das. Wir haben die Toten in der Grube liegen sehen. Wir haben so eine Angst, so eine Panik gehabt. Wir haben gedacht, vielleicht machen die das dann mit uns auch.
Eva L.: Ich habe mir gewünscht, der Boden öffnet sich und ich verschwind‘, weil ich mich so geschämt hab vor den anderen Kindern.

Hat die Verletzungen niemand bemerkt?
Julia K.: Wir wurden ja oft geprügelt. Die Erzieherinnen haben dann gemeint, wir sind krank und dürfen nicht raus und auch keinen Besuch empfangen. Und dann haben sie gesagt: „Seht’s ihr, so werden wir das immer machen.“ Das war für uns ganz arg. Wir haben alles gemacht, was die zu uns gesagt haben. Alles.

Und die anderen Kinder im Heim?
Julia K.: Das war wirklich schrecklich. . . Man hat ja auch die anderen Kinder gesehen, die auch verletzt waren. Das war so brutal – auf einen Tisch aufschlagen, gegen die Wand schlagen. Auf den Boden. Die haben uns angeschrien und büschelweise die Haare ausgerissen.
Eva L.: Linda hat mich einmal so geschlagen, dass ich auf einen rostigen Nagel gefallen bin. Ich habe eine Blutvergiftung bekommen. Das war ihr alles egal, die hat das richtig genossen. Und einen richtigen Spaß daran gehabt, wenn sie uns quälen konnte.
Julia K.: Die hat ja mit den Gabeln geschossen nach uns. Egal was sie in der Hand gehabt hat. Die hat mit den Schlapfen geschossen, hat mit den Sesseln geschossen, hat das Stockerl oft genommen und uns nachgeschossen. Da hat sie einmal meiner Schwester das Messer reingehaut. Wir haben alle so geschrien. Wir haben immer geglaubt, die bringt uns um.

Ist die Polizei gekommen?
Julia K.: Nein, das wundert mich ja. Die Polizei ist nur da gewesen, wenn sie die abgängigen Kinder gebracht hat. Wissen Sie, wie oft wir den Rettungswagen bei uns gesehen haben? Sehr oft. Es war so oft, dass man es gar nicht zählen kann. Mindestens einmal in der Woche.

Die Kinder wurden ins Spital gebracht, weil sie verletzt waren?
Julia K.: Wegen Verletzungen. Es wurden viele Kinder. . . Ich wurde ja auch verletzt. Ich wurde von einer Schwester die Stiegen hinuntergeschmissen. Ich konnte nicht mehr gehen, ich hatte einen angeschwollenen Knöchel, wo eine andere Schwester mit mir ins Spital mitgefahren ist mit der Rettung.

Die Ärzte haben nicht nachgefragt?
Julia K.: Die haben sich gesagt: „Das sind die Heimkinder.“ Die Erzieherinnen haben die Kinder aufgehusst. Sie haben gesagt „Schlagt’s die oder die.“ Die Linda hat auch gesagt: „Schauts euch diese Kinder an, das sind ja die dreckigsten Zigeuner, die es überhaupt gibt.“ Und hat uns solche Watschen runtergehaut. . . Meine Schwester hat Nasenbluten gehabt.
Eva L.: Wir mussten gemeinsam zur Dusche. Da waren mehrere Duschkabinen. Nach dem Einseifen haben sie den Haupthahn abgedreht. Sie haben uns zittern lassen und das wirklich genossen. Dann sind sie schauen gekommen, ob wir überall eingeseift sind. Das war sehr unangenehm, weil sie uns auch berührt haben, was wir nicht wollten. Die sind gestanden und haben gelacht und haben einfach nicht mehr das Wasser aufgedreht, damit wir uns nicht abduschen können.
Julia K.: Das war Katastrophe pur. Wir haben gebibbert. Das war ihnen total egal.
Eva L.: Wenn es sehr heiß war, hat sich die Linda in einen Liegestuhl gelegt, und wir haben uns müssen in die Brennnesseln stellen und Kniebeugen machen. Die hat es richtig genossen, dass wir Schmerzen ertragen mussten.

Rachegedanken?
Eva L.: Da ist in mir schon sehr viel Hass aufgestiegen. Ich habe mir oft vorgestellt, wie das ist, wenn ich auf sie einschlagen könnte – so aggressive Gedanken halt. Alle wollten wir gemeinsam einen Plan machen, dass wir von dieser Person loskommen.

Und heute?
Eva L.: Rache will ich wirklich nicht. Früher hatte ich sicher ein Hassgefühl. Wenn das aufgedeckt wird, wie die dann dastehen. Ich hab mir vorgestellt, ob die das zugeben oder bereuen. Ich wollte, dass sie bestraft werden. Jetzt, wo ich älter bin, habe ich irrsinnig großes Mitleid, weil das sind kranke Menschen. Normale Menschen machen das mit Kindern nicht. Kinder sind das Wertvollste auf der Welt. Kindern nimmt man nicht jede Zukunftschance. Ich würde gerne wissen, wie ich wäre, wenn die mir das alles nicht angetan hätten. Ich bin auf der Suche nach mir.

Die Fortsetzung dieser Interviews wird mit einer Unterredung der zitierten Schwester Linda gemacht.

Es gibt schwerwiegende Vorwürfe gegen das Heim Schloss Wilhelminenberg aus den 1970er-Jahren. Wir wissen, dass Sie dort als Betreuerin gearbeitet haben. Es sind von damaligen Kindern unglaubliche Vorwürfe, vor allem Ihre Person betreffend, gemacht worden.

Schwester Linda nimmt einen großen Schluck vom weißen Spritzer. Sie drückt und zerrt an ihrem Oberarm.

Schwester Linda: Na, also …

Wir müssen Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen.
Wir kennen Mädchen, die genau wissen, wo man sich Geld holen kann. Also die waren nur in der Sonderschule. Waren also nicht besonders vif. Aber wie sie dann rausgekommen sind und auf Besuch gekommen sind, haben sie dann geschildert, wo man sich überall von der Gemeinde Wien eine finanzielle Unterstützung holen kann. Wie die das jetzt mitgekriegt haben, dass man für alle möglichen Geschichten einen finanziellen Ersatz kriegt, werden sich da welche was zusammendichten.

Es gibt folgende Vorwürfe von Heimkindern: „Am schlimmsten von allen war die Schwester Linda.“ Sie sollen dunkelhäutigen Kindern gesagt haben, dass sie kein Recht hätten zu leben.
Also das ist absolut … Das ist absolut nicht wahr. Wir haben ein Mal ein einziges Zigeunerkind gehabt und überhaupt nie ein dunkles. Und die war so lieb und die hat mir richtig leid getan. Also das ist hint und vorn erfunden. Die müssen das verwechseln mit einem anderen Heim.

Sie sollen Kinder gezwungen haben, Erbrochenes zu essen.
Das hab` ich nie gemacht.

Warum sollten Menschen so etwas erfinden?
Vielleicht hat’s wer anderer gemacht. Ich weiß es nicht. Bei mir musste niemand Erbrochenes essen. Ob es bei anderen Kolleginnen war, das weiß ich nicht.

Wir haben noch eine Aussage, dass Sie gerne mit Gegenständen um sich geworfen hätten. Ein Mädchen sollen Sie mit einem Messer erwischt haben.
Also die sind ja total verblödet. Das ist alles erfunden und erlogen. Wer wirft mit einem Messer herum?

Warum greift man Sie persönlich an? Das ist ja 40 Jahre her.
Das weiß ich nicht.

Waren Sie streng?
Ich war schon streng. Aber ich hab` mit ihnen auch viel unternommen. Wir sind wandern und schwimmen gegangen.Vielleicht bin ich ihnen deswegen in Erinnerung geblieben. Ich hab` halt immer geschaut, dass die Kinder beschäftigt sind. Und dass sie dann eben am Abend ausgelaugt sind und müde sind und gut schlafen.

Wenn Sie sagen, Sie waren streng – was darf man darunter verstehen?
(stottert) Also, was die da beschreiben, das hab` ich alles bestimmt nicht gemacht. Hie und da hab` ich halt wen Strafe schreiben lassen.

Die Mädchen sagen, sie mussten Strumpfbandgürtel und Strümpfe tragen, mussten sich nackt ausziehen und auf die Terrasse stellen und wurden vorher von Ihnen und anderen Betreuerinnen richtig hübsch …
Na, na, so ein Blödsinn, das ist ein Wahnsinn.

… und zurechtgemacht.
Das ist ein kompletter Blödsinn. Hint und vorn. Das ist alles erstunken und erlogen. Das hat`s nie gegeben.

Dass Mädchen, die weggelaufen sind, schwer bestraft wurden?
Das ist nicht wahr. Die sind mit dem Taxi abgeholt worden, und am nächsten Tag waren sie wieder weg. Und dann waren noch welche, die schon Jungprostituierte waren. Die haben dann andere Mädchen verschleppt, dass sie auch mit ihnen in den Prater gehen.

Können Sie uns erklären, warum es denn gerade in Ihrem Heim Jungprostituierte gegeben haben soll?
Die waren ja in anderen Heimen auch.

Hat man das als Betreuer nicht in den Griff bekommen?
Na, also das … (Pause) . Bei manchen war das schon Tradition. Da war das schon die Mutter und die haben irgendwie das Talent dazu gehabt. Jeder hat ja auch nicht das Talent für so einen Beruf (lacht) . Aber diese Beschuldigungen, das ist alles ein Blödsinn.

Es gibt Vorwürfe, dass männliche Betreuer Mädchen in ihrem Zimmer vergewaltigt haben.
Das ist bestimmt nicht wahr. Garantiert nicht.

Im Schlafsaal sollen Kinder vergewaltigt worden sein, von Männern, die ins Heim gelotst wurden.
(hastig) Also einmal ist auch bei mir einer eingestiegen, über den – wie heißt das? – Blitzableiter. Der wollte zu einem bestimmten Mädchen. Dann haben Mädchen zum Schreien angefangen wie am Spieß. Da sind wir munter geworden und der ist über den Blitzableiter wieder hinunter. Und einmal wollt einer beim Parterre hinein, beim Klofenster. Den haben wir aber auch erwischt und rausgeschickt.

Haben Sie diese Personen gekannt?
Nein, das waren jugendliche Burschen, die die Mädchen irgendwo kennengelernt haben. Die sind halt dann auf Besuch gekommen.

Haben Mädchen bei Betreuerinnen im Bett geschlafen?
Nein. Früher haben manche einen Mittagsschlaf gemacht, da haben sich welche allein in ein freies Kinderbett gelegt, damit sie in dem Schlafraum drinnen sind. Damit die Kinder nicht allein sind. Nur zum Aufpassen, aber nicht gemeinsam mit irgendeinem Kind. Das ist eine rege Fantasie.

Fällt Ihnen etwas zu anderen Betreuerinnen und Betreuern ein?
Die waren total integer, die männlichen Erzieher, die im Schloss Wilhelminenberg waren. Da war bestimmt nirgendwo was. Früher einmal, irgendwann muss einmal was gewesen sein. Weil die Direktorin gesagt hat, wir sollen uns nicht von einem Mädchen allein das Bett machen lassen.

Gab es ein Spiegelzimmer?
Ja, das war der Spiegelsaal. Das ist jetzt im Hotel der Festsaal. Wieso, haben die auch gesagt, dass man dort Pornofotos gemacht hat? (Im gesamten Interview wurde nie über Fotos oder Pornofotos gesprochen, Anm.)

Schwester Waltraud, sagt Ihnen die etwas?
Ja, aber was die gemacht hat, kann ich auch nicht sagen. Ich war mit meiner Gruppe beschäftigt. Jeder hat seine Gruppe gehabt, getroffen haben wir uns im Garten zum Spielen. Wir waren auch in Riccione mit den Kindern. Und auf Skikursen und alles. Und dort sind wir immer nur bewundert worden, dass unsere Kinder brav sind.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft belegt, dass 40 Prozent der Heimkinder, die sich bisher gemeldet haben, sexuell missbraucht wurden.
Das kann ich nicht glauben. Da wollen jetzt sicher welche noch zu einem Geld kommen hinterher.

Wie war so ein typischer Tag im Heim?
Na, also früher war`s halt schon … wo man sich heute auf den Kopf greift. Die haben müssen gemeinsam aufs Klo gehen, also eine Klotour machen. Das Klopapier ist ausgeteilt worden, aber das war damals wahrscheinlich überall so. Das hat sich ja dann alles gegeben.

Sind Freundschaften entstanden aus dieser Zeit, mit Kolleginnen?
Also es hat schon welche gegeben, die sind dann beieinander gesessen. Eh, grad im Schloss Wilhelminenberg. Da war ein Dienstzimmer. Links ein Schlafsaal, rechts ein Schlafsaal. Und die haben sich da drinnen ihre Liebesgeschichten erzählt. Das waren auch lauter junge Erzieherinnen. Da hat dann so ein Mädchen gesagt „die sind ja größere Huren als wir“ (lacht).

Wie viele Kolleginnen, Betreuerinnen gab es?
Wie viel waren wir …? Neun Gruppen waren wir. 40 Kolleginnen werden es gewesen sein. Früher waren`s nur weibliche, später sind dann Männer auch gekommen.

Können Sie uns mit Namen weiterhelfen?
Ich seh` eigentlich niemanden mehr. Die männlichen Erzieher, die wir gehabt haben, waren eh alle verheiratet. Das ist der richtige Beweis, dass die da jetzt Sachen zusammenlügen, damit sie ein Geld kriegen.

Wo waren Sie nach dem Wilhelminenberg?
Also da war ich kurz auf der Hohen Warte (ein weiteres Jugendheim, Anm.). Aber dort hat`s mir nicht zugesagt, weil von den männlichen Erziehern waren welche wirkliche Schweine. Ob sie was mit den Buben gehabt haben, das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Die Männer waren halt nur lästig den jungen Erzieherinnen gegenüber.

Ich zitiere: „Da hat sie uns Dias und Filme über Konzentrationslager gezeigt. Da waren viele dunkle Menschen wie meine Schwester … ob wir jetzt endlich verstehen, dass wir dort auch hingehören und nicht das Recht haben zu leben. “
Filme hab` ich überhaupt keine hergezeigt. Das ist alles ein Blödsinn. Wie soll ich zu einem Film kommen von einem Konzentrationslager? Selber war ich nur, wo sie mich in der Mittelschule hingeschleppt haben, in Mauthausen. Sonst war ich kein Konzentrationslager anschauen. Also das ist alles erfunden.

Hat auch niemand anderer die Filme gezeigt?
Nein, bestimmt nicht.

Gab es einen Filmvorführraum?
Später haben wir im Keller einen Fernsehapparat gehabt, mit einer Projektion. Ob sie da so einen Film gespielt haben, das weiß ich nicht. Ich habe bestimmt nicht so ein Programm angeschaut. Die haben jedenfalls eine rege Fantasie, damit sie zu irgendeiner Entschädigung kommen .

Noch empörender als die geschilderten Vorkommnisse in Kinderheimen ist aber die Tatsache, dass die ehemalige SPÖ-Politikerin Irmtraut Karlsson die Stadt Wien bereits 1974 über Missstände in den Kinderheimen informiert hat.

Der erwartete Aufschrei blieb allerdings aus. In einem privat geführten Kinderheim in Altenberg in Niederösterreich sei Karlsson selbst Zeugin einer sexuellen Belästigung eines achtjährigen Mädchens durch den Heimleiter geworden. Den Übergriff habe sie dem Oberamtsleiter der MA 11 sofort gemeldet. Direkte Konsequenzen gab es für den Heimleiter aber keine. Es kam zu keiner Anzeige, das Heim wurde nicht geschlossen. “Die Stadt hat dann halt keine Kinder mehr dorthin geschickt”, erzählt Karlsson. Deshalb sei es wohl 1980 auch geschlossen worden, vermutet Karlsson. Und anstelle der Konsequenzen für die Heimleitung sei sie damals auf ihre “Amtsverschwiegenheit” hingewiesen worden. Die MA 11 von damals beschreibt sie heute als “irrsinnig hierarchischen Verein”. Mit den Opfern von damals müsse man “respektvoll und sensibel” umgehen. “Die dürfen nicht wieder runtergemacht werden. Über die von zwei Opfern geschilderten systematischen Massenvergewaltigungen im Schlafsaal sagt Karlsson: “Ich kann das glauben. So etwas kann möglich sein in totalen Systemen”. Aber: “Ich weiß nicht, ob die Mädchen damals kapiert haben, welche Männer das waren. Es kann gut sein, dass sie eigentlich Männer, die von außen eingedrungen sind, als Erzieher vermutet haben.” Dass aber damals schon bekannt gewesen sein dürfte, dass Mädchen im Kinderheim Schloss Wilhelminenberg vergewaltigt worden sein könnten, schließt sie nicht aus: “Man hat das gemunkelt”, sagt Karlsson. Und: Kritik an den Heimen sei damals auch schon von anderen Erziehern und Journalisten gekommen.

Auch die Kommission um Barbara Helige hat so ihre Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung, weil manche Unterlagen von der Stadt nicht herausgerückt werden, bzw. als ‚verschwunden’ gelten.

Sämtliche Heimakten wurden am Tag der Schließung des Heimes im Jahr 1977 abtransportiert und vernichtet. Dienstlisten: weg. Die Unterlagen der untergebrachten Kinder von 1948 bis 1977: weg. Die Krankenakten, aus denen sich herauslesen ließe, mit welchen Medikamenten die Kinder behandelt wurden: weg. Für immer ausgelöscht. Amtliche Akten dürfen nicht einfach vernichtet werden. Aber sie wurden. Wer den Befehl zur überfallsartigen Aktenvernichtung gegeben hat, kann heute nicht mehr eruiert werden. Man kann den Verantwortlichen wohl nur im zuständigen Amt oder in der Politik suchen. Vergeblich, die damals handelnden Personen sind bereits verstorben. Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack. Warum wurde gerade am Wilhelminenberg Hals über Kopf alles ausgelöscht, was Antworten auf die Geschehnisse im Heim liefern hätte können? An Zufall glaubt niemand. Das riecht stark nach Vertuschung.

Die ersten Missbrauchsfälle kamen vor einigen Jahren an die Öffentlichkeit, als von kirchlichen Internaten solche berichtet wurden.

Missbrauch, Schläge und Demütigungen gab es aber nicht nur dort, sondern auch in öffentlichen, staatlichen Einrichtungen. Immer mehr Betroffene melden sich zu Wort und berichten über das, was ihnen vor Jahrzehnten widerfuhr, wie man versuchte, sie zu brechen, zu zerstören und welche Auswirkungen das auf ihr Leben hatte.

Sie will weglaufen. Doch ihre Füße scheinen am Boden festzukleben. Die Fürsorgerin und die Polizei sind hinter ihr her. Aber auch sie kommen nicht vom Fleck. Ihre Verfolger erwischen sie nicht. An dieser Stelle wacht Elisabeth Gruber, 66, meistens auf. Als ihr Mann noch lebte, erzählte sie ihm so oft vom Heim, dass er nichts mehr davon hören wollte. „Hör auf mit dem Blödsinn“, bat er. Doch ihre Albträume ließen sich nicht abstellen.

Elisabeth Gruber sitzt am Wohnzimmertisch, vor sich die Notizen, die sie gemacht hat, um nichts Wichtiges zu vergessen. Sie lebt in Purkersdorf bei Wien, in demselben Einfamilienhaus, aus dem Gendarmen sie am Silvestermorgen 1958 abholten und in eine Erziehungsanstalt steckten, weil sie ein „schlimmes Mädchen“ war. Sie durfte nichts einpacken, nur noch ihren himmelblauen Wintermantel über das Nachthemd ziehen. Mehrmals steht sie auf, lässt den Hund hinaus, kocht Kaffee, holt Krapfen aus der Küche, weil die Erinnerungen sie „noch sehr aufwühlen“.

Jahrzehntelang interessierten sich weder die Justiz noch die Öffentlichkeit dafür, was Heimkinder erlebt haben. Die meisten Einrichtungen wurden in den siebziger und achtziger Jahren aufgelöst oder in sozialpädagogische Zentren umgewandelt. Protokolle und Mündelakten verschwanden im Keller. Ehemalige Zöglinge schwiegen aus Scham. Viele scheiterten als Erwachsene, wurden drogensüchtig oder kriminell. Oder sie brachen zusammen, weil eine Trennung, ein Film, eine ärztliche Untersuchung ihre Wunden wieder aufgerissen hatten.

Jetzt, da sie zwischen 50 und 70 sind, wollen sie den Terror ihrer frühen Jahre publik machen. Viele von ihnen wurden in katholischen Heimen drangsaliert, gedemütigt, sexuell missbraucht. In Deutschland schlossen sich Betroffene zu einem Verein zusammen, in Irland erschütterte der Bericht einer staatlichen Kommission die Öffentlichkeit (siehe Kasten). Auch in Österreich wird die Mauer des Schweigens brüchig. Vergangene Woche gestand Bruno Becker, Erzabt von St. Peter in Salzburg, vor 40 Jahren einen zwölfjährigen Zögling missbraucht zu haben. Er bot seinen Rücktritt an.

Doch die Übergriffe, die nun zutage treten, sind nicht einmal die Spitze des Eisbergs, sagt Zeithistoriker Horst Schreiber: „In katholischen Internaten wurden Zöglinge der Mittelschicht zugerichtet. Die wirklich brutalen Geschichten passierten aber in den geschlossenen Heimen, betrieben von Bund und Ländern. Dort wurden Unterschichtkinder, nach denen niemand gefragt hat, auf eine Art und Weise systematisch gebrochen, die an Terrorregime erinnert.“

Im Oktober 2011 präsentierte Jenö A. Molnár im Parlament sein Buch „Wir waren doch nur Kinder“. 16 Jahre lang war Molnár in Kinderheimen untergebracht gewesen. „Es kann sich niemand vorstellen, was das für mich bedeutet“, erklärte der Autor, sichtlich gerührt, seine furchtbaren Erinnerungen im Hohen Haus vorstellen zu können.

Jenö A. Molnár kam am 5. August 1946 in Oberösterreich zur Welt, als Kind einer geflüchteten Ungarin und eines US-Besatzungssoldaten. 1947 wurde seine Mutter kurz verhaftet. Als sie zurückkam, war ihr zehn Monate altes Baby nicht mehr da. „Man hat mich ihr gestohlen“, sagt Molnár. Es kostete ihn sein halbes Leben, das herauszufinden.

Den Großteil seiner Kindheit verbrachte „Jöri“ im steirischen Schloss Leonstein. Lieblosigkeit, Gewalt und Sadismus prägten sein Aufwachsen. Eine acht Zentimeter große Narbe erinnert ihn noch heute an eine prügelnde Nonne. Mit 19 stand er auf der Straße, ohne Geld, ohne Papiere. Österreich erkannte ihn weder als Flüchtling noch als Staatsbürger an. Ende der sechziger Jahre ließ er sich schließlich in Deutschland nieder und fristete dort als Staatenloser eine Existenz am Rand des sozialen Abgrunds.

Seine Mutter war ein Name auf seiner Geburtsurkunde, dem einzigen Dokument, das er besaß. Vom Vater fehlte jede Spur. In Stadl-Paura, Oberösterreich, fand Jenö A. Molnár Nachbarn, die sich an den kleinen Sohn der ungarischen Lehrerin erinnern konnten, der in einem Jeep weggebracht worden war.

1986 fand er seine Mutter in einem Vorort von Salzburg. Sie schien nicht überrascht, ihrem 40-jährigen Sohn gegenüberzustehen. Sie gab ihm ein Foto: sein Vater und seine Mutter vor einem Bahnhof, sie war schon schwanger. Auf der Rückseite stand geschrieben: „Auf dem Weg und guter Hoffnung“. Sie erzählte ihm, Soldaten hätten sie 1947 ins Spital gebracht und sie dort festgehalten. Als man sie nach Hause ließ, sei er verschwunden, ihr Mann nach Amerika abkommandiert, ihre Schwester abgängig gewesen.

Bevor Jenö A. Molnár nach Deutschland zurückfuhr, gab sie ihm Geschenke, die die Großeltern in Ungarn dem verlorenen Enkelkind gemacht hatten. Als er neun war, hatte seine Oma in das Tagebuch, das sie für ihn angelegt hatte, geschrieben: „Mein lieber Alpö, ich weiß, dass du diese Zeilen eines Tages lesen wirst.“ Er war nicht vergessen worden, das machte ihn ein wenig ruhiger. 1991 hielt er den ersten Pass seines Lebens in Händen, einen ungarischen. Die Frau auf der Botschaft sah ihn an: „Herr Molnár, wie fühlen Sie sich?“ Sie hatte seine Akte vor sich liegen, zehn Zentimeter hoch. Er hätte sie ihr gerne entrissen.

17 Jahre später, wieder eine Zäsur: Jenö A. Molnár sah „Napola“, einen Kinofilm über die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten der NS-Zeit. Er bebte vor Wut, weil sich der Hauptdarsteller, statt zu kämpfen, am Ende ertränkt. Da begann das ehemalige Heimkind zu schreiben: „Es ist wie Wasser aus mir herausgeronnen. In vier Wochen war mein Buch fertig.“

Oft beginnen die Geschichten ehemaliger Zöglinge damit, dass das Leben sie in verwahrloste, gewalttätige Verhältnisse warf und die Fürsorge sie in Besserungs- und Züchtigungsanstalten verwahrte. Dort setzten Erzieher, Ordensmänner und geistliche Schwestern alles daran, ihren Willen zu brechen. Wie viele in geschlossenen Heimen gequält, bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt, in Korrekturzellen gesperrt, sexuell missbraucht, gedemütigt, ihrer Persönlichkeit beraubt und für ihr Leben gezeichnet wurden, weiß niemand: In Deutschland ist von 800 000 die Rede. „Bei uns waren es sicherlich Zehntausende“, sagt Schreiber.

Als Alois M. eineinhalb Jahre alt war, zog seine Mutter zu einem neuen Mann, und die Fürsorge brachte Alois ins Wiener Kinderheim „Am Himmel“. Ein halbes Jahr später kam sein Bruder nach. Die neue Frau des Vaters hatte ihm die Oberarme gebrochen und fast den Schädel zertrümmert.

Vage Bilder vom Schlafsaal, Angst vor den Klosterschwestern, viel mehr blieb Alois M. aus den frühen Jahren nicht im Gedächtnis. Mit sechs Jahren kam er in eine evangelische Anstalt bei Hainfeld. Ein Ort, den er für immer mit Stosuppen verbinden wird, in die er erbrochen hat und die er bis zur Neige auslöffeln musste. Im niederösterreichischen Caritasheim in Retz fiel er einer Erzieherin in die Hände, die es liebte, Kinder aufeinander zu hetzen. Alois M. rangierte ganz unten, man diffamierte ihn als Bettnässer. Eines Nachts wachte er auf, weil ein anderer Bub auf ihn urinierte.

Mit acht holte ihn der Vater nach Hause, doch bald drosch die Stiefmutter wieder mit allem auf ihn ein, was ihr unter die Finger kam. Der Schularzt entdeckte die frischen Wunden am Körper des Buben. Der Bub musste ins Kinderheim in Wimmersdorf. Es war sein viertes, und verglichen mit diesem, waren alle bisherigen nur die Vorhölle gewesen.

„Wie hast du dir die Zähne geputzt?“, fragte die Direktorin am ersten Abend. Der Zehnjährige hatte noch keine Zahnbürste bekommen und sagte: „Mit dem Finger.“ Schon habe sie ausgeholt und ihm ins Gesicht geschlagen. Die Freizeitgestaltung beschränkte sich auf gespenstisch stumme Ausgänge im Hof: zwei Stunden im Kreis, eine Hand am Rücken, ein Finger der anderen Hand auf dem Mund. „Meine größte Sorge war, nicht aufs Klo zu müssen“, sagt Alois. Außerhalb der geregelten Zeiten war das verboten. Manchmal pickten die Erzieherinnen Kinder heraus und machten sie zu Aufpassern: „Die haben alle aufgeschrieben, die beim Essen geredet haben oder nach halb acht Uhr abends aufs Klo gegangen sind.“

Schläge mussten hingenommen werden. Wer sich mit den Armen schützte oder die Decke über den Kopf zog, sei an den Ohren gezogen worden, bis er blutete. Die Erzieherinnen hätten ihnen büschelweise Haare ausgerissen: „Ich habe auch noch ein paar kahle Stellen von damals am Kopf.“ Wussten sie nicht mehr weiter, sei der kräftige Gatte einer Kollegin ins Heim gekommen und habe die Buben mit Handkantenschlägen und Fußtritten traktiert.

Jede Kleinigkeit trug den Zöglingen ein Stricherl ein, das bedeutete eine halbe Stunde Strafestehen. Wer einen Teller schon vergammelter Erdäpfel hinunterwürgte, konnte sich eine halbe Stunde ersparen, sagt Alois M.: „Ich habe das manchmal gemacht, weil meine Liste immer voll war.“

Einmal stand er zwei Stunden lang frierend mit angeschnallten Skiern am Hügel hinter dem Haus und sah den anderen zu, wie sie die Piste hinunterwedelten: „Als sie fertig waren, musste ich meine Skier abnehmen. Ich durfte nicht fahren.“

In all den Jahren habe sich eine einzige Erzieherin aufgelehnt. Sie war jung, blond, rauchte heimlich und wurde nach drei Wochen entlassen: „Sie hat gesagt, das gehört verboten, was hier passiert. Wir haben sie dafür geliebt.“ Die Bewohner von Wimmersdorf schauten weg, wenn die Buben – „alle mit dem gleichen Nazi-Haarschnitt, den Nacken geschert, die Deckhaare zum Seitenscheitel gelegt“ – in Reih und Glied durch den Ort marschierten.

Neuankömmlinge wurden von den Älteren ins „Schmaucheln“ eingeführt: Sie wurden oral stimuliert, anschließend sollten sie das bei anderen praktizieren. Als Alois M. 14 war, musste er zum Vater zurück. An einem bitterkalten Jännertag rannte er wieder von dort davon. Er übernachtete in Telefonzellen und lief der Polizei in die Hände: „An diesem Tag hat mich die Stiefmutter so verdroschen, dass ich grün und blau war und nicht in die Schule gehen konnte.“

Ein neues Heim, eine neue Hackordnung: Eggenburg. „Es war das beste Heim von allen, doch die ersten vier Wochen waren auch hier die Hölle.“ Heute ist Alois M. knapp 50 und arbeitet in einer Beratungseinrichtung, wo ihm manchmal Zöglinge über den Weg laufen. Erkennt ihn jemand, sagt er: „Sie müssen mich verwechseln.“ Fragt ihn jemand nach seiner Kindheit, wehrt er ab: „Es war nichts Besonderes.“ Als sich vor einigen Jahren seine Freundin von ihm trennte, fiel er in ein schwarzes Loch: „Es war, als müsste ich wieder in ein neues Heim. Das habe ich nicht mehr ausgehalten.“ Dreimal versuchte Alois M., sich das Leben zu nehmen. Dann begann er eine Therapie.

Anfang der achtziger Jahre erzählte ein Zögling aus Wimmersdorf einem Reporter der „Kronen Zeitung“, wie es dort zugegangen war. Im Juli 1981 wurde das Heim aufgelöst. Wie viele andere davor und danach. Doch nicht einmal dazu gibt es Zahlen. In seltenen Fällen versuchten ehemalige Insassen, noch an ihre Akten zu kommen, kaum jemals gelang es ihnen. Ihre brennendste Frage blieb oft unbeantwortet: „Warum war ich im Heim? Was hat mit mir nicht gestimmt?“

Roland K.s Vater war ein Trinker. Die Pflegemutter schlug ihn mit dem Liguster. „Ich höre heute noch das Pfeifen der Zweige in meinen Ohren.“ Das Schlimmste aber war der unbedingte Gehorsam, den sie verlangte, und dass er nicht im Haus aufs Klo gehen durfte. „Ich musste auf den Misthaufen im Garten.“ Mit zehn stand er auf der Wiese vor dem Haus und schrie: „Ich halte es hier nicht mehr aus!“ So kam auch er nach Wimmersdorf. Er war dort einer der „Braven“, durfte als „Dienstmädchen“ im Privathaushalt der Erzieherinnen arbeiten und bekam ab und zu ein Schnitzel. Die Buben seien oft hungrig gewesen, erzählt er: „Manchmal sind wir in die Küche eingestiegen und haben etwas zum Essen gestohlen.“ Nach seiner Entlassung 1974 begann K. eine Lehre zum Industriekaufmann. Er schaute nach vorn, wenn ihn Erinnerungen quälten, verscheuchte er sie mit einem Schulterzucken: „War halt so.“ Einmal traf er in Wien zufällig eine seiner alten Erzieherinnen. „Wie geht’s dir?“, fragte sie. Er habe nicht den Mut gehabt, ihr auf den Kopf zuzusagen, wie schlimm es im Kinderheim war.

Vor vier Jahren beauftragte der oberösterreichische SPÖ-Soziallandesrat Josef Ackerl den Linzer Sozialforscher Michael John, die Heimerziehung nach 1945 nachzuzeichnen. John sprach mit Insassen der ehemaligen „Korrektionsbaracke“ Linz-Wegscheid, studierte Akten und gestaltete aus dem Material die Ausstellung „Wannst net brav bist, kommst ins Heim …“. Sofort drohten ihm ehemalige Erzieher eine Klage wegen „kollektiver übler Nachrede“ an. Zwar kam es nie zu einem Prozess, sie erreichten trotzdem, was sie wollten: Die Ausstellung verstaubt nun in einem Keller.

Franz Josef Stangl fand lange keine Worte für die Schrecken: Mit fünf Jahren kam er zu einer Pflegemutter, die ihn prügelte, dann zu einer neuen, die ihn auf Scheitln knien ließ. Mit elf landete er im Erziehungsheim Rosenhof in Graz. „Das bist du“, sagte die Fürsorgerin und deutete auf seine Aktenzahl: Ju.II./57/170752. Essen, einseifen, Licht abdrehen, aufstehen – alles funktionierte auf Kommando. Zweierreihe, Marsch zu den Spinden, in den Waschraum, auf den Sportplatz. Als dem kleinen Franzi die Luft ausging, riss er aus. Er wurde bald wieder eingefangen. Zurück im Heim, verprügelte er einen Zögling, der ihn verhöhnt hatte. Zur Strafe schob man ihn in die Erziehungsanstalt Steyr-Gleink ab. Damit hatte man den Buben immer gedroht: „Wenn du nicht folgst, kommst du nach Gleink.“ Dort herrschte hinter dicken Klostermauern ein ehemaliger Kampfflieger, der Priester geworden war. Unter seinem Regime zählte der Einzelne nichts. Franzi bekam die Wäschenummer 71.

Als Stangl mit 18 als „unerziehbar“ entlassen wurde, war er körperlich und seelisch zerstört. Er betäubte sich mit Alkohol, ging einbrechen, kam ins Gefängnis. 1983 machte er einen Entzug. Danach suchten ihn Panikattacken heim. Von den Medikamenten, die seine Dämonen in Schach hielten, wurde er wieder abhängig. In dieser finsteren Phase seines Lebens beschloss er, seiner Geschichte auf den Grund zu gehen. Im Herbst 2008 erschien sein Buch „Der Bastard“, ein authentischer, literarischer Bericht über die ersten elf Jahre seines Lebens.

Franz Josef Stangl sagt, er habe nur die Augen schließen müssen, schon spulte sich seine Kindheit wie ein Kinofilm vor ihm ab. In wenigen Monaten kommt sein zweites Buch auf den Markt. Es handelt von den Jahren in Steyr-Gleink. Auf dem Buchcover wird das einzige Foto sein, das er von sich besitzt. Stangl hat es aus einem Gruppenbild von seiner Erstkommunion herausgeschnitten. Ein Bild von ihm allein hätte zehn Schilling gekostet. „Die bist du nicht wert“, sagten seine Pflegeeltern damals.

Die eigene Geschichte bleibt ein Fragment, wenn sie nicht historisch eingebettet und politisch aufgegriffen wird, sagt Stangl. Er hofft auf eine Plattform ehemaliger Heimkinder auch in Österreich, für die derzeit Sponsoren gesucht werden. „Der Staat darf die Menschen, die unter seiner Obhut zum Krüppel geprügelt wurden, im Alter nicht wieder hängen lassen. Wir wollen Aufklärung, Psychotherapie, Entgegenkommen bei den Sozialversicherungsjahren.“

Stangl ist heute 60, seine Knochen sind brüchig, einige Wirbel eingebrochen, er kann weder lange stehen noch sitzen. Der Amtsarzt attestierte ihm, chronisch krank zu sein. In Pension gehen darf er nicht: „Jetzt macht mich der Staat wieder zur Sau“, sagt Stangl. Viele ehemalige Zöglinge mussten hinter den Anstaltsmauern stupide Zwangsarbeit leisten, ohne einen Schilling Lohn. Bei der Sozialversicherung hatten sie die Heime nicht angemeldet.

Als Elisabeth Gruber 13 war, trieb sie sich mit Buben herum. Die Fürsorge steckte das „schlimme Mädchen“ zur Strafe ins Kloster zum Guten Hirten in Obersiebenbrunn. Dort musste sie sechsmal am Tag beten. Eines Tages fiel sie in der Kirche um. Was sie damals nicht wusste: Sie war schwanger.

Im Mütterheim in Graz gab es strikte Arbeitszeiten: 7.30 bis 12 Uhr und 13.30 bis 18 Uhr. Wochenlang strickte sie mit Noppenwolle Pullover. Wenn sie sich beeilte, ging sich einer am Tag aus. Eine Strickwarenfirma ließ die frische Ware abholen. Elisabeth Gruber arbeitete bis zur Entbindung, putzte Kohlrabi, schälte Erdäpfel, wusch Salat. Gleich nach der Geburt arbeitete sie weiter. Eine alte Schwester passte auf ihren Buben auf, während sie bügelte, die immer gleiche Naht einer Schürze mit der Maschine steppte oder Taschentücher mit der Hand säumte. Mit 17 wechselte Elisabeth ins Kloster zum Guten Hirten in Wiener Neudorf. Die Gruppen dort trugen niedliche Namen: „Mohnblumen“, „Leuchtsterne“, „Gänseblümchen“. Doch auch hier verliefen die Tage mit monotonen Tätigkeiten und schwerer, körperlicher Arbeit.

Die Klosterschwestern hätten sie zwar nicht geschlagen, aber sie hätten genau gewusst, „wie sie uns kränken können“. Der geringste Verstoß reichte, um „in die Korrektur“ gesperrt zu werden. Stundenlang, manchmal Tage musste man allein in einem Zimmer sitzen und über die eigenen Fehler nachsinnen. Am Abend wurden Matratzen hinein-, am nächsten Morgen wieder hinausgeschleppt. Dreimal am Tag brachte eine Frau Essen. Es war verboten, mit ihr zu reden. Eines der schlimmsten Verbrechen, das man im Kloster begehen konnte, war eine „Wärmelei“, sexueller Kontakt zu einem anderen Mädchen: „Das kam gleich nach Mord.“

Erwachsen geworden, fragten sich die Heimkinder, warum niemand den Terror damals stoppte. Es gab „Einschauen“, vor denen alles auf Hochglanz poliert wurde. Delegationen stolzierten durch die Gänge, schauten in die Zimmer, fragten: „Na, gefällt es euch hier?“ „Wie sind die Erzieher?“ „Schmeckt das Essen?“ Die Zöglinge, die an solchen Tagen ihr schönstes Gewand anlegten und gutes Essen bekamen, wussten, was sie zu sagen hatten. Elisabeth Gruber: „Dann gab es drei Tage lang grindiges Essen, um das gute Essen wettzumachen. Und danach war alles wie immer.“

Auch im Landesjugendheim in Görtschach bei Ferlach kam es in den 1950er- und 60er-Jahren offenbar mehrfach vor, dass Kinder im Stall wie Tiere am Hals angekettet und dann sexuell missbraucht wurden. Erstmals hat ein Ex-Heimbewohner (Zögling Nr. 44) sein Schweigen gebrochen. Der heute 62-jährige Künstler sagt: “Ich bin mindestens 20 Mal vom Stallknecht angekettet worden. Mehrmals musste ich auch zusehen, wie er die Tiere sexuell missbraucht. Wenn ich brav war, durfte ich das Futter von den Schweinen essen.”

Der 62-Jährige erzählt aber noch andere unfassbare Vorkommnisse im Heim: Wenn Erzieher Freunde zu Besuch hatten, “ist man geholt worden”. Wenn junge Praktikantinnen ins Heim gebracht wurden, “mussten wir Burschen uns vor ihnen nackt ausziehen und wurden gedemütigt”. Es gab sexuelle Übergriffe des damaligen Kinderarztes Franz Wurst (er wurde dafür verurteilt), der Erzieher und es gab Missbrauch durch den Heim-Pfarrer. Die Kirche hat den 62-Jährigen dafür inzwischen entschädigt.

Er wurde aber nicht nur geschändet. Der 62-Jährige erzählt von anderen Qualen, die er im Heim (er lebte dort von 1957 bis 1965) erlitten hatte: Hat man falsch gesungen, aus Hunger verbotenerweise eine Tomate genommen oder eine Rechenaufgabe nicht gleich verstanden, musste man Scheitelknien oder man erhielt Schläge – ins Gesicht, auf den Kopf. Zugeschlagen wurde mit Hacken, Bambusstecken, Mistgabeln. Zur “Züchtigung” haben die Erzieher Zahnpasta auf die Augen der Kinder gedrückt, Wunden mit Salz behandelt oder den Kindern im Schlaf Stromschläge verpasst, indem sie ihre Füße mit Kabeln fesselten. Die Knaben mussten neben der Schule arbeiten, bekamen aber kaum etwas zu essen. Warmes Wasser gab es auch keines für sie. “Ich habe damals gedacht, das ist normal, das gehört alles so”, sagt der 62-Jährige. “Das war ja auch mein Zuhause. Wohin hätte ich denn sollen?” Von seiner Familie wusste er damals nichts. Erst später erfuhr er, dass er von seiner Mutter auf einer Parkbank ausgesetzt wurde und 23 Geschwister hat.

Heute ist Zögling Nr. 44 ein erfolgreicher Künstler, ein Familienvater und seit 22 Jahren glücklich verheiratet.

Die Fürsorge rechtfertigt sich heute so:

Reaktion des Landes Kärnten

Christine Gaschler-Andreasch, die Leiterin der Jugendwohlfahrt des Landes Kärnten, kennt den Fall des heute 62-jährigen Künstlers. “Seinen Schilderungen ist Glauben zu schenken“, sagt sie.

Dass er die Herausgabe seines Heim-Aktes begehrt, ist bekannt.

Gaschler-Andreasch erklärt, warum es bis dato noch nicht möglich war:

“Bislang war der Akt nicht auffindbar.

Wir sind gerade dabei, Aufzeichnungen, die zum Glück unbestritten vorhanden sind, anzufordern.

Einige Unterlagen haben wir bereits erhalten. In ein paar Tagen können wir dann eine gesamtheitliche Beurteilung vornehmen:

”Diese ist auch die Grundlage für die Leistung einer Entschädigung. Dass er noch nicht als Opfer anerkannt ist, ist laut Gaschler-Andreasch nicht richtig:

“Es wurde nur noch nicht schriftlich festgehalten.”

Das Land bietet Opfern übrigens auch eine Psychotherapie an.

Kinderheim Treffen/Ktn. – Ordensfrau als Gewalttäterin

bei den ihr anvertrauten Kindern aus desolaten Familien. Vielleicht hätte das eine oder andere Kind es zu Hause besser gehabt?

Der Bischof war von der Causa schon unterrichtet.

“Ich war beim Gespräch der Brüder mit Schwester Johanna anwesend. Ich bin verwundert, dass die Angelegenheit nun an die Medien gelangt ist”, sagt Schwarz.

Für ihn war die Sache mit der schriftlichen Entschuldigung erledigt. Dass die “pädagogischen Maßnahmen” von Schwester Johanna “aus heutiger Sicht nicht in Ordnung waren”, räumt der Bischof ein.

Er mahnt allerdings auch ein, die positiven Seiten von Schwester Johanna zu sehen: “Sie hat viel geleistet. Ich bin überzeugt, dass sich Schwester Johanna voll und ganz für ihre Kinder eingesetzt hat und vielen zu einem besseren Leben verholfen hat.”

Dass die Brüder keine finanziellen Ansprüche an die Kirche gestellt haben, bestätigt Schwarz.

Bestätigen lassen sich auch die Geschichten von Kindern, die Opfer von Misshandlungen geworden sind, sagt Christine Gaschler-Andreasch. Die Leiterin des Jugendamts hat mit solchen Fällen immer wieder zu tun:

“In 90 Prozent ist den Betroffenen zu glauben, sie haben ein gutes Erinnerungsvermögen.” Dass es zu diesem Fall im Antoniusheim kommen konnte, obwohl das Land die Aufsicht hatte, erklärt Gaschler-Andreasch so: “Die Fachaufseher sind nicht täglich vor Ort.” Inzwischen sei die Aufsicht aber genauer als in den 80er-Jahren.

„Ich, Schwester Johanna, möchte mich bei den Kindern entschuldigen, die ich psychisch und physisch gequält habe. Es tut mir alten Frau Leid.”

Wenige Worte, aber von großer Bedeutung: Hier entschuldigt sich eine Ordensfrau in einem Brief für das Unrecht, das sie Kindern in einer katholischen Erziehungsanstalt vor gut 30 Jahren zugefügt hat. Die Schwester, die damals im Antoniusheim in Treffen Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen beaufsichtige, ist keine Unbekannte: Es handelt sich um die durch ihre Kosovohilfe prominent gewordene Schwester Johanna Schwab.

Ein Name, der den Brüdern Franz (36) und Kurt (35)* noch heute schwer über die Lippen kommt – sie sprechen lieber von “besagter Schwester”, wenn sie ihre Geschichte erzählen.

Es ist eine aufwühlende Geschichte:

Die Brüder kamen im Alter von vier und fünf Jahren ins Antoniusheim. Vater und Mutter kämpften zu Hause mit schweren Alkoholproblemen und vernachlässigten ihre Kinder.

Mit zehn Jahren kamen sie in die Obhut von Schwester Johanna. Die gebürtige Tirolerin war die einzige Betreuerin für 30 Jugendliche. Um für Ordnung zu sorgen, griff sie zu verzweifelten Mitteln: “Sie hatte einen abgeschnittenen, ein Meter langen Gartenschlauch. Mit dem wurden wir verprügelt, wenn wir nicht pariert haben”, sagt Franz. Nach vielen blauen Flecken hatte er genug vom Gartenschlauch und schnitt ihn heimlich ab.

Sein Bruder Kurt fühlt sich von Schwester Johanna auf psychischer Ebene verletzt: “Sie sorgte dafür, dass ich für behindert erklärt wurde und in die Sonderschule kam. Mit verbalen Drohungen brachte sie mich dazu, ihr blind zu gehorchen.”

Vergeblicher Hilferuf

Niemand glaubte den Brüdern.

Sie wandten sich an die Heimleitung, die Jugendfürsorge – vergebens: “Keiner konnte sich vorstellen, dass eine Klosterfrau so sein kann.”

Franz erinnert sich daran, wie er sich mit 13 der Fürsorgerin des Villacher Jugendamts anvertraute. “Sie schimpfte mit mir, dass ich nicht lügen soll.” Auch heute scheint es unvorstellbar, dass eine Ordensfrau, die sich in ihrer Pension aufopferungsvoll für Kinder im Kosovo einsetzte, einmal so mit Kindern umgehen konnte.

Überfordert

Franz zeichnet das Bild einer Frau, die in schwierigen Situationen oft den Ausweg in die Gewalt suchte. Das habe die Schwester bei einem Versöhnungsgespräch mit den Brüdern eingestanden: Sie wäre überfordert gewesen (siehe Interview). Sie schrieb den Brüdern zu diesem Anlass auch den eingangs erwähnten Entschuldigungsbrief.

Die Brüder wollen keine finanzielle Entschädigung von der Kirche. “Das kann das Leid nicht ungeschehen machen.” Viele Kinder im Heim hätten so wie sie im Leben keine Chance gehabt. An die Öffentlichkeit gehen sie nun, weil es für sie “eine Art Therapie ist. Auch für andere – wir wissen, dass viele unser Schicksal teilen, sich aber nicht getrauen, offen darüber zu sprechen.”

Sie spüren selbst noch die Nachwirkungen – Stottern, Autoritätsangst, Kurt hatte bisher noch nie eine Beziehung. Franz: “Wir tragen einen schweren Rucksack durchs Leben.”

„Keinen Deut besser als zur Nazizeit“

Was ein einstiger Zögling über Kinderheime vor 50 Jahren in Wien und Niederösterreich erzählt

Wer mit Mark Schivitz* spricht, merkt, wie schlimm die Kindheitserinnerungen sind, die ihn quälen. Zugleich merkt man aber auch, dass Schivitz keiner ist, den die Vergangenheit gebrochen hat. Viele seiner alten Freunde, erzählt er, hätten sich umgebracht oder zu Tode getrunken. “Dieser Kelch ist an mir vorüber gegangen.“ Schivitz hat – nach Therapiestunden und Valium – mit seiner Erinnerung zu leben gelernt, er steht, so scheint es, erfolgreich im Leben.

65 Jahre ist er heute alt. 13 davon verbrachte er in Kinderheimen in Wien und Niederösterreich – auch am Wilhelminenberg, wo es laut ehemaligen Zöglingen massive Kindesmissbräuche gegeben haben soll. Seit diese publik wurden, haben sich mehr als 360 mutmaßliche Opfer beim Weißen Ring, Wiens Anlaufstelle für missbrauchte Heimkinder, gemeldet. Schivitz hat dem Weißen Ring ebenso seine Geschichte anvertraut wie dem Rechtsanwalt Johannes Öhlböck. Für die Stadt soll nun eine Kommission unter der Richterin Barbara Helige die Vorwürfe aufklären – auch die von Schivitz.

Er war gerade fünf, als er in sein erstes Heim im dritten Bezirk eingewiesen wurde. Das war Anfang der 50er-Jahre. Seine überforderte Mutter – “eine arme Seele, der ich nichts Schlechtes nachsagen will“ – hat ihn dorthin und in alle weiteren Heime gegeben. Nachher wollte Schivitz “nur noch raus aus Österreich“. Der Künstler ging nach Deutschland und schließlich in die USA, wo er nun seit einem Vierteljahrhundert in der Filmindustrie Hollywoods arbeitet.

Was er erzählt, zeugt von menschenverachtenden Erziehungsmethoden, für die sich lange niemand interessierte und die “keinen Deut besser waren als zur Nazizeit“, wie Schivitz sagt. Er berichtet aber nicht – wie manch andere Opfer – von Serienvergewaltigungen, Todesfällen und systematischer Prostitution. “Hier sollte ja nicht übertrieben werden“, warnt Schivitz. “Das würde zu einem discredit der Opfer führen und alles in Frage stellen.“

Er selbst sei “ein Bub gewesen, der viel Energie gehabt hat, aber ein bissl klein war“. Als solcher habe er die volle Verachtung und Gewalt abbekommen durch Erzieher wie ältere Zöglinge. Nach dem Heim auf der Landstraße kam Schivitz 1953 auf den Wilhelminenberg, danach, ab 1955, sechs Jahre ins katholische Heim der Kreuzschwestern nach Krems und schließlich in ein privat geführtes nach Wimmersdorf in Niederösterreich.

In der Landstraße hätten Erzieherinnen simuliertes Ertrinken an ihm vollzogen, als er seinen erbrochenen Frühstücksbrei nicht essen wollte, erzählt er. “Sie haben in der Badewanne mit beiden Händen meinen Kopf gehalten und mir Wasser ins Gesicht gespritzt. Dann denkst du, du kannst nicht atmen.“ Am Wilhelminenberg folgten “drei Nächte pro Woche drei Stunden Knien auf dem Marmorboden“. Bettnässer wurden verhöhnt, ihre stinkenden Leintücher nicht gewechselt. Am schlimmsten jedoch wurde es für Schivitz in Krems.

Hier hätte sich die Gewalt der Erzieher am stärksten mit jener anderer Zöglinge vermischt. Ältere hätten sich an jüngeren sexuell vergangen. Zudem waren die Erzieher “ganz, ganz brutale Typen“. Heimkinder seien getreten worden; wer bei Ohrfeigen zuckte, sei noch mehr geschlagen worden. “Krems war der Wilhelminenberg zum Quadrat.“

Schivitz fühlte sich dadurch unentwegt bedroht. Bis heute verfolge ihn das Gefühl, sagt er. “Es gab keinen Platz, wo man sich verkriechen konnte.“ Ein konstanter Stresspegel habe geherrscht, “das Gefühl, dass jeden Augenblick wieder etwas passieren kann“. In den Heimen habe er oft geträumt, dass er weglaufe, sich aber nicht vom Stand bewegen könne. Im Jahr 2001 besuchte Schivitz Wien. Am Schloss Wilhelminenberg sah er die dort angebrachte Gedenktafel: “Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder.“ So ein Hohn, sagt Mark Schivitz. “Das Erste, was man tun müsste, ist diese Tafel wegzureißen.“

Das Heim Gleink

Der Waschraum der Gruppe Szieber lag in einem Seitentrakt, hatte hohe Doppelfenster aus gerippten Milchglas welche hinaus in den einsamen Klostergarten wiesen, in welchem sich einige der wenigen aussterbende Nonnen bewegten als seien sie Gespenster aus einer anderen Welt. Sie lebten auch nicht mit den Zöglingen in deren Bereich, wie sie mit den Zöglingen selbst auch nichts zu tun hatten, weder in der Schule noch im Erziehungsbereich. Sie hausten abgeschlossen für sich und wunderten sich vielleicht, wenn es hinter den Milchglasscheiben im zweiten Stock an manchen Nachmittagen oder Abenden etwas lauter wurde. Auch er lernte dieses Ritual zur Genüge kennen. Manchmal wartete er zehn Minuten, dann zwanzig oder vierzig Minuten, oder eben eine Stunde. Oft dachte er daran, dass er vielleicht Opfer seiner Phantasie, seinerEinbildung geworden war, er gar nicht in den Waschraum befohlen wurde, und jetzt da saß und umsonst wartete…aber irgendwann ging dann doch jedesmals die Türe langsam auf und genüsslich walzte sich die Fette in den Raum. Sie sah ihn an und er fand, dass sie gar nicht so gehässig aussah, dass ihre Gesichtszüge gar nicht so sehr verzogen seien wie jene der Hexe, aber das machte das Fett aus, welches ihr keine allzu große Mimik gestattete, in ihren Schweinsaugen jedoch sah er tief hinunter in den blanken glitzernden Abgrund.
„Bring mir den Stock“, sagte sie leise und höflich, so in etwa wie “Gibst du mir bitte das Brot herüber?“. „Küss den Stock“. „Knie dich nieder“. Dann erduldete er die übliche Überlebensfrage aller erwachsenen Idioten in allen Erziehungsanstalten: “Was glaubst du, hast du angestellt?“. Genauso gut hätte sie sagen können: “Du bist nicht mehr als ein Haufen Dreck“. Beides erwartete keine Antwort. „Steh auf. Zieh dir deine Hose hinunter. Beug dich über die Badewanne“. Das kannte er vom Pflegevater Hornbrille, der hatte aber keinen Haselnussstecken sondern Lederriemen. Mal schauen was besser war. „Zähl laut mit, wenn ich dich nicht verstehe wiederhole ich den Schlag“. Sein Herz pochte und er wartete auf den ersten Schlag, den ersten Hieb, doch der kam nicht. „Hast du Angst?“, wollte sie wissen. Während er überlegte, was er antworten sollte, schnalzte auch schon der erste Hieb auf ihn ein. „Eins“. „So ist es schön. Klar und deutlich will ich“….“Zwei“.„Merk dir eines, du kleine Sau. Ich mach das nicht aus Spaß“.„Drei“. „Merk dir das für das nächste Mal, ich mag ganz
einfach nicht wenn du Sachen tust, die ich nicht will“. „Zehn“.„Zieh dir die Hose hoch und bedanke dich für die Züchtigung“.„Danke, Fräulein Szieber, für die Züchtigung“. „Siehst du, es wird doch noch einmal etwas Anständiges aus dir“.
Für den Gang in die Schule waren keine Kilometer zu gehen oder gar der Postautobus nötig, keine Wälder, die es zu durchwandern gab, kein Dorfbach, der ihn anzog, um wie immer vergeblich zu versuchen, einen der schnellen Fische zu fangen. Oder Eidechsen, die in der warmen Jahreszeit auf den großen Steinen neben der Straße hockten, um sich blitzschnell zu entfernen sobald sie auch nur den Hauch eines Schattens seiner Hände spürten. Keine saftigen Blumenwiesen und keine blühenden Bäume, sondern nur Stiegen, Stiegen, Stiegen, endlose lange Gänge, hohe und dicke Mauern, denn die gesamte Schule befand sich innerhalb der Klostermauern in den Trakten verteilt. So marschierten nach dem Frühstück die Zöglingsgruppen hinauf zum Gang im zweiten Stock des langen Seitentraktes, um dort um 07:45 Uhr Aufstellung zu nehmen. Gruppe1 war zugleich Klasse 1 und dies zog sich fort bis Gruppe 9, ist gleich Klasse 9. Die jeweiligen Klassenlehrer übernahmen vom jeweiligen Gruppenerzieher die Gruppe, und so wurde jene für die nächsten vier Stunden zur Klasse. Das
Lehrpersonal rekrutierte sich aus jenen, die von draußen kamen, und aus jenen, die drinnen wohnten, also den Priestern und Brüdern. Zuvor jedoch gab es den „Morgengruß“ zu feiern. Dieser galt nicht dem Oberbienerich, sondern der nächsthöheren Instanz, dem Herrgott, einschließlich aller himmlischen Heerscharen, welche auf die Zöglinge herabblickten. So sangen und priesen und beteten die Zöglinge um einen guten Tag, dankten im Voraus für den guten Tag, wie überhaupt alles gut war für die Zöglinge.
Um elf Uhr fünfzig ging es in umgekehrter Reihenfolge zurück in den riesigen Speisesaal, wo nach dem Abfüttern ein kurzes Huschen in den großen Innenhof gestattet war, um sich in die Wiese zu hocken oder in die Sonne zu stellen. Um 13 Uhr saßen alle wiederum brav in ihren Klassen, um dem zu lauschen, was ihnen die Großen zu vermitteln versuchten. Lernen, lernen für das Leben draußen, für das Leben nach der Entlassung. Immer wieder wurde das „Draußen“ betont, von „Drinnen“ sprach man nicht, eher noch vom „Hier“ und „Jetzt“. Der Abgeschossene hielt sehr viel auf, wie er es nannte, „Bildung“, er predigte das Evangelium nicht nur in der Kirche, sondern auch außerhalb der Gottesdienste. Nämlich, dass man nie genug lernen könne, nie genug wissen könne, um mit den Herausforderungen dessen, was er „Draußen“ oder „Später nannte“, fertig zu werden.
Nun wollte er von Franzi wissen, weshalb ihm derartige Botschaften an den Ohren vorbei gingen. „Was sagt du zu deinen Noten?“. Er sagte nichts, denn zu allem fiel ihm nie sogleich etwas Spontanes ein. „Nun, dann will ich es dir erklären“. Franzi blickte zum Fenster hinaus und konnte über das Dach des Tores, welches den Eingang zum Kloster bildete sehen. Auf der Vorderseite, so wusste er, gab es eine Uhr ,auf welcher abzulesen war, wie spät es war, oder auch „wie viel es geschlagen hatte“. Da er die Uhr aber von der Rückseite aus nicht sehen konnte, erklärte ihm der Oberbienerich auch gerne und bereitwillig, vor allem aber immer ungefragt, wie viel es denn geschlagen hatte. Der Direktor schien einst ein braver Schüler gewesen zu sein, denn er wusste viel, erklärte langatmig und breit, was er von Franzis schulischen Leistungen halten würde. Nämlich Nichts. Absolut Nichts. All dies fasste er in der Sammelbezeichnung „Scheißdreck“ zusammen. Für alles hatte er Erklärungen und Rechtfertigungen aus der Bibel zur Hand, oder aus dem Gedächtnis. Es war schon recht praktisch, für alles und jedes eine Rechtfertigung zu haben, und so nahm auch Franzi sich vor, des öfteren als bisher, und für die Ministrantendienste nötig, in der Bibel zu lesen.
Pater Direktor Abgeschossener ließ ihn auch wissen, dass das, was jetzt kommen würde, ein Zeichen der Liebe sei. Durch und durch biblisch. Dann zitierte er aus dem Alten Testament irgendetwas von einem Vater, der seinen Sohn liebte, und ihn ausgerechnet deswegen züchtigen musste, und so auch er sich nun, auch aus reiner Liebe heraus gezwungen sah, Franzi zu verprügeln. Dies weil jener in der Zwischenzensur drei Vierer und einen Fünfer angeschleppt hatte, und dies geradezu nach Liebe schreien würde.„Das geht ganz einfach nicht“, sagte der Abgeschossene und Lakaiensoutane meinte: “Auf keinen Fall“. Er erklärte, dass sich die Lehrer allesamt sehr bemühen würden, sehr sehr sogar, und auch auf Trottel, wie Franzi einer sei, besondere Rücksichten nehmen würden, aber dann mutmaßte er weiter, „du bist ganz einfach ein fauler durchtriebener Tagedieb“. „Da drüber“, sagte der Oberbienerich und deutete auf einen Sessel. „Hose runter“ flüsterte die Lakaiensoutane. „Damit du dir das merkst“, sagte der Oberbienerich. Wenn es nicht so wehgetan hätte, würde er geschlafen haben, denn jedes Ritual erschöpfte sich auch für ihn, der doch immerzu auf Suche nach Neuem und Interessantem war. Ja, es tat weh, verflucht und höllisch weh, und doch war es Zärtlichkeit im Vergleich zu dem, was Hornbrille und die Hexe bereits an ihm verbrochen hatten. „Hose hinauf…und merk es dir für das nächste Mal“. Ja ja, er würde es sich merken, bis zur nächsten Abbiegung in eines der zahlreichen Stiegenhäuser, die er auf dem Weg zurück in die Gruppe zu passieren hatte. Er hoffte, dass sich der Oberbienerich und die Szieber beim Kampf um seinen Hintern nicht in den Weg gerieten, denn als Direktor hatte der Abgeschossenen ohnehin Vorrecht auf sein Hinterteil.

100 000 Kinder waren in Österreich in Heimen untergebracht. Ihre Geschichten erzählen von Gewalt, Folter, Missbrauch und Vergewaltigungen. Der bekannte Autor und Journalist Hans Weiss – bekannt unter anderem durch die Bücher „Bittere Pillen“ und „Schwarzbuch Markenfirmen“ – hat ihre Geschichte aufgeschrieben. Sein Buch erhebt schwere Vorwürfe gegen Koryphäen der Psychologie und Medizin – am bekanntesten wohl Erwin Ringel – und gegen den Gründer der SOS-Kinderdörfer Hermann Gmeiner.

Häufig wird die strukturelle und permanente Gewalt, die über ein halbes Jahrhundert von 1945 bis Mitte der 1990er in vielen Kinderheimen Österreichs herrschte, damit entschuldigt, dass die Erziehung damals eben eine andere war. Schläge und die berühmt-berüchtigte „gesunde Watsche“ waren ja übliche Erziehungsmittel. Es geht aber nicht um vereinzelte Übergriffe: „Es geht um Folter, um Massenvergewaltigungen, um schwerste körperliche und psychische Misshandlung“, stellte Weiss bei der Buchpräsentation in der Wiener Hauptbücherei klar.

100 000 Opfer der Heime

100 000 Kinder mussten diese Hölle auf Erden durchleiden, für Weiss das „größte Verbrechen der Zweiten Republik“. Nur 2,5 Prozent von ihnen – etwa 2500 Personen – haben bislang Entschädigungen erhalten. Heute werden sie von Kommission zu Kommission weitergereicht, immer noch will niemand für sie zuständig sein. „Einmal Heimkind – immer Heimkind“, nennt das ein Betroffener.

Bis heute gibt es keine zentrale Anlaufstelle. „Viele der Heimkinder sind inzwischen verstorben. Zahlreiche haben sich umgebracht oder verstarben früh, weil sie ein Leben am Rande der Gesellschaft verbringen mussten. Die Heime haben sie psychisch und physisch gebrochen. Viele, die noch leben, haben keinen Zugang zu Medien und erfahren nicht, dass sie zumindest moralisch einen Anspruch auf Entschädigung haben“, stellte Weiss bei der Buchpräsentation klar.

Wegschauen über Jahrzehnte

Weiss führte mit 45 ehemaligen Heimkindern lange Gespräche und besuchte die 135 „Tatorte“, ehemalige und noch aktive Kinderheime. „Erst ab den 1970er- und 1980er-Jahren besserte sich die Lage langsam. Einerseits, weil die Gesellschaft sich veränderte, andererseits weil es in Folge der Antibabypille und der Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs weniger unerwünschte Kinder auf die Welt kamen.“

Weiss kam durch persönliche Umstände dazu, dieses Buch zu schreiben. Zum einen, weil seine Ziehtochter selbst einige Monate in einem solchen Heim verbrachte, zum anderen, weil er im Rahmen eines Praktikums während seines Studiums selbst die schrecklichen Zustände im Tiroler Heim „Kleinvolderberg“ kennenlernte.

Das Buch zeigt auf, dass über Jahrzehnte hin weggeschaut wurde. Gemeldeten Vorfällen wurde nicht nachgegangen. Die Polizei ignorierte Anzeigen, in kirchlichen Institutionen wurden Täter, deren Grausamkeit allzu sehr auffiel, immer weiter versetzt, um an anderen Orten ihr Schreckenswerk fortzuführen. Dort kamen sie mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt, die zu Hause häufig extremer Gewalt ausgesetzt waren, um in den Heimen dann gleich Schlimmes oder Schlimmeres zu erleben.

Das ehemalige Heimkind Josef Stangl, das selbst Bücher über die Heim-Zeit geschrieben hatte und bei der Buchpräsentation anwesend war, brachte das folgendermaßen auf den Punkt: „Wir haben oft gesagt, im Gefängnis muss es doch besser sein, und dann auch versucht dort hinzukommen. Das haben wir geschafft, aber dem Heim sind wir trotzdem nicht entkommen.“ „Jugendbehörden, Justiz, Polizei, die Medizin und die Kirche, sie alle waren im Grunde der Meinung, dass das in Ordnung sei, was da mit den Kindern geschehe“, argumentierte Weiss.

Gewaltexzesse

Gewalterfahrungen haben so gut wie alle Heimkinder gemacht und doch gibt es Unterschiede. 66 Prozent aller Opfer kirchlicher Heime berichten von sexuellem Missbrauch. Zum Vergleich in den Wiener Heimen waren das „nur“ 44 Prozent. Frauen waren genauso brutal zu Kindern wie Männer, Buben wurden gleich häufig sexuell missbraucht wie Mädchen. Die meisten Gewaltopfer gab es in Vorarlberg, gefolgt von Wien. Die meisten Opfer kirchlicher Gewalt in Tirol, mit großem Abstand gefolgt von Salzburg.

Weiss erstellte auf Grundlage seiner Gespräche eine Liste der subjektiv zehn schlimmsten Heime Österreichs. Diese waren in absteigender Reihenfolge: Martinsbühel (Tirol), St. Martin (Tirol), Bubenburg in Fügen (Tirol), Wimmersdorf (Niederösterreich), Rohrbach (Niederösterreich), Gleink (Oberösterreich), Wilhelminenberg (Wien), Kaiser-Ebersdorf (Wien), Kinder-Beobachtungsstelle Dr. Nowak-Vogl (Tirol), Caritas Kinderheim St. Antoin (Salzburg).

Menschenversuche an Heimkindern

Auch gegen Mediziner und Psychologen erhebt der Autor schwere Vorwürfe. Heimkinder dienten vielfach als Versuchskaninchen, wurden niedergespritzt und schwerstens geschädigt. Besonders schrecklich muss es in der Kinder-Beobachtungsstation der Psychiaterin Dr. Nowak-Vogl in Innsbruck gewesen sein. Dort gab es Schläge und Niederspritzen, aber auch Stromstöße an den Hoden und einem Kind wurden Fingerglieder amputiert, um es an der Masturbation zu hindern. Es gab schreckliche Menschenversuche mit Röntgenstrahlen und Hormontests. „Geforscht“ wurde auch an der Psychiatrie in Wien. Auch dort gab es zahlreiche Medikamentenversuche, Kinder wurden unter anderem absichtlich mit Malaria infiziert. Weiss nennt es die „Wiener Schule der medizinischen Grausamkeit.“

Vorwürfe gegen Ringel und Gmeiner

Gegen den später berühmt gewordenen Dr. Erwin Ringel erhebt der Auto schwere Vorwürfe. Dieser war als beratender Psychiater im Heim in Wiener Neudorf tätig. Als solcher war er auch Teil der Heimkontrollkommission und hätte diese kontrollieren müssen. In seinem Bericht schreibt er von „wundervoller, liebevoller Arbeit“. Doch Weiss meint, er hätte sich dafür „Ohren und Augen zuhalten müssen“, denn die Berichte der Heimkinder zeigen ein ganz anderes, viel schrecklicheres Bild. Ringel publizierte aber auch zum Thema Elektroschocks. In seiner Publikation behauptete er, dass die Furcht vor Elektroschocks krankhaft sei und deshalb Betroffene speziell geschockt werden müssten.

Auch das makellose Denkmal des SOS-Kinderdorfgründers Hermann Gmeiner bekommt Risse. Neben persönlichen Verfehlungen in der Kinderbetreuung erhebt Weiss den Vorwurf, dass die SOS-Kinderdörfer Kinder selektierten. Wer beispielsweise einen verkürzten Fuß oder ein anderes körperliches Makel hatte, wurde ausgesondert und durfte nicht in den Kinderdörfern bleiben. Häufig kamen diese Kinder dann in die Fänge von Dr. Vogl und wurden seinen grausamen Experimenten ausgesetzt, um im Anschluss im Heimsystem zu verschwinden. Das SOS-Kinderdorf weist diese Darstellungen jedoch zurück.

Bundeskommission gefordert

Das Buch ist eine Schilderung von Grausamkeiten, die für den Leser kaum erträglich sind. Als zeithistorisches Dokument und um dieses Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte aufzuarbeiten, ist es jedoch unerlässlich. Zwar hätte sich die Lage inzwischen deutlich gebessert, aber für Weiss liegt immer noch Vieles im Argen. Die Verschickung von Kindern in andere Bundesländer und ins Ausland durch die Jugendamtsbehörden kritisiert er vehement, da auf diese Weise wieder Orte entstehen, die kaum oder gar nicht kontrolliert werden.

Für die Betroffenen wünscht sich der Autor eine Bundeskommission, die als zentrale Anlaufstelle tätig werden sollte. Es sollte eine staatliche Untersuchungskommission geben und auch den Kindern der Bundesheime Entschädigung zuerkannt werden. Die Entschädigungen seien generell viel zu niedrig und sollten einheitlich einen bestimmten Satz pro im Heim verbrachten Tag umfassen.

Die zu Zwangsarbeiten eingeteilten Heimkinder sollten für diese Zeit Pensionsversicherungsanspruch erhalten. Entscheidend sei auch, dass die Verjährungsfristen für körperliche und psychische Gewalt an Kindern angehoben werden. Denn bis heute sei kein einziges Verfahren abgeschlossen worden, alle wurden mit Hinweis auf die Verjährung eingestellt. Die grausame Praxis, Entschädigungszahlungen mit anderen Sozialleistungen, wie beispielsweise der Mindestsicherung, gegenzurechnen und solcherart den Betroffenen wieder wegzunehmen, sollte ebenfalls eingestellt werden.

Optimistisch stimmt den Autor die Stärke und Bereitschaft der Betroffenen, über ihr Leiden zu sprechen, und dass solcherart „immer etwas nachkommt“. Nach jeder Welle der Enthüllungen folgte bislang eine neue. Es bleibt zu hoffen, dass es nie wieder passiert, dass Orte entstehen, an denen Kinder und Jugendliche ohne jede Kontrolle der Grausamkeit und Willkür ihrer Peiniger ausgesetzt sind.

Das Buch „Tatort Kinderheim – Ein Untersuchungsbericht“ ist im Deuticke Verlag erschienen

 

Erziehungsheim-Wimmersdorf

Wenn wir schweigen und unser erlebtes in der Folterstätte Wimmersdorf nicht an die nächsten Generationen weitergeben, machen wir uns mitschuldig. Ich berichte hier über das Heim selbst, das von der Familie Stellbogen und ihren Handlangern mit Brutalität-, Folter-Zwangsarbeit-Ausbildung für die Hitlerjugend mit Zugängen von Opfern am Spiegelgrund, Küst usw. betrieben wurde. Den Geschädigten wird der Zugang zum Recht durch Nichteinhaltung des absoluten Folterverbots verwehrt.

1924

wurde das Heim unter dem Titel „Kinderheim“ von Dir. Alfred und seiner Gattin Margarete Stellbogen übernommen. Die sanitätsbehördliche Bewilligung zur Führung bzw zum Betriebe eines Kinderheimes im Hause Wimmersdorf Nr 27 wurde von der NÖ Landesregierung am 23. 3. 1925, Z.VI-255/3 erteilt.

1926

kauft  Fam. Stellbogen das erste Auto im Ort

7.Juni schloss Herr Alfred Stellbogen, Besitzer des Kinderheimes in Wimmersdorf, mit Frl. Lehrerin Grete Biedermann den Bund der Ehe. Die Trauung fand in Zwettl, dem Heimatsorte der Braut statt.

1931

(Wienerwald Bote) Tödlicher Unfall, Am 10 Oktober wurde der Zögling des Kinderheimes Wimmersdorf, Franz Charbusky, in der im Erdgeschoss des Anstaltsgebäudes befindlichen Kohlenabteilung tot aufgefunden. Da die Leiche Verletzungen aufwies, und der Totenbeschauer die Möglichkeit eines fremden Verschuldens nicht ausschloss, wurde das Bezirksgericht in Neulengbach verständigt und die Leichenöffnung veranlasst. Die Erhebungen ergaben, daß Charbusky offenbar eine im Kohlenkeller befindliche Bretterwand erstiegen hatte und von dieser auf eine zweitem niedrigere Bretterwand gestürzt war und sich hierbei die Verletzungen zugezogen hatte. Hierbei war eine Ader geplatzt, und der Tod infolge Blutergusses in die Lunge eingetreten.

1938 

(Wienerwald Bote) Am Sonntag, dem 19. Dezember gab es im Kinderheim eine öffentliche Weihnachtsfeier. Zu Beginn spielte das Heimorchester Weihnachtsstücke. Nach der Begrüßung durch den Weihnachtsmann brachten die kleinen Spieler ein Weihnachtsmärchen im wahrsten Sinne des Wortes, da man die verschiedensten Märchengestalten, wie Rotkäppchen, Dornröschen, Frau Holle, Aschenbrödel, Froschkönig und andere sehen konnten. Elfen brachten mit ihrer Königin mehrere allerliebste Reigen, Krippenlieder wurden gesungen, alte Weihnachtslieder konnte man hören und zwar in verschiedenen Ausführungen (Einzelstimmen, zweistimmig, Chöre).

Frau Direktor Stellbogen erntete mit dem „Stella Maria“ (von ihren Eltern mit Klavier und Violine begleitet) reichen Beifall. Der Zuschauerraum war bis zum letzten Plätzchen besetzt. Die Ausstattung war sehr schön, die Mühe wurde durch den zahlreichen Besuch und großen Applaus belohnt. Der Reinertrag wird der Winterhilfe zugeführt.

Die private Erziehungsanstalt in Wimmersdorf bei Neulengbach stand unter der Leitung von Schuldirektor Stellbogen. Die Anstalt hatte Platz für etwa 80 Kinder, die in zeitgenössischen Quellen wie folgt beschrieben wurden: „noch erziehbare Knaben, die von der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien eingewiesen werden. Nicht mehr behandlungsfähige Fälle von Geisteskrankheit sowie Idiotie befinden sich in der Anstalt.“

Ich bin Herbert David, geboren in Wien Favoriten, Quellenstraße und bin in der Laimäckergasse zur Schule gegangen und abgesehen davon, dass meine Mutter gestorben ist, wie ich eineinhalbJahre war und zu Pflegeeltern aufs Land kam. Und mit sechs Jahren nachher wieder nach Wien, um in die Schule zu gehen. …mit acht [Jahren] ungefähr wurde ich aus dem Heim [zu Hause] wo ich groß geworden bin aus der Quellenstraße rausgezogen und in ein Erziehungsheim gesteckt, was man heute oder damals Wimmersdorf nannte. Da war ich zweieinhalb Jahre. Die Ereignisse von dem Heim zur Zeit waren ja… Damals wenn man es nicht anders weiß, lebt man sich ein und man nimmt das wie’s kommt. Aber wenn man später drüber nachdenkt, was die Quälerei war, war alles nur nicht angebracht. Zum Beispiel, wenn man am Abend Schlafstunde um acht Uhr war oder neun und man hat die Augen aufgehabt, wurde man zur Kanzlei oder zur Erzieherin vor ihr Zimmer gestellt und zwanzig mit der Haselnussrute über die Fußsohlen oder über die Fingerspitzen. Nicht nur einmal, hunderte mal. Oder, dass, wenn man irgend etwas nicht richtig gemacht hat, dass man hundert mal schreiben musste. Papier und Bleistift wurde einem nicht gegeben. Da hast das Toilettenpapier abgerissen und musstest schreiben. Ob die Toilette überschwemmt war oder nicht… war uninteressant für die… In der Früh musstest es abbringen [abgeben], herzeigen.

Das sind Sachen, die du natürlich schwer verkraften kannst. Oder wenn du im Sommer in den Ferien oben, an der oberen… Da mussten wir hochlaufen, wo die Pritschen waren, zum Hinlegen und du bist eingeschlafen und hast dich umgedreht, haben sie dich aufgeweckt und du musstest tausend Liegestützen machen oder Kniebeugen mit dem Besen in der Hand am Rücken u. s. w….

Oder wenn du irgendwie den Kopf gedreht hast, beim Essen und hast nach links oder rechts geschaut, wurdest sofort hinter die Tafel gestellt und hast kein Essen kriegt. Wenn du groß wirst damit, dann akzeptierst du das, aber wennst du nachher drüber nachdenkst…
Heut‘ zu Tag, wenn einer so was macht, den stecken’s ins Zuchthaus.

Damals war das Gang und Gäbe. Da war ja kein Richter.

Ich war acht Jahre alt. 1940, 1941, 1942 muss das gewesen sein.

43, 44 war ich in die Schrebergarten, oben auf der Grenzackergasse und da habe ich die ganze Zeit oben gewohnt. Da bin ich nachher fast gar nicht mehr zurück in die Quellenstraße gekommen. Mit vierzehn habe ich angefangen zum Lernen [Lehre] und mit fünfzehn war ich dann wiederum in einem Lehrlingsheim vom Staat, weil ich mehr oder weniger rausgeschmissen wurde von meiner Großmutter und meiner Tante. Ich war in Döbling, im Lehrlingsheim. Gelernt habe ich Schilder- und Schriftenmaler in der Bräuhausgasse in Margareten.

Die Quälerei [in Wimmersdorf] ging ja andauernd. In zweieinhalb Jahren haben sie dich mindestens zwanzig, dreißig mal geschlagen. Auf die Hände, dass du am nächsten Tag nicht schreiben kannst u.s.w…., auf Fußsohlen. Im Sommer musstest du ohne Schuhe über die Stoppelfelder laufen, da habe ich heute noch eine verkrüppelte Zehe, weil die hat nie geheilt, ist immer eitrig gewesen. Du hast dort die schwarze Klothose an und die wurde zugebunden und wenn du nicht drei Säcke voll mit Tannenzapfen gesammelt hast, entweder hast kein
Essen kriegt oder wurdest hinter die Tafel gestellt, wurdest immer gebranntmarkt. Also du wurdest immer irgendwie gezeichnet, dass du ein
Außenseiter warst oder nicht die Bedingungen vollfüllt [erfüllt] hast u. s. w. Politisch kann ich mich nicht erinnern, dass wir irgendwie… Wir haben Soldatenspiele gemacht, was natürlich für… in dem Alter als Jugendliche irgendwie interessant war… Du gehst durch die Kartoffelfelder und anschleichen und lauter so Sachen… Das macht Spa?. Warum? Weil du im Freien bist. Alles immer unter Anleitung. Freiwillig wurde nichts gemacht. Waffenübungen gab es keine, absolut nicht. In dem Zeitraum, in dem ich in Wimmersdorf war, waren alle zwischen sechs und vierzehn Jahre, keine älteren und keine jüngeren. Wir wurden immer unter Gruppe geführt. Die Gruppen untereinander hatten keinen Kontakt untereinander. Wenn du im Bett liegst und der geht da durch, irgend einer, der bestimmt worden ist…

Von der Decken haben sie [die Kinder] den Verziehrungsfaden abgetrennt und dann haben sie einen Knoten, einen Knopf gemacht und das war unser Spielzeug. Mit dem Kopf so hin und her ziehen… Wenn der [der Aufpasser] das gehört hat… Aha, da spielt einer: Geh stell dich hin!

Da hast schon wieder zwanzig über die Hände gekriegt. Oder wenn du nicht die Augen zugehabt hast… Ich kann mich nicht mehr so ganz genau erinnern… Aber das sind so Sachen, die eben hängen geblieben sind, warum, weil die ja brutal waren. Es war alles irgendwie unter Druck. Du konntest dich gar nicht richtig viel unterhalten über… Dass du eine Freizeit hattest… Dass du in den Sommerferien in den Wald gehen konntest und spielen oder was… Das war alles irgendwie immer… Da hab ich die Tannenzapfen genommen und [Baum]rinde gefeilt. Da konntest du Boote machen oder irgendwas anderes machen… Da hast du rumgespielt. Das war unser einziges Spielzeug.

Sonst hast du nichts gehabt, war ja nichts da. War alles immer unter einen gewissen… Druck. Ich war ein eher schwächeres Kind.

[Keine Erfahrung eines sexuellen Missbrauches, sowie keine sexuelle Berührungen] [Auch keine Wahrnehmungen sexueller Kontakte zwischen anderen Menschen]

Das Essen war… Keiner ist verhungert. Jeder hat das selbe gekriegt. Wenn du den Kopf gedreht hast, bist schon wieder hinter die Tafel, war schon wieder das Essen entzogen. Das war natürlich eine bittere Strafe, weil als Kind hast du erst einmal Hunger. Die Schule war im Haus, im Erdgeschoss. Die Wohnungen waren oben, die Schule war unten. Wir waren immer die selben Gruppen. Wir waren ungefähr dreißig Kinder, die waren immer zwei Tische. [Insgesamt gab es vier Gruppen]

Im ganzen Heim waren damals 140, 150 Stück [Kinder].

Im großen Speisesaal waren vorne die jüngsten und hinten die älteren Kinder. Wie ich mir den Stoppel in die Zehe eingerannt habe [in den Stoppelfeldern], gleich vom Anfang an, da ist meine große Zehe am rechten Fuß eitrig geworden und ich konnte fast für ein halbes Jahr oder ein Jahr fast in keinen Schuh rein. Ich musste rein, ob ich wollte oder nicht und dadurch ist er jetzt noch immer verkrüppelt. Nicht die Zehe, aber der Zehennagel. Es ist kein Nagel, es ist Hornhaut geworden. Du musst rein!… Da gab´s nichts anderes. Es wurde nicht gesagt, wie man über Stoppelfelder laufen soll. Du sollst ja nicht [drüber] laufen, du sollst sie entlangstreichen und umbiegen. Und dadurch ist das passiert. Später lernst du es… Und es war üblich, im Sommer jeden Tag durch die Stoppelfelder bis zum Wald laufen und Bockerln sammeln. Darum haben sie ja die Heizung dafür gehabt, im Winter. Ich war nie krank, außer das mit dem Fuß. Nie, dass ich irgendwie ärztlich untersucht wurde, nein.
Es gab drei Erzieherinnen in dem Stock, wo ich geschlafen habe und drei Lehrerinnen. Ob die Erzieherinnen auch Lehrerinnen waren, kann ich mich nicht erinnern…

Der Direktor Stellbogen war ein großer Mann [mit Stirnglatze und streng anliegenden Haaren] und ging immer leicht vorgebeugt und hat einen langen Mantel angehabt. Ich würde ihn erkennen.

Er hatte zu uns selten Kontakt. [Er hatte nie persönlich Hand an uns gelegt. Nur die Erzieherinnen führten Erziehungsmaßnahmen durch]

Wo ich mich erinnern kann, wenn wir vor den Zimmerl [der Erzieherinnen] standen, was ja nur eine Holzverkleidung war, kann ich mich erinnern, dass ab und zu größere Jungs rauskamen oder reingingen, in der Zeit, wo ich… Manches mal musstest du eine halbe Stunde warten und stehen, bevor sie kamen: Was hast gemacht? Ah, so , die Augen offen gehabt… Bum, bum, bum, bum und dann durftest du wieder schlafen gehen, weinend.

Heute würde ich sagen, ja [, dass ich hauptsächlich Gewalt erlebt habe.] Damals musstest du das akzeptieren als Teil des Lebens.

Ich war zweieinhalb Jahre dort [in Wimmersdorf] und dann wurde ich besucht von einer meiner Tanten und dann, war das vielleicht Mitleid oder die Schulung oder – ich habe keine Ahnung warum – und die haben mich dann rausgeholt wieder und dann bin ich in die Quellenstraße [Quellenstraße 24A, ein Gemeindebau – der A-Bau, genau neben dem Wasserreservoir zwischen Absperggasse und Laimäckergasse] gekommen für eine Weile.

Und wie ich dann bissel älter war, dann war ich wieder im Schrebergarten auf der Grenzackergasse.

Ich war insgesamt neun Jahre in Heimen, davon zweieinhalb Jahre in Wimmersdorf.

Ich bin am 24. Juli 1932 geboren und eineinhalb Jahre später ist meine Mutter verstorben – Vater unbekannt – und dann wurde ich bis sechs Jahren zu Pflegeeltern irgendwo aufs Land verschickt. Wo das war, kann ich mich nicht mehr erinnern, wurde mir auch nie erzählt. Und dann, wie gesagt, war ich zu Hause in Wien auf der Quellenstraße und mit achteinhalb, neun war ich im Kinderheim für zweieinhalb Jahre, in Wimmersdorf. Dann bin ich wieder rausgekommen, war ich wieder auf der Quellenstraße. Dann mit vierzehn habe ich
angefangen zum Lernen als Schilder- und Schriftenmaler. Und mit fünfzehn bin ich dann in ein Lehrlingsheim gekommen, in Döbling. Dann habe ich gelebt bis siebzehn, bis fast achtzehn im Lehrlingsheim. Dann habe ich auf der Grenzackerstraße gewohnt, bis ich zwanzig war. Und von zwanzig bin ich nach Tirol, dort habe ich gearbeitet und gelebt. Und mit dreiundzwanzig bin ich nach Kanada ausgewandert und seitdem lebe ich in Kanada.
[Zusätzliche Bemerkungen zum Kinderheim Wimmersdorf:]
Die militärische Organisation hat die Masse in Schach gehalten. Ich kann mich erinnern, wo wir das Bett machen haben müssen. Das wurde eingeschlagen. Unten unterfalten und dann die Decke mit dem Leintuch und umfalten…

Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in der Zeitspanne, wo ich dort war, irgendwie politisch beeinflusst wurden. Mit neun Jahren war ich zu jung, um das zu analysieren, was sich hinter der Bühne abgespielt hat, was der Nationalsozialismus war. Wir haben Schule gehabt: Rechnen, Schreiben, Lesen u. s. w. gelehrt. Aber politisch war da nicht die Rede. 1941 war ja auch erst der Anfang. Vielleicht war das nachher bissl strenger, bissl stärker… Hitlergruß war üblich. Apelle hat es gegeben, aber daran kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. An einen Jungen kann ich mich genau erinnern. Er war immer bevorzugt. Er durfte alles machen. Hingehen und hergehen. Er war
ungefähr meines Alters und hat einen runden Kopf und schneeweißes Haar gehabt. Außergewöhnlich erkennbar. Der hat irgendwie Beziehungen gehabt oder einen Vorteil. In welcher Art, ist mir unbekannt. Ich weiß nicht, wie er geheißen hat…

„Es gab keinen Tag, an dem wir nicht Prügel und Missbrauch aller Art erleben mussten“, das sagen Ex-Zöglinge des Niederösterreichischen Kinderheims Wimmersdorf.

Damit sprechen sie für Tausende Betroffene in ganz Österreich.Jahrzehntelang quälten Erzieherinnen und Erzieher systematisch Heimkinder. Doch die Verantwortlichen vertuschten die oft sadistische Gewalt und kein einziger Täter ist je vor Gericht bestraft worden.
Immer mehr Opfer brechen das Schweigen und hoffen, dass ihnen die Menschen nun endlich glauben.

Heim St. Martin in Schwaz

In der früheren Erziehungsanstalt St. Martin in Schwaz in Tirol sollen Mädchen zwangsweise für das Bundesheer gearbeitet haben. Auch Vorwürfe sexueller Gewalt durch Soldaten wurden laut.

Bis in die 1990er-Jahre mussten Jugendliche in Heimen unbezahlte Arbeit leisten. Heimleitungen bezeichneten die Zwangsarbeit als pädagogische Maßnahme oder Arbeitstherapie. Damit umgingen sie auftraggebende Firmen, Institutionen und Private, die Sozialversicherungspflicht. Wie damals sehen die Betroffenen auch heute keinen Groschen für diese Arbeit, denn sie haben für die Zeit der Heimarbeit keinen Pensionsanspruch.

Die „legale Umgehung der Sozialversicherungspflicht“ durch private und staatliche Unternehmen (Kasernen, Krankenhäuser) hat der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber bereits 2010 in seinem Buch „Im Namen der Ordnung“ beschrieben und im Interview mit dem Standard wiederholt. Firmen wie Darbo, Swarovski oder Eglo bekannten sich erst durch jüngste Berichte Betroffener zur früheren Praxis, leisten teilweise Entschädigungen. Oberösterreich übernimmt Pensionsbeiträge, nicht so der Bund.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer sieht dazu keine Verpflichtung. Nur neue Ungerechtigkeiten würden geschaffen, weil ja einige Betroffene bereits aus Entschädigungszahlungen (der Länder) Pensionszeiten gekauft hätten. Diesen Menschen gegenüber wäre es ungerecht, würde der Bund nun für andere die Pensionsbeiträge übernehmen, sagte Hundstorfer.

Historiker Schreiber, selbst als Mitglied der Opferschutzkommission Innsbruck immer wieder mit Schicksalen von Betroffenen konfrontiert, kann dieser Argumentation nichts abgewinnen: „Ungerecht ist, dass der Bund als Gesetzgeber über Jahrzehnte Zwangsarbeit und die Umgehung der Sozialversicherungspflicht ermöglicht hat.“ Der Bund habe ja die Rahmenbedingungen für die Heime geschaffen. Schreiber: „Wenn man selbst die Gesetze macht, kann man sich nicht aus der Verantwortung nehmen.“

Arbeitnehmersprecher Sigisbert Dolinschek: „Bei diesem Abgabenbetrug und Diebstahl von Pensionszeiten darf ein Sozialminister nicht tatenlos zusehen.“ Wer durch Zwangsarbeit Vorteile genossen habe, müsse die fälligen Sozialabgaben nachzahlen.

Bund mauert

Betroffene stoßen bei der Bundesregierung immer wieder auf Mauern. Wie der Steirer Wolfgang Hoffmann, der seine Erfahrung in Bundesheimen in seinem Buch Internatsgeschichten beschrieben hat. Bei seinen Entschädigungsforderungen wurde er mit Unzuständigkeiten konfrontiert, die Finanzprokuratur argumentierte mit Verjährung. Wer von den involvierten Ministerien (Unterricht, Justiz, Landwirtschaft) wirklich zuständig ist, ist unklar.

Der Bund müsse endlich handeln, fordert Horst Schreiber. Entschädigungsforderungen für Bundeserziehungsanstalten würden immer noch nicht anerkannt. In Wiener Neudorf oder Kaiser-Ebersdorf hätten brutalste Zustände geherrscht. „Diese Heime waren für Jugendliche die absolute Endstation.“

Die Opfer, viele davon wegen ihrer Kindheitstraumata in Früh- oder Invaliditätspension, seien mit Kompetenzwirrwarr konfrontiert. „Die Leute wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Wohin soll denn einer aus Vorarlberg gehen, der in einem Tiroler Heim war?“ In manchen Ländern, Schreiber nennt Tirol als Beispiel, herrsche zudem „Kommissionitis“. Zum Thema Zwangsarbeit wurde neben den bestehenden Gremien eine weitere Kommission geschaffen. Schreiber: „Weiterer Wirrwarr ist damit programmiert.“ Es sei an der Zeit, dass der Bund gemeinsam mit den zuständigen Landespolitikern eine einheitliche Vorgangsweise zu Entschädigungszahlungen und zur Informationspolitik entwickle. Schreiber: „Die Koordination soll der Bund übernehmen.“

An der Wiener Uni-Klinik für Psychiatrie sollen in den 1960er-Jahren Versuche mit Malariaerregern durchgeführt worden sein, berichtet ein Betroffener. Die Klinikleitung zeigt sich bestürzt; die Akten aus der Zeit gelten als verloren

Wilhelm J., einst Heimkind in Wien, bringt schwere Vorwürfe gegen die Uni-Klinik für Psychiatrie vor: 1964 sei er dort bewusst mit dem Malaria-Erreger infiziert worden, berichtete der heute 63-Jährige im Ö1-Morgenjournal. Damals wurde bei dem Jugendlichen eine „Psychopathie“ diagnostiziert, er befand sich nachweislich einen Monat lang zur Behandlung in der Uni-Klinik.

Einem Erkrankten sei Blut abgenommen worden und ihm in den Muskel gespritzt worden. Andernfalls würde er auf die geschlossene Abteilung in ein Gitterbett kommen, habe man ihm gedroht. „Eine Ärztin hat mir gesagt, das ist eine Malaria-Kur, wir machen da Versuche“, sagte J. auf Ö1. Die Folgen: mehrere Wochen bis zu 42 Grad Fieber, die Fieberschübe und Schweißausbrüche dauern bis heute an.

Verbrechen

Tatsächlich wurde seit dem Ersten Weltkrieg mit Malaria-Erregern experimentiert, 1927 erhielt der Österreicher Julius Wagner-Jauregg für das Therapieverfahren den Nobelpreis für Medizin. Wagner-Jauregg entwickelte die Malaria-Therapie zur erfolgreichen Behandlung von Syphilis im Endstadium. Bis in die 1960er-Jahre wurde die Methode weiterhin praktiziert und auf andere Erkrankungen angewandt. Erst in dieser Zeit kamen erstmals Psychopharmaka zum Einsatz.

Die bewusste Malaria-Infektion von Heimkindern sei ein Verbrechen, sagt Siegfried Kasper von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie. „Wir haben sofort reagiert und ein Krisenteam eingerichtet, falls sich weitere Betroffene bei uns melden.“ Die Malaria-Therapie sei Mitte der 1960er-Jahre, also zu dem Zeitpunkt, als J. infiziert worden sein soll, bereits nicht mehr „Stand der Wissenschaft“ gewesen, meint Kasper. Sein Vorgänger Bernd Küfferle soll sich jedenfalls laut Medienberichten noch an derartige Therapien in Wien erinnern können. Der Akt selbst gilt als verloren, lediglich aus der „heiklen Nazi-Zeit“ seien relativ vollständige Aufzeichnungen an der Klinik vorhanden.

Finanzielle Entschädigung

J. hat sich an die Opferschutzorganisation Weißer Ring gewandt, um finanzielle Entschädigung einzufordern. Weil seine „Heimkarriere“ lückenlos dokumentiert ist, sei die Institution die richtige Stelle, meint Geschäftsführerin Marianne Gammer im STANDARD-Gespräch. Medizinische Behandlung als Erziehungsmaßnahme von Heimkindern sei eine große Seltenheit: Es gebe vielleicht ein bis zwei Fälle, in denen Beschwerden eingereicht wurden, allerdings keine im Zusammenhang mit einer Malaria-Therapie. „Meist wurden Krankheiten in Heimen nicht sofort behandelt oder kein Arzt hinzugezogen“, schildert Gammer die Fälle.

Was neben der Malaria-Therapie ebenso zur Behandlung bei psychischen Erkrankungen kam, war der Einsatz von „Elektrokrampftherapie“. „Selbstverständlich auch bei uns“, sagt Kasper. Auch heute noch sei das eine wirksame Methode gegen Depressionen und Schizophrenie.

In jüngster Zeit wurde Malaria-Therapie – trotz heftiger Nebenwirkungen und dokumentierter Langzeitschäden – zur Behandlung von Borreliose und HIV vorgeschlagen. 2003 veröffentlichte ein Forscherteam im chinesischen Guangzhou Ergebnisse einer Pilotstudie. Wegen Verstoßes gegen die Regeln für medizinische Versuche wird gegen beteiligte US-Forscher ermittelt.

J. soll später keinerlei psychiatrische Behandlung mehr gebraucht haben. Die Fieberschübe begleiteten ihn jedoch ein Leben lang.

Revolte in der Erziehungsanstalt

Zurichtung der Jugend: Die harte Tour ist schon einmal gescheitert

Am 19. November 1952 rebellierten 400 Jugendliche in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in Kaiser-Ebersdorf gegen die unmenschlichen Zustände in dieser Verwahranstalt für nicht angepasste Kinder und Jugendliche. Sie setzten damit ein Zeichen und gaben den Anstoß für den Beginn eines sehr mühsamen Reformprozesses im Jugendstrafrecht. Der Beginn der Bewährungshilfe ist eng mit diesem einzigartigen Ereignis der Nachkriegsjahre verbunden.

Wenn heute wieder Disziplin und Härte im Umgang mit jugendlichen Rechtsbrechern gefordert wird und geschlossene Anstalten und Jugendknäste als probate Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität empfohlen werden, dann wird es wieder Zeit daran zu erinnern, wohin eine solche (einmal schon gescheiterte) Politik geführt hat.
Die heutige Justizvollzugsanstalt Simmering in Kaiser-Ebersdorf hat eine lange Geschichte als totale Institution. 1745 stiftete Maria Theresia Burg und Schloss Kaiserebersdorf an eine Almosenkassa, um ein Armen- und Arbeitshaus zu errichten, damit dort 400 bis 500 in Wien eingesammelte falsche Bettler und Müßiggänger zur Arbeit erzogen werden konnten.
1929 errichtete dann die Republik eine Erziehungsanstalt für straffällige Jugendliche, die von 1938 bis 1945 von den Nazis zum Jugendschutzlager für kriminelle und asoziale Jugendliche umgewandelt wurde. Das Aufsichtspersonal wurde nach 1945 fast vollständig von der Republik in die Justizwache übernommen, um in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige ihre erzieherische Tätigkeit weiter fortsetzen zu dürfen.

Ihr Verbrechen: Herkunft aus desolater Familie

Im November 1952 waren dort ca. 400 Kinder und Jugendliche untergebracht.
Davon waren dreißig Kinder unter 14 Jahren, deren einzige Schuld war, dass sie aus desolaten Familienverhältnissen kamen und ständig aus den Fürsorgeheimen entwichen. 22 Prozent der Zöglinge hatten überhaupt keine Vorstrafe und weitere 30 Prozent waren Ersttäter mit nur einer Vorstrafe. Die Kinder und Jugendlichen kamen aus ganz Österreich und wurden über richterliche Entscheidung in diese geschlossene Anstalt eingewiesen.
Die Jugendlichen waren in 9 Gruppen zusammengefasst. Eine Gruppe umfasste 30 Kinder, die von einem Gruppenordner, meist dem Stärksten oder Ältesten angeführt wurde. Es gab Schüler-, Lehrlings- und Strafgruppen. Nach mindestens einem Jahr konnten sie auf Probe nach richterlicher Entscheidung entlassen werden. Straftäter konnten auch noch nach Verbüßung ihrer Strafe bis zur Vollendung ihres 20. Lebensjahres angehalten werden.
Bei Wohlverhalten wurde einmal im Monat sonntags Ausgang gewährt. 14-tägig durften die Angehörigen die Kinder besuchen und alle 14 Tage durften sie Briefe schreiben. Die Anstaltskleidung bestand aus blauen Jacken, grauen Hosen und groben Schuhen, sonntags zum Ausgang wurden die Jugendlichen in gelbe Anzüge gesteckt.

1000 Kniebeugen für 1 Schachtel Tschik

Jeden Tag mussten die Jugendlichen zweimal zum Appell antreten, und nach Dutzenden Liegestützen (Frühsport) wurden sie in die Werkstätten (Korbflechterei, Buchbinderei, Schuhmacherei etc.) zur Arbeit geführt, bei der es zum Teil ein Schweigegebot gab.
Die Entlohnung für die Arbeit betrug 10 Schilling (70 Cent) im Monat, wovon die Hälfte als Rücklage einbehalten wurde.
Der Erziehungsstil beruhte auf einem ausgeklügelten Kaposystem, die älteren hatten Befehlsgewalt über die Jüngeren. Züchtigungen und Gewalt der Kapos gegen die Jüngeren und Schwächeren wurden toleriert. Sexueller Missbrauch Jüngerer durch die Älteren kam häufig vor. Wohlverhalten, Gehorsam, Anpassung wurden durch Zwang, militärischen Drill, Gewalt, Hierarchie und willkürliche Gewährung oder Entzug von Vergünstigungen erzwungen.
So wurden 1000 Kniebeugen mit einer Schachtel Zigaretten belohnt, 100 Meter Häschenhüpfen brachte 1 Zigarette Belohnung.
Entweichungen standen daher auf der Tagesordnung. Nachdem sie eingefangen und zurückgebracht waren, wurden die Jugendlichen sofort für eine Woche, in Einzelfällen 14 Tage, in eine dunkle, nur mit einem Strohsack ausgestattete Zelle gesteckt und ihnen anschließend eine Glatze geschoren. Nach Rückkehr in ihre Gruppe bekamen sie meist die Decke und wurden von den anderen verprügelt, da jede Entweichung auch die Bestrafung der Gruppe nach sich zog, die sich wieder am Verursacher der Bestrafung rächte.
Wer waren nun diese Kinder und Jugendlichen? Die meisten Familien, aus denen sie kamen, waren unvollständig: Vater gefallen, Mutter alleinerziehend, überfordert. Viele waren Waisen mit langen Heimkarrieren; viele wurden von den Stiefvätern misshandelt und geschlagen und waren nur aus diesem Grund in Kaiser-Ebersdorf. Es gab sexuell missbrauchte Kinder darunter und Kinder von Naziopfern. Alle kamen aus bitterarmen Verhältnissen.
Die RichterInnen, ErzieherInnen, FürsorgerInnen, Psychologinnen beschrieben sie als: haltlos, berechnend, unehrlich, unaufrichtig, unzuverlässig, unbeherrscht, muffig, grenzdebil, kindisch, quecksilbrig, stumpf, brütend, wortkarg, widerspenstig, misstrauisch, hemmungslos, verdeckt, unlenkbar, triebgebunden, verantwortungslos, mürrisch, verschlossen, phlegmatisch, hinterhältig, renitent, gewalttätig, freudlos, faul, reizbar, ungesellig, streitsüchtig, schlampig, vorlaut, frech, primitiv, sittlich verkommen, triebhaft, tiefgehend verwahrlost. Ihnen wurde ihre Schlurfhaltung und ihr Schlurfleben vorgeworfen, ihr zweifelhafter Kontakt zu Mädchen und ihre Triebhaftigkeit (alle Zuschreibungen sind Zitate aus den Führungsakten, Erhebungs- und Gerichtsberichten). Nichts, rein gar nichts Positives wurde in den jungen Menschen gesehen.

Der Ausbruch der Revolte

Nach einem gemeinsamen Fluchtversuch, der sie bis nach Italien führte, sollten drei Freunde getrennt und auf verschiedene Gruppen aufgeteilt werden. An diesem 12. November weigerten sich die Drei, mit noch zwei anderen Jugendlichen zur Arbeit auszurücken, und verbarrikadierten mit Bettgestellen, Brettern und Nachtkasteln ihre Zelle. Anstaltsleiter Soukup reagierte mit Gelassenheit: Die werden schön aufhören, wenn’s Hunger und Durst haben. Also geschah einmal gar nichts, außer dass sich die Rebellion schnell unter den anderen Jugendlichen herumsprach. An ihrem Zellenfenster sitzend wurden die Fünf aufgemuntert durchzuhalten und mit Brot versorgt, das an den herabgelassenen Schnüren hinaufgependelt wurde.
Der Tag verging, der Tagdienst der Justizwache verließ die Anstalt. Die Jugendlichen saßen immer noch in ihrer verbarrikadierten Zelle und begannen das Zellengitter mit Brettern und Decken aus der Verankerung herauszureißen.
Ein erster Versuch der Zellenräumung scheiterte. In dem Gedränge und Gezerre, die Barrikade zu beseitigen und die Jugendlichen herauszuholen, wurde auch ein Strohsack angezündet, der aber nicht Feuer fing. Übereinstimmend wird von den Jugendlichen berichtet (auch später in den Gerichtsakten festgehalten), dass nach dieser missglückten Räumung ein wahrscheinlich sturzbetrunkener Justizwachebeamter mit seiner Dienstpistole vor der Zelle erschien und schrie: Ich wird euch alle in den Schädel schießen. Er feuerte dann auch mehrmals in die Zelle und zerschoss die Lampen. Mörder, Hilfe, sie schießen auf uns, schrieen sie zurück.
Dann wurde geräumt. Bei dem damit verbundenen Handgemenge wurde einem Justizwachbeamten mit einem Messer in den Arm gestochen. Die Fünf wurden aus der Zelle geprügelt und sofort abgesondert und in Korrektionszellen gesperrt. Sie erlebten den eigentlichen Aufstand dann gar nicht mehr mit.
Die Schüsse waren das Signal, das die Anstalt buchstäblich explodieren ließ.
Ein Pistolenschuss, ein Aufschrei, Hilferufe und dumpfe Schläge ertönten. Das Gebäude bebte. Mit einem Aufschrei warf ich mich gegen die Zellentür. Einmal, zweimal, dreimal. Endlich gab sie nach und ich stürzte in den sogenannten Tagraum der Strafgruppe. Es gab also nicht viel zum Zertrümmern, doch die wenigen Möbelstücke, die ich erreichte, demolierte ich mit Genuss und Freude. Mit jedem Stück, das ich unter meinen Händen zerbrach, ließ ich meinen unbändigen Hass gegen die Ausbeuter, Sadisten und Tyrannen, wie wir die Erzieher betitelten, freien Lauf, so schildert Heinz Karasek, der dabei war, in seinem Buch „Der Ganove“ den Ausbruch der Revolte.

Die Niederschlagung der Revolte

In allen Gruppen im Uhrtrakt randalierten die Jugendlichen, schrieen, pfiffen, johlten und zerlegten das Mobiliar. Sie rissen Türen, Heizkörper und Waschbecken aus den Verankerungen, rüttelten an den Gittern, schlugen die Scheiben zu Bruch, durchbrachen Mauern, bewarfen die Erzieher mit allem, was ihnen in die Hände fiel, zündeten die Strohsäcke an, doch Ausbruchsversuche gab es nicht. Das Licht fiel aus, die Anstalt lag im Dunkeln.
Um 21.30 Uhr wurden von der Anstaltsleitung Feuerwehr, Rettung und das Überfallkommando zu Hilfe gerufen.
Die ersten 16 Mann des Überfallskommandos wurden mit Pfiffen und einem Hagel an Wurfgeschossen empfangen und mussten sich zurückziehen. Sie warteten, bis die 140 Polizeischüler von der Rossauerkaserne kamen. Mit Stahlhelm und gezogenem Gummiknüppel stürmten die achtzehnjährigen Polizeischüler die Stockwerke und schlugen auf die Jugendlichen ein. Einzeln mussten die Jugendlichen durch ein Spalier von Polizisten, die sie in den Hof hinaus prügelten. Dort wurden 90 Jugendliche abgesondert und in Grüne Heinrichs verfrachtet, die sie zu den verschiedenen Gefangenenhäusern brachten, wo sie in Untersuchungshaft genommen wurden. Viele waren verletzt, einige schwer. Der Aufstand war niedergeschlagen. Von den Jugendlichen wurden keine Forderungen gestellt, es war eine lange aufgestaute Eskalation von Wut und Ohnmacht. Der Gesamtschaden betrug 34 300 Schilling.
Die fünf Rädelsführer blieben in Untersuchungshaft und wurden vom Jugendgerichtshof wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit zu Bewährungsstrafen zwischen drei und sechs Monaten strengen Arrests verurteilt.
Als Zeugen waren nur Justizwachebeamte geladen. Die restlichen Jugendlichen wurden aus der U-Haft entlassen und ohne Anklage wieder der Verfügungsgewalt des Anstaltsleiters überstellt.

Die Idee der Bewährungshilfe

Der Aufstand hatte zur Folge, dass das System in Frage gestellt war. Das Personal in Kaiser-Ebersdorf wurde ausgewechselt, Pädagogen und Psychologen eingestellt.
Trotz aller Reformbemühungen blieb Kaiser-Ebersdorf bis zur Schließung das, was es war, ein totale Institution.
Erfolgreicher waren die Bemühungen, verstärkt ambulante Hilfen für straffällige Jugendliche zu entwickeln, die die geschlossenen Anstalten ersetzen sollten. Die Idee der Bewährungshilfe kam aus dem Umfeld einiger fortschrittlicher Psychologen, die nach der Revolte in der Anstalt angestellt wurden.
Von den fünf Rädelsführern hatten alle noch lange Gefängniskarrieren vor sich, sie gingen ja in eine gute Schule des Verbrechens.

Literatur:
Karasek, Heinz (1982): Der Ganove, Verlag TIWO
Haselbacher, Brigitta (1991): Diplomarbeit Die Revolte in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige Kaiser-Ebersdorf im Jahre 1952
Volkstimme vom 25.November 1952
www.sandammeer.at/prosa/arbeitsbegriff und menschenrechte.htm

Hansjörg Schlechter 10/2007

Stellungnahmen zu dem Falter-Artikel von der Hp ‚heimkinder.at’

Die fünf „Rädelsführer“ blieben in Untersuchungshaft und wurden vom

Jugendgerichtshof wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit

zu Bewährungsstrafen zwischen drei und sechs Monaten strengen Arrests
verurteilt.

Als Zeugen waren nur Justizwachebeamte geladen. Die restlichen
Jugendlichen wurden aus der U-Haft entlassen und ohne Anklage wieder der
„Verfügungsgewalt“ des Anstaltsleiters überstellt.

Auswuchs

Die Kinder, die Gewalt und alle anderen „täglichen Nebenerscheinungen“ erlitten, kommen zur „Fürsorge“ ins Heim.
Was sich in den Heimen abspielt, nun, ich sage vom Regen in die Traufe.
Danach alles gelernt, was Kind fürs Leben braucht.
Die „Auswüchse“ der Erziehung landeten dann, na wie kann’s anders sein, vor einem gleichgesinnten Richter.
Die Fragestellung warum das alles passiert ist, ja die stellt sich bei einem Heimkind nicht vor Gericht.
Wenn Du Glück hast, gibt es eine halbwegs taugliche Verfahrenshilfe, deren Kommentar am Ende der Verhandlung ist;
Herr Rat, schauen’s wo er herkommt, a unglückliche Kindheit und so, ich bitte um ein mildes Urteil, Ende der Verteidigung.
Keine Frage, was hat Dich so gemacht?
Die Schuldumkehr ist die Folge, wir wissen es, doch wir tun nichts, also dann ist ja auch nichts passiert.
Diese Folgen stehen bei der Stadt Wien ja nicht mal zur Diskussion.
Natürlich, dass mehr als 80% der Kinder aus diesen Heimen straffällig geworden sind, liegt ja nicht an den Erziehungsmethoden, sondern an den Genen der Kinder, die haben eben alle das Verbrechergen.
Ich glaube aus der Geschichte des Staates Austria kenne ich das schon, nannte man es damals nicht Sippenhaftung?

oldpapa73 Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige Kaiserebersdorf. Will mich wieder einmal über obiges Thema beschäftigen!!

Ich weiß, dass alle in diesem Forum in ihren Jugendjahren sehr viel mitgemacht haben, aber da ich selbst dreieinhalb Jahre in Kaiserebersdorf, meiner Jugend „beraubt“ wurde, möchte ich einiges dazu beitragen, damit auch wir “ Kaiserebersdorfer“, nicht in Memoriam, sondern noch baldigst zu unserem Menschenrecht, der Wiedergutmachung durch den österreichischen Staat, dessen „Häscher“ (Erzieher) uns, in der Zeit der Anhaltung, sadistisch, großes Leid und viele Wunden zugefügt haben! Der „Weiße Ring“, welcher anscheinend als “ Feigenblatt“ vom Justizministerium, beauftragt wurde, einen Schutzschild gegen unsere Forderungen zu bilden, und uns so weit wie möglich zu drücken, um das beste Ergebnis für das Ministerium heraus zu holen! Anders ist es nicht möglich, wenn auf Druck von einigen Abgeordneten, am 2. Oktober 2012 im NR angefragt wird, wann endlich auch die ehemaligen Heimkinder in den Bundeserziehungsanstalten zur Wiedergutmachung antreten können, und welcher Betrag dafür vorgesehen ist, beziehungsweise vom Justizministerium bereit gestellt wird!? Frau Minister Karl, lies sich 3 Monate Zeit mit der Beantwortung dieser Anfrage und berichtete am 2. Dez. 2012, dass sie die „Riesensumme“ von € 317.000,- für höchstwahrscheinlich tausenden, massakrierten Heimkinder, sagen wir solche, die noch am Leben sind, und die in den Bundeserziehungsanstalten, zwischen 1945 und 1975 dahinvegetierten, denn von leben, konnte man da wirklich nicht sprechen, bereitstellen werde und „DER WEISSE RING“ mit der Verteilung beauftragt wurde!!!!! Nun stelle ich an allen Betroffenen die Frage!? Wie abgehoben oder dumm, oder sogar herzlos, muss eine “ Frau Minister“ sein, um so einen Betrag frei zu geben! Einige Beispiele gefällig!: Die Gemeinde Wien hat am 2. Mai 2012 im Gemeinderat, die Entschädigungszahlungen an ehemaligen Heimkindern, die in die Zuständigkeit der Gemeinde fallen, die Aufstockung der Entschädigungen auf € 17,1 Millionen beschlossen!!! NÖ hat ebenfalls Millionen freigegeben ! Alle Bundesländer und die Klassnic Kommission ebenfalls in Millionen-Höhe, u.s.w. Auch Frau Minister Fekter lies nach Weihnachten nicht lumpen und hat unter großer Aufmerksamkeit der vorher bestellten Printmedien und natürlich des ORF, Caritas, u.s.w. Wohltätigkeit geübt und € 1 Million, (natürlich nicht aus ihrer privaten Schatulle) vom Finanzministerium, zur baulichen Sanierung der „GRUFT“ gespendet, ( Oh wie edel!!!) Aber wie verhält sich nun der WR mit seinem Präsidenten Dr. Jesionek zum Angebot des Geldregens der Ministerin Karl an die ehemaligen „Erziehungsbedürftigen“, er akzeptiert stillschweigend diesen schändlichen Affront dieser Dame!!! Nun dümpelt alles so friedlich dahin, denn seit der letzten Presseaussendung vom 18.09.2012 ( ach ja, es waren ja die Weihnachtsferien), ausgenommen einmal ein Kommentar vom großen, hochdekorierten Chef, in dem er verlauten lässt, dass die ehemaligen Heimkinder, keine „überzogenen Vorstellungen“ der Entschädigungszahlungen haben sollten!!!!!! Ich selbst habe mich im November 2011 beim WR gemeldet, danach habe ich x mal, 2012 interveniert, ich glaube so August 2012 bekam ich von Fr. Mag. Gammer bescheid, dass sich endlich was „rührt“, November 2012 wurde ich zu einem Clearinggespräch, mit anschließenden Bericht bei Dr. Cornel Binder-Krieglstein bestellt, welcher diesen Bericht an den WR sandte, seither ist Funkstille! In Bezug auf Entschädigungsforderungen möchte ich noch einiges in den Raum stellen!! Wir sind keine Bittsteller, denn alle dieser sogenannten“ Beamte“ waren Angestellte der Republik Österreich und alle Verfehlungen die sie an uns begangen haben, sind Menschenrechtsverletzungen laut UNO Charta, verjähren nie und somit ist der österr. Staat zur Verantwortung und Wiedergutmachung heranzuziehen. Zum Beispiel hat man die, von den Nazis verfolgten, Juden sehr schnell und immer wieder, so auch ihrer Nachfahren, sehr kulant und zu recht entschädigt. Jetzt will ich nicht unbedingt einen Vergleich mit den damaligen ungeheuerlichen Vorgängen dieser Zeit anstellen, aber vielen, vielen Heimkindern in diesen sogenannten „Erziehungsheimen“, besonders nach dem Krieg ist es nicht viel besser ergangen. Ich war auch als Kind in Allentsteig, wo wir oft mehr Prügel , als Brot bekamen, von KE will ich schon gar nichts mehr schreiben, denn dort Insasse zu sein, das war ohnehin das Letzte!! Dort wo ich öfter um mein Leben bangte, ob dieser brutalen Behandlungen, Man wird es sicher nie erfahren, wie viele Heimkinder eventuell, nicht eines ganz natürlichen Todes gestorben sind?? Wenn es um Spenden irgendwohin, rund um den Erdball geht, sind unsere Minister und ihre treuen Regierungsvassalen, sowie eine Schar von unnötigen Adabeis, mit einen voll gefüllten Geldköfferchen unterwegs, um mildtätig, gießkannenmäßig, alles wie aus einem nie leer werdenden Füllhorn, zu verteilen, ohne die Aussicht, dass sich diese Gaben, je wieder in irgend einer Form amortisieren könnten. Aber was soll’s, wir sind ja ohnehin sooo ein reiches Land Nur für uns hat man leider kein Geld!! Alles wird gesponsert, jede Volksgruppe, jeder Jodlerverein u.s.w. Auch die vielen Krisenherde in der Welt muss man mit Geld und Mannschaften beschicken (Sudan-französische Interessen- ca. 70 Millionen € , Mali , Kosten noch unbekannt, franz. Interessen- Uranabbau!!) So könnte ich noch vieles Aufzählen, aber ich meine es lohnt sich gar nicht, denn wir waren als Kinder und Jugendliche, Abschaum, der entsprechen abgesondert werden muss und jetzt geht es uns nicht anders, man behandelt uns wieder nach so vielen Jahren wie den letzten DRECK, der sich, wie ein Bettler am Boden wirft und die letzten Brosamen gierig in sich hinein saugt. (€ 317.000,- für womöglich Tausende Gewaltopfer, so sie nicht ohnehin schon das Zeitliche gesegnet haben!! Ich hoffe ich werde mit meinen 74 Jahren doch noch was positives erleben!!)

Du wirst es erleben, keine Panik!
Ich bin Jahrgang 1944 und war in Wiener Neudorf, seit Antragstellung und deren Abschluss musste ich 2 Jahre warten!
Kann Dir nur empfehlen immer wieder die Zuständigkeit zu bombardieren, so hab ich es gemacht. Meine E-Mails und Telefonanrufe waren keine unterwürfigen Bitten, sondern sachlich und auch nicht gerade sehr freundlich. Lass Dich nicht hinhalten und Verar…..!
Immer daran denken, Du bist kein Bittsteller, die haben Dir auf die böseste Art Jahre Deines Lebens gestohlen!
Wenn Du übers Gericht nach KE eingewiesen wurdest, so ist auch die Klassnic zuständig. Melde Dich auch bei dieser Kommission!
Deine Akte von KE sind im Staatsarchiv zu finden, Du musst selbst hingehen. Meldezettel und Ausweis, Münzen um Deine Akte zu kopieren mitnehmen.
Ich wünsche Dir alles Gute, Gruß Margit

Re: oldpapa73 Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige Kaiser-Ebersdorf

Die Restitution an den Juden ging deshalb in Österreich so rasch voran, weil der damalige Bundeskanzler Schüssel genau wusste, was auf den Spiel gestanden wäre, wenn diese Restitution nicht statt gefunden hätte. Über Österreich waren auch damals Seitens der EU auch Sanktionen verhängt, das war damals ein einziger Skandal die Regierung. Des weiteren haben die Juden ja damals diesen amerikanischen Anwalt Fagan gehabt, der ungeheuerlichen Druck mit Hilfe der Amerikaner auf die Bundesregierung ausübte. Genauso einen Anwalt würden wir uns wünschen, aber welches Land steht hinter uns??????.
Und was Kaiser Ebersdorf betrifft war es so, das sie nach außen hin als Bundeserziehungsanstalt geführt wurde, und doch eine Jugendstrafvollzugsanstalt war. Und das ist der Punkt wo sich die Bundesregierung und die Kommissionen davor drücken. Keiner von den Beiden will die eigentliche Verantwortung dafür übernehmen. Und es ist in meinen Augen eine Auswischerei von der Ministerin 1.) nur so einen geringen Betrag zur Verfügung zu stellen und 2.) nicht einsehen zu wollen das es keine Erziehungsmethode sondern pure Folter war was man den damaligen Jugendlichen dort angedeihen lies und somit ihnen das Leben zerstörte. Also müsste sie sich eigentlich selbst anzeigen wegen Vertuschung am österreichischem Volke so sehe ich das. Und so einen lächerlichen Betrag der genannt wurde würde ich jeden Heimkind zusprechen wollen. Deshalb ist es auch von größter Wichtigkeit das 1.) die Verjährungsfrist fällt, somit könnte auch die damalige Erziehung in Folter umgewandelt werden was sie auch war und zweitens das unabhängig von der anständigen Pension auch eine Restitutionspension für ehemalige Heimkinder u. Pflegeplatzkinder eingeführt wird. Unabhängig vom Leid was uns widerfahren ist. Denn der österreichische Staat die Verantwortlichen in diesem Falle die MA11 hatten nicht das Recht, Kinder aus wohlbehüteten Hause den Eltern durch die Fürsorge mutwillig und wohlwollend zu entreißen. Was mehr als oft genug vorkam. Aber man brauchte Geld und wusste sehr wohl wo was zu holen ist. Denn so mancher Elternteil verdiente schon damals recht gut. Weiters wie man heute weiß, wurde ja das Geld auch von den Verantwortlichen in den Heimen ja auch für andere Zwecke genützt und nicht für die Kinder, die rannten umher wie die größten Sandler.
Aber das was jetzt rennt an Restitution an Psychostunden und Anerkennungszulagen od. Entschädigungsaufwendungen ist nur ein kleiner Schuldbetrag was uns die Verantwortlichen und die Regierung schuldig sind, und was sowieso eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre von Anfang an. Weiters würde ich die Bundesregierung die Verantwortlichen dafür zahlen lassen bis sie grau und schwarz wären. Denn ein weiteres großes Verbrechen der 2. Republik die sogenannten Erziehungsmethoden aus der NS Zeit fröhlich übernommen zu haben das es zu solchen Katastrophen kommen konnte. Und die Karlsson würde ich für den Nobelpreis vorschlagen denn sie war die einzige damals die Öffentlich aufzeigte wie und was sich lt. Bericht in den Heimen tatsächlich abspielte.

Es gab um 1960 nur 2 Jugendgerichte in Österreich, Wr. Neudorf und Kaiser Ebersdorf, und diese waren Abteilungen der Strafgerichte!
L.G.M.

Da hab ich Bödsinn geschrieben war noch nicht richtig munter! Ich revidiere:
Es gab ein Jugendgericht für ganz Österreich (Rüdengasse) und dieses war den Abteilungen der Strafgerichte zugeteilt!
Die Verurteilten kamen entweder nach Wr. Neudorf oder nach Kaiser Ebersdorf zur Resozialisierung!
L.G.M.

Deshalb hab ich ja geschrieben, nach außen hin waren sie Bundeserziehungsanstalten, nach Innen rein, die reinsten Straflager. Die Bundeserziehungsanstalt aus dem Jahre 1935, die in der Peter-Jordanstraße war, konnte man mit Kaiserebersdorf oder Wr. Neudorf nicht vergleichen. Dort war mein Großcousin untergebracht Jahrgang 1921 und der erzählte mir damals, es herrschte nur militärischer Drill, Anstand und Respekt aber alles ohne Schläge und selbstverständlich mit Gymnasiumabgang.

Hallo! Ich weiß nicht, ob du schon einige Artikel von mir gelesen hast, aber von bitten und betteln ist bei mir auch nicht die Rede. Bin der selben Ansicht wie du, wir haben sogar die Pflicht zu fordern!! Die Akte über mich habe ich schon ca. Juni vorigen Jahres beim Staatsarchiv für (keine Münzen) sondern € 82,- besorgt und den WR kopiert übergeben. Wieso ich zur Klasnic-Kommission gehen soll, verstehe ich nicht, die ist doch nur für kirchliche Verfehlungen zuständig. Ich bin sicher, dass uns nur eine Sammelklage, durch einen wiffen und angaschierten Anwalt beim europ. Gerichtshof, mit einer Klage gegen die Republik Österreich in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, wie Folter und dergleichen, uns zu unseren Rechten führt. Was die mit uns momentan durchziehen, ist nichts anderes als Marter in einer anderen Form als in unseren Kinder- und Jugendjahren! Das ist nur eine Hinhaltetaktik in Reinkultur, perverser und psychischer Grausamkeit!!! Beispiele dafür gibt es genug,- nur einige, ; Ministerien weigern sich vehement gegen Entschädigungszahlungen für ehemalige Heimkinder in Bundeserziehungsanstalten, kein Ministerium ist zuständig! Huntsdorfer betont frech, mürrisch und arrogant, “ und außerdem ist für so etwas kein Geld vorhanden!!“- ehemalige Justizministerin ( “ Die Brillenlady“ ) auf Anfrage im Parlament sarkastisch, „man kann doch nicht für alles eine Kommission einsetzen, wo käme man da hin?“!!! – Frau Minister Karl auf Anfrage im Okt. 2012- lässt sich genau mit der Antwort 3 Monate Zeit, und „gebärt unter fürchterlichen Wehen ein Füllhorn, mit sage und schreibe € 317.000,- ( Schandsilberlinge ) für höchstwahrscheinlich dausende Heimkinder, welche von 1945-1975 oder noch länger in den Bundeserziehungsanstalten ihrer Freiheit beraubt, gefoltert, vergewaltigt, gedemütigt und um ihre Menschenwürde gebracht wurden!! Sie beauftragt den WR zur “ Ausschüttung dieser Riesensumme, damit dieser, nach Clearinggesprächen und entsprechendem Gutachten, natürlich erst nach Anhörung durch eine ganz, ganz „neutrale“ Kommission ( bei der nicht einmal ein ehemaliger – beziehungsweise, ehemalige Betroffene dabei ist ). Man muss sich vorstellen, was der WR für uns wert ist, wenn der oberste Opferschützer Österreichs Herr Dr. Jesionek ,es nicht der Mühe wert findet, nach Bekanntwerden dieses schändlichen Betrages, sofort bei der Ministerin, energisch zu intervenieren, die Presse einschaltet und die Menschen informiert!! Genug für heute
LG oldpapa73

Stimmt schon, das war ein Irrtum von mir bzgl. Klasnic!
Zu Jesionik,was erwartest Du Dir? Er war ja selbst Richter des Jugendgerichtes in der Rüdengasse.
Da ich den Behörden gegenüber misstrauisch bin,hab ich mir die Akte vom Staatsarchiv selbst geholt. Dafür bezahlte ich rund E20 und hab auch alles aber auch wirklich alles ausheben lassen. Die Münzen brauchte ich für die Kopien, diese ich selbst, gleich vor Ort machen konnte
Die Sammelklage für den Menschenrechtebeirat wurde schon geschrieben,wird beim nächsten Forumtreffen von den restlichen Ex-Heimkindern unterschrieben und gleich abgeschickt. Wenn Du auch zum Treffen kommen kannst,würde ich auch Dich um deine Unterschrift bitten.
Dazu brauchen wir keinen RA, da jeder EU-Staatsbürger das Recht besitzt sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden.
L.G.M.

Möchte noch hinzufügen,dass bei der Selbstaushebung der Akte, keine zu deren Vorteil, verschwinden konnten!

kaiserebersdorfer lüge und fälschung unterdrückung der akte

war gestern um meine akte beim bundesarchiv gggg liebe margit— aussentselle des staatsarchives gggg ich fuhr zuerst falsch da deine angabe nicht genau war ggg. wurscht wie dem auch sei ich fuhr hin und die dame dort sagte mir sie errinnere sich an mich bzw meinen akt den dieser war der letzte ,der zwecks anhalte daten, ausgehoben wurde. also sie sagte ich sollte nächsten tag kommen und mein akt würde bereit liegen auch fragte sich mich um den grund weshalb ich den akt wolle. ich sagte um die republik österreich im falle zu klagen . also lange rede kurzer sinn am darauffolgenden tag war ein 15 seitiger akt da der keinen inhalt hatte wo wie und was dort war . aktenunterdrückung einfach

ich werde die republik errinnern im besonders frau karl wo mein akt ist. ausserdem klage ich die republik sowieso auf folter beim eu gerichtshof. die folterer von abu kraib im irak wurden alle zu lebenslanger haft verurteilt nur ein hinweis wie das scheissland mit uns um geht. lg koarl

Ö1-Bericht Kaiserebersdorf Erziehungsanstalt vom 31. 10. 2011

+ Eine Erziehungsanstalt als Gefängnis: Auch gegen die Justiz gibt es massive Gewalt-Vorwürfe aus den 60er und 70er Jahren

Nicht nur auf Kinderheime und Jugendwohlfahrt dürfte in den kommenden Monaten viel Aufarbeitungs-Tätigkeit zukommen – sondern auch auf die heimische Justiz. Denn bis 1974 gab es in Österreich Erziehungsanstalten für Jugendliche, wo sie ohne entsprechende Verurteilung (!) jahrelang eingesperrt werden konnten. Einige der Betroffenen haben sich bereits mit Gewaltvorwürfen an die Opferschutzorganisation Weißer Ring gewandt. Bernt Koschuh hat mit einem Betroffenen gesprochen:

Zweieinhalb Jahre hat Karl M. in der „Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige“ in Kaiserebersdorf verbringen müssen, verlorene Jahre, wie er sagt.

„Gefängnis wäre sicher schöner gewesen.“

so der der heute 63-Jährige. 25 Personen in einem Schlafsaal, keinerlei Rückzugsmöglichkeiten, Besuch nur alle 14 Tage und Ausgang im Idealfall einmal im Monat. Das, so Karl M., waren Mitte der 60er Jahre die Regeln in Kaiserebersdorf im Süden von Wien. Dazu sei Gewalt durch Justizwachebeamte gekommen:

Dass dort die Zöglinge geschlagen wurden und einige Wärter haben Spaß daran gehabt.

Und für Jugendliche die schlimm waren, nicht gespurt haben, gab es sogenannte Korrektionszellen ohne Bett, sagt der Pensionist:

Zellen ohne Fenster, alles aus Beton. Es gab nur eine Klomuschel und ein Bett.

Karl M. war mit 13 zunächst in das Kinderheim Hohe Warte gekommen – wegen Vernachlässigung, weil er längere Zeit Schule geschwänzt hatte, sagt er. Immer wieder habe er versucht, wieder nach Hause zu gelangen, auszureissen. Endstation Kaiserebersdorf hieß es dann mit 17. Der Grund für die gerichtliche Einweisung sei eine Rauferei und eine Ohrfeige gewesen, die er jemandem gegeben habe, sagt Karl M. Nur zwei Wochen bedingt, hätte die eigentliche Strafe gelautet, das Ergebnis: zweieinhalb Jahre Kaiserebersdorf:

Ich bin gleich nach den ersten 14 Tagen über die Mauer gehupft. Die Folge: Drei Tage Korrektionszelle, nur Suppe und Brot.

Einmal habe er nur einen Kollegen geärgert, sei deshalb in die Korrektionszelle gesperrt und von Justizwachebeamten verprügelt worden:

Die haben aufgesperrt und haben zugehaut mit den Fäusten, fünf Minuten lang

Über Erzählungen anderer Zeitzeugen, wonach es Gewalt unter Jugendlichen gegeben habe – aber nicht von Seiten der Justizwachebeamten gegeben habe, könne er nur Lachen, meint der 63-Jährige. Dass die Zustände in der Erziehungsanstalt verheerend waren und es Isolationshaft und drakonische Strafen gegeben haben dürfte, bestätigt der Sozialwissenschaftler Herbert Leirer, der in den 70er Jahren an einer Untersuchung mitgearbeitet hat. 1974, unter Justizminister Christian Broda wurde die Erziehungsanstalt geschlossen – erst 22 Jahre nachdem Jugendliche gegen die Zustände mit einer Gefängnisrevolte in Kaiserebersdorf reagiert hatten. Karl M. wollte nun seinen Fall öffentlich machen und hat sich an den Anwalt Johannes Öhlböck gewandt. Andere Betroffene sind zur Opferschutzorganisation Weißer Ring gegangen. Sie wünscht nun vom Justizministerium Entschuldigung und Entschädigung – auch für die Opfer von Kaiserebersdorf.

http://www.heimkinder-ueberlebende.org/Die-bisher-verdraengte-Geschichte-der-Heimkinder-in-der-Republik-Oesterreich_-_Schwarze-Paedagogik-der-Nachkriegszeit,-genauso-wie-in-der-Bundesrepublik-Deutschland.html

Wannst net brav bist, kommst ins Heim……….«

WEGSCHEID – Von der Korrektionsbaracke zum sozialpädagogischen Jugendwohnheim – Eine Ausstellung

Von Michael John

Im Juni 2006 wurde am Stadtrand von Linz, in Wegscheid, eine Wanderausstellung zur Geschichte eines Heimes für sogenannte »verhaltensauffällige« Jugendliche eröffnet. Was oder wer »verhaltensauffällig« ist, wird von der Gesellschaft definiert, hat also mit den gesellschaftlichen Normen, Erziehungsvorgaben und Erziehungsstilen zu tun, die in dieser Ausstellung ebenfalls diskutiert werden.
Der erste Besucher nach der Eröffnung in dem – Anrainer mögen mir verzeihen – wenig anheimelnden Stadtteil hat bei allen Anwesenden großen Eindruck hinterlassen: Es erschien ein über 50 Jahre alter Herr im Rollstuhl mit seiner Gattin und erzählte, dass er selbst in den 1960er Jahren hier als Insasse gelebt habe: »Es ist gedroschen worden, bis die Schwarten krachten, mit den Erziehern hat man sich nicht spielen brauchen. Es war brutal. Wir waren der letzte Dreck.« In weiterer Folge stellt sich heraus, dass er als schon etwas älterer Bursch selbst Kapo in seiner Wohngruppe war: »Da hast Du Dich durchsetzen müssen, meine Güte, da ist mancher Zahn geflogen und Blut geflossen.« Erzieher setzten diese Jugendlichen als Ordnungskräfte ein, dafür gab es gewisse Privilegien. Herr Alois F. fuhr fort, dass er sich dafür jetzt schäme, dass er sich überhaupt schäme, jemals in Wegscheid gewesen zu sein. Erst vor einigen Jahren, nach einem Schlaganfall habe er seiner Frau gestanden, dass er von der Fürsorge in seiner Jugend nach Wegscheid eingewiesen worden war. Voller Emotionen verließ das Ehepaar das Gebäude.
Die Anstalt Wegscheid galt in den 1950er- und 1960er-Jahren als sehr »hartes« Heim, es wurde gleich nach Kaiser Ebersdorf und Eggenburg gereiht. Mitunter war auch noch die Geisteshaltung vergangener Jahrzehnte zu spüren. Nach seiner Einrichtung im Jahre 1951 arbeiteten dort über Jahrzehnte hinweg ehemalige Soldaten, ehemalige Nationalsozialisten und SS-Männer, aber auch Polizisten, Taxifahrer und Personen aus diversen Berufen, die anderweitig unerwünscht geworden waren. Man dachte, mit dieser Mischung die »schweren Jungs« gut unter Kontrolle halten zu können. Mehr noch, deren Verhalten sollte »korrigiert« werden, daher der Begriff der »Korrektionsbaracke«. Neben straffällig gewordenen Jugendlichen lebten in Wegscheid auch Kinder, die niemand haben wollte, abgeschobene, missbrauchte, misshandelte Kinder.

»Ich habe geglaubt, jetzt knallt er mich ab«, erinnert sich der langjährige Heimleiter Alois Brandstätter: »Es kam einmal ein Mann zu mir, der hier Zögling war. Er hatte eine immense Wut und ich habe mich schon nach Fluchtmöglichkeiten umgesehen. Plötzlich hat er kehrtgemacht, hat sich umgedreht und weg war er……Es kamen öfter ehemalige Zöglinge ins Haus. Es ging dabei um anrechenbare Pensionsversicherungszeiten, aber die Leute waren damals nicht versichert. Sie sagen, Zwangsarbeit war das, wir wurden gezwungen, man hat uns geschlagen und den Kopf geschoren. So ähnliche Sätze habe ich schon mehrfach gehört.« Tatsächlich galten in Österreich bis 1954/55 Reichsgesetze aus dem nationalsozialistischen Deutschland, Mitte der fünfziger Jahre wurde ein Landesfürsorgegesetz beschlossen. Die Jugendlichen der Anfangszeit, die in Baracken untergebracht waren, haben tatsächlich Zwangsarbeit geleistet. Sie waren bei der Sozialversicherung nicht angemeldet, auf Pensionszeiten sind die Jahre oder Monate nicht anrechenbar. Abgesehen von der Jugendfürsorge blieb der Arbeitszwang theoretisch Teil der Fürsorgepraxis. Erst aus dem oberösterreichischen Sozialhilfegesetz des Jahres 1973 verschwand der Arbeitszwang definitiv aus der Gesetzgebung.

Stacheldraht, Korrektionsräume und körperliche Züchtigung gehörten zum pädagogischen Repertoire der Anfangszeiten und sind wohl auch Ausdruck dessen, wie man in der Gesellschaft mit Außenseitern umging. Ein Klima der Gewalt herrschte, physisch ebenso wie strukturell. Ein professionelles Berufsbild des »Erziehers« oder »Sozialpädagogen« existierte lange Jahre nicht. Als Reflex auf die Studenten- und Jugendrebellion von 1968 kann gedeutet werden, dass 1971 unter der Mitwirkung von Günther Nenning von Spartakisten und anderen linksgerichteten Aktivisten versucht wurde, das Heim zu besetzen, um auf die problematische Situation hinzuweisen. Mittlerweile hat sich Wegscheid zu einem modernen sozialpädagogischen Jugendwohnheim entwickelt, in welchem durch die Kooperation diverser Expertinnen, Experten und erfahrenen Personals Konzepte zur Bewältigung der Lebenssituation männlicher und weiblicher dissozialer Jugendlicher erstellt werden.

Die Entwicklung war allerdings durchaus nicht linear. Es gab Reformen und Rückschritte. Überdies ist die Grundproblematik der Einrichtung seit den frühen 1950er-Jahren gleich geblieben – Integration oder Ausgrenzung in den verschiedensten Schattierungen. »Wannst net brav bist, kommst nach Wegscheid«, bekamen die Kinder im Süden von Linz vor fünfzig Jahren zu hören und mitunter hören sie es auch heute noch. Verändert hat sich mittlerweile der Stellenwert, den die Gesellschaft dieser Thematik zuwendet.
Vor einigen Jahren entstand die Idee, eine Ausstellung zur Geschichte des Heimes zu erarbeiten. Den Rand ins Zentrum rücken, zumindest ein wenig – gesellschaftlichen Gruppen, die im Alltagsleben nur wenig im Licht der Öffentlichkeit stehen, mehr Aufmerksamkeit schenken – ohne sie jedoch »vorzuführen«. Nach Gesprächen mit dem für die Jugendwohlfahrt zuständigen Landesrat Ackerl, der die Bedeutung der historischen Dimension einzuschätzen wusste, wurden die notwendigen Mittel bereit gestellt. Bilderfolgen und Texte führen in die Geschichte des Wohnheims ein, Arbeiten des Malers Othmar Zechyr, der »Zögling« in Wegscheid ebenso wie in Kaiser Ebersdorf war, geben Einblick in die Befindlichkeit eines Betroffenen. Terminals mit Statistiken und Zusatzinformationen, Videoinstallationen mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, Modelle eines »idealen« Jugendwohnheims und Präsentationen der Jugendlichen ergänzen die Darstellung.
Der Soundtrack von Christoph Herndler rundet schließlich die Ausstellung ab, verleiht dieser einen entsprechenden emotionalen Ausdruck. Es handelt sich insgesamt in erster Linie um ein kulturwissenschaftlich und sozialhistorisch angelegtes Projekt, das von den Anfängen der Zweiten Republik bis in die jüngste Vergangenheit reicht und die Themen Ordnung, Gesellschaft, Integration und Jugend diskutiert. Die Schau wurde im Auftrag des Jugendwohnheims von einem kleinen Projektteam um Michael John (Wissenschaft) und Manfred Lindorfer (Gestaltung) ausgearbeitet. In Österreich handelt es sich wohl um die erste Ausstellung, die dieses noch nicht lange zurückliegende Kapitel der Zeitgeschichte behandelt.

Im Jahre 1989 wurde hierzulande das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft, schon vorher durfte man in Schulen und Heimen nicht mehr schlagen: ein Meilenstein. Die Annahme, dass jedoch für alle Zeiten ein pädagogisch geprägter, toleranter und zivilisierter Umgang mit dissozialen Jugendlichen gesichert ist, wäre sehr optimistisch. Ein Blick in die Nachrichten zeigt, dass man nicht unbedingt weit in die Vergangenheit, nicht bis in die Jahre des Nationalsozialismus zurückgehen muss, um zu entdecken, dass es auch heute politische Kräfte gibt, die eine Herabsetzung der Strafmündigkeit fordern – ebenso wie härtere Jugendstrafen und geschlossene Anstalten. In den Niederlanden etwa beträgt die Strafmündigkeit nicht vierzehn Jahre wie in Österreich, sondern zwölf. In eigenen Jugendgefängnissen sind tausende Halbwüchsige untergebracht. In Großbritannien liegt die Strafmündigkeit bei zehn (!) Jahren. »Zero Tolerance« ist ein Produkt, das sich weltweit gut verkauft. Und auch in einigen Instititutionen in Österreich – nicht in Wegscheid – wird gegen das Gesetz gehandelt, gibt es »Besinnungsräume« und mitunter kommen auch körperliche Bestrafungen vor.

Aber das traurige Kapitel der ‚Fürsorge’ ist damit noch nicht abgeschlossen.

Studie bestätigt: Tausende Wiener Kinder wurden „am Land“ zur Arbeit gezwungen, geprügelt und sexuell missbraucht.

Die Kleinsten waren noch im Säuglingsalter, als die Fürsorge der Stadt Wien sie vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren zu Pflegefamilien ins Südburgenland oder die Südsteiermark brachte. Dort sollten die Kinder ein besseres Leben haben als zuhause. Ihren Eltern waren sie meist wegen Verwahrlosung abgenommen worden.
Viele von ihnen erlebten auf den Bauernhöfen in den Bezirken Jennersdorf und Bad Radkersburg erst recht die Hölle auf Erden: Erniedrigung, Ausbeutung und Gewalt.

Das lässt jene Studie der FH Campus Wien vermuten, die gestern präsentiert wurde. Im Auftrag der Stadt Wien erforschten Elisabeth Raab-Steiner und Gudrun Wolfgruber die „Lebenswelt der Pflegekinder 1955 bis 1970“.

Missbrauch

Wolfsgruber berichtet von „Züchtigungen, die schwere Verletzungen der Kinder“ nach sich gezogen haben. Vor allem Mädchen erzählten von Vergewaltigungen: „Durch den Pflegevater, die älteren leiblichen Kinder der Pflegeeltern oder durch Bekannte.“

Manche der vorwiegend bäuerlichen Familien hatten bis zu zehn Pflegekinder aus Wien auf ihrem Hof. Dafür kassierten sie nicht nur Pflegegeld der Stadt, viele beuteten die Kinder auch als Arbeitskräfte aus. Vor allem zur Erntezeit hätten die Kinder häufiger auf den Feldern gearbeitet, als sie zur Schule gegangen waren. Alleine im Jahr 1969 waren 1276 Kinder aus Wien „am Land“ untergebracht. Weitere bei Pflegefamilien in Wien, wo es laut Studie weniger Probleme gab.

Keines der ehemaligen Pflegekinder sagt Mama oder Papa. Nur „er“ und „sie“ – so bezeichnen die 15 Pensionisten ihre einstigen Pflegeeltern. Oder besser ihre Peiniger, die sie jahrelang wie Leibeigene behandelten, sie auf dem Acker frühmorgens schuften ließen und sich am Abend an ihnen vergingen. Das berichten die noch heute traumatisierten Männer und Frauen in der aktuellen Studie „Lebenswelten der Pflegekinder in der Wiener Nachkriegszeit von 1955-1970“.

Pflegefamilien, so berichtet Sieder, gehörten meist der sozialen Unterschicht an. „Die meisten der Wiener Pflegekinder wurden in Familien auf dem Land untergebracht.“ In Jennersdorf und Radkersburg im Burgenland seien regelrechte Pflegeeltern-Kolonien entstanden. Bauernfamilien nahmen bis zu zehn Kinder aus Wien in Pflege. Die Historiker-Kommission vermutet, dass das vom Jugendamt bezahlte Pflegegeld für die „Großpflegefamilien“ eine Rolle gespielt hat. Kinder wurden zudem von der Fürsorge in unmenschlichen Zuständen vorgefunden: Verlaust, verwanzt, verkotet.

In beiden Fällen wurden die Kinder ausgebeutet, die einen im Haushalt, die anderen auf dem Feld als Knechte und Mägde. „Da mussten wir zeitig schlafen gehen, denn da mussten wir um sechs aufstehen, damit wir vor der Schule noch Essiggurkerl pflücken. Nach der Schule heimgekommen, Essiggurkerl pflücken, dann am Abend noch mal Essiggurkerl pflücken. Aber nicht ein paar, das war ein Acker von 2000 oder 3000 Quadratmeter locker. Das war immens. Dann Holz schleppen, Kuhstall ausmisten, Kukuruz reiben, Kürbis putzen, rote Rüben, Erdäpfel ernten (…)“, wurde einer der Betroffenen im Bericht zitiert.

Sexuelle Gewalt mit dem Wissen der Pflegemütter
In nahezu allen Bereichen des Alltags waren die Kinder psychischer Gewalt ausgesetzt. Dazu zählten Demütigungen, Sprechverbote und das Unterbinden von Sozialkontakten ebenso wie die Drohung, das Kind „zurück ins Heim“ zu schicken. Neben der psychischen Gewalt war auch körperliche Gewalt allgegenwärtig. Die Züchtigungen gingen weit über die damals gängige „gsunde Watschn“ hinaus und umfassten auch Schläge und Verletzungen mit Arbeitsgeräten und Gurten. Gewalt übten – je nach Familiensituation – alkoholkranke Pflegeväter aus, aber auch ältere leibliche Kinder und andere Familienmitglieder. „Das Leben bei den Pflegefamilien auf dem Land war am schlimmsten, sowohl in Bezug auf den Arbeitseinsatz, der fehlenden Ausbildung, aber auch das Ausmaß der sexuellen Gewalt“, sagt die führende wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie Gudrun Wolfgruber. Die Betroffenen wurden über Jahre hinweg und mit dem Wissen der Pflegemutter sexuell missbraucht. Die Täter waren nicht nur die Väter, sondern auch die älteren Geschwister, Bekannte oder Verwandte. Männliche Kinder berichteten auch von Übergriffen durch die Pflegemütter.

Kontrolliert wurden meist nur Sauberkeit und Hygiene

Die Pflege der Kinder zielte vornehmlich auf die Mindestbedürfnisse Essen, Schlafen und Hygiene ab, in der Stadt auch auf die Schulbildung. Emotionale Nähe boten die Pflegeeltern nicht. Die Beziehungen waren von Distanz, Kälte und Härte geprägt. Nach Beendigung des Pflegeverhältnisses gab es mit den Pflegeeltern mehrheitlich keinen Kontakt mehr. Die Pflegeaufsicht oblag der Kinderübernahmestelle der Stadt Wien und den örtlich zuständigen Fürsorgeämtern. Überwiegend galt das Interesse der Kontrollen nur der Sauberkeit und Hygiene des Hauses und kaum den Bedürfnissen der Kinder. „Den Fürsorgerinnen wurde es auch erschwert, Einblick zu nehmen, indem die Pflegeeltern den Kindern Sprechverbote erteilten und für die Kontrolle den Schein eines heilen Familienlebens erzeugten“, erzählt Studienleiterin Raab-Steiner.

Weitere Lebensgeschichte der Pflegekinder

Der Großteil der befragten Personen hat bis heute mit den Traumatisierungen als Pflegekind zu kämpfen. Ein „glückliches Familienleben“ haben die meisten Personen nicht erlebt. In einigen Fällen wurden die Erfahrungen wiederholt, etwa in Form früher Mutterschaft und Fremdunterbringung der eigenen Kinder. Die Männer absolvierten eine Lehre und konnten eine berufliche Identität und finanzielle Selbstständigkeit erreichen. Die Frauen hatten schlechtere Bildungschancen, oft auch durch frühe Schwangerschaften bedingt, und arbeiteten als Hilfsarbeiterinnen. Lebenslange finanzielle Probleme und ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt auf Grund psychischer und körperlicher Folgen der Zeit als Pflegekind ziehen sich durch die Mehrzahl der Biografien.

„Alle interviewten Pflegekinder erlebten Angst vor den Fürsorgebehörden, fehlende Kontinuität der Bezugspersonen, Vorurteile, Schuldgefühle und Einsamkeit. Das führte zu einem geringen Selbstwertgefühl und bleibender Skepsis anderen Personen gegenüber“, fasst Raab-Steiner zusammen. Sobald die Studie in voller Länge vorliegt, wird sie online veröffentlicht. Die Projektleitung hatte Elisabeth Raab-Steiner inne, sie ist Leiterin des Kompetenzzentrums für Soziale Arbeit und Studiengangsleiterin des Masterstudiums Klinische und Sozialraumorientierte Soziale Arbeit der FH Campus Wien. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie war Gudrun Wolfgruber.

Alexandra G. kam 1971 im Alter von zwei Jahren vom Wiener Zentralkinderheim zu Pflegeeltern im Südburgenland, wo sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr untergebracht war. „Die haben eine Art Wirtschaft gehabt.“ Stallarbeit stand an der Tagesordnung. Alexandra wurde bald Bettnässerin. „Wenn es wieder passiert ist, hab ich das Leintuch selber waschen müssen.“ War es nicht sauber, rollte die Pflegemutter den nassen Stoff zusammen und schlug damit auf den Rücken des Mädchens ein.

Später kam Alexandra ins Heim in Biedermannsdorf: Prügelstrafen, Essen von Erbrochenen, kaum Schulbildung. Die heute 43-Jährige hat zwei Selbstmordversuche hinter sich und versucht, ihr Trauma als Pflege- und Heimkind mit Psychotherapie zu überwinden.

Nach dem Aufbrechen der Vergangenheit von Heimkindern könnte mit dem Historiker-Bericht eine neue Welle der Entschädigungsforderungen auf die Stadt Wien zukommen. Bisher haben sich 117 ehemalige Pflegekinder bei der Opferschutz-Organisation Weißer Ring gemeldet. Alleine im Jahr 1970 waren allerdings 540 Wiener Kinder bei Pflegeeltern in der Hauptstadt und 1341 am Land untergebracht.

Eine Mitarbeiterin der MA 11 (Wiener Jugendamt) habe den Sozialforscher Sieder „überreden“ wollen, „diese kritischen Passagen über die Pflegekinder (aus dem Historiker-Bericht, Anm.) wieder rauszunehmen“, sagt er im KURIER-Interview. Aber Josef Hiebl, Rechtsexperte der MA 11, und Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) hätten auf der umfassenden Darstellung der Jugendwohlfahrtsgeschichte bestanden. „Es ist dringend notwendig, dass wir uns dieser Geschichte auch annehmen“, sagt Hiebl. Ein weiteres Forschungskonzept zum Thema „Pflegefamilien“ sei in Ausarbeitung.

Dass blanker Horror bei Pflegeeltern nicht allgegenwärtig war, zeigt das Beispiel von Maria A., 41. Sie kam 1972 mit eineinhalb Jahren zu Pflegeeltern nach Baden bei Wien. Im Gegensatz zu später, als der Lebensgefährte ihrer leiblichen Mutter ihr das Leben zur Hölle machte, wurde sie von dem kinderlosen Paar „liebevoll aufgenommen“. „Ich habe sie bis zum Tod der Pflegemutter regelmäßig besucht.“

„Rechtlos“

„Wir waren rechtlose Knechte“, erinnert sich hingegen Franz Josef Stangl, 59. Er wurde im Alter von fünf Jahren von der Grazer Fürsorge zu Pflegeeltern aufs Land geschickt. Mehrmals wechselte der Pflegeplatz, ehe er bei einer Bäuerin landete, die er nur mehr als „die Hexe“ beschreibt.

„Wir mussten arbeiten wie die Großen.“ Stall ausmisten, Heu einholen. Den ganzen Tag. Zuneigung? Fehlanzeige. Stattdessen gab es Prügel mit dem Ochsenziemer, Essensentzug, schlafen im Stall. Stangl hat diese Erlebnisse in einem Buch verarbeitet („Der Bastard“, Bibliothek der Provinz).

Eine „Heim-Karriere“

Geboren am 15.2.1963…….mit Mutter ins Frauenhospiz ……
am 21. 2. 1963 Beginn meiner Heimkarriere in der Küst und danach Zentralkinderheim

Gesundheitliche Gefährdung

Lt. Mitteilung des B.J.A.19 ist die mütterliche GRM und ihr Gatte nicht bereit, Mutter und Kind in ihrem Haushalt aufzunehmen. Weitere versorgungspflichtige Verwandte sind nicht in der Lage, das Neugeborene zu betreuen. Mit Rücksicht auf die dzt. Mittel-und Obdachlosigkeit der KM. wird im Einvernehmen mit dem B.J.A.19 der  Antrag gestellt, Mutter und Kind in Gemeindepflege zu übernehmen.

12.4.1963 KM zieht alleine in die Hillerstrasse .9.7.1963 Abholung von ZKH nach Hillerstrasse

Vom BJA 2 am  nach Küst am 15.1.1964 nach ZKH 13.2.1964

Überstellungsgrund:

Gefährdung:

Obgenannter Minderjähriger ist Mündel, Vaterschaft wurde nicht festgestellt. Da die Kindsmutter vom Stiefgroßvater abgelehnt wird, konnte diese mit dem Säugling nicht zur mütterlichen Großmutter entlassen werden. Sie zog am 12. 4. 1963 in die – von der Urgroßmutter gekaufte – Wohnung. Der Mj. Verblieb zunächst allein im ZKH. Die Kindesmutter äußerte immer wieder den Wunsch, ihn übernehmen zu wollen. Als sich die Möglichkeit einer Kindergartenunterbringung bot, wurde der Minderjährige nach Hause entlassen. Anfangs gab es keine Schwierigkeiten. Das Kind wurde regelmäßig in den Kindergarten gebracht, war gut gepflegt und gesund; die Kindesmutter stand in Arbeit. Seit längerer Zeit ist sie allerdings nicht beschäftigt, konnte daher verschiedene Rechnungen nicht bezahlen. Das Gas wurde abgesperrt. Die Kindesmutter war gezwungen Verschiedenes ins Versatzamt zu tragen. Angeblich soll der mj oft stundenlang bei Tag oder in der Nacht unbeaufsichtigt in der ungeheizten Wohnung sein. Die Kindesmutter (ehemaliger FE-Zögling) nimmt angeblich verschiedene Männer in die Wohnung hinauf, soll viele Bekanntschaften haben. Sie ist sicherlich am Kind interessiert, wird ihrer Aufgaben aber nicht gerecht und ist zu wenig verantwortungsbewusst. Eine Übernahme durch Verwandte ist nicht möglich. (Mütterl. Großm. berufstätig, außerdem besteht nicht bestes Einvernehmen mit Kindesmutter. Mütterl. Ugroßmutter ist schon alt und kränklich). Es wird daher die Übernahme des Mj. In Gemeindepflege beantragt, damit die andauernde Gefährdung des Kindes durch Aufsichtslosigkeit endlich ausgeschaltet wird.

KM war bei mehrmaligen Hausbesuchen nicht anzutreffen; erschien auf Ladung nicht.

19.9.1964 ZKH Führungsbericht

Christian kam im Februar d. J. zum zweiten Mal in unser Heim. Erstmalig war er vom Jänner bis Juli 1963 bei uns. Es handelt sich um einen hübschen, kräftigen Buben mit blonden Haaren und graublauen Augen. Als er einjährig zu uns kam, konnte er sitzen, versuchte sich hochzuziehen und war ein sehr flinker Kriecher. Mit 15 Monaten lief er frei. Christian ist sehr lebhaft.  Er nimmt regen Anteil an seiner Umgebung. ist sehr temperamentvoll und wird rasch ungeduldig, wenn die Tante seinen Forderungen nicht rasch genug nachkommt. Sogar über seine eigene Ungeschicklichkeit kann er sich ärgern. Z. B. bei den Mahlzeiten, bei denen er Hilfe ablehnt, selbst aber nicht rasch genug satt wird. Das Kind ist sehr anhänglich, schmeichelt gerne, ist kontaktfreudig und zeigt auch bei Fremden kaum eine Scheu. Mit dem Spielmaterial hantiert Christian ohne Ausdauer. Er ist noch recht sprunghaft. Mit tiefer Stimme plappert er viel. Den Topf benutzt er meist ohne Erfolg. Besucht wird das  Kind von seiner Mutter und seiner Urgroßmutter m., selten von der Großmutter m.

15.2.1965 Küst Bericht

Bei obgenannten Mj besteht laut Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 1.4.1964 gerichtliche  Erziehungshilfe. Die KM Erika L. ist in Wien 2, Hillerstrasse  polizeilich gemeldet, doch hält sie sich viel bei ihrer Mutter Margarete L. in Wien 19, Heiligenstädterstrasse auf. Laut tel. Rücksprache mit dem Vormund BJA 19 geht die KM keiner Arbeit nach. Derzeit läuft gegen sie eine Strafanzeigen wegen Unterhaltsschutz. Der Vaterschaftsprozess ist noch nicht abgeschlossen, Laut Führungsbericht vom 19. 9. 1964 wird das Kind wohl von der KM besucht, doch dürfte ein echtes Interesse für das Kind nicht vorhanden sein. Da auch der Mj. nicht in Pflege der mütterlichen Großmutter gegeben werden kann (eine Tochter steht unter FE und der jüngste Bruder der KM bereitet Erziehungsschwierigkeiten) ist Weiterverbleib des Kindes in Gemeindepflege notwendig.

5.6.1965-7.6.1965 Urlaub

19.8.1965-25.8.1965 Urlaub

14.12.1965-14.9.1968 Großmutter Wien 19

15.9.1968 – Sept 1969 Sauerstifung Hinterbrühl

Am 15.9.1968 wurde der Mj. privat im KH Sauerstiftung 2371 Hinterbrühl, Gaadener Str. 52 untergebracht, da der mütterl. Großmutter die Betreuung zu schwierig war.

Ab Sept 1969 bis Herbst 1971 Internat Salvatorianerinnen

Mit Schuleintritt 1969 wurde Christian von der Mutter im Internat der Kongregation der Salvatorianerinnen in Wien 22, Schüttaustr. 41-43 untergebracht.

Ab Herbst 1971 bei Erika und Erich Pöchlarnstrasse

Mit Schulanfang Herbst 1971 nahm die Mutter ohne vorherige Einvernahme mit dem Jugendamt ihren Sohn Christian wieder bei sich auf, nachdem sie seit 23. 9. 1971 mit Herrn O,  verheiratet war und auch die  Tochter Sabine O bei ihr in Wien 20, Pöchlarnstrasse  in einer Küche-Kabinett-Altbauwohnung lebte.

1973 erste Misshandlung

Ab 15.10.1974 Quadenstrasse

Ab 8.2.1977 Überstellung in die Küst

Christian war während der vergangenen Jahre, die er im Familienverband der Mutter verbrachte, nicht unschwierig. Die schulischen Leistungen waren immer eher unterdurchschnittlich, Mj. war unkonzentriert. Die M. klagte oft über den mangelnden Ehrgeiz ihres Sohnes, auch über die Neigung des Mj. zum Lügen. Die Mutter, die selbst einmal FE-Zögling war und wegen einiger Delikte belastet war, auch selbst um Vorteile zu erreichen, lieber Unwahrheiten angibt, fühlte sich durch die ähnliche Art des Benehmens ihres Sohnes oft provoziert. 1973 kam es bereits zu einer Mißhandlung durch die Mutter, Christian verblieb jedoch in ihrer Pflege. Die Mutter bemühte sich in ihrer Art zu Christian eine bessere Beziehung aufzubauen, doch war das Verhältnis immer recht gespannt. Christian fühlte sich oft ungerecht behandelt und aus Furcht vor Strafe kam es zu Lügenversuchen. Der Stiefvater konnte Christian besser verstehen und behandeln und er versuchte auch oftmals die Spannungen auszugleichen und schützte so den Mj. vor zu großer Bestrafung. Anfang Februar spitzte sich die Familiensituation wieder derart zu (Christian verschlechterte sich schulisch und versteckte unsauber geschriebene Schulhefte ) dass die Mutter fürchtete, ihr Züchtigungsrecht zu überschreiten und am 8.2.1977 die sofortige Überstellung des Mj. verlangte.

Auch Christian sprach den Wunsch aus, von daheim wegzukommen, da er sich mit seiner Mutter nun überhaupt nicht mehr verstehe und auch Angst habe. Christian führt sich Gleichaltrigen gegenüber oft eigenartig auf, kann sich besser mit jüngeren Kindern verstehen, ist diesen gegenüber zuvorkommend und hilfsbereit. Das gestörte Verhältnis zur Umwelt fiel besonders auf, als der Mj im Sommer 1976 an einem Erholungsaufenthalt teilnahm.

Die Mutter ist zeitweise als Kellnerin beschäftigt, hat Wechselschicht, der Stiefvater ist Stapelfahrer und Christian wurde öfters zur Hausarbeit und zur Beaufsichtigung der Halbschwester herangezogen.

Ein Schulbericht wurde abverlangt und wird nachgereicht. Die Übernahme des mj. Christian L. in Pflege und Erziehung der Stadt Wien ist unbedingt erforderlich, die pflegschaftsbehördliche Unterbringung im Rahmen der bestehenden gerichtlichen Erziehungshilfe wurde beim JGH Wien beantragt.

Urlaube und Ausgänge dürfen zur Mutter Erika O. gewährt werden.

Am 24. 3. 1977 Überstellung nach Wimmersdorf

Befund und Gutachten Jugendamt Dr. El/Dr. Ksch

Körperlicher Status: Annähernd altersentsprechend entwickelt.

Verhaltens- und Leistungsbeobachtung: Die allgemeine Verträglichkeit des Mj. in der Gruppe ist recht gut. Vor allem gegenüber jüngeren Kindern zeigt er ein gutmütig-hilfsbereites Verhalten. In der Grupe nimmt er eher eine Mitläuferposition ein, von gleichaltrigen und älteren Kindern wird er kaum für „voll“ genommen. Im Kontakt wirkt er unsicher und anhänglich. Weder in der Heimgruppe, noch in der Schule macht der Mj. disziplinäre Schwierigkeit. Bei schulischen Aktivitäten zeigt er gute Mitarbeit und durchschnittlichen Fleiß. Der hypermotorische Mj. ist manuell ungeschickt.

Testergebnisse (Leistungs- und Persönlichkeitstests): Der Mj. ist durchschnittlich intelligent ( BAWIK: IQ = 101, V = 95, H = 107). Das Leistungsprofil der einzelnen Subtests ist dabei relativ harmonisch. Die Abstraktionsfähigkeit auf anschaulicher Basis ist Durchschnittlich entwickelt (Progr. Mstr. Test, P = 50, G = III).

Der Mj. hat zu seiner Mutter eine ambivalente emotionale Beziehung, wobei die ablehnende Einstellung zur M. überwiegt. Er empfindet sie als autoritär, aversiv und nicht seine Motivationen beachtend. Verlassenheitsängste und das unterschwellige Gefühl, allgemein Gefahren ausgesetzt zu sein, sind in seinem projektiven Darstellungen erkennbar. Zu seiner Schwester hat der Mj. eine rivalisierende Beziehung, die Vaterfigur wird eher positiv erlebt. In seinen Vorstellungen kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Eheleuten, wobei die Partnerin als aufbrausend und unduldsam charakterisiert wird. Starke, überkompensierende Tendenzen nach Erfolg sind feststellbar, wobei schulische Aktivitäten als potentielles Erfolgsgebiet betrachtet werden (Wunsch nach „gescheit sein“). (TAT, Sceno, Satzergänzung).

Begutachtung: Der schon in frühen Phasen seiner Kindheit emotional deprivierte und hospitalisierte Mj. reagierte auf die Frustrationen unter anderem mit psychomotorischen Störungen (Hypermotorik, Tolpatschigkeit ) mit unangepasstem Kontaktverhalten (nach Überwindung der Scheu trifft klebrig-anhängliches Verhalten auf) und mit einer allgemeinen Senkung der Aktivität (wenig Interessen, wenig Eigeninitiative). Die Mutter vermutlich auf Grund ihrer eigenen wenig harmonischen emotionalen Lerngeschichte (ehemaliger FE-Zögling) nicht sehr prädestiniert für spezielle emotionale Angebote, empfand den Mj  als „schwierig“ (“ ist kein richtiger Bub“, „hat Schulprobleme!, „trägt für ihre Nervosität und ihre Partnerschaftsprobleme Verantwortung) und versuchte, mit zum Teil massiven körperlichen Bestrafungen den Mj. „anzupassen „. Dabei konnte der Mj. oft nicht den Konnex zwischen seinem Tun und der darauffolgenden Strafe herstellen, da die aversive Stimulation häufig von der subjektiven Befindlichkeit der M. und nicht vom objektiven Geschehen veranlasst war. In dieser Situation deutete der Mj. das Verhalten der M. als grundsätzliche Ablehnung seiner Person, wodurch zusätzlich die Eifersucht auf seine Halbschwester erhöht wurde. In diesem Spannungsfeld negativer Gefühle wurden die aus der frühkindlichen Deprivation folgenden Belastungsmomente verstärkt, sodass trotz durchschnittlicher Intelligenz eine gewisse Retardierung der Persönlichkeit (Infantilität, Passivität) erhalten blieb, bzw. deutlicher akzentuiert wurde. Der Mj. geriet dadurch in eine Außenseiterposition in der Gruppe Gleichaltriger, was sekundär unangepasste Verhaltensweisen aufbaute, bzw. festlegte (z. B. sich verstärkt in überkompensierender Weise an Erwachsene binden wollen, nur mit kleineren Kinder zurechtkommen u. ä.)

Intervention: Der Mj., der selber gerne in ein Heim untergebracht werden möchte, benötigt dringen Erfolgserlebnisse. Derzeit sucht er sie auf schulischem Gebiet und konnte bisher in der Heimschule auch vielfache Anerkennung finden. Sicher ist es für ihn wichtig, Verantwortungen übertragen zu bekommen (z. B. Steuerung einer Spielrunde mit kleineren Kindern), durch die sein Selbstwertgefühl steigt, aber auch seine Tendenz zur Passivität überwunden wird. Schrittweises Ermuntern zu konstruktiven Kommunikationen und kooperativen Unternehmungen mit Gleichaltrigen ist sorgfältig durchzuführen (zunächst Gleichaltrige wählen, denen er gewachsen ist, bzw. Spiele, Gespräche so vorbereiten, dass der Mj. eine gute Position einnehmen kann) Sollten Aussprachen mit den Eltern möglich sein, wäre es wichtig, dass die M. zu positiven Wahrnehmungen ihres Sohnes ermutigt wird. Fachpsychologische Betreuung zu Bearbeitung der Beziehungsproblematik des Mj. bzw. der Interaktion zwischen Mj. und M. wäre gegebenenfalls wünschenswert. Dazu würden eine wesentliche Hilfe weitere fürsorgerische Kontakte mit der M. darstellen.

Administrationsvorschlag: Unterbringung im Heim Wimmersdorf.

Meine Erinnerungen an die Hölle von Wimmersdorf:

Bereits am ersten Tag wusste ich, dass sich mein Wunsch nach einem gewaltfreien Leben in dieser Anstalt nicht erfüllen wird. Man durfte nichts fragen, durfte beim Essen niemals reden, tat man es doch, musste man oft stundenlang Strafe stehen oder man bekam Schläge ins Gesicht oder Tritte,  oder man wurde so geschlagen, dass man vom Sessel fiel. Für was man eigentlich geschlagen wurde, wusste ich nie wirklich. Es war schlimmer als bei meiner Mutter.

Mein erster Tag in diesen Heim war bezeichnend für meinen weiteren Aufenthalt in dieser Anstalt. Ich wurde am Vormittag von der Direktorin und Tante Erika von der Küst abgeholt und mit dem heimeigenen VW-Bus nach Wimmersdorf  gebracht, wo wir am frühen Nachmittag ankamen. Nach dem Mittagessen, das ich alleine in der Küche einnehmen musste, ging es in die Direktion, wo ich jede Menge Fragen beantworten musste. Danach fasste ich meine Holzschlapfen, Zahnbürste und einen Kamm aus. Anschließend  wurde ich von einem Zögling zur meiner Gruppe, die sich im 2.Stock befand, gebracht, wo ich auch gleich die erste Kollektivstrafe miterleben „durfte“. Ich musste mich gleich zu den anderen, die bereits wie Soldaten in einer Reihe standen, dazu stellen. Da ich nicht die ordnungsgemäße Grundstellung (die ich ja noch nicht wissen konnte) mit den Händen an der Hosennaht einnahm, machte ich bereits am ersten Tag Bekanntschaft mit den schlagkräftigen Argumenten der dortigen Erzieher. Barbara knallte mir gleich eine derartige, dass ich den Halt verlor und geschockt am Boden wieder zu mir kam und mein Stehprogramm zu Übungszwecken bis zum Abendessen verlängert wurde. Jetzt wurde mir auch das erste Mal klar, dass ich nicht in einem Heim, wie ich es mir vorstellte, sondern in einem Kindergefängnis, nämlich der Hölle von Wimmersdorf gelandet bin.

In der Früh nach dem Wecken mussten wir sofort aus den Bett springen, wenn einer nicht schnell  genug war, wurde er raus geprügelt. Danach waschen, anziehen und Betten machen und sich dann vor dem Bett aufstellen und warten, bis kontrolliert wurde, ob alles in Ordnung ist. War das Bett nicht schön genug oder nach den Vorgaben gemacht, gab es  eine Ohrfeige und wurde  wieder aufgerissen. Dieses Spiel konnte sich oft mehrmals wiederholen, sodass man dadurch das leckere Frühstück, das aus Abwaschwasser (sollte Tee sein) und mit Butter (ich nahm an, dass es Butter war) beschmierte Brote, verpasste.

Danach ging es in die Schule, die im selben Gebäude untergebracht war. Der Unterricht  konnte, je nach Laune der Lehrer recht harmonisch oder mit roher Gewalt geführt werden. An harmonischen Unterricht erinnere  ich mich  zum Beispiel mit unserer Werklehrerin Frau Gertrude Eichinger, die immer freundlich war und uns auch mit Zeitungen und Jugendzeitschriften versorgte, aus denen sich einige Kinder Ausschnitte von Sportlern oder Popgruppen ausschneiden durften und die nie handgreiflich wurde. Bei roher Gewalt fällt mir Eduard Kottar ein, der Hände wie ein Klodeckel hatte, mit denen  er uns sehr gerne mit seiner Faust über den Kopf  „streichelte“ und uns auch an den Ohren lang zog, bis wir nur noch mit den Zehenspitzen Fußbodenkontakt hatten und auch recht lehrreiche Sonderaufgaben wie 10 Zapfen oder 10 mal 40 Zeilen bis zum nächsten Tag aufgab. Kurt Soukup, unser Sportlehrer  und Frau Baumgarten waren wieder recht nett, ihnen rutschte nur „hin und wieder“ die Hand aus. Auch der Unterricht vom Religionslehrer, der auch gleichzeitig der Pfarrer von Johannesberg war,  war recht unterhaltsam. Er verteilte die Watschen „im Namen des Herren“. Diese waren eher eine Erholung gegenüber denen der anderen Lehrer und Erzieher. Zu guter Letzt das „Original“ der Karl Hauer ein Pfeifenraucher, der recht lustig sein konnte, bei dem aber auch schnell ein Stück Kreide Flügel bekam. Dazu fällt mir auch eine kleine Geschichte ein, der Hauer war an diesen Tag einmal recht gut drauf und erzählte uns ein paar Witze und wir lachten einmal herzhaft, bis die Specki mit ihrer Trillerpfeife rauf pfiff.  Sie brüllte rauf, wir sollen lernen und nicht lachen, und er schrie zurück „Ich werde doch noch den Unterricht so gestalten können wie ich will“. Am Nachmittag, nach der Lernstunde, lernten wir dann Speckis Rache kennen! Sie übernahm  dann unsere Gruppe und wir mussten im Hof 2 Stunden im Kreis gehen mit einer Hand am Rücken und einem Finger der anderen Hand auf den Mund und wehe, einer sprach ein Wort oder es fiel ihm der Finger vom Mund, dann kam das Lineal zum Einsatz mit 5 Schläge auf die Finger. Das Mittagessen wurde entweder im Tagraum oder im Speisesaal eingenommen und dabei herrschte strengstes Sprechverbot und es musste alles gegessen werden was auf den Teller kam und wehe wenn einmal ein Wort fiel, wurde sofort mit Schlägen und Tritten die Ruhe wieder hergestellt. Danach hatten wir dann die Lernstunde zum Aufgaben machen und auch da herrschte, wie sollte es anders sein, absolutes Sprechverbot, nicht  einmal  fragen durfte man etwas. „Verstöße“ wurden da sofort mit Schlägen und einen Stricherl im Stricherlheft  geahndet. Nach der Lernstunde hatten wir dann bis zum Abendessen Freizeit zum Spielen oder Stricherl abstehen.

Ach ja, das Stricherlheft! In diesem  Heft standen die Namen aller Kinder und in das von die Erzieher alle Verstöße wie unerlaubtes Sprechen, beim Spaziergang aus der Reihe tanzen, schlecht gemachtes Bett, schlechtes Waschen oder WC Gänge „außerhalb der Zeit“  und so weiter mit einen Stricherl  notierten. Diese mussten dann bei der nächsten Freizeit am Fußballplatz im Tagraum oder sonstigen Freizeiaktivitäten abgestanden werden, ein Stricherl entsprach eine halbe Stunde stehen. Bei besonders schweren Vergehen, wie Zurückreden oder Maulen wurde die Strafe noch verschärft, indem man die Hände ausstrecken musste und diese noch mit zwei Büchern beschwert wurden. Auch dazu fällt mir wieder eine kleine Episode ein und zwar beim legendären Fußballspiel der WM 1978 in Cordoba, das Österreich 3:2 gewann. Barbara  stellte zu diesem Zweck den Gruppenfernseher auf, aber vor Spielbeginn wurde das Stricherlheft befragt und entsprechend die Sanktionen verteilt. Wir waren doch einige, die verkehrt zum Fernseher Strafe stehen mussten. Da ich aber  fünf Stricherl abzustehen hatte, war mir klar, dass ich vom Spiel nicht sehr viel sehen werde, während sich nach und nach einige der Sanktionierten zum Fernseher setzten durften, wurde es für mich immer schwerer. Zum Schluss stand ich wieder mit zwei ausgestreckten, mit Büchern beschwerten Händen da und hatte auch noch meinen Stricherlstand auf acht ausgebaut,  da ich dreimal versucht hatte, einen Blick auf den Fernseher zu erhaschen, das sofort mit Schlägen, Strafverschärfung sowie einem zusätzlichen Stricherl geahndet wurde.

Nach den Abendessen ging es dann zum Waschen und Zähneputzen, natürlich wieder mit strengem Sprechverbot und einer genauen Sauberkeitskontrolle. Danach durfte man noch das WC aufsuchen, ehe man sich das Nachtgewand anzog, ins Bett ging und bei Sprechverbot noch etwas lesen konnte. Um 20 Uhr wurde das Licht abgedreht  und der Aufpasser musste ab diesen Zeitpunkt alle Verstöße wie Reden oder noch aufs Klo gehen melden. Wurde man jedoch vom Nachtdienst erwischt, konnte man sich gleich auf bis 22 Uhr Strafe stehen einstellen und das barfuß auf dem kalten Steinboden.

Montag, Mittwoch und Freitag waren die sogenannten Badetage. Dabei gingen wir in den Keller, wo der „Baderaum“ war. Auf der einen Seite waren einige Holzbänke zum Aus – und Anziehen und auf der anderen einige Waschbecken und dahinter drei Duschköpfe. Nach dem Ausziehen ging man dann zu einem Waschbecken und füllte dieses mit Wasser und wusch sich mit Waschlappen und Seife. Danach konnte man sich mit dem Wasser aus den Waschbecken abspritzen, bevor es zur Sauberkeitskontrolle ging. Es wurde nicht nur der ganze Körper, sondern auch unser bestes Stück kontrolliert, ehe man sich wieder anziehen durfte. Passte irgendetwas nicht  gab  es Schläge mit bloßer Hand  oder Schnalzer mit dem nassen Handtuch auf den nackten Körper und einen Stricherl ins Heft. Man musste sich wieder einreihen , wo man warten musste, bis wieder ein Waschbecken frei wurde, um den Waschvorgang zu wiederholen. Das Handtuch umbinden war natürlich strengstens verboten. Am Badetag wurden auch die Socken zum Waschen abgegeben, danach wurden sie am Heizkörper im Schlafsaal zum Trocknen aufgehängt. Am Freitag war dann auch noch Haarewaschen dran, wo man sich kurz unter die Dusche zum Abspülen stellen durfte und da wurde auch die Unterwäsche und Oberwäsche gewechselt. Die Sauberkeitskontrolle wie sie die die Irxen (Tante Erika) durchführte war besonders pervers, sie schaute ganz genau und zog von einem jeden die Vorhaut zurück, damit sie die Eichel kontrollieren kann. Wenn aber einer dabei Gefühle bekam, hatte er eine mit den aufgestellten Holzlineal mit der Bemerkung “ das ist ein Skandal“ auf seine Männlichkeit. Den einzigen Skandal was ich dabei feststellen konnte, war aber dass so etwas wie sie Diplom-Fürsorgerin war, und auf wehrlose Kinder losgelassen wurde.

Am Sonntag wurden wir erst um 8 Uhr geweckt, danach wieder Körperpflege und Bettenbau wie jeden Tag. Zum Frühstück gab es gewasserten Kakao und ein Stück Striezel mit Nutella, ehe wir in unserem Sonntagsgewand in die Kirche nach Johannesberg marschierten, natürlich auch mit strengsten Sprechverbot und  mit einem Finger auf dem Mund. Wir waren die Belustigung im Ort. Jeder Verstoß wurde auch hier mit Schlägen und einem Strich ins Heft geahndet. Als es nach der sonntägigen Bloßstellung wieder zurück ins Heim ging und wir wieder umgezogen waren, gab es Mittagessen im großen Speisesaal natürlich wieder mit Sprechverbot und den üblichen Konsequenzen.

Anschließend ging es dann zu den Holzpritschen in einem kleinen Waldstück gleich neben den Heim zur Mittagsruhe. Hier mussten wir eine Stunde ruhig und ohne Decke auf den harten, verharzten und verdreckten Holzbrettern liegen. Danach ging es meistens auf den großen Sportplatz,  wo die braven, die ohne Eintrag im Stricherlheft  Fußballspielen durften und die anderen in Einserreihen wie Zinnsoldaten ihre Stricheln abstehen mussten. Das Abendessen am Sonntag war meistens kalt. Am liebsten war es mir, wenn die Frau Rosa, eine Köchin, Dienst hatte. Ich half bei ihr gerne in der Küche. Sie war sehr nett und es gab immer eine Kleinigkeit zum Naschen. Ich hatte auch jemanden, bei dem ich mich ausreden konnte, bevor es wieder in die Gruppe zum alltäglichen abendlichen Ritual ging.

Schwimmbadbesuche gab es in dieser Nobelherberge natürlich nicht. Wenn es einmal extrem heiß war und wir Sehnsucht nach etwas Abkühlung hatten, wurde der Betonring mit einen Durchmesser von ca. 1,5m der beim Brunnen im Hof war mit Wasser gefüllt, da konnte man kurz rein steigen und sich abkühlen. Zu diesem Zweck wurde etwas später auch eine Gartendusche im Hof aufgestellt. Um aber diese benutzen zu dürfen,  musste man sich im Hof nackt ausziehen, ehe man sich drunter stellen durfte. Mit dem Anziehen musste man dann allerdings solange warten, bis der Körper an der Luft getrocknet war. Für die schlimmen, die noch ein Stricherl zum Abstehen hatten, war dies allerdings verboten. Es gab aber auch Spaziergänge, natürlich mit Sprechverbot, in das benachbarte Dorf Grabensee, wo ein kleiner Bach verlief, in dem wir uns in dem 30 cm tiefen Wasser abkühlen konnten.
Die sogenannten Ordnerdienste, die ich aus heutiger Sicht eher als Sklaverei bezeichnen würde, waren jene Dienste, wo einige Zöglinge bei den privaten Haushalten der Direktorin und ihrer drei Töchter Arbeiten verrichten mussten. Es musste als besondere Ehre betrachtet werden, zum Beispiel Kaffee zu kochen, staubzusaugen, Geschirr abzuwaschen, Rasen zu mähen, Stall auszumisten, Auto zu waschen und jegliche anderer Reinigungsdienste verrichten zu „dürfen“, aber wehe, es ging dabei etwas zu Bruch. Diese Dienste von uns Kindern  erfolgten natürlich unentgeltlich und auf freiwilliger Basis. Als ich bei meinen Berufswunsch einmal Automechaniker angab, bekamen ich und ein anderes Kind die Ehre, das Auto von Onkel Heinz (Ehemann von Tante Erika) außen und innen zu reinigen und zu polieren, während die anderen am Sportplatz Fußball spielten. Obwohl wir uns besonders bemühten, gab es bei der Abnahme jede Menge Beanstandungen und wir mussten einige Dinge nacharbeiten, ehe wir wieder in die Gruppe zurück durften. Tags darauf  meinte Tante Erika, dass Automechaniker nichts für mich sei, da ich viel zu schlampig arbeiten würde. Diese Aussage traf mich, obwohl ausnahmsweise nicht Hand gegen mich erhoben wurde, wie ein Schlag mitten ins Gesicht.

An ein Erlebnis erinnere ich mich noch ganz genau. Tante Barbara zog mich aus irgendeinem (sicher nichtigen) Grund brutal in den Schlafsaal und verprügelte mich, bis aus ich aus meinem Kopf blutete. Diese Spuren sehe ich heute noch, wenn ich mir einen Sommerhaarschnitt verpasse. Als  sie dann endlich wieder von mir abließ,  verkroch ich mich in eine  Ecke, krümmte mich vor Schmerzen und weinte und wollte einfach nur meine Ruhe. Sie schrie mich an, ich soll das Bett wieder ordentlich machen und dann wieder rauskommen. Als ich nach einiger Zeit nicht rauskam, kam sie wieder rein und schrie mich weiter an: Du sollst rauskommen!  Aber ich wollte einfach nur meine Ruhe haben und reagierte nicht, worauf sie mich an allem, was sie erwischen konnte, an meinen Haaren, meinen Armen  vom 2. Stock ins Erdgeschoss die Stufen hinunter zerrte, wo die Specki (Direktorin) gleich weiter auf mich einprügelte, Als sie mit ihrem Sadistenakt fertig war, ließ sie mich einfach längere Zeit in der Ecke stehen. Danach schaute sie sich endlich mal meine Kopfwunde an und meinte nur, so schlimm ist das nicht.  Als ich mich wieder so einigermaßen beruhigt hatte, schickte sie mich wieder hinauf in die Gruppe, wo das Abendessen bereits beendet war und ich an diesen Tag ohne Essen ins Bett musste.

Als ich dann einige Zeit später Ausgang hatte und zu meinem Großvater auf Besuch fuhr, fragte er mich, wie es mir im Heim so geht. Ich habe ihm alles von den Schlägen, die ärger waren als zu Hause und den Spaziergängen, wo man mit einen Finger auf den Mund durch das Dorf gehen musste erzählt. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich einfach wieder nach Hause will. Er sagte, er wird sich das mal anschauen, wie es da draußen zugeht. Als ich wieder einrücken musste, kam mein Opa ein paar Tage später raus und er sprach mit der Direktorin. Ich konnte ihn nur kurz sehen und wir gingen ein bisschen spazieren. Er erzählte mir, dass es gar nicht so schlimm sein kann, weil die Direktorin auf ihn keinen so schlechten Eindruck macht und ich mich noch richtig eingewöhnen muss. Nun hatte ich jegliche Hoffnung verloren, wenn nicht mal mein Großvater mir glaubt. Er streichelte mir noch über den Kopf und meinte nur, du hast schon einiges geschafft, da musst du jetzt durch. Ich war furchtbar enttäuscht. Als ich dann wieder in der Gruppe war, wurde auf einmal von Tante Barbara eine Kollektivstrafe verhängt und alle mussten stehen .Ich wusste es zwar nicht, aber ich ahnte  schon warum, da sie kurz vorher mit der Direktorin sprach. Nach ca. einer Stunde ließ sie die andern dann spielen, ich hingegen musste bis zum Abendessen weiter stehen und zwar mit ausgestreckten Händen, wo sie mir auch noch zwei Bücher drauflegte. Ab diesem Tag ging die Hölle erst richtig los, weil auch noch fast alle Kinder  gegen mich waren. Jeden Tag wurde ich verprügelt, oft von mehreren auf einmal, nicht einmal in der Nacht hatte ich meine Ruhe. Ich bekam ich öfters ein Polster vors Gesicht gedrückt und dann wurde  mit allem, was zur Verfügung stand, auf mich eingedroschen. Von der Erzieherin hatte ich keine Hilfe zu erwarten, denn sie hat es regelrecht genossen, wie ich regelmäßig verprügelt wurde. Musste sie doch einmal eingreifen, verteilte sie die Strafen ganz nach dem Motto „das Opfer ist schuld“, das so viel bedeutete wenn ich von vieren geprügelt wurde stehen, die vier je eine Stunde, ich hingegen vier. Ich musste auch für alles, was in der Gruppe passierte, den Kopf hinhalten. Wodurch ich innerhalb kürzester Zeit so viele Stricherl ins Heft  bekam, und die Freizeitbeschäftigung der nächsten Wochen nur stricherlabstehen bedeutete.

Zu diesen Zeitpunkt war ich an meinem absoluten Tiefpunkt angelangt, ich wollte einfach nur meine Ruhe, und wenn Ruhe Tod bedeutet war ich auch dazu bereit . Jedes Fenster im zweiten Stock war eine Einladung für mich zu springen. Ich hatte auch schon einen Brief an meinen Großvater verfasst, in dem ich ihn von meiner aussichtslosen Situation und von meinen Wunsch, die anderen von meiner Gegenwart zu befreien schrieb. Als die Specki bei einer überaschenden Schultaschenkontrolle den Brief  fand, knallte sie mir eine und zerrte mich zu ihr ins Büro und meinte, das ohne ihre Kontrolle kein Brief das Heim verlassen darf. Sie öffnete den Brief und las ihn sich durch und wechselte gleichzeitig die Gesichtsfarbe, sie sagte nur, wenn das so ist, müssen wir da etwas ändern. Ich spürte das erste Mal eine gewisse Unsicherheit bei ihr, aber nicht wegen mir, sondern, wie ich später erfuhr, dass ein eventueller Selbstmord in ihrer Anstalt ihren guten Ruf schädigen könnte. Seit diesen Zeitpunkt  fühlte ich mich ständig beobachtet und kontrolliert. Sie veranlasste auch, dass ich ab sofort die Nacht in der ersten Gruppe und zwar in den Schlafsaal wo die 8-9 jährigen schlafen, verbringen musste, gleich daneben war ihre Schlafkammer. Ich musste mich ab diesen Zeitpunkt jeden Tag um ca 19. Uhr nach dem Waschen und Zähneputzen bei Mimi, der Gruppentante, melden. Dann musste ich mich mit meinen 15 Jahren, wie alle anderen  jüngeren Kinder,  nackt ausziehen und mich  mit ihnen in einer Einserreihe aufstellen, wo wir noch auf Sauberkeit und geputzte Zähne kontrolliert wurden. Wehe es passte etwas nicht, dann  gab es die nächsten Prügel  und man wurde mit dem Aufpasser  (ein Kind aus Ihrer Gruppe, das von ihr bestimmt wurde um auf die anderen aufzupassenn dass nach dem Lichtabdrehen nicht mehr gesprochen und aufs WC gegangen wird und alle Vorkommnisse melden musste) in den Waschraum zum Nachreinigen geschickt. Dann durften wir erst unser Nachtgewand anziehen und ins Bett. Danach durften wir nicht mehr aufs Klo. Wehe, es wurde einer dabei erwischt, wie er aufs Klo ging, setzte es wieder Prügel und eine Stehstrafe barfuß auf dem kalten Steinboden. Da ich bereits meine ersten Schamhaare hatte, war es mir so peinlich, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Den einzigen „Vorteil“ (wenn man das so nennen mag) war , dass ich wenigsten wieder einmal ohne Angst schlafen konnte. Nach einiger Zeit konnte (musste) ich wieder in den alten Schlafsaal. Es wurde zwar mit der Zeit etwas  besser, aber ich war noch immer der Verräter. Barbara hat es immer wieder geschafft, die anderen gegen mich aufzuhetzen und  genossen, wie ich von ihnen geschlagen wurde. Sie hatte endlich ein neues Bauernopfer gefunden. Dieses Erlebnis verfolgt mich noch bis heute. Ich überlege immer dreimal, bevor ich etwas sage, um nicht wieder der Sündenbock für alle zu sein.

Und noch eine kleine Geschichte, wie man dort nicht nur von den Erziehern, sondern auch von anderen Zöglingen missbraucht wurde. Es war kurz nach meiner Einlieferung in diese Anstalt, als einmal in der Nacht ein starker unsympathischer Zögling aus einer anderen Gruppe bei mir am Bett stand und mir seinen Pennis entgegen streckte und mich mit Gewalt zwang diesen anzugreifen und in meinen Mund zu nehmen. mir war zum Erbrechen übel , am liebsten hätt ich ihm ins Gesicht gespuckt. Am nächsten Tag ging ich in die Direktion und erzählte der Specky von diesen Vorfall. als ich ihr dann den Namen des Zöglings nannte, knallte sie mir eine und sagte “ der B……..  ist so ein netter Bub, der macht so etwas nicht“ und lies mich zur Strafe noch 100 mal schreiben „Ich soll über die anderen Kinder keine Lügen verbreiten“.
Diese Vorfälle wiederholten sich danach immer wieder, wobei seine Vorgangsweise immer brutaler wurde. Tagsüber wurde es auch schwieriger, ihm aus den Weg zu gehen, da er immer wieder die Nähe zu den schwächeren suchte, um an ihnen seine gewalttätigen und perversen Aggressionen auszuleben. Dabei kündigte er auch immer seinen nächsten nächtlichen Besuch an.

Pädagogische Vorschriften für Heimleitungen und deren Umsetzung im Kinderheim Wimmersdorf:

1. Der Inhaber des Heimes ist dafür verantwortlich, daß während dem Heimbetrieb es entweder der Heimleiter selbst oder ein mit der Leitung des Heimes vertrauter, geeigneter Stellvertreter anwesend ist.

Die Heimleiterin war immer anwesend, um bei Bedarf die Zöglinge kräftigst zu verprügeln.

2. Wenn in einem Heim mehr als 25 Pflegekinder untergebracht sind, so sind diese in Gruppen zusammenzufassen. Die einzelne Gruppe darf nicht mehr als 25 Pflegekinder umfassen. Die dem Heim anvertrauten Pflegekinder sind in möglichst familienähnlicher Weise zu selbstständigen, verantwortungsbewußten Menschen mit Verständnis für Ordnung, Rechtlichkeit und soziales Denken zu erziehen.

in Wimmerdorf wurde man eher in haftähnlicher Weise zu unselbstständigen, verantwortungslosen Menschen ohne Sinn für Recht und soziales Denken erzogen.

3. Es ist untersagt, die Pflegekinder zu beschimpfen zu schlagen oder auf demütigende Art, etwa durch Entziehung von Mahlzeiten oder Knien lassen, zu bestrafen.

Diese Vorschrift empfinden Wimmersdorfer Heimkinder als Hohn, denn wir wurden beschimpft, geschlagen und auf besonders demütigende Art und Weise gehalten. Essensentzug sowie stundenlanges Strafe stehen und Knien lassen stand an der Tagesordnung.

4.Die Heimleiter haben fallweise, mindestens einmal monatlich, mit dem Erziehungspersonal Besprechungen abzuhalten, in welchen die Erziehungssprobleme eingehend behandelt werden. Über diese Besprechungen sind kurze Protokolle zu führen.

Über derartige Protokolle ist uns nichts bekannt.

5. Die Tageseinteilung ist so zu treffen, daß jedem Pflegekind täglich mindestens eine Stunde Bewegung in frischer Luft geboten wird.

Wenn es zur Bewegung an der frischen Luft zählt, in der prallen Sonne stramm zu stehen oder spazieren zu gehen mit einen Finger auf den Mund, dann hatten wir davon ausreichend.

6. Bei Pflegekindern über sechs Jahre ist außerdem dafür Sorge zu tragen, daß ihnen ungelenkte Freizeit von wenigstens einer Stunde täglich ermöglicht wird.

Ungelenkte Freizeit bestand aus still dasitzen, nichts reden und Reinigungsdienste für Erzieher, Heimleitung und deren Angehörigen zu verrichten.

7.Die Landesregierung kann, abweichend von der Vorschrift des Abs.2 erster Satz, unter Bedachtnahme auf das Wohl der Pflegekinder und den Heimzweck vorschreiben, daß die einzelnen Gruppen weniger als 25 Pflegekinder umfassen müssen.

Dieser Punkt wurde als einziger von „sieben“ eingehalten.
Auf Grund dieses Beitrages wurde das Kinderheim Wimmersdorf 1981 vermutlich geschlossen

Was aus mir geworden ist

Es war kurz vor meiner Entlassung aus diesem Knast. Ich hatte Ausgang und wollte mich mit einem Freund aus dem Heim treffen. Er kam aber nicht, so schlenderte ich durch den 3. Bezirk und machte mir Gedanken über meine Zukunft. Ich war so ziemlich der einzige aus unserer Gruppe, der noch keine Lehrstelle hatte. Das ärgerte mich sehr, ich hatte einfach keine Zukunftsperspektive. Da kam ich bei einem kleinen Elektrogeschäft vorbei, wo in der Auslage ein Aushang war: „Wir suchen einen Lehrling“. Ich wollte hineingehen, traute mich aber nicht. Ich ging hin und her vor dem Geschäft und wartete auf den richtigen Augenblick. Wahrscheinlich stünde ich heute noch dort, wenn die Chefin nicht aus dem Geschäft gekommen wäre und mich fragte, ob sie mir helfen könne. Ich sagte ja, ich möchte diese Lehrstelle und zeigte auf den Aushang. Sie nahm mich mit ins Geschäft und ich erzählte ihr alles von meinem bisherigen Leben. Ich hatte komischerweise gleich ein gewisses Vertrauen zu ihr. Wir vereinbarten, dass ich das nächste Mal mit dem Halbjahreszeugnis wiederkomme. Sie versprach mir, für mich bei ihrem Mann ein gutes Wort einzulegen. Wieder zurück im Heim, erzählte ich der Direktorin, dass ich Aussicht auf eine Lehrstelle hätte und demnächst wieder mit dem Zeugnis vorbeikommen sollte. Natürlich glaubte sie mir nicht und ich bekam keinen Ausgang mehr bis zur Entlassung. Ich war wieder mal am Boden zerstört und hatte Angst, dass die Lehrstelle dann weg war. Endlich war Schulschluss und wir bekamen das Abschlusszeugnis. Wir durften am Freitag Vormittag bereits nach Wien fahren. Mein erster Weg war nicht nach Hause, sondern gleich zu dem Elektrogeschäft. Ich hoffte, dass sich diese nette Frau noch an mich erinnern konnte. Ich ging also ins Geschäft hinein und fragte nach der Lehrstelle. Zu diesem Zeitpunkt war auch der Meister da. Sie meinte, die Lehrstelle ist leider schon vergeben, aber ich könne mit dem Chef sprechen. Ich erklärte dem Chef, warum ich damals nicht kommen konnte. Er zeigte Verständnis und lud mich am Montag für einen Probetag ein. Ich war überglücklich, dass ich eine Chance bekam, obwohl uns Heimkindern ja beigebracht wurde, dass wir in unserem Leben nichts erreichen können. Ich hatte mein erstes Erfolgserlebnis und freute mich bereits auf Montag. Es lief alles gut und ich bekam die Lehrstelle. Die Arbeit machte mir Spaß. Nur zuhause passte nach kurzer Zeit nichts mehr, da meine Mutter in das alte gewalttätige Muster verfiel. Ich hing mich voll in die Arbeit rein und arbeitete auch gerne am Abend länger, um nur nicht nach Hause zu müssen. Mein Meister vertraute mir bereits im 3. Lehrjahr mit einem jüngeren Lehrling eine kleinere Baustelle an. An ein Gespräch mit meinem Meister erinnere ich mich heute noch. Er fragte mich, ob ich was anderes als ja auch sagen könnte, da ich alles ohne Widerrede erledigte (es wurde mir ja nicht anders beigebracht). Gottseidank traf ich auf diese Menschen, die diese Situation nicht ausnutzten, im Gegenteil mir Vertrauen schenkten und sich dadurch auch mein Selbstwertgefühl etwas steigerte.

Meine Chefleute wurden für mich so etwas wie eine Familie, wie ich sie mir vorstelle. Ich konnte mit allen Problemen zu ihnen kommen. Ich erzählte ihnen auch, wie schlecht es mir daheim ging. Ich musste von meiner Lehrlingsentschädigung (damals 500 Schilling in der Woche ) 350 Schilling als Kostgeld hergeben und nebenbei auch noch Kindermädchen für meine jüngere Schwester spielen. Ich war wieder mal verzweifelt. Aber auch dafür hatten meine Chefleute eine Lösung. Sie besorgten mir einen Platz im Jugendwohnheim, denn ein Lehrlingsheim kam für mich nicht mehr in Frage, von der Kontrolle in solchen Institutionen hatte ich genug. Nach meinen Auszug daheim und dem Einzug ins Jugendwohnheim war ich zwar auf mich selbst gestellt, hatte aber meine Freiheit und noch dazu liebe Menschen (meine Chefleute), mit denen ich reden konnte und die mich in allen Belangen unterstützten.  So schaffte ich meinen Lehrabschluss und war zum ersten Mal stolz auf mich selbst. Während dieser Zeit machte ich auch den Führerschein und entdeckte meine große Liebe zu schnellen Autos

1983 war ich beim Bundesheer. Gegen Wimmersdorf war das ein Sanatorium.

Das Elektrogeschäft wurde danach leider wegen Pensionierung aufgegeben.

Durch einen guten Freund in meinem Sportverein fand ich eine Stelle bei der Post als Briefträger, wo ich ca. 13 Jahre arbeitete und Beamter wurde. Ich hatte eine eigene kleine Gemeindewohnung, verdiente aber leider zu wenig, um mir mein Hobby, die schnellen Autos, zu finanzieren. Daher nahm ich immer wieder Nebenjobs bei diversen Tankstellen an. Durch unseren Sponsor beim Sportverein, der ein großes Autohaus besaß und bei dem ich auch immer wieder aushalf, bekam ich auch die Möglichkeit, immer die neuesten und schnellsten Modelle zu fahren. Mit Frauen hatte ich in dieser Zeit nur Kurzbeziehungen. Ich hatte immer das Gefühl, nur ausgenutzt zu werden. Es kam auch einmal vor, dass  ich nach so einer Kurzbeziehung 200 000 Schilling Schulden hatte. Ich stand ihr für ein Geschäft gerade und dann machte sie mit mir Schluss. Geld habe ich von ihr bis heute nicht gesehen. Durch regelmäßige Probleme mit meinem Vorgesetzten bei der Post, der alle immer unterdrückte, kündigte ich diese Stelle. Ich wollte nicht wieder in das Heimschema, immer kuschen zu müssen, hineinfallen.

1997 lernte ich dann meine jetzige Frau kennen, die einen damals fünfjährigen Buben aus erster Ehe mit in die Beziehung nahm. Ich begann meinen neuen Job als Hausmeister in einer großen Wohnhausanlage, wo ich heute noch mit Freude tätig bin. Da wurde ich das erste Mal sesshaft und lernte andere Wertigkeiten des Lebens kennen. Es war nicht einfach für mich, plötzlich eine kleine Familie und Verantwortung zu haben. Gemeinsam mit meiner Frau habe ich meine Schulden, die ich durch meine früheren Blödheiten (schnelle Autos und Leichtgläubigkeit) entstanden, abgebaut. 2001 erfüllte sie mir auch noch den größten Wunsch nach einem gemeinsamen Kind. Mein Sohn kam zur Welt. Als ich zum ersten Mal dieses kleine Geschöpf (mein Sohn war nicht mal 2 Kilo schwer) in meinen Händen hatte, empfand ich eine Liebe, die ich in meinem bisherigen Leben nicht kennenlernen durfte. Im Lauf der nächsten Jahre habe ich durch viele Gespräche mit meiner Frau auch gelernt, wie man Kinder ohne Gewalt großzieht. 2005 erfüllten wir uns dann unseren großen Wunsch nach einem eigenen Haus im Grünen. Unser Plan ist es, in der Pension unseren Lebensabend in Ruhe dort zu genießen. Heute widme ich meine ganze Zeit meiner Familie, unseren Haus und dem Sportverein, aktiv muss ich zwar wegen meiner Bandscheibenprobleme etwas kürzer treten, da ich dort aber eine Funktion im Vorstand habe und auch im zuständigen Landesverband  tätig bin, verbringe ich auch hier sehr viel Zeit.

Zum Abschluss möchte ich gerne den Menschen danken, die an mich geglaubt haben und mir auch die Chance gegeben haben, in meinem Leben sozial und aktiv Schritt zu fassen.

Also: schlecht behandelt in „Besserungsanstalten“, in Kinderheimen, auf  Pflegestellen und – wie auch schon längst bekannt – im Krankenhaus.

 

Schwerbehinderte Kinder sollen noch in den 1980er-Jahren in der Wiener Psychiatrie durch Vernachlässigung gestorben sein.

Ich habe ein Kind in die Prosektur bekommen, das unbeaufsichtigt in der Badewanne ertrunken war, eines ist am eigenen Erbrochenen erstickt“, sagt Walter R. (Name von der Redaktion geändert). R. arbeitete von den 1970er- bis vor etwa zehn Jahren in der pathologischen Abteilung des Otto-Wagner-Spitals am Steinhof in Wien.

Aus der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie seien regelmäßig verstorbene Patienten – Kinder und Jugendliche eben – auf seinem Tisch gelandet. „Anfangs etwa eines pro Monat, etwa ab 1983 hat es Gott sei Dank nachgelassen“.

Walter R. erinnert sich: „In allen Obduktionsbefunden stand, dass die Kinder unterernährt waren. Richtiggehend kachektisch (krankhaft abgemagert, Anm.).“ Er spricht von Vernachlässigung durch das Pflegepersonal und die behandelnden Ärzte. Die häufigste Todesursache, erinnert sich R., sei Lungenentzündung gewesen. „Das ist ganz klar. Wenn die Kinder den ganzen Tag ans Bett gefesselt sind und sich nie bewegen dürfen, bekommen sie rasch eine Lungenentzündung.“ Die Kinder wurden durch Vernachlässigung zu Tode „gepflegt“, berichtete der ehemalige Pathologie-Mitarbeiter.

Keine Zäsur nach 1945

„Das stimmt, das stimmt“, sagt auch Elisabeth Pohl, die ab 1981 am Steinhof tätig war. Als Krankenschwester in der Kinderabteilung. Sie hat kürzlich in der Wochenzeitung Falter über den Pflegenotstand vor 30 Jahren berichtet. Im KURIER spricht sie davon, wie nach der Nazi-Euthanasie (im Pavillon 15) die Pflegearbeit am Steinhof fortgesetzt wurde. „Nach 1945 gab es keinen Schnitt. Die Strukturen haben weiter bestanden.“

Noch Anfang der 1980er-Jahre seien auch mehrfachbehinderte Kinder vom Pflegepersonal geprügelt worden. „Sie wurden in der kalten Badewanne untergetaucht. Wenn sie nicht essen konnten oder wollten, wurde ihnen die Nase zugehalten, damit sie schlucken.“ Sie erzählt von Kindern, die sich in die Toilette des Schlafraumes begaben, um aus der Klomuschel Wasser zu trinken. „Die Wasserleitung war ja abgedreht.“ Damals, als junge Krankenschwester, hätte sie „keine Ahnung gehabt, wie man mit Menschen mit Behinderung umgeht“. „Niemand hat es uns gezeigt.“ Heute arbeitet sie nach wie vor in diesem Bereich.

Die behinderten Kinder und Jugendlichen seien oft ans Bett gefesselt oder in Netzbetten gesteckt worden. „Da gab es welche, die haben dann mit ihrem eigenen Kot gespielt, oder ihr Essen wieder raufgewürgt, um damit zu spielen“, sagt Pohl. Die Kinder wurden vom Personal dafür bestraft. „Das waren eigentlich kluge Kinder. Die hat man ohne Spielzeug eingesperrt. Na klar suchen sich die etwas, das sie angreifen können.“ Zuneigung oder Empathie habe es in der Kinderpsychiatrie am Steinhof kaum gegeben. Damals sei sie „hilflos“ gewesen, sagt Pohl.

Ärzte und Psychiater? „Da sind täglich welche durchgegangen und haben das alles gesehen. Wenn es ein Problem gab, wurden die Kinder einfach niedergespritzt.“ Jetzt verlangt sie Gerechtigkeit für die mittlerweile Erwachsenen ehemaligen Patienten der Psychiatrie. „Für die ist niemand zuständig.“

„Verdeckte Spuren“ – Mein Leidensweg vom Spiegelgrund

Ingeborg Dürnecker

Ingeborg Dürnecker wurde am 5. Oktober 1934 in Wien geboren. Nachdem sie mit drei Monaten von ihren leiblichen Eltern ausgesetzt worden war, kam sie zu Pflegeeltern. Damit begann ihr Leidensweg. Im Alter von sieben Jahren wurde sie auf Grund von Misshandlungen der Kinderübernahmestelle der Stadt Wien in der Lustkandlgasse übergeben, kam anschließend für 18 Monate in die Kinderanstalt „Am Spiegelgrund“ und danach für fast fünf Jahre in das Kinderheim Erlanghof.

Mit drei Monaten ausgesetzt im Jänner 1935, bei Minusgraden. So hatte es begonnen. Sieben Jahre alt: Misshandlungen und Verwahrlosung. Somit war ich gut geeignet als Versuchsobjekt. Sechs Wochen Kinderübernahmestelle1, achtzehn Monate Spiegelgrund2 und knapp fünf Jahre Kinderheim Erlanghof. Alles sogenannte Heime.

Für mich waren der Spiegelgrund und das Kinderheim Erlanghof so genannte Kinder-KZ: Kälte, Hunger, Schläge, Unmengen von Tabletten und Spritzen. Sadistische Gräueltaten waren an der Tagesordnung. Wir wurden zu Bettnässern. Man hängte uns das Leintuch über den Kopf, und wir mussten auf Steinböden stehen, bis es trocken war. Dabei sind meine Zehen erfroren.

Die sogenannte Gesichtswäsche: Wir mussten uns vor die Klomuschel knien, den Kopf in die Muschel, runter mit der Spülung. Ich bekam Spei-Injektionen durch Dr. Gross3– ich glaubte, ich müsste sterben.

Ich hatte einmal gewagt, aus einem Vogelhäuschen Brotbröckerl herauszunehmen. Zur Strafe hatte man mich angebunden und die Fingernägel bis ins Fleisch geschnitten. Ein anderes Mal die Haare zur Glatze geschnitten. Oder mit eiskaltem Wasser an die Wand gespritzt, bis wir zusammenbrachen. Und so gäbe es noch viel zu erzählen.

Mir hat man keine Häuser, Schmuck oder dergleichen genommen. Sondern 62 Jahre meines Lebens. Psychisch sowie nervlich mein ganzes Leben zerstört.

Sie fragen, was so ein Verlust wert ist, wenn man nie Kind sein durfte und geschunden wurde? Keine Ahnung, was ein Menschenleben wert ist.

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Es ist so traurig, dass es zum Großteil unsere eigenen Landsleute waren.

1 Die Kinderübernahmestelle diente bereits vor 1938 als Aufnahme- und Verteilungsstelle für Kinder und Jugendliche, die in öffentliche Fürsorge genommen wurden. Während der NS-Zeit war die Kinderübernahmestelle für die Überstellung vieler behinderter Kinder an Tötungsanstalten wie „Am Spiegelgrund“ verantwortlich.
2 In der berüchtigten Kinderanstalt „Am Spiegelgrund“, errichtet im Juli 1940 auf dem Gelände der „Heil und Pflegeanstalt Am Steinhof“ in Wien, wurden bis 1945 im Zuge der nationalsozialistischen „Kindereuthanasie“ fast 800 kranke oder behinderte Kinder ermordet.
3 Dr. Heinrich Gross, Arzt in der Kinderanstalt „Am Spiegelgrund“, war an der Ermordung von geistig oder körperlich behinderten Kindern aktiv beteiligt. Nach 1945 nie rechtskräftig verurteilt, konnte er als Gerichtsgutachter in Österreich Karriere machen. Ein 1997 eingeleitetes Verfahren wegen des Verdachts auf Ermordung von neun Kindern wurde nach dem Tod von Heinrich Gross im Jahr 2005 eingestellt.

Arbeitsgruppe

Nach der Aufarbeitung der Ereignisse im Kinderheim Wilhelminenberg befindet sich auch in der Causa Steinhof eine Arbeitsgruppe in Gründung. Mit dabei: Susanne Drapalik vom Wiener Krankenanstaltenverbund. „Wir versuchen, als ersten Schritt an Daten und Unterlagen von damals heranzukommen. Die Vorwürfe gehen ja bis in die 1960er-Jahre zurück.“ Auf die Todesfälle angesprochen meint sie: „Das muss man prüfen. Derzeit ist uns nichts bekannt.“ Betroffene können sich via Telefon (☎ 01/40409-70970) oder eMail (servicemail@wienkav.at) an die Arbeitsgruppe wenden.

Nach der Heimenquete 1971 wurden die Kinderheime nach und nach geschlossen – auch auf Druck engagierter Pädagogen. Statt in abgeschotteten Anstalten sollten die Kinder in Wohngemeinschaften untergebracht werden, vorzugsweise in der Gegend, in der sie aufgewachsen waren.

Keine strafrechtlichen Konsequenzen

„Der Politik ging es vor allem darum, dass das viel billiger war als die Heime“ , sagt Hans Feigelfeld, eine der treibenden Kräfte der Reform und ehemaliger Erzieher am Wilhelminenberg. Er konnte dort 1972 jene Abteilung aufbauen, in der in der auch Gerti K. ab 1973 beschäftigt war und in der antiautoritär gearbeitet wurde.

Das „W-Heim“ wurde schließlich 1977 als eines der ersten geschlossen. Die „harte“ Erzieherin Linda R. arbeitete bis zum Schluss dort, danach ging sie ins Heim auf der Hohen Warte. Heute muss sie keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten: Die Taten sind verjährt.

Als ebenfalls „untersuchungswürdiges“ Heim wurde die Hohe Warte identifiziert. Im Unterschied zum Wilheminensberg sind die Akten hier noch nicht vernichtet worden.

Primär  betroffen sind die ehemaligen Heime Wilhelminenberg mit 259 Meldungen (Mehrfachnennungen möglich), Eggenburg mit 128, die Hohe Warte mit 115, die Kinderübernahmsstelle (KÜST) mit 91, Biedermannsdorf  mit 83, Hütteldorf mit 55, Retz mit 48, das Julius Tandler Heim mit 46, Altenberg mit 43, Wimmersdorf mit 41 und Klosterneuburg mit 39.

Einen Tag nach der Vorstellung des Endberichts der Wilhelminenberg-Kommission hat Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (er hatte die Kommission beauftragt) die Gründung einer Arbeitsgruppe in Auftrag gegeben, die sich mit weiteren Wiener Heimen beschäftigten wird.

Diese Opfer-Kommission wird also noch eine Weile beschäftigt sein.

Nur der guten Ordnung halber sei hier auch noch angeführt, dass

die Klasnic Oferschutz-Kommission

seit April 2010 die kirchlichen Missbrauchsfälle in Österreich untersucht.

Um Misshandlungs- und sexuelle Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche aufzuarbeiten, wurde vor drei Jahren die Unabhängige Opferschutzkommission (UOK) gegründet. Als deren Leiterin hat Kardinal Christoph Schönborn die frühere Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic (ÖVP), eingesetzt. 1422 Personen haben sich gemeldet, 1289 davon erhielten Entschädigungen von 5000 Euro bis 25 000 pro Einzelfall.

Bisher hat die Kommission 12,2 Millionen Euro an finanziellen und 34 000 Stunden an therapeutischen Hilfestellungen zuerkannt. In zwanzig Fällen wurden Schadenersatz und Wiedergutmachung abgelehnt. In 75 Fällen kam die Kommission zur Erkenntnis, dass die Kirche in die behaupteten Verbrechen nicht involviert sei.

Einige Opfer haben in der Zwischenzeit auch Gerichtsprozesse angestrengt. Ein ehemaliger Zögling beispielsweise hat das Stift Admont und zwei Patres zivilrechtlich auf Schadensersatz geklagt. Auch gegen das Stift Kremsmünster und gegen das Bregenzer Kloster Mehrerau laufen einige Klagen, in Bälde muss sich ein 79-jähriger, mittlerweile ausgetretener Pater strafrechtlich verantworten.

Von Anfang an hatte es Kritik daran gegeben, dass sich die sogenannte Klasnic-Kommission als unabhängig bezeichnet. Der Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Renzl hat deswegen sogar eine Klage eingebracht. Er verlangt von Waltraud Klasnic und deren Sprecher Herwig Hösele, die Verwendung des Namens zu unterlassen. Renzl ist der Auffassung, dass die Kommission eben nicht unabhängig sei, weil sie von der Kirche eingesetzt worden sei. Außerdem trete die Kommission wie eine Behörde auf, was erst recht untragbar sei.

Die UOK wiederum forderte zuletzt die Regierung dazu auf, eine „Präventionsplattform zum Schutz vor körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt“ einzurichten. Bei einem Symposion in Wien hat Klasnic darauf hingewiesen, dass die ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission „an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen“ seien.

Aus Parlament verbannt

Das Symposion im vergangenen Februar hätte ursprünglich im Parlament stattfinden sollen, was dann aber kurzfristig an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) scheiterte. Zuvor hatte es massive Proteste der „Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt“ sowie der „Initiative Religion ist Privatsache“ gegeben, weil die umstrittene Klasnic-Kommission selbst Veranstalterin des Symposions war. Prammer teilte schließlich mit, dass das für eine Veranstaltung im Hohen Haus nötige „Klima des Vertrauens“ noch nicht gegeben sei, und sagte ab. Die Veranstaltung fand im Haus der Industrie statt.

Anfang Juni 2013 wurde Waltraud Klasnic gemeinsam mit der früheren Zweiten Präsidentin des Nationalrates, Marga Hubinek, von Vizekanzler Michael Spindel­egger (VP) der Große Leopold Kunschak Preis verliehen – unter anderem wegen ihrer Verdienste bei der Opferschutzkommission. In ihrer Rede schlug sie einen Präventionsbeirat vor, „der auch die Vorbereitung von Gesetzen begleitet, um alles Mögliche zur Verhinderung von Missbrauch zu tun“. Vorschläge dazu lägen bereits in den Schreibtischen.

Im Namen aller Opfer – denen mein aufrichtiges Mitgefühl gehört – wünsche ich mir, dass in Zukunft solche Vorfälle nicht mehr möglich sind, und wenn doch, dass die  Opfer angehört und ihnen Glauben geschenkt wird!

 

Netzfrau Lisa Natterer

http://www.profil.at/articles/1011/560/264620/die-gezeichneten-auch-heimen-zoeglinge

Hansjörg Schlechter 24.10.2007: http://www.augustin.or.at/article502.htm

http://kurier.at/politik/pflegekinder-wurden-oft-wie-sklaven-gehalten/792.174http://kurier.at/chronik/wien/die-kinder-vom-steinhof-in-der-psychiatrie-zu-tode-vernachlaessigt/15.817.743

http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtpolitik/555977_Wiens-gedemuetigte-Aschenputtel.html

http://kurier.at/chronik/oesterreich/pflegekinder-als-billige-arbeitskraefte-ausgebeutet/16.298.051

http://derstandard.at/r1318726034563/Missbrauch-im-Kinderheim-Wilhelminenberghttp://www.profil.at/articles/1325/560/360390/kinderheim-wilhelminenberg-zu-entsetzen

http://rechtlosekinder.wordpress.com/kinderheime-in-wien-2/

http://derstandard.at/1329869982727/Heimkinder-in-Wien-Gewalt-in-Kinderheimen-Keine-Besserung-bis-in-die-1990er-Jahrehttp://derstandard.at/1328507050947/Schwere-Vorwuerfe-Malaria-Versuche-an-Wiener-Heimkindhttp://kurier.at/nachrichten/wien/4306652-kinderheim-des-grauens-wir-wurden-alle-vergewaltigt-und-verkauft.phphttp://kurier.at/chronik/wien/kinderheim-opfer-die-erzieherinnen-quaelten-zum-spass/733.909http://kurier.at/chronik/wien/skandalheim-jetzt-reden-die-erzieherinnen/734.014

http://www.gegensexuellegewalt.at/2012/02/10/skandalose-zustande-in-ferlach-goritschach/

www.kleinezeitung.at http://geppbloggt.com/2011/11/02/keinen-deut-besser-als-zur-nazizeit%E2%80%9C/http://www.wir-heimkinder.at/irmtraud-karlsson-verwaltete-kinder-1975.pdfhttp://derstandard.at/1345165333780/Bund-verweigert-Heimkindern-Entschaedigung

http://www.wien.gv.at/menschen-gesellschaft/pflegekinder-studie.htmlhttp://gedenkstaettesteinhof.at/de/interviews

http://derstandard.at/1369363547168/Gelobt-und-gescholten-Die-Klasnic-Kommission

http://erziehungsheim-wimmersdorf.blogspot.co.at/

http://de.nationalfonds.org/articles/20080117160614042.html

http://meinheimblog.blogspot.co.at/ (copyright bei wimmersdorfer heimkind@gmx.at )

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/1418482/Wilhelminenberg_Weitere-Heime-werden-geprueft

http://derstandard.at/1318726075960/Kommission-geplant-Wahrheitssuche-am-Wilhelminenberg

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