Nur Litauen hat schlechtere Werte als Deutschland! Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro pro Stunde. Ihr Anteil an allen Beschäftigten war im Jahr 2010 mit 24,1 Prozent so groß wie in kaum einem anderen Staat der Europäischen Union (EU).
Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Unter den 7,1 Millionen Beziehern von Niedriglöhnen hierzulande sind Geringqualifierte fast die Ausnahme: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Besonders hoch sei der Anteil der Niedriglöhner bei Frauen und Teilzeitbeschäftigten.
Geschlecht und Arbeitszeit
In Deutschland wie in den Vergleichsländern verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer und beziehen deshalb auch häufiger Niedriglöhne.Frauen stellen in allen untersuchten Ländern die Mehrheit der Geringverdiener – in Deutschland sind es 62,9 Prozent (vgl. Abbildung 2). Hierzulande ist zwar auch die Niedriglohnquote von Männern mit 16,7 Prozent relativ hoch, aber diejenige der Frauen liegt mit 32,4 Prozent fast doppelt so hoch. In keinem anderen Land (mit Ausnahme Österreichs, das in der Abbildung nicht enthalten ist) ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern derart ausgeprägt.
Im Unterschied zu Deutschland liegen dagegen die Niedriglohnquoten von Frauen und Männern vor allem in den skandinavischen Ländern sehr nahe beieinander. Das könnte auf die lange Tradition der Gleichstellungspolitik und die starke Position von Frauen am Arbeitsmarkt in diesen Ländern zurückzuführen sein. Obwohl die Berechnungen auf Stundenlöhnen beruhen, also unterschiedliche Arbeitszeiten herausgerechnet wurden, gibt es in der Lohnverteilung deutliche Unterschiede zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeit:
Überall beziehen Teilzeitbeschäftigte häufiger Niedriglöhne als Vollzeitbeschäftigte. In Deutschland sind die Niedriglohnquoten für beide Gruppen wiederum die höchsten, wobei der Wert für Teilzeitbeschäftigte mit 40,1 Prozent mehr als doppelt so hoch ist wie der für Vollzeitbeschäftigte (18,2 %). Eine vergleichbare Diskrepanz ist nur in Großbritannien festzustellen (vgl. Abbildung 2).
In Deutschland arbeiten deutlich mehr als 40 Prozent aller Geringverdiener in Teilzeit. Dazu trägt auch die Verbreitung der geringfügigen Teilzeitarbeit (Minijobs) bei:
Über 11 Prozent aller Geringverdiener arbeiten hierzulande zwölf Wochenstunden oder weniger – ein Anteil, der in keinem anderen Land auch nur annähernd erreicht wird.
Im Übrigen unterscheiden sich die Durchschnittslöhne von teilzeitarbeitenden Männern und Frauen in allen Ländern nicht signifikant. Allerdings wird Teilzeitarbeit überwiegend von Frauen geleistet. Das erhöht ihren Anteil an den Niedriglohnbeschäftigten noch zusätzlich zu der Tatsache, dass sie in Vollzeitarbeit weniger pro Stunde verdienen als Männer.
Fazit
Die Befunde belegen für Deutschland eine besonders starke Ungleichheit der Löhne aus abhängiger Erwerbsarbeit, zumindest in der unteren Hälfte der Lohnverteilung. Ein bemerkenswert hoher Anteil der Beschäftigten erhält weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns und damit einen Niedriglohn. Verglichen mit anderen Ländern betrifft dies Teilzeitbeschäftigte und Frauen besonders stark.
Das Phänomen zeigt sich darüber hinaus aber auch bei Beschäftigten, die zum Kernbereich des ersten Arbeitsmarkts gezählt werden können, und dies stärker als in anderen Ländern.
Ein wichtiger institutioneller Faktor in diesem Zusammenhang ist die kontinuierlich abnehmende Tarifbindung deutscher Beschäftigter und Betriebe. Die arbeitsmarktpolitischen Reformen des letzten Jahrzehnts haben den Trend zu mehr Lohnungleichheit zwar nicht herbeigeführt, könnten aber zu seiner Fortsetzung beigetragen haben.
Es gibt Indizien dafür, dass die Hartz-Reformen die Beschäftigungsentwicklung begünstigt haben (Klinger u. a. 2013). Kontrovers ist, ob die weiter steigende Lohnungleichheit der Preis dafür war.
Im Ländervergleich ergeben sich allerdings keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Niedriglohnempfänger und dem Beschäftigungsstand. Dies würde dafür sprechen, dass eine erhöhte Lohnspreizung keine zwingende Voraussetzung für dauerhafte Erfolge am Arbeitsmarkt ist.
Dass die Lohnungleichheit unter Voll- und Teilzeitbeschäftigten in Deutschland mittlerweile weiter fortgeschritten ist als in fast allen anderen Ländern der Europäischen Union – und weiter als in allen westlichen EU-Ländern –, stellt eine neue Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik dar. Nachdem die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarkts gesteigert werden konnte, geht es künftig auch darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die materielle Teilhabe an den Erfolgen der Strukturreform auf eine breitere Basis gestellt werden kann.
„Wenn man von Leuten Pflichten fordert und ihnen keine Rechte zugestehen will, muss man sie gut bezahlen.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Da passt der Spruch: Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig – denn
Niedriglöhne = Altersarmut!
© Netzfrau Doro Schreier
Lesen Sie auch:
Deutschland – Weltmeister im Lohndumping
3 Kommentare » Schreibe einen Kommentar