Ich weiß es nicht. Irgendwie hat sich mir diese Frage so nie gestellt. Ich hatte das Glück, in meinem Leben immer auf Menschen zu treffen, die da recht unkompliziert und flexibel pragmatisch waren. Als Kind aufgewachsen in einer linkspolitisch-aktiv orientierten Arbeiterfamilie mit klarer Haltung zur Kirche und zum Papst lernte ich trotzdem, dass es sich einfach besser einschläft, wenn man vorher noch mal kurz inne hält und dankt für all die Freuden und Erlebnisse des Tages und bittet für die Menschen, die einem gerade wichtig sind im Kinderherzen (dazu gehörten dann immer auch die liebsten Kuscheltiere und die kleinen, kaputten Figuren, denen ich in Schachteln unter meinem Bett Asyl und Obdach bot).
Gleichzeitig lernte ich aber auch, ohne es als Widerspruch zu empfinden: Hilf dir selber, nur du bist deines Glückes Schmied! Und hilf den anderen, sich selbst zu helfen.
Aktive Solidarität von klein auf als Wert vorgelebt bekommen. Obwohl ich nicht musste, besuchte ich später mit Feuereifer den Konfirmandenunterricht und lernte mit meinem Opa nicht nur das Kommunistische Manifest auswendig und die Internationale für den 1. Mai, sondern halt auch das Glaubensbekenntnis und den Katechismus und liebte die Geschichten aus der Bibel. Neben Rosa Luxemburg und Ghandi gehörten auch Albert Schweitzer und die Kreuzritter und Templer und die Nonnen aus dem Karmeliterkloster meiner Heimatstadt zu den Favoriten meiner Kinderzeit.
Als junge Frau dann, aktiv im KBW und gleichzeitig die ersten Besuche in Klöstern und vor allem seitdem immer wieder in Maria Laach zur Einkehr. Kein Widerspruch in mir, als dann die Zeit der frauenbewegten Hexerei mich auf seltsame Wege führte und ich schließlich bei Siddhartha landete. Später dann durch meine Ehe im Islam versunken, bei den Derwischen aufgewacht, zwischendurch dem Feuer und der Sonne gehuldigt und vor Glück und Heimatgefühlen überwältigt in einer christlichen Kirche in Teheran geweint. Und zu wem ich in den Flüchtlingslagern in Afrika gemeinsam ums Überleben betete, kann ich gar nicht so genau festmachen … Und da war noch dies und das zwischendrin, was ich gar nicht alles aufzählen kann, auch die Satanisten erregten meine Aufmerksamkeit und Aleister Crowley begleitete mich eine Weile. Ich lege Runensteine, kenne das Tarot, bete regelmäßig zur Meditation den Rosenkranz, lese aus dem Kaffeesatz und fühle mich in Kirchen und an besonderen Kraftplätzen unendlich wohlig und lebe mit einem aktiv tätigen Druiden zusammen.
All das hat mich niemals verwirrt. Es war immer richtig und passend in der Mischung zu seiner Zeit. Und es erschien und erscheint mir heute niemals nicht widersprüchlich oder ausschließend. Aus all diesen Dingen zog ich eine Gewissheit für mich: es sind die Menschen, die es ausmachen, egal welcher Religion, Glaubensrichtung oder Weltbild sie auch anhängen mögen. Es war und ist diese Verbundenheit zum Leben, die ich immer wieder in diesen einzigartigen Menschen für mich gefunden habe. Und es war der Mut und die Offenheit, mit der man mich in die mir unbekannten Welten mitnahm und die Großzügigkeit im (Mit)Teilen der Gewissheit, dass ihre Gottheit (in welcher Form auch immer) sich auch meiner Person als Mensch erbarmen würde, die mich dazu brachten über alle rationalen Bedenklichkeiten hinweg diese Menschen in ihrem Sosein sein zu lassen, zu achten und lieb zu haben.
Glaube ich an einen bestimmten Gott in meiner Welt? Nein, in dieser Form nicht. Aber für mich habe ich entschieden, dass das Leben etwas Wunderschönes ist, mit all seiner Freude und all seinem Leid, und dass jeder Mensch diese Schönheit in sich trägt. Und ganz pragmatisch glaube ich, dass alles einen Sinn hat und es für alles einen Ausgleich gibt, in diesem oder in den kommenden Leben und nehme mir aus all dem mir im Laufe meines Lebens Angebotene und Geschenkte immer genau das, was sich gerade rund und richtig anfühlt für mich.
Schau, in meiner Welt komm ich nicht auf den Gedanken, ich könnte von irgendjemand nach irgendjemandes Bilde erschaffen sein. Dafür bin ich zu pragmatisch und mag die innere Logik der aktuellen wissenschaftlichen Forschungen zu sehr. Und außerdem bin ich einzigartig und es würde mein Ego irgendwie beleidigen, wenn da noch jemand mir gleich durch die Universen hüpfen würde.
Anders ist mit dem Gefühl des Göttlichen. Es gab und gibt Momente in meinem Leben, da bin ich Göttin. Ja, natürlich. Da tue ich das Undenkbare, schaffe neue Welten und bin unsterblich.
Verstehst du, was ich versuche auszudrücken? Es ist in meiner Welt kein Widerspruch, den modernen Naturwissenschaften in ihrer logischen Stringenz und ihrem geordneten Chaos zu folgen und trotzdem all der Magie und dem „Göttlichen“ Raum zu geben. Es sind nur unterschiedliche Perspektiven und Wahrnehmungsebenen. In meiner Welt gehören sie zusammen, die Logik des Einen braucht das Durchbrechen, die Transzendenz des anderen und umgekehrt. Nur dann ist es für mich stimmig, in Bewegung und im Fluss. Dem Leben in seinen unendlichen Facetten entsprechend halt.
Und, etwas „Gutes“ tun? Oh, ich habe gelernt und bin da sehr vorsichtig geworden mit solchen Zuordnungen. Was ich in meiner Welt unter „gut“ verstehe, kann in einem bestimmten Moment für einen anderen Menschen die absolut verquirlte Scheiße sein und vielleicht sogar den Tod bedeuten. Nenene, „das Gute“ an sich! gibt es deshalb in meiner Welt schon lange nicht mehr.
Gebete wirken, weil sie Energie schöpfen, weil sie Kraft anzapfen und freilegen, in mir selbst und im Universum. Eine Tür aufmachen hinter der bisher nicht beanspruchte Ressourcen verborgen lagen. Weil sie das eigene Denken erweitern und für Magie und bisher Undenkbares empfänglich machen. Sie geben dem Unmöglichen Raum und eine Chance. Es ist alles da, immer schon gewesen. In mir und um mich drum herum. Nur die Kanäle sind manchmal verstopft oder liegen ungenutzt herum. Beten ist für mich eine der unzähligen Möglichkeiten den Zugang dazu freizulegen.
Aber, siehst du, das ist meine Sicht in meiner Welt und auf diese bezogen. Und auch wenn ich das immer wieder so nervend wiederhole, so meine ich das doch sehr ernst: meine Welt. Und in anderen Welten sieht es ganz anders aus. Und alles hat seine Berechtigung und seinen Sinn. Jede Welt, für sich genommen ist wahrhaftig. Darum kann ich nur versuchen meine Welt meinem Gegenüber so genau beschreibend wie möglich dazustellen und zu einen Besuch in ihr ermutigen und nehme gerne Einladungen in die anderer Menschen an. Reger zwischenmenschlichweltlicher Kulturaustausch ohne die Anmaßung der Gebietsübernahme.
Sonntägliche Gedanken von Netzfrau Heidrun Müller
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