Bundespräsident Gauck und das „rechte Maß“

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Liebe Leserinnen und Leser,

heute ist Tag der Deutschen Einheit, ein Feiertag – und Bundespräsident Gauck hat wieder einen Termin. Diesmal in Stuttgart beim großen Einheitsfest. Seit Tagen ist die Presse voll mit Artikeln und Kommentaren darüber, dass unser Bundespräsident unter der Last der vielen Terminen, die z. T. sein Vorgänger noch vereinbart hat, leidet und sich seiner „Erschöpfungsgrenze“ nähere.

Es wird ellenlang auf eine neue Biographie eingegangen, in der eine ehemalige Lebensgefährtin, die jetzt als quasi persönliche Beraterin im Bundespräsidialamt beschäftigt ist, ausführt, dass der Bundespräsident wohl mit den vielen Terminen überfordert ist.

Es finden regelrechte Leserbrief-Schlachten darüber statt, ob „es sich gehört“, als Bundespräsident neben der Immer-noch-Ehefrau und der aktuellen Lebensgefährtin auch noch die frühere Lebensgefährtin so dicht im Umfeld zu haben.

Wer wundert sich eigentlich ernsthaft darüber, dass ein älterer Herr, der sich mit 72 Jahren zum Bundespräsidenten wählen lässt, beim heutigen Termindruck und den Anforderungen an die ständige Medienpräsenz schneller an die Belastungsgrenze kommt als ein 10 Jahre jüngerer Mensch.

Herr Gauck ist ein intelligenter Mann, der hätte wissen können, was auf ihn zukommt. Aber sehr wahrscheinlich ist Herr Gauck auch den Reizen erlegen, die die „Würde des Höchsten Amtes“ mit sich bringt.

Über diesen mehr oder weniger Gesellschaftsklatsch gerät ein anderer, wirklich unerhörter Vorgang völlig aus dem Blickfeld.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat ein Bundespräsident ohne gravierenden Grund alle Vorsitzenden der im neu gewählten Bundestag vertretenen Parteien zu „Vier-Augen-Gesprächen“ geladen!

Das konnte man parallel am Wochenende z. B. in der Süddeutschen und aus verschiedenen Video-Texten erfahren. Bei ARD, Phoenix , N- TV stand z. B. fast wortgleich zu lesen: „Das Staatsoberhaupt will sich noch vor den Sondierungsgesprächen von Union, SPD, Grünen darüber informieren lassen, mit welchen Ansätzen die Parteien in die Zusammenkünfte gehen. Ab Mittwoch folgen die Treffen mit den Spitzen von Linken, Grünen und CSU.“

Sie lesen richtig:

Der Bundespräsident will sich „vorab über die Ansätze der Parteien“ für die Koalitionsverhandlungen „informieren lassen“ – und nur ganz wenige Menschen scheinen aufzuhorchen und unangenehm berührt die berechtigten Fragen zu stellen:

  1. Was maßt sich der Herr Bundespräsident denn da an?
  2. Wo sind denn seine BeraterInnen, die ihn von solch einem Ansinnen abbringen?
  3. Sind die laut Grundgesetz eng begrenzten Befugnisse des Bundespräsidenten auch nur noch Makulatur?
  4. Ist der Notstand ausgebrochen und das Volk weiß nichts davon?

Die Bundestagswahl fand am 22. 9. 13 statt, das vorläufige amtliche Endergebnis lag Dienstag, den 24. 9. 13 vor. Wir haben eine noch im Amt befindliche Regierung, und so weit ich weiß, bleiben auch die Minister, die der Partei FDP angehören, bis zum Ende der Legislatur im Amt. Das Ministerium der ausgeschiedenen Ministerin Aigner (CSU) wird vom Innenminister Friedrich mitgeführt.

Es herrscht weder eine Staatskrise, noch ist ein Notstand festzustellen – zumindest nicht in dieser Hinsicht. Es herrschen zwar Land auf Land ab Zustände, die viel Stoff für Kritik und Diskussionen bieten, und eigentlich die Politiker zum Handeln zwingen müssten. Aber eine solche Aktion des Bundespräsidenten ist auch damit nicht zu rechtfertigen.

Es besteht also überhaupt keine Veranlassung, dass sich Bundespräsident Gauck in der Phase vor den sicher stattfindenden Koalitionsgesprächen in irgend einer Form einschalten müsste. Eine derartige „Einmischung“ steht ihm laut Verfassung auch nicht zu.

Wie die Parteivorsitzenden die anstehenden Koalitionsverhandlungen einschätzen, kann Herr Gauck doch täglich aus Presse, Rundfunk und Fernsehen erfahren. Er kann sich auch privat mit den Politkern unterhalten, aber es steht ihm qua Amt nicht zu, sich über das Vorgehen und die Absichten der Parteien als Bundespräsident informieren zu lassen.

Um die Dimension des Vorgangs einschätzen zu können, ist es nützlich, einen Blick in das Grundgesetz zu werfen.

Es hilft auch ein Blick auf die offizielle Seite des Bundespräsidialamtes, wo die wichtigsten Aspekte zusammengefasst sind.

Die Rolle, die Befugnisse und die Aufgaben des Bundespräsidenten sind in Artikel 54 bis 61 GG, dargelegt.

Das Bundespräsidialamt schreibt dazu: http://www.bundespraesident.de/DE/Amt-und-Aufgaben/Verfassungsrechtliche-Grundlagen/verfassungsrechtliche-grundlagen-node.html

Zitat: „Aufgaben

Zu den klassischen Funktionen, die der Bundespräsident als Staatsoberhaupt hat, gehören:

  • die Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen (durch sein öffentliches Auftreten bei staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen, durch Reden, durch Besuche in Ländern und Gemeinden, durch Staatsbesuche im Ausland und den Empfang ausländischer Staatsgäste),
  • die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland (Art. 59 Abs. 1 Satz 1 GG), der Abschluss von Verträgen mit auswärtigen Staaten (Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG), die Beglaubigung (Bestellung) der deutschen diplomatischen Vertreter und der Empfang (Entgegennahme der Beglaubigungsschreiben) der ausländischen Diplomaten (Art. 59 Abs. 1 Satz 3 GG).

Zu den wichtigsten weiteren Aufgaben zählen:

  • der Vorschlag für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG),
  • die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers (Art. 63, 67 GG) und der Bundesminister (Art. 64 GG),
  • die Auflösung des Bundestages (Art. 63 Abs. 4 Satz 3, Art. 68 GG),
  • die Ausfertigung (Unterzeichnung) und Verkündung von Gesetzen (Art. 82 GG),
  • die Ernennung und Entlassung der Bundesrichter, der Bundesbeamten, der Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 Abs. 1 GG),
  • das Begnadigungsrecht für den Bund (Art. 60 Abs. 2 GG),
  • das Ordensrecht des Bundes.“

Als erste Innenpolitische Aufgabe ist genannt: der Vorschlag für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG). Artikel 63 GG gehört zur Rubrik IV. Die Bundesregierung.

Da steht unter „(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt.“

Da die Kanzlerkandidaten von den Parteien vor der Wahl aufgestellt werden, hat der Bundespräsident im Normalfall also eigentlich nur den Namen des aussichtsreichsten Kandidaten vorzuschlagen. Das ist in der aktuellen Situation Frau Merkel, egal mit wem sie koaliert. Sollten sich andere Parteien in irgendeiner Form zu einer Koalition zusammen finden, dann wäre die SPD stärkste Partei und Herr Steinbrück der aussichtsreichste Kandidat. Aber dazu hat sich der Bundespräsident weder zu äußern noch steht es ihm zu, in irgendeiner Form einzugreifen.

Herr Gauck wäre also gut beraten gewesen, abzuwarten, bis die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes der jungen Bundesrepublik haben sich nach den schlimmen Erfahrungen mit einem mit vielen politischen Befugnissen ausgestatteten und damit mächtigen Reichspräsidenten ganz bewusst dazu entschieden, die Befugnisse und Einflussmöglichkeiten des Bundespräsidenten stark einzugrenzen.

Dazu schreibt das Bundespräsidialamt, Zitat:

„Abkehr von Weimar

Herkömmlich werden die Aufgaben und Befugnisse des Bundespräsidenten im Vergleich zu denen des Reichspräsidenten nach der Weimarer Reichsverfassung beschrieben. Der Reichspräsident besaß eine Fülle von Befugnissen, die es ihm angesichts parlamentarischer Krisensituationen erlaubten, selbst die Staatsgeschäfte maßgeblich zu beeinflussen. Reichspräsident von Hindenburg nutzte diese Möglichkeiten gegen Ende der Weimarer Republik in unheilvoller Weise. Daraus zog der Parlamentarische Rat die Konsequenz, die politischen Rechte des Bundespräsidenten stark zu begrenzen. So kann er weder alleine den Kanzler bestimmen noch „Notverordnungen“ erlassen; auch hat er nicht den Oberbefehl über die Streitkräfte.

Nach einer inzwischen über sechzigjährigen, grundgesetzlichen Verfassungstradition hat eine eigene Staatspraxis das Amt des Bundespräsidenten ausgestaltet. Es gewinnt seine Konturen im Zusammenspiel mit den anderen Verfassungsorganen (Deutscher Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht).“

Herr Bundespräsident Gauck wäre also gut beraten gewesen, wenn er darauf verzichtet hätte, den „Ober-Hirten“ bei der anstehenden Regierungsbildung spielen zu wollen. Das ist weder vorgesehen noch seine Aufgabe.

Die Parteien hätten diese „Einladung“ auch ablehnen müssen.

Der Bundespräsident hat also nicht nur bei der Anzahl der Termine das „rechte Maß“ verloren. Herr Gauck muss aufpassen, dass er es in seinem Amt nicht auch verliert.

Netzfrau Fee Strieffler

Literaturhinweis für politisch interessierte Menschen:

  1. Das Grundgesetz, Kommentar für die politische Bildung; Dieter Hasselberg, 13. Auflage, Sonderausgabe für die Landeszentralen für politische Bildung.
  2. http://www.bundespraesident.de/DE/Amt-und-Aufgaben/Verfassungsrechtliche-Grundlagen/verfassungsrechtliche-grundlagen-node.html
  3. Nationalsozialismus- Ein Schnellkurs, Werner Jung, Verlag Dumont. z.B. hier erhältlich: http://www.amazon.de/jung-werner-schnellkurs-nationalsozialismus-B%C3%BCcher/s?ie=UTF8&keywords=jung%20werner%20schnellkurs%20nationalsozialismus&page=1&rh=n%3A186606%2Ck%3Ajung%20werner%20schnellkurs%20nationalsozialismus

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