NIKOTINKINDER – Tabak, die giftige Pflanze

nikotinkinder

Foto: Marty Otanez
www.fairtradetobacco.org

Während die Tabakpflanze von amerikanischen Urvölkern als Heilpflanze genutzt wurde, erfreut sie sich heute immer größerer Beliebtheit. Nicht nur zum Genuss für Zigarettenraucher ist die Kulturpflanze Tabak nicht mehr wegzudenken, ihr Einsatz reicht von der Kosmetik- bis zur Textilindustrie; denn inzwischen werden aus ihren bisher nicht genutzten Stängeln textile Fasern hergestellt. Deutschland ist mit über 180 Milliarden Zigaretten pro Jahr der weltweit größte Exporteur von Zigaretten.

Wie Strom aus der Steckdose kommt, so kommen für Raucher die Zigaretten aus einer quaderförmigen Pappschachtel mit Warnhinweisen. Dass Tabakkonsum für unsere Gesundheit schädlich ist, wissen alle. Doch wer macht sich darüber Gedanken, was auf Tabakplantagen passiert, wenn der Zigarettenqualm genüsslich inhaliert wird?

Mehr als 100 000 Kinder (nach aktuellen Schätzungen liegt die Zahl weit höher) müssen auf Tabakplantagen aus Armut bis zu 12 Stunden täglich Tabakpflanzen pflücken. Bei dieser Tätigkeit nehmen sie ca. 54 Milligramm Nikotin pro Tag über die Haut von den aggressiven Pflanzen auf. Ein Wert, der dem von etwa 60 Zigaretten entspricht. Die Nikotinkinder leiden unter den Symptomen einer typischen Nikotin- und Pestizidvergiftung: Atemnot, Husten, Kopf- und Bauchschmerzen, Muskelschwäche und bleibende Hirnschäden. Nervenkrankheiten, die sie für ihr weiteres Leben begleiten werden.

Interview mit Bettina Henke von Netzfrau Birgitt Becker

Birgitt Becker: 

Frau Henke, Sie sind Klassenlehrerin der Klasse 8c der Realschule der Stadt Kerpen, die die Aktivgruppe Peacemakers  bei „Aktion Weißes Friedensband“ gebildet hat. Diese Gruppe geht u.a. gegen Kinderarbeit auf Tabakplantagen vor.

Bettina Henke: 

Vor etlichen Jahren wurde ich auf die Arbeit von „Aktion Weißes Friedensband“ aufmerksam. Durch mein generelles Interesse an Menschenrechtsarbeit fing ich an, mich für die Aktionen von Friedensband zu engagieren. Ich gestaltete als Religionslehrerin meinen Unterricht völlig um und bemerkte, dass Kinder und Jugendliche heutzutage größtes Interesse daran haben, sich für Menschen einzusetzen, denen es nicht so gut geht wie ihnen selbst. Sie fanden es regelrecht spannend, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken – eine Möglichkeit, die in der Schule leider nur recht selten gegeben ist. Und so motivierten wir uns gegenseitig: die SchülerInnen mich und ich die SchülerInnen – immer mit dem Ansatz, was hätte Jesus an unserer Stelle getan. Auf diese Arbeit sind etliche Aktivgruppen beim weißen Friedensband zurückzuführen. So auch meine eigene Klasse, die sich den Namen „Peacemakers“ gegeben hat.

Auf die Kinderarbeit in der Tabakindustrie sind wir allerdings ganz anders gestoßen. Bereits in Klasse 5 nahm die Klasse am Anti-Raucher-Wettbewerb „Be smart – don’t start“ mit großem Erfolg teil. (Wir haben bisher immer noch keinen einzigen Raucher in der Klasse!) Bei dem sehr guten und umfangreichen Material, das zum Wettbewerb dazu gehört, gab es einen kleinen Artikel über die Kinderarbeit in der Tabakproduktion. Das hat meine Klasse sehr geschockt. Wir wendeten uns an unsere Freunde bei Friedensband, die daraufhin recherchierten und das Thema „Nikotinkinder“ gemeinsam mit uns angingen. Die Klasse ist natürlich sehr stolz, dass aus ihrer eigenen Empörung und ihrer Initiative gemeinsam mit Friedensband inzwischen eine deutschlandweite Aktion geworden ist, für die z. B. auch Sie sich interessieren.

Birgitt Becker: 

Die Peacemakers haben eine Petition gegen Kinderarbeit auf Tabakplantagen gestartet, mit der sie die in Deutschland ansässigen wichtigsten Tabakkonzerne angesprochen haben. Daraufhin erhielten sie eine Antwort des Tabakkonzerns British American Tobacco (BAT), dessen Inhalt die Schüler empört hat. Nun wollen die Schüler in einer Gegendarstellung die Stellungnahme von BAT widerlegen, da der Konzern entweder überhaupt nicht oder nur sehr oberflächlich auf die Forderungen der Peacemakers eingegangen ist.

Bettina Henke:

Ja, das ist richtig. Unsere Petition musste sich an die hauptverantwortlichen Adressaten wenden. Deshalb haben wir neben BAT, auch PMI und andere große Tabakkonzerne ausgewählt. Die einzige Reaktion, die wir bisher erhielten, war ein Brief vom Sprecher der BAT-Geschäftsführung, Herrn Ad Schenk, in dem den SchülerInnen zuerst einmal für ihr Engagement Respekt ausgesprochen wurde. Auch BAT sei es ein großes Anliegen, gegen die Ausbeutung von Kindern weltweit vorzugehen. Daher habe man 2001 die Stiftung ECLT gemeinsam mit anderen großen Tabakherstellern gegründet, die meist eigene Vertreter in den regionalen Projekten haben. Dadurch können sie immer selbst bestimmen, wie und wofür das Geld ausgegeben wird. Die ECLT führe ebenfalls „unabhängige“ Studien durch, um „ein möglichst objektives Bild der Lebensbedingungen der Kinder“[1] zu erhalten. Nach unserer Recherche haben wir jedoch nur Studien gefunden, die z.B. von Philip Morris International oder British American Tobacco finanziert wurden. Das zeigt nur, dass die Stiftungsarbeit eher eine Strategie zur Imagepflege ist.

Denn all die Tabakkonzerne spenden jährlich gemeinsam etwa 3,7 Mio. Euro[2] für Projekte in verschiedenen Ländern – im Vergleich dazu werden jährlich etwa 200 Mio. Euro allein für Werbezwecke in Deutschland ausgegeben[3].

Durch ein weiteres Programm, SRTP, gäbe es unabhängige Prüfer, die auch die Bauern bei der Schädlingsbekämpfung und im Umwelt- und Arbeitsschutz berieten. Wir fragen uns erst einmal, wer diese unabhängigen Prüfer sind? Im Film „Tobacco Growing in Brazil“, den wir von www.unfairtobacco.org bekommen haben, zeigt sich aber, dass viele genau dieser Bauern nicht wissen, wie sie die Schutzkleidung überhaupt anziehen und benutzen sollen. Die Prüfer sind meist von den Konzernen selbst und ignorieren oft, dass Kinder zwischen den Feldern die Tabakblätter pflücken und bündeln. Ihnen ist in den meisten Fällen nur wichtig, dass die Bauern die richtigen Mittel benutzen und die gesamte Ernte nach ihren eigenen Vorschriften abläuft[4].

Kein Wort verlor Herr Schenk darüber, warum die Bauern keine gerechten Löhne bekämen, die ja der Grund dafür sind, dass die Kinder notgedrungen mit für den Lebensunterhalt der Familie sorgen müssen, und wie dies wiederum mit den enorm gestiegenen Gewinnen von BAT in den letzten Jahren übereinstimmen könne. Das heißt, die wichtigste Forderung der Petition wurde komplett ignoriert. Bekämen die Erwachsenen genügend Lohn, müssten viele Kinder nicht mithelfen!

Wir wollen den Brief und eine Gegendarstellung veröffentlichen, um zu zeigen, dass wir uns nicht mit ein paar netten Worten abspeisen lassen. Zwar wurde unser Engagement von Ad Schenk gelobt, doch solange es Kinderarbeit in der Tabakproduktion gibt, wollen wir die Öffentlichkeit auffordern, sich für die Nikotinkinder einzusetzen.

Birgitt Becker: 

Würden die Tabakfirmen den Eltern der Kinder angemessene Löhne zahlen, müssten die Kinder nicht arbeiten und könnten zur Schule gehen. Zudem hätten sie Zeit zum Spielen und für ein kindgerechteres Leben. Es wird von Zahlen, beispielsweise 1 Cent/Stunde gesprochen, die den Arbeitern in den Plantagen gezahlt werden, während die Tabakkonzerne Milliardengewinne einstecken.

Bettina Henke:

Natürlich variieren die Löhne, da Kinderarbeit auf Tabakplantagen in vielen unterschiedlichen Ländern wie Malawi, Brasilien oder Indien stattfindet. In der Studie „Hard work, long hours, little pay“ (Plan International, 2009) wurden Daten in verschiedenen malawischen Gebieten für den Tageslohn von Kindern erhoben: Durchschnittlich verdienen die Kinder dort 12 Cent (Euro) und viele arbeiten mehr als 12 Stunden. In Malawi arbeiten laut Schätzungen rund 78 000 Kinder auf Tabakfeldern oder in Produktionsstätten.

Ein anderes Problem herrscht vorrangig beim größten Tabakverkäufer der Welt: Brasilien. Drei Viertel des gesamten Ertrags kauft die Rohtabakfirma Souza Cruz auf, die zu BAT gehört. Nicht nur die gesundheitlichen Gefahren, sondern auch die Verschuldung durch Direktverträge mit Tabakfirmen sind ein großes Problem: Die Selbstmordrate unter den Tabakbauern im Süden Brasiliens ist siebenmal höher als der Landesdurchschnitt.

Zehntausende Bauernfamilien erhalten Kredite von ihnen, um Land, Maschinen, Werkzeuge und Pflanzenmittel zu kaufen. Dafür kaufen die Firmen zwar die ganze Ernte, bestimmen aber auch den Preis, den sie zahlen. Folglich müssen Familien auch auf die Arbeitskraft ihrer Kinder zurückgreifen, um die Vertragsbedingungen zu erfüllen[5].

Birgitt Becker:

Kann es bei Alternativen überhaupt einen „fair gehandelten“ Tabak geben, wenn schon der Tabakanbau durch die Nikotinbelastung und den massiven Pestizideinsatz die Gesundheit der Arbeiter (Erwachsene und Kinder) schädigt und bis zum Konsum von Zigaretten fragwürdig erscheint?

Bettina Henke: 

Ihre Frage ist berechtigt. Die Produktion von Tabakpflanzen wird immer mit Nikotin und damit mit einem Gift (toxische Wirkung) verbunden sein. Meine SchülerInnen ekeln sich regelrecht vor all dem, was mit der Produktion und dem Genuss von Tabak verbunden ist. Die Menschen allerdings, die vom Tabakanbau abhängig sind und davon leben, dürfen auf der anderen Seite nicht alle in einen noch schlimmeren Ruin getrieben werden, als sie es momentan durch die Knebelverträge der Tabakkonzerne schon sind. Man muss bedenken, dass viele bereits vorher in Armut gelebt haben.

So gibt es in Brasilien z. B. bereits staatliche Hilfen, um mit dem Tabakanbau aufzuhören. Besonders die Organisation www.unfairtobacco.org befasst sich mit Alternativen zum Tabakanbau – auf ihrer Homepage sind Beispiele zu Projekten in Bangladesch und Kenia zu finden.

Birgitt Becker: 

Sie haben weitere Aktionen geplant, um weiterhin auf die lebensbedrohliche Situation der Nikotinkinder aufmerksam zu machen. Die Netzfrauen werden Ihnen bei ihren Aktionen zur Seite stehen, um Sie und ihre Schüler zu unterstützen. Vielen Dank für Ihren unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen die Kinderarbeit auf Tabakplantagen.

Bettina Henke: 

Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Es motiviert uns sehr, weiter zu arbeiten, und die SchülerInnen sind stolz, dass sie wirklich mit ihrer Initiative so viele Erwachsene erreichen. Für Jugendliche in diesem  Alter ist es sehr wichtig zu sehen, dass sie die Möglichkeit haben, Erwachsene auf sich aufmerksam zu machen, und dass es sich lohnt, für eine Idee zu kämpfen. Wir danken den Netzfrauen für diese Rückmeldung und bitten Sie, in Ihren Freundeskreisen auch unsere Petition zu unterstützen – denn jede Stimme zählt!

© 12. November 2013 Netzfrau Birgitt Becker 

Online auf change.org:

https://www.change.org/de/Petitionen/nikotinkinder-gegen-die-ausbeutung-von-kindern-durch-die-tabakindustrie

Papierform:

http://www.friedensband.de/wp-content/uploads/2013/09/Unterschriftenliste-Kinderarbeit-Tabak.pdf

(Wir sammeln auch Papier-Unterschriftlisten.)

Facebookseite der Nikotinkinder


[1] Zitat aus dem Brief von BAT-Sprecher Ad Schenk

[2] www.eclt.org

[3] Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.): Zigarettenwerbung in Deutschland – Marketing für ein gesundheitsgefährdendes Produkt. Heidelberg 2012 S. 3.

[4] DVD „Big Tobacco: Profit & Lies“ von unfairtobacco.org

[5] Unfairtobacco.org/DVD „Big Tobacco: Profit & Lies“

Dazu auch: Philip Morris und die unhaltbaren Zustände der dort geleisteten Kinderarbeit…

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