Ein schwarzes Loch ist ein astronomisches Objekt und die Entdeckung von Schwarzen Löchern als Folge des Hineinfallens aber nicht mehr Hinauskommens der Materie ist bedeutend. Manche von der EU geförderte Projekte erinnern an schwarze Löcher, in die Milliarden hineingepulvert werden, um dann zu verschwinden. So mutet auch das TAV-Projekt an, von dem nachstehend die Rede ist.
Westlich der norditalienischen Provinz Turin (Region Piemont) führt das zum Alpenkomplex gehörende schmale, landschaftlich sehr schöne Susatal (Val di Susa) Richtung Frankreich. Dort soll eine neue Hochgeschwindigkeitszugstrecke gebaut werden, die TAV (Treno ad Alta Velocità – Hochgeschwindigkeitsbahn), die u. a. durch einen 57 Km langen Tunnel durch das Alpenmassiv laufen soll.
Der Baubeginn für die TAV-Hochgeschwindigkeitstrasse Turin – Lyon ist für Ende 2014/Anfang 2015 geplant. Der französische Präsident Francois Hollande unterstrich anlässlich des Ende November 2013 stattgefundenen Gipfeltreffens in Rom mit dem italienischen Ministerpräsidenten E. Letta auf einer Pressekonferenz, dass durch dieses Projekt die beiden Länder Frankreich und Italien noch enger zusammenwachsen würden. (s. Artikel der Netzfrauen zum Thema)
Die TAV-Gegner verlangen eine Verbesserung der schon bestehenden Infrastrukturen
Die Anzahl der Menschen, die gegen das TAV-Projekt sind, wächst täglich. Dabei betonen die Gegner des umstrittenen Projektes, dass sie prinzipiell nicht gegen schnelle Züge sind, sie fordern allerdings, dass die Prioritäten sinnvoller gesetzt werden sollten, beispielsweise für die Verbesserung der schon bestehenden Infrastrukturen. Dagegen erscheint die offizielle Begründung der Befürworter fadenscheinig, nämlich, dass der Bau dieser Bahnachse enorme wirtschaftliche Vorteile eröffnen würde und die momentanen Verbindungen von Straße und Bahn fast ausgeschöpft seien.
Richtig ist hingegen, dass durch das Susatal bereits zwei Staatsstraßen laufen, ebenso eine Autobahn und eine Eisenbahnstrecke zwischen Turin – Lyon, die durch den heutigen Tunnel führt, der über mehrere Jahre hinweg bis 2011 mit großem Aufwand modernisiert wurde. Diese Eisenbahnstrecke ist zur Zeit vollkommen unausgelastet und dass diese bestehende Trasse ausreichend ist, bestätigen auch aktuell erhobene Daten, u. a. von Prof. Dr. Antonio G. Calafati[1]. Der Personenverkehr ist seit 1993 um 50 % rückläufig, ebenso der Gütertransport durch den Autobahntunnel (2009 = 10 Mio. Tonnen = rückläufig auf das Niveau von 1993).
Zu Beginn war das geplante Projekt Turin – Lyon nur für den Personenverkehr geplant, dann wurde auch der Gütertransport zur Planung hinzugenommen. Es stellt sich die Frage, wie diese beiden Nutzungsarten (Personenzüge mit einer Geschwindigkeit von 220-240 km/h und Güterzüge mit 100-120 km/h) auf demselben Gleis zusammen passen und was eine derart kostenintensive und die Umwelt schädigende neue Hochgeschwindigkeitsstrecke erforderlich macht.
Das Jonglieren mit CO2-Einsparungen
Bei der Rechtfertigung von Projekten dieser Größenordnung wird gerne mit CO2-Einsparungen und Arbeitsplatzbeschaffungen jongliert. Wie sieht ein realistischer Vergleich der CO2 Reduzierung aus, wenn der Verkehr von der Straße auf die Schiene dank der geplanten TAV – Hochgeschwindigkeitsbahn verlegt würde und wie steht dies in Relation zum Aufwand des Projektes?
An der Universität von Siena wurden schon im Vorfeld Untersuchungen bezüglich des Energieverbrauchs des geplanten 57 km langen Basistunnels durchgeführt. Das Ergebnis war eine äußerst negative Energiebilanz: Sowohl der Energieverbrauch der durch den Bau des geplanten Tunnels sowie durch den Betrieb der Kühl- und Belüftungssysteme entstehen wird, ergab einen CO2-Ausstoß pro Transportladung, der weit über dem des bereits bestehenden Tunnels liegen würde.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Bau mehrerer Tunnels, die durch uran- und asbesthaltiges Gestein führen sollen.[2] Der Asbestsondermüll soll zwischengelagert und dann in Deutschland in Sondermüllanlagen transportiert werden. Es ist vorgesehen, zwölf Seitentunnels zu bohren, um den Asbestaushub überhaupt bewältigen zu können. Dass diese Prozedur über die geplante Bauzeit von 15 Jahren Konsequenzen (Grundwasser, Luft) für Mensch und Natur hat, liegt auf der Hand. Die starke krebserzeugende Wirkung von Asbest wurde bereits 1936[3] als Berufskrankheit anerkannt. Beim Abbau kommt es zur Faserfreisetzung und der nicht sichtbare Feinstaub wird eingeatmet, hierbei bleibt der grobkörnigere Anteil des Staubes an Nase oder Bronchien hängen, der Feinstaub dringt in die Lunge.
Die Kritik bezieht sich auch auf die hohen Kosten des Projektes. Anlässlich der Pressekonferenz vergangene Woche hat der italienische Ministerpräsident Letta die Co-Finanzierung durch die EU bestätigt. Ohne diese Finanzierung (50 % für Studien, geologische Untersuchungen und Vorbereitungsarbeiten und bis zu 40 % der Abschlussarbeiten) wäre das Projekt nicht möglich gewesen.
Wer sind die wahren Nutznießer dieser Großbaustelle?
Wenn also nach umfangreichen Analysen von Experten die Vorteile des TAV-Projektes sich weder vom umwelttechnischen noch vom wirtschaftlichen Nutzen rechnen, wer sind die eigentlichen Nutznießer dieses Projektes?
An dieser Stelle sei an die Millionen Euro EU-Finanzierungen erinnert, u. a. solche, die für den Aufbau des Erdbebengebiets Aquila bestimmt waren. Allerdings sieht es so aus, als sei das Geld nicht an den richtigen Stellen angekommen, d. h. die Kosten der Aufbauarbeiten der Wohnungen lagen um 158 % über dem aktuellen Marktwert (Daten des Europäischen Rechnungshofes).
Die Mafia zapft bevorzugt das Baugewerbe an und die Baukosten für italienische Hochgeschwindigkeitsstrecken liegen um ein Vielfaches höher als in EU-Nachbarländern.
Deshalb wehren sich die NO-TAV-Gegner nicht nur aus Umweltgründen gegen den Bau. Ihre Kritik richtet sich auch, ebenso wie die des italienischen Autors Roberto Saviano, auf das Problem der kriminellen Organisation der Mafia, die fast alle größeren Baustellen in Italien kontrolliert. In seinem Buch Gomorrha schreibt der Autor, dass in den letzten 30 Jahren die Hochgeschwindigkeitszüge ein Instrument zur Verbreitung der Korruption und der organisierten Kriminalität geworden sind und er die Baustelle im Susatal für „die größte Goldgrube“ der Mafia hält. Die zuständigen Clans hätten sich schon seit Jahren auf die Strecke Turin–Lyon vorbereitet.[4] Mit dem Jahresbericht von 2011 der Staatlichen Antimafia-Kommission (DNA) wird seine Aussage bestätigt. Demnach steht die Region Piemont auf Platz drei der Ndrangheta, der kalabresischen Mafia, die dort am einflussreichsten ist.
No TAV-Aktivisten im Hochsicherheitstrakt
Zurzeit wird ein Prozess gegen No TAV-Aktivisten in einem Turiner Hochsicherheitstrakt geführt. Es stellt sich die Frage, warum seitens der italienischen Justiz so exzessiv gegen Bürger vorgegangen wird, deren Kritik sich gegen ein Projekt richtet, das jenseits jeder wirtschaftlichen und umwelttechnischen Logik einzuordnen ist.
Die No TAV-Bewegung hat in der Vergangenheit Anzeigen erstattet, die sich gegen das illegale Vorgehen der Bauträger und auch gegen die Entscheidungsinstanzen richten. Wie gehabt gibt es zum Thema TAV mehr offenstehende Fragen als Antworten seitens der Justiz. Aber die Frage, warum in das Bahnprojekt Turin-Lyon 26 Milliarden Euro und mehr fließen sollen – Geld, das viel sinnvoller in viele kleine, den Menschen nützliche Projekte fließen könnte – kann nur so beantwortet werden, dass aus der Vergangenheit nichts gelernt wurde um weiterhin die illegalen Kassen der Mafia zu füllen.
Die Demokratie ist in Gefahr, wenn Bürgern das Demonstrationsrecht abgesprochen wird, wenn sie als Kriminelle abgestempelt werden, nur weil sie ihr Recht verteidigen, um sich gegen spekulative Großprojekte zu wehren.
© 2013 Netzfrau Birgitt Becker
[1] Dozent der Fakultät Urbane Ökonomie “Giorgio Fuà” der Universität Politecnica delle Marche (Ancona) und der Friedrich-Schiller-Università, Jena.
[2] Im Januar 2003 haben Geologen der Universität von Siena, Geotechnologisches Institut, anhand von Proben die Präsenz von Asbest bestätigt.
[3] Asbestose wurde 1936 als Berufskrankheit anerkannt und 1943 Lungenkrebs, der durch Asbest verursacht wurde. Laut VUA (Verein für Umwelt- und Arbeitsschutz e.V.: Asbest, der tödliche Staub, Bremen, 1990) haben viele Länder, u.a. Kanada schon früher Verbote erlassen.
[4] Roberto Saviano „Gomorrha“, dtv
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