Das Waadtländer Kantonsgericht hat eine Klage gegen Nestlé im Zusammenhang mit der Ermordung eines kolumbianischen Gewerkschafters abgewiesen.
Menschenrechtsverletzungen durch Schweizer Unternehmen im Ausland: Gesetzeslücken und Hürden für Klagen in der Schweiz
Zahlreiche Schweizer Unternehmen sind direkt oder über Tochterfirmen im Ausland tätig. In der EU existieren recht umfassende Regelungen zu Arbeits- und Umweltrecht oder Konsumentenschutz. So können die Menschenrechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Bevölkerung garantiert werden. Außerhalb Europas gibt es hingegen oft weniger Schutzmechanismen und schwache staatliche Strukturen verhindern die Umsetzung bestehender Gesetze.
Im März 2012 reichten die Menschenrechtsorganisation «European Center for Constitutional and Human Rights» und die kolumbianische Gewerkschaft Sinaltrainal in Zug Strafanzeige gegen fünf der (ehemaligen) Manager des Lebensmittelkonzerns Nestlé ein. Gegenstand der Anzeige ist die Rolle des Unternehmens und der Direktoren bei der Ermordung des kolumbianischen Gewerkschaftsführers Luciano Romero im Jahre 2005. Im Mai 2013 entschied die Staatsanwaltschaft Waadt, an die das Verfahren weitergereicht worden war, in einer sogenannten „Nichtanhandnahmeverfügung“, keine Ermittlungen einzuleiten.
Das Waadtländer Kantonsgericht überprüfte nun diese Entscheidung und wies die Klage gegen Nestlé ab.
Anhand dieses und weiterer Fälle sollte diskutiert werden, welche Pflichten das Management eines Unternehmens hat, wenn Tochterbetriebe in Ländern tätig sind, die sich in gewaltsamen Konfliktsituationen befinden und deren staatliche Institutionen rechtsstaatliche Mindeststandards nicht einhalten können oder wollen. Weiter soll diskutiert werden, welche typischen Probleme Betroffene von Menschenrechtsverletzungen erleben, wenn sie im Sitzstaat des jeweiligen Unternehmens vor Gericht gehen wollen.
Die Anzeige wurde von der Anwaltsgruppe European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eingereicht. Die Anzeige lautet auf „fahrlässige Tötung durch Unterlassung“. Es geht um die Ermordung des kolumbianischen Gewerkschafters Luciano Romero.
Romero hatte bis Sommer 2002 in der Milchverarbeitungsfabrik Nestlés Cicolac in Valledupar gearbeitet und vertrat die Arbeitnehmerschaft als Gewerkschafter. Im September 2005 wurde er in Valledupar, im Nordosten Kolumbiens von Paramilitärs entführt und zu Tode gefoltert und mit 50 Messerstichen ermordet.
Die Ermordung geschah nur einen Tag vor der geplanten Abreise von Luciano Romero in die Schweiz, wo er in einer öffentlich Anhörung gegen Nestlé aussagen sollte. Dabei ging es um den Vorwurf, dass Nestlé in seinen kolumbianischen Produktionsstätten zahlreiche Arbeitsschutzrechte verletzt.
Die an der Ermordung beteiligten Paramilitärs wurden zwei Jahre später in Kolumbien festgenommen und verurteilt. In seinem Urteilsspruch kam der verantwortliche Richter zu dem Schluss, dass die Paramilitärs unmöglich auf eigene Rechnung gehandelt haben können. Er ordnete deswegen an, „dass die Staatsanwaltschaft führende Nestlé-Manager zu ihrer möglichen Beteiligung oder Vorbereitung der Ermordung des Gewerkschaftsführers Luciano Enrique Molina verhören soll“. Dieser Anordnung ist die kolumbianische Staatsanwaltschaft bis heute nicht nachgekommen.
Das Waadtländer Kantonsgericht hat eine Klage gegen Nestlé im Zusammenhang mit der Ermordung eines kolumbianischen Gewerkschafters abgewiesen. Die Kläger kündigten am Mittwoch an, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen.
Das Kantonsgericht wiederholte weitgehend die Argumente der Waadtländer Staatsanwaltschaft. Diese hatte im Mai entschieden, nicht auf die Strafanzeige gegen Nestlé einzugehen, da sie den Fall für verjährt hielt.
Marcel Bosonnet, der die Kläger vertritt, bezeichnete den Entscheid des Waadtländer Kantonsgerichts am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur sda als «nicht akzeptabel». Die Justiz versuche, den Nahrungsmittelkonzern Nestlé zu decken, sagte er und kündigte an, Rekurs einzulegen.
In einer Pressemitteilung des ECCHR im Mai 2013 heißt es: „Nach vierzehn Monaten entschied die Staatsanwaltschaft des Schweizer Kantons Waadt am 1. Mai 2013, keine Ermittlungen gegen Manager der Nestlé AG oder das Unternehmen selbst wegen fahrlässiger Tötung des kolumbianischen Nestlé-Gewerkschafters Luciano Romero einzuleiten. Seit der Anzeigenerstattung bei der Staatsanwaltschaft im deutschsprachigen Kanton Zug im März 2012 durch das ECCHR und kolumbianische Partnerorganisationen wurden keine Untersuchungen eingeleitet, vielmehr wurde das Verfahren an den Kanton Waadt abgegeben. Anstatt in der gebotenen Geschwindigkeit die Ermittlungen zu beginnen, verzögerten die Staatsanwaltschaften das Verfahren durch Formalien, bis sie die Tat schließlich als verjährt erklären konnten. Die Witwe des Opfers, die eine eigene Strafanzeige gestellt hatte und durch die Züricher Rechtsanwälte Marcel Bosonnet und Florian Wick vertreten wird, wird gegen die Entscheidung Beschwerde einlegen.
In Kolumbien herrscht bis heute ein bewaffneter Konflikt, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung ausgesetzt sind. Die unmittelbaren Täter waren 2006 und 2007 in Kolumbien verurteilt worden, was eine Ausnahme ist in dem Land mit der höchsten Rate ermordeter und bedrohter Gewerkschafter in der Welt. Das kolumbianische Gericht hatte am Ende des Verfahrens 2007 angeordnet, die Rolle der Nestlé-Tochter Cicolac und des Mutterunternehmens strafrechtlich zu untersuchen, was jedoch nie geschah. Weder in der Schweiz noch in Kolumbien ermittelten die Staatsanwaltschaften, obwohl es hinreichende Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verantwortung gibt. Vielmehr übernahmen kolumbianische Juristen und Gewerkschaften gemeinsam mit dem ECCHR die Nachforschung der Fakten des Falles und die Vertretung der Familie von Luciano Romero – offensichtlich zu spät.
Die Anzeige hätte einen Präzedenzfall geschaffen, denn damit hätte erstmals ein Schweizer Unternehmen für im Ausland begangenes Unrecht in der Schweiz haftbar gemacht werden können. Die Regelung des Art. 102 zur Strafbarkeit von Unternehmen wurde 2003 in das Schweizerische Strafgesetzbuch eingefügt und ist seither kaum zum Einsatz gekommen.“
Nichtregierungsorganisationen wenden sich in einem offenen Brief an Abgeordnete des EU-Parlaments
Wie schon berichtet, sind In Kolumbien vier Gewerkschaftsmitglieder und Arbeiter von Nestlé in den Hungerstreik getreten. Sie erhalten u. a. Unterstützung von Schweizer Politikern. Nach Beginn des Hungerstreiks richtete die Menschenrechtsorganisation MultiWatch einen offenen Brief an Nestlé-CEO Paul Bulcke und forderte ihn auf, dafür zu sorgen, dass Nestlé Kolumbien unverzüglich mit Sinaltrainal Gespräche aufnehme und alles unternehme, um das Leben und die Integrität der bedrohten Gewerkschafter und ihrer Familien zu schützen.
Am Samstag, dem 9. November wurde Oscar López Triviño, der seit 25 Jahren bei Nestlé in Bugalagrande Kolumbien gearbeitet hatte, mit vier Kugeln erschossen. Tags zuvor hatte die Nestlé-Gewerkschaft Sinaltrainal per SMS Morddrohungen erhalten. Bereits in der Vergangenheit sind 14 Nestlé-Arbeiter ermordet worden, weitere haben Attentate erlitten oder mussten auf Grund von Drohungen die Region verlassen. Mit der Ermordung von Oscar López ist die Zahl der ermordeten Nestlé-Gewerkschafter auf 15 gestiegen.S. unser Beitrag: Dringend: Nestlé – Arbeiter in Kolumbien im Hungerstreik – Ein Nestlé Gewerkschafter ermordet! Protestbrief
Ebenfalls folgt ein Offener Brief an die Abgeordneten des Europaparlaments.
Offener Brief an Abgeordnete im EP: Freihandel und Menschenrechte in Kolumbien
Stellungnahme zu ermordeten Gewerkschaftern in Kolumbien
Berlin, Bochum, Hamburg, Wuppertal, den 21. November 2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor knapp einem Jahr, am 11.Dezember 2012, wurde im Europäischen Parlament, wie Sie wissen, das Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru verabschiedet. Am 3. Mai wurde dann im Deutschen Bundesrat die Zustimmung zu dem Abkommen erteilt, obwohl eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften auf die prekäre Menschenrechtslage in Kolumbien hingewiesen und zur Ablehnung des Vertrages aufgefordert hatten. Mit dem Hinweis auf eine Menschenrechtsklausel ging das Abkommen dann durch.
Wir informieren Sie darüber, dass es in den letzten Monaten in Kolumbien wieder mehrere Morde an Gewerkschaftern und Menschenrechtsaktivist_innen gegeben hat.
Am Samstag, dem 9. November wurde in der Stadt Bugalagrande um 20:30 OSCAR LÓPEZ TRIVIÑO (s. Foto) mit vier Schüssen ermordet. Er war seit 25 Jahren bei NESTLÉ Kolumbien beschäftigt und Mitglied der Lebensmittelgewerkschaft SINALTRAINAL. Eine Woche zuvor, am 2. November wurde CESAR GARCIA erschossen, am 30. September ADELINDA GÓMEZ GAVIRIA. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit. Andere erhielten Morddrohungen oder wurden verhaftet.
Das kolumbianische Gewerkschaftsinstitut (Escuela Nacional Sindical, ENS) führt in seinem Bericht zur Lage aus, dass 93,4 Prozent der Morde und fast alle Drohungen gegen Gewerkschafter straffrei bleiben. Wie im Falle des Nestlé-Gewerkschafters vor wenigen Tagen werden die Morde oftmals im Zusammenhang mit Tarifauseinandersetzungen mit großen transnationalen Konzernen von paramilitärischen Gruppen begangen. Sie schwingen sich zum Verteidiger der Firmeninteressen auf.
Laut der kolumbianischen Regierung dürfte es keine paramilitärischen Verbände mehr geben. Aber auch da sieht die Realität anders aus als die Verlautbarungen. Während einige ihre Waffen abgaben, haben sich andere reorganisiert. Sie terrorisieren wie zuvor scheinbar unbehelligt diejenigen, die die soziale Realität in Kolumbien, dessen soziale Ziffern deutlich schlechter sind als der Durchschnitt in Lateinamerika, verändern wollen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Sinaltrainal, Javier Correa, fragt in seinem Brief vom 9. 11. 2013 an den CEO von Nestlé, Paul Bulcke: „Wie viele Todesdrohungen haben wir noch auszuhalten, um gehört zu werden, wie viele unserer Mitglieder müssen noch ermordet werden, bis Sie verstehen, dass wir nicht aufhören werden zu protestieren und auf die Einhaltung unserer Rechte bestehen? Wie viele Grausamkeiten werden die Arbeiter von Nestle, die in unserer Gewerkschaft organisiert sind, noch erleiden müssen, bis Sie verstehen, dass Sie uns mit Gewalt nicht beugen werden?“
Diese Frage geben wir weiter an Sie, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete. Wir hoffen sehr, dass Sie den Worten der Menschenrechte auch Taten folgen lassen und den Klauseln auch zur Materialisierung verhelfen. Wir würden uns freuen, wenn Sie in diesem Sinne bei der kolumbianischen Regierung vorstellig würden und eine tatsächliche Verbesserung für die Verfolgten in Kolumbien erreichten.
Mit vielem Dank und freundlichen Grüßen,
AK Internationalismus der IG Metall Berlin, BaSo (Basisinitiative Solidarität), Bundeskoordination Internationalismus, JourFixe Gewerkschaftslinke Hamburg, Kolumbienkampagne Berlin, LabourNet Germany
- Amenaza de muerte contra trabajadores de Nestlé en Huelga de Hambre
Online Petition von Sinaltrainal bei Avaaz (spanisch)
Protestbrief-Entwurf und Adressen von Verantwortlichen bei Nestlé
“Sehr geehrter Herr Bulcke,
Wir haben erfahren, dass der Nestlé-Arbeiter Oscar López Triviño vorgestern in Bugalagrande/Kolumbien ermordet wurde. Er war seit 25 Jahren bei Nestlé und Mitglied der Gewerkschaft Sinaltrainal. Seine Ermordung steht im Kontext einer betrieblichen Auseinandersetzung bei Nestlé, bei der es zu einem Hungerstreik und massiven Morddrohungen gegen die Gewerkschafter gekommen war. Leider haben Sie nichts unternommen, um das Leben und die Integrität der bedrohten Gewerkschafter zu schützen. Wir fordern dennoch weiterhin:
– dass Nestlé Kolumbien unverzüglich mit Sinaltrainal Gespräche aufnimmt;
– dass Nestlé Kolumbien den mit der Gewerkschaft Sinaltrainal ausgehandelten und unterschriebenen Gesamtarbeitsvertrag vollumfänglich erfüllt;
– dass Nestlé Kolumbien aufhört, die Gewerkschaft Sinaltrainal zu delegitimieren und zu diffamieren – dies ist für die Gewerkschafter lebensgefährlich (sic!);
– dass Nestlé Kolumbien gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen gegenüber Sinaltrainal unterlässt;
– dass Nestlé Kolumbien die in Gesetzen und internationalen Konventionen verankerte Gewerkschaftsfreiheit vollumfänglich garantiert;
– dass Nestlé Kolumbien alles unternimmt, um das Leben und die Integrität der bedrohten Gewerkschafter zu schützen;
– dass Nestlé sich von den Morddrohungen gegen Gewerkschafter in Nestlé-Betrieben öffentlich distanziert und sie verurteilt.
Mit freundlichen Grüßen
Name
- Bitte senden an: Sr Paul Bulcke, Nestle Chief Executive officer: ceo.information@nestle.com
- Manuel Andrés k., Presidente de Nestlé de Colombia S.A.: Manuel.andres@co.nestle.com;
- Manuel Muñoz, Gerente de Relaciones Laborales: manuel.munoz@co.nestle.com;
- María José Quiceno: mariajose.Quiceno@CO.nestle.com
Am 5. November 2013 traten Gewerkschafter bei Nestlé-Kolumbien in den Hungerstreik. Zu dieser Maßnahme greifen Menschen dann, wenn andere Formen des Protests keine Wirkung gezeigt haben. So auch in Bugalagrande: Die Gewerkschaft Sinaltrainal fordert seit langem, dass der am 22. Juni 2012 unterzeichnete Gesamtarbeitsvertrag von Nestlé vollständig umgesetzt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nestlé Kolumbien weigert sich seit mehreren Monaten, Gespräche mit Sinaltrainal zu führen, gleichzeitig hat die Geschäftsleitung den Druck auf die Gewerkschaft erhöht. Außerdem delegitimiert und diffamiert Nestlé Kolumbien die Gewerkschaft Sinaltrainal.
In einem einem Telefonat mit Frau Mag Wompel vom LabourNet Germany haben wir uns über die Zustände in Kolumbien erkundigt. Frau Wompel wird uns auch weiterhin informieren.
Folgende Beiträge beschäftigen sich mit dem Vorfall: “Nestlégate” Kritik unerwünscht! Wegen Flyern gegen Nestlé – Polizeieinsatz an der Uni und Update: Nestlé blockiert Protestmails – 154 Stunden im Hungerstreik und der Kampf geht weiter!
Netzfrau Doro Schreier
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