«Wer ist schon perfekt?» Jeder Mensch hat Rechte – „Made by Humans“

PresseAlle Jahre wieder wird am 10. Dezember der inter­nationale Tag der Menschenrechte begangen.

„Menschenrechte sind universell, unteilbar und unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unantastbaren Würde des Menschen. Der Rückblick auf die vergangenen Jahre lässt die Sorge um die Wahrung der Menschenrechte weltweit nicht kleiner werden.

Die Menschenrechte wurden im Jahr 1948 notiert – also vor 65 Jahren. Sie sollen die Menschen schützen. Dazu zählen:

  • in Frieden zu leben
  • keine Angst vor Anschlägen zu haben
  • nicht hungern und frieren müssen
  • überall seine Meinung sagen, ohne das man dafür bestraft wird
  • Recht auf Bildung und Arbeit
  • keine Ausbeutung, also soviel Lohn, dass man davon leben kann

In Frieden zu leben

“Der geheime Krieg” – wie die USA auch von Deutschland aus den Kampf gegen den Terror führen: Drohnen kommen heute immer häufiger zum Einsatz – auch, um damit Menschen zu töten. Mister Präsident, können Sie mir bitte erklären, warum meine Mutter mit einer Drohne ermordet wurde? Momina Bibi, eine 67-jährige Großmutter und Hebamme, starb in Wasiristan und Präsident Obama behauptet immer noch, Drohnen zielten nur auf Terroristen!

Rüstungsgüter gegen Rohstoffe – besichert durch Steuergelder

Und seit mehr als zwei Jahren nehmen wir mit großer Sorge die Situation in Syrien und das Leid, das durch den viel zu lange währenden Bürgerkrieg dort herrscht, zur Kenntnis. Die Lage der Flüchtlinge, insbesondere für die in die Nachbarländer Libanon, Jordanien und Türkei geflohenen Syrer, ist kritisch.  Auch für Syrien gab und gibt es solche Hermesdeckungen, AGA-Report Nr. 222, 11/2012: Sogar für Rüstungsexporte gibt es Hermesbürgschaften, Saudi-Arabien will erneut deutsche Panzer kaufen und bis November 2012 wurden bereits sechs Hermes-Bürgschaften freigegeben, mit denen Rüstungsgeschäfte mit Schwellenländern in der Regel staatlich abgesichert werden. Der Wert der Bürgschaften beträgt insgesamt fast 3,3 Milliarden Euro.

Sieht so Frieden aus? Von der Verteidigungs-Armee zur Armee im Einsatz! In Klartext heißt das nicht anderes, als dass Deutschland auf der ganzen Welt nicht nur seine Wirtschaftsinteressen vertreten soll, sondern auch „in fernen Weltregionen“ an Waffengängen teilnehmen soll, auch Krieg genannt, wenn’s denn notwendig ist.

Nicht hungern und frieren müssen

Jeden Monat ca. zehntausend Familien zwangsgeräumt! Übernachten auf den Straßen Madrids mit 750 € Strafe belegt – Zwangsräumungen, allein ein Problem der südlichen Krisenstaaten? Weit gefehlt! Im von allen beneideten Deutschland funktioniert das nur still und heimlich. In Berlin etwa 22 mal pro Tag! In Hamburg sind es 12 Zwangsräumungen an jedem Tag!

Profitgier! Nestlé hat Wassernutzungsrechte erworben und lässt Fabriken bewachen und einzäunen! Das Recht auf Wasser ist ein Menschenrecht! Doch Nestlé-Verwaltungsratschef Peter Brabeck macht kein Geheimnis daraus, dass Wasser in seinen Augen kein öffentliches Gut sein sollte, sondern auch einen Marktwert wie jedes andere Lebensmittel benötige.

Überall seine Meinung sagen, ohne dass man dafür bestraft wird

Weltweit und auch in Deutschland wurden 2013 vor allem Frauen und Kinder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Bei der Bekämpfung dieser menschenverachtenden Verbrechen, die die menschliche Würde, den Kern des individuellen Rechts, maßgeblich verletzen, darf nicht nachgelassen werden. Um Frauen und Kinder besser schützen zu können, bedarf es dringend der Regulierung der Prostitution in unserem Land. Das seit über zehn Jahren bestehende Prostitutionsgesetz hat wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland zu einem Eldorado für Bordellbesitzer und Menschenhändler geworden ist.

Pressefreiheit in Gefahr! Täglich werden Journalisten und Blogger angegriffen und eingeschüchtert, um sie zu begrenzen und Medien gleichzuschalten. Das Recht auf Meinungsfreiheit und auf Information ist ein universeller Bestandteil in der Erklärung der Menschenrechte.

Recht auf Bildung und Arbeit

“Bildung ist die einzige Lösung” Malala fordert vor der UN Bildung für alle. Das Attentat auf die pakistanische Schülerin Malala erschütterte im vergangenen Jahr die Welt. Keine zehn Monate später zeigt sich das Mädchen nun genesen und voller Tatendrang bei den Vereinten Nationen. Ihre Mission: Schulbildung für alle.

An alle Mächtigen dieser Welt… An alle Mächtigen dieser Welt, wer sich bedroht fühlt, muss sich rüsten: Das ist die Logik, die die Menschheit zu horrend hohen Militärausgaben zwingt. Versucht es doch mal mit Bildung, denn Bildung ist die stärkste Waffe.

Keine Ausbeutung, also so viel Lohn, dass man davon leben kann

Im Jahr 2013 werden die Zustände in den Zulieferer­betrieben der Bekleidungsindustrie genauer betrach­tet. Unter zum Teil katastrophalen Bedingungen müssen Männer und vor allem Frauen für einen Hungerlohn im Akkord Stoffe zurechtschneiden und Kleidungsstücke zusammennähen. Traurige Aktu­alität bekam dieses Thema, als am 24. April 2013 mit dem Einsturz eines neunstöckigen Gebäudes die Serie tragischer Zwischenfälle ihren Höhepunkt erfuhr. Dabei wurden Tausende von Näherinnen in den Trümmern begraben. Spätestens seitdem ist die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedin­gungen in solchen Textilfabriken gerichtet. Für den Billigjob sterben. In Bangladesch ist das ein tägliches Risiko. “Nähen bis es brennt” Bangladesch ist nach China weltweit zweitgrößter Produzent von Textilien. Das Zentrum der Produktion befindet sich in Dhaka. Zu Tiefstlöhnen werden Textilien für den Weltmarkt hergestellt. Nach all den Unglücksfällen mit Tausenden Toten scheint sich nichts geändert zu haben.

Mogelpackungen – “Schmutzige” Schokolade incl.-  Auf den Kakaoplantagen werden Kinder ausgebeutet, um Süßigkeiten in Adventskalendern billig herzustellen, aber teuer zu verkaufen.

Glückwunsch: Deutschland – Weltmeister im Lohndumping Die Regeln der Leiharbeit sind strenger geworden. Unternehmen aus dem Handel und der Industrie wissen sie zu umgehen. Viele Unternehmen drücken die Löhne jetzt mithilfe von Werkverträgen. Dabei übertragen Unternehmen zentrale Aufgaben an Subunternehmen. Diese Subunternehmen werden pro „sogenanntes“ Werk bezahlt.

 «Wer ist schon perfekt?» Was ist Inklusion?

Es geht um Menschenrechte. Inklusion ist also kein Expertenthema.

Der Tag der Menschenrechte wird am 10. Dezember begangen und ist der Gedenktag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International nehmen diesen Tag jedes Jahr zum Anlass, die Menschenrechtssituation weltweit kritisch zu betrachten und auf aktuelle Brennpunkte hinzuweisen.

Das Europäische Parlament verleiht um diesen Tag jährlich den Sacharow-Preis, die Organisation Reporter ohne Grenzen ihren Menschenrechtspreis.

Jedes Jahr am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, wird in Oslo (Norwegen) der Friedensnobelpreis verliehen.

Auch der Europarat schaut auf die Menschenrechte

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) [en]

Der Menschenrechtskommissar [en]

Die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten [en]

Gleichstellung von Frauen und Männern [en]

Bekämpfung von Homophobie

Roma und Fahrende

Menschen mit Behinderungen

Anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung, dem 3. Dezember, hat der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland die Mitgliedsstaaten aufgefordert, rasch einen Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu finden, der mehr auf den Menschenrechten aufbaut denn auf rein medizinischen Gesichtspunkten.

„Etwa 15 % der europäischen Bevölkerung leiden an einer Form von Behinderung. In manchen Mitgliedsstaaten werden Menschen mit Behinderung immer noch gegen ihren Willen in Krankenanstalten eingewiesen. Einigen wird das aktive Wahlrecht vorenthalten. Andere werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und müssen Sonderschulen besuchen. Diejenigen, die Arbeit finden, werden oft in geschützten Werkstätten ohne jeglichen Schutz durch das nationale Arbeitsrecht beschäftigt.

Die europäischen Gesellschaften und die Behörden der Mitgliedsstaaten müssen das Recht der Europäer auf eine volle gesellschaftliche Teilhabe wahren und sollten eine aktive Staatsbürgerschaft und Einbindung vom Kindesalter an fördern.

Ich erwarte, dass alle Mitgliedsstaaten die Lage der Menschen mit Behinderung vor dem Hintergrund der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN CRPD) sowie des Aktionsplans des Europarates 2006-2015 für Menschen mit Behinderung aufmerksam untersuchen und eng mit dem Europarat zusammenarbeiten, um zu gewährleisten, dass alle Europäer in vollem Ausmaß ihre Menschenrechte wahrnehmen können“, erklärte der Generalsekretär.

Menschen treten für Menschenrechte anderer ein

Traditionell gibt es am 10. Dezember viele Demonstrationen, weil es kaum ein Land auf dieser Welt gibt, in dem die Menschenrechte so gehandhabt werden, wie es sein sollte. Egal, ob Menschen mit Behinderungen nicht entsprechend berücksichtigt werden, oder Frauen, oder Randgruppen, Minderheiten wie Roma und Sinti sowie viele andere Benachteiligte, Asylanten oder einfach Menschen in Not. Ob in Wien, Linz, Innsbruck oder den anderen Landeshauptstädten, überall setzen sich Menschen für Menschen ein.

Amnesty International macht immer wieder auf die schlimme Situation von Flüchtlingen aufmerksam. Heuer zum 10. Dezember auf das von Menschen, die aus Syrien flüchten – die Abschottung Europas wird kritisiert.

In Berlin wird es ein Benefiz-Konzert zugunsten der in Lampedusa gestrandeten Flüchtlinge geben. Vom Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg erklingt es am 10. Dezember 2013 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Die Interpreten sind Mitglieder der Berliner Philharmoniker und internationale Solisten.

In Ulm, Berlin, Tübingen, Nürnberg, Stuttgart, München finden am 10.Dezember Gedenkveranstaltungen unter dem Motto „Glückskekse für Tibet“ statt.

Es gibt also viele Möglichkeiten, für die Menschenrechte einzutreten. Wie aber sieht es mit den Rechten von Menschen mit Behinderungen aus? Haben Sie die Aufnahme in die viel größere Gruppe der Menschen ohne Behinderungen schon geschafft? Funktioniert die Inklusion?

Was bedeutet Inklusion?

Inklusion ist in aller Munde. Was steckt eigentlich dahinter?

Immer häufiger taucht der Begriff auf – in politischen Debatten, in Lehrbüchern und nicht zuletzt in den Leitbildern von Interessenvertretungen im Behindertenbereich. Aber was steckt eigentlich dahinter?

Inklusion ist mehr als Integration

„Wenn von Inklusion gesprochen wird, ist zunächst immer ein gesamtgesellschaftlicher Leitgedanke gemeint, der beschreibt, wie alle Mitglieder der Gesellschaft leben möchten: Nämlich in einem Miteinander, in dem keine Person ausgeschlossen wird,“ erklärt Lebenshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Germain Weber.

Der Inklusionsgedanke geht davon aus, dass jeder Mensch ein anerkannter und wertgeschätzter Teil der Gesellschaft ist – unabhängig von Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung oder Lebensalter. Dies mag sich selbstverständlich anhören und man könnte meinen, dass damit die Haltung der Toleranz beziehungsweise der Akzeptanz gemeint ist. Das ist aber nicht der Fall, denn Inklusion ist mehr.

Inklusion schätzt nicht nur die Unterschiedlichkeit von Menschen, sondern sie bejaht die Vielfalt einer Gesellschaft und sieht darin eine Ressource. Egal ob MigrantIn, behinderte oder alte Menschen – sie alle sind verschieden und stellen dadurch für ihre Mitmenschen eine Bereicherung dar. Das Ziel zu einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben, Lernen, Spielen und Arbeiten soll dadurch erreicht werden, indem mögliche Barrieren aufgespürt und gemeinsam beseitigt werden. Damit fördert Inklusion die Sensibilität für Benachteiligung und verstärkt das Wir-Gefühl in einer Gesellschaft.

Welche Auswirkungen hat das Modell der Inklusion auf die Praxis ?

Inklusion kann natürlich nicht nur als bloßes Wort im Leitbild existieren ohne konkrete Auswirkungen auf Angebote für NutzerInnen zu haben. Den Gedanken der Inklusion in Einrichtungen umzusetzen, bedeutet, verstärkt Dienstleistungen anzubieten, die Teilhabe und Selbstbestimmung ermöglichen und fördern. Zum Beispiel ambulante Wohnbegleitung, die das Leben in einer eigenen Wohnung in der Gemeinde mit der nötigen Unterstützung möglich macht. Damit sind Dienstleistungen gemeint, die individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche einer Person zugeschnitten sind. Das Zentrale dabei ist, dass die KundInnen die wesentlichen Entscheidungen, was ihre Unterstützung angeht, selbst treffen.

Was macht den Reichtum einer Gesellschaft aus? Wirtschaftliche Macht? Politische Sicherheit? Oder kulturelle Vielfalt? Es ist von jedem etwas. Dennoch: Eine Gesellschaft besteht aus Menschen. Und sie sind es, die das Wohl einer Gesellschaft prägen – und zwar in allen wichtigen Lebensbereichen.

Um nichts anderes geht es bei Inklusion: Jeder Mensch erhält die Möglichkeit, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen – und zwar von Anfang an und unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter.

Es geht um Menschenrechte

Inklusion ist also kein Expertenthema. Es ist ein Thema, das die Zustimmung Aller erfordert und deshalb gesamtgesellschaftliche Bedeutung besitzt. Einen wichtigen Meilenstein markiert die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland im Jahr 2009 in Kraft trat. Damit sind die Forderungen des internationalen Übereinkommens rechtlich verankert. Das reicht allerdings nicht aus. Um Denken und Handeln zu verändern, bedarf es weitaus mehr. Es muss auch jedem bewusst sein, wie wichtig Inklusion für das gesellschaftliche Miteinander ist. Sie kann nur dann gelingen, wenn möglichst viele Menschen erkennen, dass gelebte Inklusion den Alltag bereichert.

Inklusion an Schulen 2012: Nur jedes vierte Kind mit Förderbedarf lernt an einer Regelschule

Immer mehr Schüler mit Förderbedarf besuchen in Deutschland eine Regelschule. Innerhalb eines Jahres stieg die Inklusionsquote in Deutschland laut Zahlen der Kultusministerkonferenz für das Schuljahr 2011/2012 um 2,7 Prozentpunkte auf 25 Prozent. Dabei gibt es beim gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung im Vergleich der Bundesländer große Unterschiede: Während in Bremen und Schleswig-Holstein mehr als die Hälfte aller Schüler mit Förderbedarf eine Regelschule besuchen, sind es bei Schlusslicht Niedersachsen nur 11,1 Prozent. Hamburg konnte seine Inklusionsquote binnen Jahresfrist nochmals kräftig steigern – um 12,2 Prozentpunkte auf 36 Prozent. Die Hansestadt zeigt damit zum wiederholten Male eine gute Entwicklung. Im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Brandenburg: In beiden Flächenländern stieg die Inklusionsquote nur leicht an. Während in Brandenburg der Anteil der Schüler mit Förderbedarf an Regelschulen auf hohem Niveau von 38,8 auf 40 Prozent anstieg, muss Baden-Württemberg um den Anschluss fürchten. Mit 27,7 Prozent liegt die Inklusionsrate zwar noch über den bundesdeutschen Durchschnitt, jedoch konnte das Bundesland die Quote im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,3 Prozentpunkte steigern.

„Inklusion kommt an den Schulen in Deutschland voran“, sagt Martin Georgi, Vorstand der Aktion Mensch. „Wir dürfen uns allerdings nicht mit 25 Prozent zufrieden geben, denn laut der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2009, die auch in Deutschland gilt, darf niemand auf Grund seiner Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden.“

Auch der europäische Vergleich der European Agency for Development in Special Needs Education ist ernüchternd: Deutschland belegt in Sachen Inklusion weiterhin einen der letzten Ränge. Spitzenreiter ist Island mit einer Inklusionsrate von 96 Prozent, gefolgt von Malta (94 Prozent), Litauen (90 Prozent), Portugal (87 Prozent) und Norwegen (85 Prozent).
Gründe für die schleppende Entwicklung von inklusiven Konzepten sind oftmals unklare politische Rahmenbedingungen und fehlende Informationen. Georgi: „Viele Lehrer, Eltern und Bildungsträger fühlen sich mit dem Thema Inklusion überfordert und allein gelassen. Dabei ist der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung für alle sehr fruchtbar.“

Die Aktion Mensch setzt sich gemeinsam mit Lehrern und Eltern dafür ein, dass Familien zukünftig die Möglichkeit haben, die passende Schulform zu wählen. Zahlreiche Positivbeispiele belegen, dass Inklusion funktioniert: So auch das Projekt „Vielfalt in der Bildung“, das die Aktion Mensch mit rund 199 500 Euro fördert. Es gestaltet in fünf Modellschulen, u. a. im südlichen Niedersachsen und Baden-Württemberg, einen inklusiven Lernalltag und erarbeitet ein nachhaltiges Inklusionskonzept.

Behindert ist, wer behindert wird – Noch 138 Jahre warten

Die Lebenshilfe fordert ein Aus für die Sonderschulen und ein völkerrechtlich garantiertes Recht für alle Kinder – auch jene mit „Beeinträchtigungen“ – auf eine „inklusive“ Regelschule

Wenn es mit der Integration von Kindern mit Behinderung in das österreichische Schulwesen in dem bisherigen Tempo weitergeht, dann werden noch einhundertachtunddreißig Jahre vergehen müssen, bis Inklusion zu hundert Prozent erreicht ist. Bis also jedes Kind, das eine körperliche oder intellektuelle Beeinträchtigung – oder „sonderpädagogischen Förderbedarf“ (SPF) – hat, eine integrative Regelschule besuchen darf – und keine Sonderschule. Derzeit sind die Chancen, integriert lernen zu können, regional sehr unterschiedlich (siehe Integrationsbarometer rechts).

2009/10 wurden unter den insgesamt 596 000 Schülern laut Schulstatistik 28 468 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf – die Einstufung nehmen die Schulbehörden vor – in allgemeinen Pflicht-, Neuen Mittel- und Polytechnischen Schulen gezählt, AHS-Unterstufen fehlen in der Statistik, obwohl auch dort Inklusion gesetzlich vorgesehen ist – und praktiziert wird: In Wien etwa sind sieben AHS inklusiv geführt, haben also „Integrationsklassen“.

Aus für Sonderschulen

Von den SPF-Schülern lernten 15.247 in Integrationsklassen, 2006/07 waren es 14.594. 2009/10 betrug die Integrationsquote demnach 53,5 Prozent – die Integrationsquote stieg in drei Jahren um ein Prozent. „So lange wollen wir nicht warten“, sagt Inklusionsexperte Bernhard Schmid, der die 138 Jahre errechnet hat. Der Generalsekretär der Lebenshilfe Wien fordert im Standard-Gespräch nicht nur mehr Tempo, sondern überhaupt das Aus für Sonderschulen – stufenweise bis 2016.

Die Lebenshilfe Österreich will – wie die Grünen übrigens auch – nachdrücklich eine inklusive Schule für alle Kinder – auch und vor allem, weil sich Österreich 2008 mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen dazu verpflichtet habe. Diese sieht vor, dass die Vertragsstaaten „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“ gewährleisten.

Dritter runder Tisch

Im Unterrichtsministerium findet dazu morgen, Donnerstag, bereits der dritte runde Tisch statt, bei dem ein Entwicklungsplan hin zur inklusiven Schule erarbeitet werden soll, sagt Bernhard Schmid. Die Lebenshilfe hat Sorge, dass Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) die Sonderschulen beibehalten will.

Das geht zumindest aus einer parlamentarischen Anfrage der Grünen hervor, in der sie sagt, dass die „wesentlichen Inhalte“ der UN-Konvention „erfüllt“ seien. Sonderschulen blieben in der Konvention „unerwähnt“, das könne „nur bedeuten, dass neben einem voll ausgebauten inklusiven System derartige Schulen als zusätzliche Angebote bestehen dürfen“, schreibt Schmied. Außerdem sei ein Wechsel aus der Sonderschule „ins inklusive System jederzeit möglich“.

Für den Präsidenten der Lebenshilfe, Germain Weber, widerspricht der „separate Unterricht“ klar den Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention. „Das gegenseitige Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen befähigt zu einer solidarischen Grundeinstellung“, sagt der Dekan der Fakultät für Psychologie der Uni Wien. Außerdem wisse man aus Studien, „dass die inklusive Schulbildung mehr Ressourcen einspart, als sie Kosten verursacht“.

All das, was in Sonderschulen an pädagogischen Maßnahmen gemacht werde, „ist auch in Regelschulen machbar“, sagt der Wiener Lebenshilfe-Generalsekretär Schmid. Italien hat als einziges EU-Land keine Sonderschulen. In Teilen Kanadas ist laut Schmid Inklusion in allen Schulstufen bis hinauf zur Universität garantiert.

In Österreich dagegen war inklusiver Unterricht bis vor kurzem nur für acht Schulstufen gesetzlich zugesichert. Erst unlängst wurde die reguläre Integration von SPF-Schülern auch in der 9. Schulstufe – in Polytechnischen Schulen und in einjährigen Haushaltungsschulen – beschlossen.

Den Behindertensprechern der fünf Parteien reicht das nicht. Gemeinsam fordern sie in einem Entschließungsantrag inklusiven Unterricht auch in berufsbildenden mittleren Schulen: „Behinderte Jugendliche mit körperlichen oder intellektuellen Einschränkungen“ müssten auch die Möglichkeit einer Ausbildung in BMS und eine „Berufsperspektive in der Wirtschaft“ erhalten, heißt es darin.

Denn „behindert“ ist, wer behindert wird. Oder, wie Bernhard Schmid es formuliert: „Es ist normal, verschieden zu sein“.

Die Schweiz geht andere, neue Wege

Wer heute seine Weihnachtseinkäufe an der Zürcher Bahnhofstrasse erledigt, dürfte länger als üblich an den Schaufenstern stehen bleiben. Denn dort stehen auf einmal nicht Schaufensterpuppen mit perfekten Körpern, sondern solche mit verkürzten Gliedmassen oder krummen Wirbelsäulen. Oder sie sitzen im Rollstuhl.

Hinter der Aktion steckt die Organisation Pro Infirmis, die Körper von fünf behinderten Menschen massstabgetreu zu dreidimensionalen Puppen hat nachbilden lassen. «Indem wir sie neben die perfekten Schaufensterpuppen stellen, wollen wir für mehr Akzeptanz gegenüber behinderten Menschen aufrufen», sagt Sprecher Mark Zumbühl.

Mitgemacht haben unter anderem die ehemalige Miss Handicap Jasmin Rechsteiner, der Leichtathlet Urs Kolly, Schauspieler Erwin Aljukic und Radio-24-Filmredaktor Alex Oberholzer.

Böse Blicke und Kommentare

Auch der Körper der Kundenberaterin Nadja Schmid, die an einer Muskelkrankheit leidet, hat als Vorlage für eine Puppe gedient. Diese steht im Modehaus Schild. Die erste Begegnung mit ihrem Abbild sei emotional gewesen, erzählt Schmid: «Da ich im Rollstuhl sitze, kann ich mich normalerweise nicht nackt und in voller Grösse einfach im Spiegel betrachten.» Es sei einmalig, sich so einmal von einer ganz anderen Seite zu sehen.

Für Schmid war von Anfang an klar, dass sie bei der Kampagne mitmacht: «Auch wenn wir nicht perfekt sind, sind wir trotzdem normale Menschen, die gerne einkaufen gehen und die einen normalen Umgang verdient haben», erzählt die 24-Jährige. Für Schmid, die seit ihrer Geburt an einer Muskelkrankheit leidet, sei es deshalb von Anfang an klar gewesen, bei dieser Aktion mitzumachen. «Es ist leider auch heute noch eine traurige Tatsache, dass ich tagtäglich mit unangenehmen Blicken, despektierlichen Kommentaren oder irritierenden Verhaltensweisen konfrontiert bin.» Diese Barriere zwischen behinderten und gesunden Menschen müsse endlich aufgebrochen werden.

Angst vor negativen Reaktionen hat Schmid keine: «Sich zur Schau stellen ist bei uns Behinderten jeden Tag ein Thema, ob dies nun im Schaufenster passiert oder auf der Straße, ist kein grosser Unterschied. Filmredaktor Alex Oberholzer, dessen Puppe das Schaufenster vom PKZ ziert, fügt an: «Wenigstens können wir die ganze Thematik so ein Stück näher ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken.»

Genau dies darf laut Mark Zumbühl von Pro Infirmis durchaus auch zu Irritationen führen. «Die Leute sollen sich fragen, ob nicht auch Puppen mit Behinderung im Schaufenster stehen sollen oder nur vermeintlich makellose Menschen.»

Keine Lust, ein Ausstellungsobjekt zu sein

Die Aktion ist allerdings nicht bei allen auf Anklang gestossen. CVP-Nationalrat Christian Lohr, der wegen des Medikaments Contergan mit Missbildungen zur Welt kam, gab Pro Infirmis einen Korb. «Durch meine besondere Lebenssituation erlebe ich es ohnehin schon täglich, dass sich viele Blicke auf mich richten», sagt Lohr. Sein Nationalratsmandat bringe es mit sich, dass das öffentliche Interesse an seiner Person und seiner Behinderung nochmals weiter gestiegen sei. «Nun zusätzlich noch als Schaufensterpuppe an der Bahnhofstrasse zu einem Ausstellungsobjekt zu werden, das würde nicht meiner Grundhaltung der von mir gelebten Normalität entsprechen», so Lohr.

Die Kampagnenmacher

Bereits seit über zehn Jahren tritt Pro Infirmis (aus dem Lateinischen für „schwach“, „krank“) regelmäßig mit viel beachteten und diskutierten Kampagnen an die Öffentlichkeit. So strahlte die Organisation vor zwei Jahren einen von der Werbeagentur Jung von Matt/Limmat produzierten TV-Spot aus, der bei YouTube hunderttausendfach angeklickt wurde:

Ein Mensch in einem Bärenkostüm steht in einer Fußgängerzone; er umarmt Menschen und lässt sich umarmen. Als er den Bärenkopf auszieht, wird sichtbar, dass es sich um einen Menschen mit ungewöhnlichen Gesichtszügen handelt – eine Frage steht im Raum: „Müssen wir uns verkleiden, um uns näher zu kommen?“

Alle Menschen, so verschieden sie auch sein mögen, haben von Geburt an gleiche Würde und gleiche Rechte. Ein schlauer Mann, Georg Wilhelm Hegel hieß er, sagte einst:

„Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, das die Völker aus der Geschichte nichts gelernt haben.“

Netzfrauen Lisa Natterer und Doro Schreier

Mehr Beiträge von den Netzfrauen zu dem Thema hier: Menschenrechte 

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