My home is my castle – Gefährliche Belastungen unserer Innenräume

cantiere cerveteriNach der ersten Schutzhülle des Menschen, unserer Kleidung, folgt die den Menschen umgebende zweite Schutzhülle, unsere Innenräume und damit unsere nächste Umgebung. Es folgt die Struktur, der nach außen gerichtete architektonische Bau

Das physische, psychische und soziale Wohlbefinden der Menschen in Innenräumen sollte eigentlich gewährleistet sein. Zwischenzeitlich sind wir jedoch im privaten sowie im öffentlichen Raum Schädigungen durch zahllose Fremdkörper (Wohngifte, Mikroorganismen, radioaktive Strahlen, elektrische und magnetische Felder etc.) scheinbar hilflos ausgesetzt, die zu den immer häufiger zur Diskussion stehenden „Indoor-Krankheiten“ beitragen.Diese Krankheiten mit ihren unsichtbaren Vergiftungen werden von Wissenschaftlern inzwischen als besorgniserregender eingestuft als die „Outdoor“-Belastungen, da wir bis zu 90 % in Innenräumen (Wohnung, Schule, Arbeitsplatz, öffentliche Transportmittel…) verbringen.

Außerhalb von Innenräumen sind Menschen tagtäglich unterschiedlichsten Belastungen exponiert, deren Anhäufung und Wechselwirkung nicht kalkulierbar ist und in vielen Bereichen lässt sich diese Belastung nicht vermeiden, wohl aber in Innenräumen, die das gute oder schlechte Gelingen unserer nächsten Umgebung bestimmen.

Die letzten Jahrzehnte haben bei Produkten des Bau- und Einrichtungssektors viele Neuerungen gebracht, die als große Innovationen und Fortschritte gefeiert wurden, sich im Nachhinein jedoch für Mensch und Ökosysteme als schwerwiegende Fehler erwiesen haben:

– Raubbau an nicht erneuerbaren Rohstoffen,

– fortschreitender Verlust der Ozonschutzschicht unserer Erde,

– kostspielige medizinische Kuren für Menschen infolge von Innenraumschadstoffen.

Hinzu kommen Kosten – nicht selten in Millionenhöhe –  für Sanierungen der Gebäude infolge des Einsatzes von asbesthaltigen Materialien, Schwermetallen und Pestiziden, gefährlichen Holzschutzmitteln, die Chemikalien wie Pentachlorphenol (PCP) und Lindan enthielten, Dichtungsmassen auf der Basis von polychlorierten Biphenylen (PCB), Ausgasungen über Wochen und Monate in Innenräumen von Formaldehyd aus Einrichtungsgegenständen oder etwa Textil- und Teppichbehandlungen mit Pyrethroiden, die Menschen mehr schaden als Motten und Insekten, die sie vertreiben sollen.3

Dies alles ist zusätzlich verbunden mit Sondermüll und Entsorgungsproblemen, an denen der Baubereich mit einem großen Anteil beteiligt ist.

Es gehört zur Aufgabe und Verantwortung aller am Bau beteiligten (Architekten, Innenarchitekten, Bauunternehmer, Bauämter) mit der Erkennung, Bestimmung und kompetenter Anwendung von umwelt- und menschverträglichen Technologien und Produkten zur Verbesserung und Gesundsanierung der aktuell problematischen Innenraumsituation beizutragen.

In unserer anthropozentrisch orientierten Gesellschaft, in der umweltethische Bildung nicht angeboren, sondern ausschließlich angelernt ist, bedeutet das wichtigste Instrument kreativen und technischen Schaffens eine interdisziplinär ausgerichtete Ausbildung. Die didaktische Forderung geht deshalb an Universitäten, Fachschulen, Architekten- und Handwerkskammern. Es ist ihre Aufgabe, für die Gegenwart und Zukunft interdisziplinär orientierte Lehrprogramme zu entwickeln, die sowohl auf technische und gestalterische als auch auf umweltmedizinische und sozialpolitische Erfordernisse eingehen. Leider gibt es zur Zeit nur wenige Lehrprogramme, die sich mit dem Wissen komplexer Zusammenhänge und folglich auch den Konsequenzen für Umwelt, Mensch und Tier des gestalterischen Schaffens auseinandersetzen.

Es ist aber auch angesagt, dass Konsumenten sich informieren, bevor sie Produkte für ihre Innenräume kaufen. Fragliche Produkte sollten verweigert, d. h. nicht mehr gekauft werden. Erst wenn Konsumenten auf strahlungsarmen Elektrogeräten bestehen oder sich beim Kauf des chicen Ledersofas schriftlich bescheinigen lassen, dass dieses beim tagtäglichen Gebrauch frei von schädlichen Ausdünstungen ist, werden sich die Produzenten überlegen, schadstofffreie Produkte zu verkaufen.

Oft wird das Argument angeführt, dass ökologisches Bauen und Einrichten gegenüber konventionellen Lösungen kostspieliger sei. Würden in Endpreise von Produkten auch die von ihnen während der einzelnen Lebensphasen verursachten Kosten der Umwelt- und Gesundheitsschäden, Entsorgungsproblemen etc. (abgesehen von irreparablen Schäden: Artensterben, genetische Probleme …), einkalkuliert, könnte ein realistischer Kostenvergleich zwischen konventionellen und ökologischen Produkten vorgenommen werden.

Es sollte nicht am falschen Ende gespart werden. Der Einbau eines Netzfreischalters, der die nächtliche Ruhe ohne Elektrostress garantieren kann, abgeschirmte Kabel oder schadstofffreie Anstrichmaterialien sollten selbstverständlich sein. Sicherlich sind Naturfarben im Vergleich zu Chemiefarben zurzeit noch teurer. Empfiehlt es sich jedoch nachzurechnen, wenn ein Kinderzimmer vor Schadstoffen bewahrt werden kann?

Wir werden unsere Leser zu diesem Thema weiterhin informieren, u. a. mit konkreten Beispielen und Ratschlägen.

© 2014 Netzfrau Birgitt Becker

Der Artikel enthält Textausschnitte aus dem Manifest, das ich für den italienischen Berufsverband der Innenarchitekten AIPi (Associazione Italiana Progettisti d’interni) geschrieben habe.

1) 50 % aller chronischen Erkrankungen, auch des Krebses, sind auf die kranke Umwelt zurück zu führen; Vortrag 2006 “Umweltmedizin– Baubiologie – Eine notwendige Symbiose” Prof. Dr. Volker Zahn, Umweltmediziner; s..a. Institut für Baubiologie + Ökologie – IBN, Prof. Anton Schneider, Neubeuern.

2) Neue Krankheitsbilder werden beschrieben: Multiple Chemical Sensitivity (MCS), Sick building syndrom, Fybromyalgie, Chronic Fatigue Syndrom): Vortrag Oktober 2004 Centre de la Ville et de l’Architecture, Brüssel, Ralph Baden, Gesundheitsministerium Luxemburg.

3) Ambiente-Uomo-Casa: Birgitt Becker, Monteleone, Editore, Vibo Valentia, 1996 und Bauen-Wohnen-Leben, Verlag ecokreis, 2002.

Artikel der Netzfrauen zum Thema:

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