Seit zehn Jahren wird am heutigen 06. Februar – dem „Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung“ – weltweit an diese schwere Menschenrechtsverletzung erinnert.
Bis zu 50 000 Mädchen sind in Deutschland von Genitalverstümmelung bedroht. Doch es fehlt nach wie vor der politische Wille, diese Kinder wirksam zu schützen.
„WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG HAT NICHTS MIT KULTUR, TRADITION ODER RELIGION ZU TUN. SIE IST FOLTER UND EIN VERBRECHEN. HELFEN SIE UNS, DIESEM VERBRECHEN EIN ENDE ZU SETZEN.“ Waris DirieIn
Waris Dirie. Sie ist eine Frau die als Model Karriere machte und ihren Bekanntheitsgrad dazu nutzte, öffentlich auf die auch noch heute stattfindenden Genitalverstümmelungen bei kleinen Mädchen und jungen Frauen hinzuweisen und dagegen zu protestieren. Sie selber wurde als Kind Opfer dieser Praktiken, die dem Islam angedichtet werden, die es aber schon im alten Ägypten gab und die in vielen afrikanischen Staaten ausgeübt werden. Zitat:
Man geht davon aus, dass die weibliche Beschneidung schon seit 5000 Jahren stattfindet.
Man schätzt, dass weltweit 130 Millionen Frauen beschnitten sind, ca. 2 Millionen kommen jährlich hinzu. In Äthiopien, Eritrea und Gambia werden noch heute 90% aller Frauen beschnitten, üblich ist die Beschneidung aber auch in Brasilien, auf den Philippinen, in Indonesien, Malaysia und Pakistan. Die Verstümmelung reicht von der Entfernung der Klitorisvorhaut (milde Sunna) über die Entfernung der Klitoris selbst (modifizierte Sunna) und der inneren Schamlippen (Clitoridectomie) bis zum Vernähen der äußeren Schamlippen mit Ausnahme einer winzigen Öffnung für Urin und Menstruationsblut.
Gegen die Annahme, die Beschneidung von Frauen sei hygienisch oder bevölkerungspolitisch begründbar (Geburtenkontrolle in wasserarmen Gebieten) sprechen vor allem zwei Beobachtungen:
1. Schon bei den Ägyptern und Römern wurde sozial differenziert beschnitten. Durch die Klitorisbeschneidung erhielten Frauen einen höheren sozialen Rang, nur sie durften in Ägypten heiraten, erben, eine Moschee betreten. Beschnitten und vernäht wurden Sklavenmädchen, da sie als Jungfrauen einen höheren Preis brachten.
2. Innerhalb einer Region handhaben verschiedene Stämme die Beschneidung sehr unterschiedlich, obwohl sie unter den selben Bedingungen leben. (Paweks Geschichte der Sexualität, 2000 Karl Pawek)
Wer nun glaubt, dieser alte fragwürdige Ritus würde nur in Ländern der „Dritten Welt“ stattfinden, der irrt. In einem Artikel des Spiegel von Anna Reiman vom 22. 08. 2007 beschreibt die Autorin das Eingreifen der Bremer Polizei in einen Ehestreit. Die Ehefrau wollte gegen den Willen ihres Mannes mit ihren zwei kleinen Töchtern nach Gambia reisen, um dort die übliche Beschneidung durchführen zu lassen. Zitat:
Dass eine geplante Beschneidung wie in Bremen öffentlich wird und die Polizei eingreift, ist nach Kenntnis der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes eine Premiere – die drohende Genitalverstümmelung indes ein Massenphänomen. Zehntausende Mädchen und junge Frauen in Deutschland wurden bereits Opfer von Beschneidungen, schätzen Frauenrechtsorganisationen. 4000 bis 5000 kleinen Mädchen droht die Beschneidung, oft – wie in dem Fall in Bremen – bei einer Reise in das Heimatland der Eltern.
Nicht nur auf der Reise in die afrikanische Heimat, auch in deutschen Städten werden Mädchen und junge Frauen beschnitten. Bei einer gemeinsamen Umfrage von Terre des Femmes, Unicef und des Berufsverbands der Frauenärzte im Jahr 2005 gaben zehn Prozent der befragten Gynäkologen an, bereits von in Deutschland durchgeführten Beschneidungen gehört zu haben. Fast die Hälfte haben schon Mädchen und Frauen behandelt, die selbst beschnitten waren.
Am Weltfrauentag am 8. März 2013 wurde Folgendes in den Nachrichten der Europäischen Kommission veröffentlicht: Zitat:
Aus einem unlängst veröffentlichten Bericht geht hervor, dass es in mindestens 13 EU-Ländern theoretisch oder de facto Verstümmelungsopfer gibt, und zwar in Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien und im Vereinigten Königreich. In dem Bericht werden auch die Gegenmaßnahmen der einzelnen EU-Länder ausführlich dargelegt. (Genitalverstümmelungen bei Mädchen und Frauen stoppen – 08/03/2013, Europäische Kommission)
Die Beschneidung selbst ist eine grausame, unendlich schmerzhafte Tortur, unter unhygienischsten Bedingungen, mit stumpfen „Werkzeugen“ wie Glasscherben und Rasierklingen und ohne Betäubung. Sie wird von den Frauen eingefordert und auch selbst durchgeführt. Hat ein Mädchen die Genitalverstümmelung lebend überstanden (nicht wenige verbluten, oder sterben an Entzündungen), wird sie dieser körperliche Eingriff Zeit ihres Lebens verfolgen. Betroffene Frauen leiden an Zysten, Eileiterentzündungen, Menstruationsschmerzen, Nierenschäden, Inkontinenz, schmerzhaftem Geschlechtsverkehr und nicht zuletzt an den seelischen Folgen, welche dieses Trauma der Verstümmelung hinterlässt.
Werden sie dann Mütter, sterben sie oftmals bei der Geburt, da dass Gewebe dermaßen vernarbt ist, dass sie ihr Kind nicht gebären können. Während der Entbindung durchleben sie zusätzlich das Aufgeschnittenwerden und das Danach-wieder-zugenäht-Werden. Und das bei jeder Geburt.
Was wenige wissen, der Genitalbereich kann rekonstruiert werden. Gerade heute wurde in der Zeitung „Die Welt“ ein Artikel von Fanny Jimenez dazu veröffentlicht. Zitat:
Zehntausende Mädchen und Frauen, die genital verstümmelt wurden, leben in Deutschland. Der Chirurg Dan mon O’Dey, leitender Oberarzt an der Klinik für Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Aachen, ist der erste Arzt, der den Betroffenen hierzulande mit einer rekonstruktiven OP hilft… … Das kann gelingen, weil der größte Teil dieses Organs im Innern des Körpers liegt und somit nie vollständig entfernt werden kann… ….So entwarf der Mediziner seine eigenen Operationsmethoden – und habilitierte dazu. Ihm ist wichtig, den Frauen nicht nur die Funktion, sondern auch das Aussehen wiederzugeben, das ihnen einst von anderen genommen wurde. “Das Thema begleitet die Frauen immer ein Leben lang”, erläutert O’Dey. “Sie wünschen sich die Normalität ihres Geschlechts – sie wollen sich nicht verstümmelt fühlen.” …. ….Die Kosten für die Operation übernahm dabei die Krankenkasse.
Waris Dirie ging bis vor die Vereinten Nationen, erschütterte mit ihrem Buch „Wüstenblume“ Menschen auf der ganzen Welt.
Seitdem bemühen sich betroffene Länder mit Aufklärung, schärferen Gesetzen mehr oder weniger erfolgreich um einen Schutz der Betroffenen.
“Ich bete darum, dass eines Tages keine Frau mehr diese Qual erleiden muss. Sie soll zu etwas längst Vergangenem werden. Die Menschen sollen sagen: “Hast du schon gehört, die Genitalverstümmelung von Frauen ist in Somalia gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt worden?” Und dann dasselbe auch im nächsten Land und im nächsten, und so weiter, bis die ganze Welt für alle Frauen sicher ist. Was für ein glücklicher Tag wird das sein – und darauf arbeite ich hin. So Gott will, wird dieser Tag kommen.” Waris Dirie
Netzfrau Antje Klein
Genitalverstümmelung an Mädchen: Politischer Wille für wirksamen Schutz fehlt in Deutschland noch immer
Seit zehn Jahren wird am heutigen 06. Februar – dem „Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung“ – weltweit an diese schwere Menschenrechtsverletzung erinnert. Mehr als drei Millionen Mädchen werden jedes Jahr Opfer der Genitalverstümmelung – vorwiegend in afrikanischen Ländern, aber auch in arabischen und asiatischen Ländern wie Irak, Jemen, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Indonesien und Malaysia.
Auch in Deutschland gelten bis zu 50 000 minderjährige Mädchen als akut gefährdet. Besonders in den Hochrisikogruppen (z. B. aus den Herkunftsländern Somalia, Äthiopien, Ägypten, Sierra Leone, Mali, Gambia u. v. m.) werden bis zu 80% der Mädchen tatsächlich der Verstümmelung unterworfen, meist während „Ferienreisen“ in das Heimatland der Eltern.
Doch der politische Wille zur Umsetzung wirksamer Schutzmaßnahmen fehlt noch immer:
So hat der Bundesrat erst im vergangenen Jahr einem Gesetzesentwurf von FDP und CDU/CSU zugestimmt, mit dem die Genitalverstümmelung an Mädchen explizit als Straftatbestand im §226 StGB verankert wurde. Doch ging es nicht etwa darum, eine Möglichkeit zu schaffen, um Genitalverstümmelungen mit aller Härte ächten zu können, sondern um die Einführung eines niedrigen Mindeststrafmaßes von einem Jahr, um für die Täter Bewährungsstrafen zu ermöglichen und sie vor eventueller Abschiebung zu schützen.
Ohne konsequente Strafverfolgung, die den Tätern rechtsstaatliche Grenzen aufzeigt, gibt es auch keine nachhaltige Prävention. In Deutschland wurden bislang – trotz der enormen hohen Opferzahl – keine Verstümmelungstäter verurteilt. Dies ist wesentlich der ärztlichen Schweigepflicht geschuldet: Ärzte, die ein Kind als Genitalverstümmelungsopfer identifizieren, dürfen die Behörden nicht einschalten. Auch wenn Ärzte den Verdacht oder gar Kenntnis über die geplante Tat haben, sind sie zu keiner Meldung verpflichtet.
Neben der Bundesärztekammer und der deutschen Ärzteschaft setzen sich die Parlamentarier insbesondere der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke seit Jahren gegen die Einführung einer Meldepflicht ein, die den Täterschutz aufheben könnte und boykottieren jegliche politische Bestrebung, diese Maßnahme ernsthaft zu diskutieren.
Dabei ist es so einfach, die gravierenden Schutzlücken zu schließen und allen gefährdeten Mädchen wirksamen Schutz zu gewähren:
- Gesetzliche Meldepflicht (sowohl im Fall bereits verübter Verstümmelungen als auch bei Kenntnis bevorstehender Verstümmelungen),
- Untersuchungspflicht, einschließlich regelmäßiger Überprüfung der genitalen Unversehrtheit (entweder nur für die Mädchen der genau bestimmbaren Risikogruppen oder für alle in Deutschland lebenden Kinder bis zum 18. Lebensjahr),
- Kollektive familienrechtliche Maßnahmen für alle bis zu 50 000 minderjährigen Mädchen der Risikogruppe, um die Verstümmelungen in den Herkunftsländern der Eltern effektiv zu unterbinden (in Anlehnung an einen Beschluss des BGH, XII ZB 166/03)
Netzfrau Ines Laufer vom TaskForce für effektive Prävention von Genitalverstümmelung e.V.
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