Gerade ist Erdogan zurück von seinem Deutschlandbesuch, bei dem er bei Frau Merkel um den Beitritt als Vollmitglied in die EU wirbt und von Deutschland mehr Unterstützung fordert. Zudem sprach er von der Einrichtung von sieben Wahllokalen in Deutschland, damit zukünftig alle in Deutschland lebenden Türken bei türkischen Wahlen mit abstimmen können.
Dies will er vor allem mit dem Hintergedanken an die im Sommer anstehende Präsidentschaftswahl, bei der zum ersten Mal der Präsident direkt gewählt werden kann. Erdogan erhofft sich viele wichtige Stimmen von den in Deutschland lebenden wahlberechtigen Türken. Er rechnet fest mit einem Sieg bei der Präsidentschaftswahl.
Aber kaum zurück in seinem Land, wallen dort wieder Unruhen auf, die mit einem demokratischen Land, das in die EU möchte, nichts mehr gemeinsam haben. Gerade wurde von der Regierung Erdogan ein Gesetz verabschiedet, nach dem nun künftig Internetseiten sofort und ohne vorherigen richterlichen Beschluss einfach gesperrt werden können. Die Türken müssen sich schon lange mit Zensuren wie dem Verbot von Büchern, Verhaftungen von Regierungskritikern unter anderem auch Autoren und Journalisten, dem Absetzen von regierungskritischen Beamten, Politikern, Richtern und kontrollierten Massenmedien auseinandersetzen. Dass es aber nun gegen das Internet geht, lässt den sowieso schon großen Zorn auf Erdogan nun explodieren.
Seit langem hatte die Regierung unter Erdogan schon den Plan, das Netz stärker zu kontrollieren. Vor allem seit den Vorkommnissen im Gezi Park im letzten Jahr, die in der gesamten Türkei für großen Aufruhr gesorgt hatten, bei denen sich die aufgebrachten Menschen wegen der Medienzensur vor allem über das Internet gegenseitig mit aktuellen Informationen versorgten, wütete Erdogan scharf gegen das Internet, hauptsächlich gegen Seiten wie Twitter und Facebook.
Er nannte diese Seiten eine Plage und drohte damals gegen alle vorzugehen, die im Internet zu Demonstrationen aufrufen oder die Menschen anstacheln und gegen die Regierung schreiben. Es gab viele Verhaftungen von Twitterern. Selbst Ärzte nutzten damals Twitter, um Adressen bekannt zu geben, bei denen verletzte Demonstranten sich behandeln lassen konnten. Andersrum gab es auch Hilferufe, bei denen Verletzte gemeldet wurden und Ärzte herbeigerufen wurden.
Moscheen wurden damals für Verletzte geöffnet und über das Internet Ärzte gerufen. Auch wurden Vermisstenmeldungen über Twitter und Facebook weitergeleitet und sogar einige bei Ausschreitungen verlorengegangene Kinder konnten so wiedergefunden werden. Ebenso hängten viele Ladenbesitzer Schilder mit ihren WLAN-Passwörtern an Hauswände, um den Demonstranten so Internetzugang zu ermöglichen, da oft die Handynetze zusammenbrachen.
Das Internet ist in der Türkei vor allem bei jungen Türken nicht mehr wegzudenken und ist das Informations- und Kommunikationsmedium Nr. 1. Die jungen Türken wissen Twitter und Facebook sehr geschickt zu nutzen, um Informationen in rasender Geschwindigkeit zu verbreiten. Das alles ist Erdogan schon lange ein Dorn im Auge.
Viele Türken sind der festen Überzeugung, dass er die Kontrolle über den Informationsaustausch der Türken im Internet will, nachdem er die meisten Zeitungen und TV-Sender schon unter Kontrolle habe. Nachdem er nun ernst gemacht hat, in dem er dieses neue Gesetz erließ, wallten wieder wütende Proteste im ganzen Land auf, die von der Polizei brutal mit Knüppeln, Wasserwerfern und Tränengas bekämpft wurden. Es gab etliche Verletzte, viele mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden. Die Menschen wehren sich verzweifelt und kämpfen für Meinungsfreiheit und gegen die drohende Internetzensur. Sie wissen, dass das Internet gerade bei regierungskritischen Themen die einzige Möglichkeit bietet, sich zu informieren, da die Fernsehsender mittlerweile fast alle streng zensiert und in Erdogans Händen sind.
Wie auch schon im vergangenen Jahr gibt es viel Zusammenhalt unter den demonstrierenden Menschen. Viele versorgten die verletzten Demonstranten und die Taxifahrer am Taksimplatz legten sogar ihre Arbeit nieder, um sich mit ihren abgestellten Fahrzeugen zwischen Polizei und Demonstranten zu stellen, und die Menschen so zu unterstützen.
Aber auch, wenn die Leidenschaft und der Mut der Menschen in der Türkei gegen die Macht der Regierung nicht ankommen sollte, werden sie mit ihrer Kreativität und ihrem Einfallsreichtum sicher weiterhin Möglichkeiten finden, sich zu informieren, trotz der vielen Zensuren im ganzen Land.