Wie die Netzfrauen bereits berichteten, läuft zurzeit in Italien ein Prozess gegen die Gegner (NO-TAV) der Hochgeschwindigkeitsbahn Turin – Lyon (TAV). Wer nun denkt, dass sich die Argumentations-Lächerlichkeiten seitens der Turiner Staatsanwaltschaft nicht mehr überbieten lassen, irrt gewaltig.
Die am 9. Dezember 2013 inhaftierten vier TAV-Gegner Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò wurden von der Turiner Staatsanwaltschaft angeklagt wegen “Attentat mit terroristischem Anliegen und politischer Subversion”. Für die Inhaftieren handelt es sich um einen rechtmäßigen Widerstand, eine Aktion, bei der lediglich ein Kompressor beschädigt wurde, ohne dass dabei Personen Schaden zugefügt wurde. Es steht außer Frage, dass die Begründungen des Turiner Gerichts nicht ausreichen, einen Sabotageakt als „Terroristische Aktion“ zu deklarieren. Eher zeigt es, mit welcher unverhältnissmäßigen Härte und repressiver Verbissenheit seitens der Justiz gegen die TAV-Demonstranten vorgegangen wird.
Die Vorgehensweise seitens des italienischen Gerichts betrifft uns alle in Europa. Zum einen, weil in unserem Nachbarland Italien Menschen sich auf verlorenem Posten gegen größenwahnsinnige Projekte und Politiker wehren. Zum anderen diese Großprojekte nicht selten nur als Schlupfloch für mafiöse Unterfangen dienen. So handelt es sich bei dem TAV-Projekt um ein sinnloses Projekt, das ohne EU-Finanzierungen nicht möglich gewesen wäre.
Die vorgebrachten Argumente der NO-TAV-Aktivisten stützen sich auf einen über 20jährigen! Erfahrungsschatz und auf stets aktualisierte Analyen und Untersuchungen, die von unabhängigen Wissenschaftlern und Experten durchgeführt wurden und werden. Darunter Experten der Verkehrs- und Finanzwirtschaft, der Umwelttechnik, von Naturforschern, Geologen, Agrarwissenschaftlern, Ärzten und Richtern.
Die Netzfrauen rufen dazu auf, den Appell der Angehörigen der vier NO-TAV-Aktivisten, die immer noch in einem Gefängnis-Hochsicherheitstrakt inhaftiert sind, so weit wie möglich zu verbreiten. Denn die inhaftieren Jugendlichen riskieren 30 Jahre Gefängnis und werden in Einzelhaft gehalten. Es sind junge Menschen, die dringend unsere Unterstützung benötigen.
Hier der Aufruf (deutsche Übersetzung und auf italienisch), mit dem die Angehörigen Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò europaweit um Unterstützung bitten:
Nachstehend der Aufruf der Angehörigen von Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò:
In diesen Wochen habt ihr wahrscheinlich von ihnen gehört. Es sind die Personen, die am 9. Dezember 2013 verhaftet wurden mit der Anklage, die TAV-Baustelle in Chiomonte angegriffen zu haben. Bei diesem Angriff kam lediglich ein Kompressor zu Schaden. Es gab keine Personenschäden. Die Anklage lautet jedoch auf „Terrorismus“, da „in diesem Zusammenhang“ und mit der Aktion unter Umständen „Panik unter der Bevölkerung“ ausgelöst wurde und das Land dadurch „einen großen Schaden“ davongetragen hätte. Ein Imageverlust?
Wir wiederholen: Ein Verlust des Ansehens? Die Anschuldigung basiert allein auf der Potenzialität der vermeintlich ausgeführten Handlungen, aber in Ermangelung des Straftatbestands des „fahrlässigen Terrorismus“ in unserem Rechtssystem, läuft die Anklage auf tatsächlichen, vorsätzlichen Terrorismus heraus.
Hingegen der Terrorismus, der in unser aller Gedächtnis geblieben ist:
– Die Blutbäder der 1970er- und 1980er-Jahre, die Bombenanschläge in Zügen und auf Plätzen in jüngster Vergangenheit auch auf Flughäfen, U-Bahnen und Wolkenkratzer.
– Der Terrorismus, der sich gegen unschuldige und ahnungslose Menschen richtete, die ermordet wurden. Der Terrorismus, der tatsächlich die ganze Bevölkerung terrorisiert hatte.
Im Gegensatz dazu haben unsere Kinder, Brüder und Schwestern immer Respekt vor dem Leben anderer gehabt. Es sind großherzige Menschen, voller Ideen, die eine bessere Welt wollen und dafür auch kämpfen. Sie haben gegen jede Form von Rassismus gekämpft, sie zeigten die Schrecken der CIE (Centri di identificazione ed espulsione – Die unmenschlichen Auffang- und Abschiebelager für Immigranten) an – über die man sich heute so entrüstet zeigt – bevor diese überhaupt von der Presse und der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.
Sie schufen Raum und Momente für kritische Auseinandersetzung. Sie haben sich dafür entschieden, ihren Lebensraum zu verteidigen und nicht dafür, die Bevölkerung zu terrorisieren. Alle Susatäler Bürger bestätigen dies und setzen diese Haltung auch auf ihren Internetseiten fort. Ist etwa das die Bevölkerung, die sich terrorisiert fühlt?
Und kann ein in Brand gesetzter Kompressor einem Land großen Schaden zufügen? Die verhafteten Personen bezahlen die Zeche für ein Land in einer Glaubwürdigkeitskrise. Genau darum werden sie plötzlich und unverhofft zu Terroristen wegen Imageschädigung mit dem gleichen schweren Strafmaß wie für jemanden, der getötet hat oder töten wollte.
Dies ist eine inakzeptable (Grenz)Überschreitung für eine Demokratie. Würde diese Vorgehensweise die Oberhand gewinnen, würde das für die Zukunft bedeuten, dass jeder, der eine von oben getroffene Entscheidung anficht, unter den gleichen Prämissen angeklagt werden könnte, weil er das Land – die Regierung – in schlechtes Licht setzt und diesem einen Imageschaden zufügt. Es ist unser aller Freiheit, die in Gefahr ist. Eine Freiheit, die wir nicht als selbstverständlich voraussetzen können.
Für Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus sind keine Hausarreste vorgesehen, sondern Haftstrafen in Hochsicherheitstrakten, was bedeutet: Isolation, zwei Stunden Hofgang täglich, vier Stunden Besuchszeit pro Monat. Alle Briefe werden kontrolliert, der Staatsanwaltschaft zugeleitet und protokolliert. Die Briefe kommen sowohl bei den Inhaftierten als auch bei uns mit extremer Verspätung oder überhaupt nicht an. Jetzt sind die vier in jeweils andere Hochsicherheitsgefängnisse verlegt worden, weit weg von ihrer Heimatstadt. Eine Distanz, die sie noch mehr trennt von der Zuneigung ihrer Familien und ihrer Lieben, mit weiteren unverständlichen Schikanen, wie die Streichung von Besuchen, das Verbot der Begegnung untereinander und in einigen Fällen die totale Isolation.
All das sogar noch vor einem Prozess, da sie angeblich „gefährlich“ seien, „dank“ einer Interpretation der Justiz, die sich nicht auf Fakten stützt.
Dieser Brief richtet sich an:
Zeitungen, Fernsehen, Massenmedien, damit sie wieder ihre Aufgabe übernehmen, zu informieren und alle Aspekte abzuwägen, auf dass sie den Mut finden, über diesen Fall zu berichten, sich zu empören über die paradoxe Situation einer Person, die eine extrem harte Strafe riskiert, nicht weil sie jemanden niedergemetzelt hat, sondern weil sie nach Ansicht der Anklage eine Maschine beschädigt oder der Beschädigung beigewohnt habe.
Dieser Appell richtet sich an die Intellektuellen, auf dass sie zu diesem Fall ihre Stimme erheben mögen. Damit sie handeln, bevor unser Land zu einem unlebbaren Ort wird, wo diejenigen, die sich widersetzen, die denken, dass ein Großprojekt den Bürgerinnen und Bürgern dienen müsse und nicht dazu, der EU ein paar Münzen aus der Tasche zu ziehen, als eine Bereicherung und nicht als Terroristen angesehen werden.
Dieser Appell richtet sich an die ganze Gesellschaft und insbesondere an Familien wie unsere, die mit zunehmender Sorge und Mühe ihre eigenen Kinder in diesem Land aufwachsen sehen, sie großziehen und sie lehren, nicht wegzuschauen und denen beizustehen, die auf der richtigen Seite stehen und die uns wirklich brauchen.
Vielen Dank
Die Familienangehörigen von Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò
Appell auf italienisch:
Appello dai familiari di Chiara, Claudio, Mattia e Niccolò
In queste settimane avete sentito parlare di loro. Sono le persone arrestate il 9 dicembre con l’accusa, tutta da dimostrare, di aver assaltato il cantiere Tav di Chiomonte.
In quell’assalto è stato danneggiato un compressore, non c’è stato un solo ferito. Ma l’accusa è di terrorismo perché “in quel contesto” e con le loro azioni presunte “avrebbero potuto” creare panico nella popolazione e un grave danno al Paese. Quale? Un danno d’immagine.
Ripetiamo: d’immagine. L’accusa si basa sulla potenzialità di quei comportamenti, ma non esistendo nel nostro ordinamento il reato di terrorismo colposo, l’imputazione è quella di terrorismo vero e volontario.
Quello, per intenderci, a cui la memoria di tutti corre spontanea:
– le stragi degli anni 70 e 80, le bombe sui treni e nelle piazze e, di recente, in aeroporti, metropolitane, grattacieli.
– Il terrorismo contro persone ignare e inconsapevoli, che uccideva, che, appunto, terrorizzava l’intera popolazione. Al contrario i nostri figli, fratelli, sorelle hanno sempre avuto rispetto della vita degli altri. Sono persone generose, hanno idee, vogliono un mondo migliore e lottano per averlo. Si sono battuti contro ogni forma di razzismo, denunciando gli orrori nei Cie, per cui oggi ci si indigna, prima ancora che li scoprissero organi di stampa e opinione pubblica. Hanno creato spazi e momenti di confronto. Hanno scelto di difendere la vita di un territorio, non di terrorizzarne la popolazione. Tutti i valsusini ve lo diranno, come stanno continuando a fare attraverso i loro siti. E’ forse questa la popolazione che sarebbe terrorizzata? E può un compressore incendiato creare un grave danno al Paese?
Le persone arrestate stanno pagando lo scotto di un Paese in crisi di credibilità. Ed ecco allora che diventano all’improvviso terroristi per danno d’immagine con le stesse pene, pesantissime, di chi ha ucciso, di chi voleva uccidere. E’ un passaggio inaccettabile in una democrazia. Se vincesse questa tesi, da domani, chiunque contesterà una scelta fatta dall’alto potrebbe essere accusato delle stesse cose perché, in teoria, potrebbe mettere in cattiva luce il Paese, potrebbe essere accusato di provocare, potenzialmente, un danno d’immagine. E’ la libertà di tutti che è in pericolo. E non è una libertà da dare per scontata.
Per il reato di terrorismo non sono previsti gli arresti domiciliari ma la detenzione in regime di alta sicurezza che comporta l’isolamento, due ore d’aria al giorno, quattro ore di colloqui al mese. Le lettere tutte controllate, inviate alla procura, protocollate, arrivano a loro e a noi con estrema lentezza, oppure non arrivano affatto. Ora sono stati trasferiti in un altro carcere di Alta Sorveglianza, lontano dalla loro città di origine. Una distanza che li separa ancora di più dagli affetti delle loro famiglie e dei loro cari, con ulteriori incomprensibili vessazioni come la sospensione dei colloqui, il divieto di incontro e in alcuni casi l’isolamento totale. Tutto questo prima ancora di un processo, perché sono “pericolosi” grazie a un’interpretazione giudiziaria che non trova riscontro nei fatti.
Questa lettera si rivolge:
Ai giornali, alle Tv, ai mass media, perché recuperino il loro compito di informare, perché valutino tutti gli aspetti, perché trobino il coraggio di indignarsi di fronte al paradosso di una persona che rischia una condanna durissima non per aver trucidato qualcuno ma perché, secondo l’accusa, avrebbe danneggiato una macchina o sarebbe stato presente quando è stato fatto..
Agli intellettuali, perché facciano sentire la loro voce. Perché agiscano prima che il nostro Paese diventi un posto invivibile in cui chi si oppone, chi pensa che una grande opera debba servire ai cittadini e non a racimolare qualche spicciolo dall’Ue, sia considerato una ricchezza e non un terrorista.
Alla società intera e in particolare alle famiglie come le nostre che stanno crescendo con grande preoccupazione e fatica i propri figli in questo Paese, insegnando loro a non voltare lo sguardo, a restare vicini a chi è nel giusto e ha bisogno di noi.
Grazie, I familiari di Chiara, Claudio, Mattia e Niccolò
© 15.02. 2014 Netzfrau Birgitt Becker
Italien: Brief besorgter Eltern: Ist unser Demonstrationsrecht in Gefahr?
DAS SCHWARZE LOCH DES TAV – (Treno ad Alta Velocità – Hochgeschwindigkeitsbahn)
Sind die italienischen Linken verschwunden und haben die Straße den extremen Rechten überlassen?
Das, was wir nicht im TV sehen – und was wirklich passiert …
Die Geschäfte der Müllmafia boomen, nicht nur in Italien, auch in Deutschland