Des einen Freud, des andern Leid – Kritik am deutschen Exportwahn

L'Euro pesanteExportweltmeister Deutschland stört das wirtschaftliche Gleichgewicht in der EU – „Nestbeschmutzer“ am deutschen Exportwahn jetzt auch in der SPD.

Michael Roth (SPD), Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, war der erste hochrangige deutsche Politiker, der es wagte, die riesigen deutschen Handelsbilanzüberschüsse zu kritisieren. Inzwischen hat auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Gabriel sich dieser Kritik in moderater Form angeschlossen.

Damit schließen sich beide der Kritik vieler EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission an, die die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse als Gefährdung der europäischen Finanzstabilität sehen. Die hohen deutschen Exportgewinne werden in direktem Zusammenhang mit den hohen Handelsbilanzdefiziten in anderen EU-Ländern gesehen. Denn gesamtwirtschaftlich gesehen sind die Handelsbilanzüberschüsse des einen zwangsläufig die Handelsbilanzdefizite des anderen. Aus diesem Grunde wurden bereits vor geraumer Zeit Stabilitätskriterien für die EU beschlossen, die neben einem Grenzwert für Handelsbilanzdefizite auch einen Grenzwert für Handelsbilanzüberschüsse festlegen, die nicht überschritten werden dürfen.

Haben vor der EURO-Einführung die schwankenden Devisenwechselkurse für einen Ausgleich der Handelsbilanzunterschiede gesorgt, so sind es heute u. a. die „Grenzwerte“, die als Instrumente für diesen Ausgleich herhalten müssen. Es zeigt sich aber immer deutlicher, dass eine Wirtschafts- und Währungsunion nur dann funktionieren kann, wenn auch die sozialen Standards (Sozialunion) harmonisiert werden!

Nun warf am vergangenen Mittwoch EU-Kommissar Olli Rehn der Bundesrepublik erneut vor, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in der EU zu stören – wegen seiner anhaltend hohen Überschüsse in der Leistungsbilanz! Deutschland habe bereits seit 2007 die Überschussschwelle nach den europäischen Stabilitätsregeln überschritten.

Die Bundeskanzlerin hat sich (wie üblich) bisher noch nicht zu den Ergebnissen der Kommissionsuntersuchung geäußert, da diese doch in krassem Widerspruch zur Exportweltmeister-Euphorie der abgewählten Schwarz/Gelben Regierungsposition stehen.

Die Kritiker interpretieren die deutschen Exportüberschüsse als Ergebnis einer unfairen, unsozialen Wirtschaftspolitik, die v. a. auf Lohndumping und Lohnzurückhaltung setzt. Da die durchschnittlichen Löhne und darüber auch die deutschen Lohnstückkosten sich seit Beginn der Währungsunion nur unterdurchschnittlich und unter der Ideallinie entwickelt haben, die der Geldpolitik der EZB zugrunde liegt, habe Deutschland auf unfaire Weise Wettbewerbsvorteile gewonnen. Die daraus resultierenden Ungleichgewichte hätten erheblich zur Verschuldung der Krisenländer beigetragen.

Zum Abbau der hohen Handelsbilanzüberschüsse schlagen daher Politiker und Ökonomen vor, die Binnenkaufkraft durch den Abbau wettbewerbsverzerrender Beschäftigungsmodelle, durch Lohnerhöhungen, Steuerabbau und Investitionen zu stärken, damit die Lohnstückkosten wieder auf europäisches Gesamtniveau steigen und dadurch die ausländische Konkurrenz wieder wettbewerbsfähig wird.

Lt. Spiegel online kritisiert Roth: „(…)  durch den ausufernden Niedriglohnsektor in Deutschland, durch die Zunahme von prekärer Beschäftigung haben wir uns einen unfairen Vorteil gegenüber unseren Partnerländern verschafft. Der muss perspektivisch beseitigt werden.“ Die Abmilderung der Leistungsungleichgewichte in der Europäischen Union sei „nicht nur eine Aufgabe der Defizitländer, sondern auch eine Aufgabe von Deutschland“. Roth betont jedoch wie zuvor andere Kritiker, es gehe „mitnichten“ darum, die deutschen Exporte zu drosseln, wie immer wieder fälschlicherweise behauptet werde. Vielmehr müsse das Ziel sein, die Binnennachfrage und damit die Importe zu stärken. Hier sei mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Mindestlohn „ein deutliches Zeichen gesetzt“ worden. Union und SPD hätten im Koalitionsvertrag auch weitere konkrete Maßnahmen verabredet, um die prekäre Beschäftigung einzudämmen. Dazu gehörten die Begrenzung der Zeit- und Leiharbeit, Investitionen in die Infrastruktur sowie die Begrenzung von Praktika. Roth betonte, dass dies nicht allein sozialdemokratische Vorhaben seien, sondern im Koalitionsvertrag vereinbarte Schritte. „Es sind Antworten der großen Koalition. Das stimmt mich auch so zuversichtlich, dass wir das werden umsetzen können.“

Die Äußerungen von Gabriel und Roth können auch als Zeichen dafür gesehen werden, dass die Omnipotenz und Omnipräsenz der Bundeskanzlerin ins Wanken geraten scheint. Schließlich ist die Frage, um die es hier geht, in erster Linie eine Wirtschaftliche, Soziale und Außenpolitische. Insofern wäre es im Interesse der Sache weiterhin gut, wenn die Bundeskanzlerin schweigen würde und dieses „Geschäft“ den Fachministern und Fachleuten überlassen würde.

Denn sonst besteht die Gefahr, dass die deutschen Arbeitnehmer und Steuerzahler die Zeche zweimal zahlen müssen: Einmal mit zu niedrigen Löhnen und zum andern mit Transferzahlungen an die abgehängten Defizitstaaten!

© 10. 03. 2014 K. H. Schreiner

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