Anlässlich der lit.COLOGNE wollten am 19. 03. 2014 Schriftstellerin Amana Fontanella-Khan, Moderatorin Helga Kirchner und Schauspielerin Corinna Harfouch gemeinsam mit der indischen Frauenrechtsaktivistin Sampat Pal und ihrem Publikum die „Pink Sari Revolution“ feiern.
Empört und traurig sei sie, teilte die Leiterin des Ressorts „Programm“ dem Publikum mit. Dann erklärte sie, warum Sampat Pal, die Begründerin der Gulabi Gang, nicht anwesend sein kann. Was die deutsche Botschaft in Neu Delhi damit zu tun hat und warum mir dieser Abend trotzdem unvergesslich in Erinnerung bleiben wird…
„Die indische Frauenrechtlerin Sampat Pal muss ihre Reise nach Deutschland und ihre Teilnahme an der Veranstaltung „Amana Fontanella-Kahn, Sampat Pal und Corinna Harfouch feiern die Pink Sari Revolution“ auf der lit.COLOGNE am 19.3. leider absagen. Trotz diverser Bemühungen seitens des Verlages Hanser Berlin und des Festivals sah sich die Deutsche Botschaft in Neu Delhi nicht in der Lage, Frau Pal ein Visum auszustellen. Wir bedauern diesen Umstand sehr.
Amana Fontanella-Khan, Corinna Harfouch und Helga Kirchner werden die Veranstaltung zu Ehren von Sampat Pal und der Pink Sari Revolution dennoch durchführen.
Karten können an den Vorverkaufsstellen zurückgegeben werden, an denen sie erworben wurden.
Herzliche Grüße,
Ihr lit.COLOGNE-Team“
Dieser Text hing, in schwarzen Buchstaben gedruckt auf einfach weißes Papier, an der Glastüre zum Eingang des Schauspielhauses in Köln-Mülheim. Ratlos schauten wir uns an. Wir hatten die Karten zu Weihnachten geschenkt bekommen und uns gut 3 Monate auf diesen Abend gefreut. Beide hatten wir schon viel von Sampat Pal gehört, der Frau, die im ärmsten Bundesstaat Indiens, Uttar Pradesh, mit ihrer Gang – Frauen aller Altersgruppen in pinkfarbenen Saris – bewaffnet mit viel Herz, Verstand und einem Bambusstock, gegen die Verbrechen an Frauen und Mädchen kämpft.
Häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Mitgiftmorde, gezielte Abtreibung weiblicher Föten – all das ist in Indien an der Tagesordnung. Frauen sind wenig bis gar nichts wert, eine Tochter möchte man erst gar nicht bekommen. Denn selbst, wenn Schwangerschaft und Geburt überstanden sind, warten Kindstötungen, Kinderhochzeiten, Kinderhandel und vieles mehr auf die Mädchen.
Was für einen starken Charakter muss eine Frau haben, um im ärmsten Staat Indiens, dort, wo die Kriminalität gegen Frauen am Höchsten ist, gegen eine Tradition zu kämpfen, in der Frauen minderwertig sind, ja teilweise sogar regelrecht verachtet werden? Das zu erfahren hatte ich mir von der Veranstaltung erhoffft.
Natürlich war ich enttäuscht. Aber im ersten Moment nicht wirklich überrascht. Aus meiner Arbeit für die „The 50 Million Missing Campaign“, die Kampagne gegen den Völkermord an indischen Frauen, habe ich längst gelernt, mit allem zu rechnen. Indische Behörden sind korrupt bis ins Mark. Wenn sie irgendeine Möglichkeit sehen, einer Frau Steine in den Weg zu legen, werden sie sie nutzen. Vor allem, wenn es sich um eine Frau handelt, die das Bild, das Indien so gerne nach außen repräsentiert, das Bild von innerer Erkenntnis, Ausgeglichenheit, Yogis und den friedlichen Kühen auf der Straße, also von jeder Menge Frieden und Harmonie, gerade zu rücken droht.
Als wir auf unseren Plätzen saßen und noch ein wenig Zeit zum Nachdenken war, blitzte mir plötzlich durch den Kopf: Hatte da nicht gestanden DEUTSCHE Botschaft? Aber warum sollte die DEUTSCHE Botschaft das Visum verweigern? Meine Verschwörungstheorien gerieten kurzzeitig ins Wanken. Aber bevor ich weiter darüber nachgrübeln konnte, trat Traudl Bünger, Leiterin des Bereichs Programn der lit.COLOGNE auf die Bühne und begrüßte das Publikum. Sie sei empört und traurig, dass die Deutsche Botschaft in Neu Delhi Sampat Pal das Visum verweigert habe. Der Grund für die Ablehnung sei ein angeblich veraltetes Passfoto gewesen. Mit diesem Pass sei Sampat Pal aber im vergangenen Jahr noch nach Norwegen gereist, da habe es keine Probleme gegeben. Sie selbst und auch der Hanser-Verlag, Herausgeber des Buches „Pink Sari Revolution“ von Amana Fontanella-Khan, hätten alles Erdenkliche versucht, die Mitarbeiter der Botschaft umzustimmen, dort habe man aber wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt.
Ein veraltetes Passfoto? Ich selbst schwanke ständig in allen möglichen Haarlängen zwischen nackenkurz und hüftlang, in Farben zwischen dunkelbraun und feuerrot. Und je nachdem ob ich dran denke oder nicht, sitzt da ab und an eine Brille auf meiner Nase. Habe ich jemals Probleme mit meinem Passfoto gehabt, bei dem meine straßenköterbraunen Haare knapp über Streichholzlänge waren und meine Haut noch prall und faltenfrei? Ist es nicht völlig egal, was für ein Passfoto man hat, solange der Pass gültig ist? Ich wurde zornig. Wenn man ständig mit diesem Thema zu tun hat, dann wird man irgendwann zornig. So viele Frauen in Indien werden ihrer Möglichkeiten beraubt…
Nicht so Sampat Pal. Die Frau, die ich in den nächsten 90 Minuten kennenlerne, hat sich niemals in ihrem Leben „die Butter vom Brot nehmen lassen“. Als Kind holte sie sich an Wissen, was sie brauchte. Weil sie als Mädchen nicht zur Schule gehen durfte, drohte sie einem kleineren Junge Prügel an und brachte ihn so dazu, ihr alles beizubringen, was er gelernt hatte.
Mit zwölf Jahren wurde Sampat verheiratet. Obwohl für die Heirat von Mädchen in Indien bereits seit 1929 als Mindestalter 18 Jahre festgesetzt wurde, ist Indien nach wie vor das Land mit den meisten Kindsbräuten. Schätzungen zufolge ist bei etwa der Hälfte der Hochzeiten in Indien die Braut jünger als 18 Jahre.
Sampat Pal tat nach ihrer Hochzeit etwas, das in Indien eine Seltenheit ist. Sie überredete ihren Mann, mit ihr nicht wie üblich bei den Schwiegereltern wohnen zu bleiben, sondern in eine eigene Wohnung zu ziehen. So wie sie schon in ihrer Kindheit erreicht hatte, was sie wollte, erreichte sie auch dies. Mit 20 hatte Sampat 5 Kinder, 4 davon Mädchen.
Sie wollte eine Nähmaschine – sie bekam eine, mit der für sie üblichen List. Sie wollte etwas gegen die Gewalt gegen Frauen tun – sie tat es, obwohl häusliche Gewalt in Indien an der Tagesordnung ist. Sie wollte eine Selbsthilfegruppe – sie gründete eine, obwohl ihr Mann alles andere als begeistert war. Aber wer richtet schon etwas aus gegen eine Frau mit dem großen Willen von Sampat Pal?
Schriftstellerin Amana Fontanella-Khan, Moderatorin Helga Kirchner, Schauspielerin Corinna Harfouch dem Team von lit.COLOGNE und dem WDR, der für diesen Einspieler sorgte, gebührt ein ganz großes Lob. Sie schafften es, den Geist von Sampat Pal in den Saal zu zaubern, beinahe so, als wäre sie dagewesen. Und auch Sampat Pal selbst trug dazu bei, mit einer Nachricht an ihr Publikum. Sie wünscht sich eine Welt, in der alle Menschen höflich, respektvoll und gut miteinander umgehen.
Wir haben viel geschmunzelt an diesem Abend, obwohl es um ein so furchtbares Thema ging. Aber die wunderbare Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der Amana Fontanella-Khan es schaffte, mit Worten ein scheinbar greifbares Bild von Sampat Pal zu zeichnen, die Art, in der Corinna Harfouch dieses Bild verlas und die Fragen von Helga Kirchner, die immer so zu sein schienen, wie sie sich gerade im eigenen Kopf formuliert hatten – all das machte neben Zorn eben auch Hoffnung, sodass es trotzdem möglich blieb zu lachen.
Die Hoffnung ist es auch, die Sampat Pal zu den Frauen in Uttar Pradesh bringt – und die Frauen zu ihr. 20 000 haben sich ihr mittlerweile angeschlossen und greifen mit Stöcken bewaffnet und in pinkfarbene Saris gekleidet ein, wenn es für eine Frau brenzlig wird. Da bezieht schon mal ein Ehemann Prügel oder es wird der Schwiegerfamilie damit gedroht. Kommt die Gulabi-Gang zu spät, sorgen die Mitglieder dafür, dass die Polizei ihre Arbeit tut. Tut sie das nicht, ermittelt Sampat Pal auf eigene Faust und leistet anschließend bei den Behörden Überzeugungsarbeit.
Da viele der Frauen Analphabeten sind, vermittelt Sampat ihre Botschaften in Lieder verpackt. Eines davon hat Amana Fontanella-Khan aufgenommen und während ich der kraftvollen Stimme Sampat Pals zuhöre, werde ich wieder zornig. Nicht weil ich und viele andere sie nicht haben life erleben dürfen. Sondern weil eine Frau wie Sampat Pal, die sich von nichts und niemandem aufhalten lässt, die gegen alle Widerstände kämpft in einem Land, das voll ist von korrupten Politikern, ausgerechnet hier scheitert: an der deutschen Bürokratie.
In diesem Moment beschließe ich, dass ich das nicht so hinnehmen werde. Vielleicht war mir das aber auch schon klar, als Amana Fontanella-Khan von Sampat Pals politischen Ambitionen sprach. Bereits 2007 hatte sie sich als Kandidatin für Uttar Pradesh aufstellen lassen. Damals war das ein symbolischer Akt. Die Mutter eines Kriminellen hatte kandidiert und Gewalt angedroht für den Fall, dass man sie nicht wähle. Dieses Mal ist es Sampat Ernst. Sie erhofft sich, mit der Congress Party noch mehr für Frauen zu erreichen. Angst davor, korrumpiert zu werden, hat sie keine. Sie bekomme von den Familien der Täter so oft Geld für ihr Stillschweigen angeboten, dass sie sicher ist, dem widerstehen zu können.
Für mein Empfinden stinkt es zum Himmel, dass einer politisch ambitionierten indischen Frauenrechtlerin mit gültigem Pass das Visum verweigert wird. Das Foto ist meiner Meinung nach nur ein Vorwand. Aber ganz egal, ob es jetzt tatsächlich politisch motivierte Hintergründe sind, die zur Ablehnung führen oder bloße behördliche Bequemlichkeit – es ist beides nicht in Ordnung. Als mir damals in Bratislava mein Pass gestohlen wurde, fuhr eine slowakische Kollegin mit mir zur deutschen Botschaft, bestätigte, dass ich ich bin und schon bekam ich vorübergehend gültige Reisepapiere…
Auf dem Weg nach Hause wuchsen Zorn und Motivation und so nahm ich am nächsten Tag Kontakt auf zu Traudl Bünger. Sie schickte mir eine kurze Information zu den Abläufen und den Mailverkehr mit der Deutschen Botschaft. Diese Abläufe können Sie der untenstehenden Beschwerdemail entnehmen. Ich werde diese Beschwerde ans auswärtige Amt und an unseren Außenminister schicken.
An
den deutschen Außenminister
Dr. Frank-Walter Steinmeier
poststelle@auswaertiges-amt.de
Kopie an
die Deutsche Botschaft Neu Delhi
info@new-delhi.diplo.de
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
die Veranstalter des weltweit größten Literaturfestivals, der lit.COLGNE, hatten die bekannte indische Frauenrechtsaktivistin Sampat Pal für eine Lesung am 19.03.2014 nach Köln eingeladen. Etwa 550 Zuschauer wollten Frau Pal an diesem Abend sehen. Außerdem lagen Interviewanfragen u. a. von den Tagesthemen, FAZ, WDR und dpa vor. Der Besuch von Sampat Pal in Deutschland hätte eine großartige Gelegenheit sein können, der deutschen Öffentlichkeit das wahre Ausmaß der Kriminalität gegen Frauen und Mädchen in Indien bewusst zu machen.
Anfang März wurde Sampat Pal in der Deutschen Botschaft Neu Delhi vorstellig, um ein Visum zu beantragen. Dieses wurde ihr verweigert mit der Begründung, ihr Passfoto sei nicht aktuell genug. Müsste es nicht eigentlich reichen, dass ein Pass noch Gültigkeit hat? Noch 2013 war Frau Pal mit diesem Pass zu einem Dokumentarfilmfestival nach Norwegen gereist.
Gehen wir einmal davon aus, dass es NICHT reicht, wenn ein Pass gültig ist und dass die Ablehnung korrekt war. Sollte man nicht meinen, dass die Vertretung eines Gastgeberlandes auch in einem solchen Fall die Möglichkeit hat, Personen, die zu einer deutschen Kulturgroßveranstaltung eingeladen wurden, so zu unterstützen, dass diese ihre Reise auch antreten können?
Frau Dr. Bünger, Leiterin des Ressorts „Programm“ der lit.COLOGNE telefonierte mit einem Herrn Adam aus der Visaabteilung der deutschen Botschaft Neu Delhi. Nach ihren Angaben war Herr Adam zu keinerlei Kompromiss oder Hilfestellung bereit. Er riet, dass sich Frau Pal einen neuen Pass besorge, das gehe innerhalb von 24 Stunden. Wer weiß, wie langsam die Mühlen der Behörden in Indien mahlen, kann sich denken, dass diese Aussage nicht stimmen kann. Dies bestätigte auch eine Kontaktperson, die Sampat Pal bei der Abwicklung von Reiseformalitäten hilft. Demnach würde es mindestens 10 bis 14 Tage dauern, was für die geplante Reise zu spät gewesen wäre. Parallel bemühte sich Lit.COLOGNE, per Mail an die Kulturabteilung der Botschaft ein Bewusstsein und Kooperationsbereitschaft zu erzeugen. Vergeblich.
Cultural Officer Lara Brödenfeld aus der Deutschen Botschaft Neu Delhi antwortete:
„Der Fall von Sampat Pal ist in der Botschaft bereits hinreichend bekannt. Die Visastelle hatte den Antrag von Frau Pal auf Grund eines unzureichenden Fotos abgewiesen. Dies wurde Herrn Rohde und Herrn Kredel vom Hanser Verlag bereits mitgeteilt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir als Kulturabteilung nur Visaempfehlungen abgeben können. Die endgültige Entscheidung zur Ausstellung eines Visums liegt bei der Rechts- und Konsularabteilung. Ich habe Ihre Anfrage an die zuständigen Stellen weitergeleitet.“
Wie Sie also sehen, war die lit.COLOGNE nicht die einzige Einrichtung, die versucht hat, Frau Pal bei der Beschaffung ihrer Reisepapiere behilflich zu sein. Auch der Hanser-Verlag Berlin und das Goethe-Institut in Neu Delhi unterstützten die Bitte, einen Ausweg zu finden. Ohne Erfolg.
Es erscheint mir seltsam, dass eine deutsche Behörde nicht in der Lage ist, nach Vorlage eines gültigen Passes ein Visum auszustellen. Und ich frage mich, ob die Dinge ebenso abgelaufen wären, wenn ein indischer Geschäftsmann ein Visum beantragt hätte. Ich frage mich weiter, ob die Verweigerung im Zusammenhang mit Sampat Pals politischen Ambitionen zu sehen ist. In Indien ist es durchaus üblich, ambitionierten Frauen – zumal solchen, die etwas zu erzählen haben, das die Fremdwahrnehmung von Indien erschüttern könnte – Steine in den Weg zu legen. Allerdings sollte man davon ausgehen können, dass unsere deutschen Vertreter in der Lage sind, Visaanträge unbeeinflusst von der Person des/der Antragstellenden zu bearbeiten. Das dies hier geschehen ist, wage ich zu bezweifeln.
Ich fordere Sie hiermit auf, dafür Sorge zu tragen, dass der „Fall Sampat Pal“ gründlichst untersucht wird. Ich erbitte eine Stellungnahme NACH Prüfung des Falls und eine entsprechende Entschuldigung an Sampat Pal – eine Frau, die sich bei ihrem Einsatz für Frauen und Mädchen in Indien bislang durch nichts hat aufhalten lassen. Ich bin empört darüber, dass eine so starke und engagierte Frau ausgerechnet an der deutschen Bürokratie (oder an jenen, die diese nach eigenem Gutdünken ausüben) scheitern muss.
Freundliche Grüße
Andrea Wlazik
Ich bitte all jene, die am Abend des 19. 03. 2014 im Schauspiel Köln saßen und sich gefreut hätten, Sampat Pal persönlich kennenzulernen, und all jene, die sie gerne interwiewt und somit dabei unterstützt hätten, ihre Botschaft in die Welt zu tragen, aber auch alle, die nach dem Lesen dieses Artikels Solidarität mit Sampat Pal und all jenen, die sich gegen das Unrecht einsetzen, das Frauen und Mädchen tagtäglich in Indien geschieht, bekunden wollen: Schließen Sie sich meiner Forderung an, schreiben Sie Herrn Steinmeier und/oder der Deutschen Botschaft in Neu Delhi. Benutzen Sie gerne den Text meiner obenstehenden Mail oder verschaffen Sie Ihrer Empörung anders Luft. Und natürlich dürfen Sie gerne diesen Artikel teilen, damit er jene erreicht, denen nicht egal ist, was anderswo auf der Welt an Unrecht geschieht.
Netzfrau Andrea Wlazik
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