Einsturzgefahren – In Schweden zieht eine ganze Stadt um

Kiruna3In der Weite Lapplands, wo früher nur Schnee und Eis die Landschaft bedeckten, in der vorher nur Nomaden lebten, die samische Urbevölkerung. Lappland – das Land der Samen, der Mitternachtssonne und Nordlichter, dort hat der Hunger nach Rohstoffen seine Spuren hinterlassen. Steht tatsächlich der Glaube an das Wirtschaftswachstum gegen den Schutz der Natur?

150 Kilometer nördlich des Polarkreises muss eine wegen Einsturzgefahren im Zuge des Ausbaus des Untertagebergbaus im nordschwedischen Kiruna ein Großteil der 23 000-Seelen-Gemeinde umsiedeln. Es ist kaum vorstellbar, eine komplette Stadt umzuziehen. Der schwierigste Part dürfte sein, den Bewohnern mitzuteilen, dass sie ihr Heim verlassen müssen, um in ein zwei Kilometer entferntes, neues Heim einzuziehen. Und was wird irgendwann sein, wenn auch die zwei Kilometer nicht ausreichen und alle in den nächsten Jahrzehnten erneut umziehen müssen? Denn der Hunger nach Rohstoffen ist ein Hunger, der nie gestillt werden wird.  Was wird aus Europas größter unberührter Wildnis? 

KirunaDas Interesse an der Ausbeutung der Bodenschätze in Schweden ist so groß wie nie. Allein 146 Bergbaukonzessionen sind zurzeit gültig. Wegen der anhaltend hohen Nachfrage nach Rohstoffen werden vielerorts weiter Bodenschätze wie Erz, Nickel, Kupfer, Silber und Gold erkundet.

Schweden ist eines der letzten europäischen Länder, in denen Eisenerz noch in grossen Mengen abgebaut wird. Die grösste Eisenerzmine befindet sich in Kiruna.
Der Abbau erfolgt mit modernsten Methoden. Die Stadt Kiruna ist stark abhängig von ihrem Eisenerz. Seit Jahrzehnten versuchte die Gemeinde deshalb,
neue, vom Eisenerz unabhängige Einkommensquellen zu fördern, zum Beispiel den Tourismus. So entstand hier das wohl berühmteste Hotel der Welt, Eishotel Jukkasjärvi und mit diesem Hotel eine atemberaubende kleine Eisstadt.

Aus welchem Grund wird die Stadt Kiruna an einen neuen Ort verlegt? Weshalb protestiert die Stadtbevölkerung kaum dagegen?

Kiruna ist die nördlichste Stadt Schwedens und dort gibt es die größte unterirdische Eisenerzmine der Welt: Die Grube ernährt die Stadt, gleichzeitig frisst sie sie auf. Denn was aus der Mine geholt wird, sinkt oben ab, und die Erde reißt auf. Seit Jahrzehnten lässt sich das Eisenerz nur noch unter Tage abbauen. Bodenschäden infolge von Sprengungen und des immer weiteren Vordringens der Fördermaschinen unter bebautes Gebiet haben schon viele Häuser in Kiruna unbewohnbar gemacht. Daher beschloss Kiruna vor ein paar Jahren, die Stadt in einiger Entfernung neu aufzubauen. Dieses Jahr ist es nun soweit. Die Bewohner tun dies völlig freiwillig, denn sie wissen: Ohne Erzgrube kein Kiruna. Schließlich entfällt jeder sechste Arbeitsplatz dort auf den Bergbau; Zulieferbetriebe eingerechnet, wird die Abhängigkeit noch viel deutlicher. Außerdem übernimmt LKAB die kompletten Abriss- und Wiederaufbaukosten.

Wie teuer das gewaltige Umsiedlungsprojekt wird, sei aber kaum abschätzbar, sagt ein Unternehmenssprecher. Bis Mitte letzten Jahres verausgabte der Bergbaukonzern dafür bereits etwa 3,5 Mrd. Schwedische Kronen (skr; umgerechnet knapp 405 Mio. Euro) und bildete weitere 7,5 Mrd. skr Rücklagen. Im Jahr 2013 erzielte LKAB 6,0 Mrd. skr

Mit rund 4 km Länge und 80 m Breite verfügt Kiruna über eine gewaltige Ader mit – auf Grund seines hohen Magnetitanteils – besonders hochwertigem Eisenerz. Der Grubenbetreiber, die staatliche Bergbaugesellschaft LKAB,  förderte davon im vergangenen Jahr etwa 35 Mio. t, die zu über zwei Drittel hochveredelt (meist als Pellets) ausgeführt werden, vor allem nach Europa (rund 90% des Exports).

Vattenfall in Kiruna stark engagiert

Die ehemals staatliche Stromgesellschaft Schwedens, betreibt für die Stromversorgung Wasserkraftwerke, denn der Konzern heißt nicht umsonst „Vattenfall“ (Wasserfall). Das Wasserkraftwerk von Porjus, etwa 100 Kilometer südlich von Kiruna, war eine der Voraussetzungen dafür, dass Menschen nördlich des Polarkreises leben und Eisenerz fördern konnten.Das Kraftwerk wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, um die sogenannte Erzbahn zwischen Luleå und Narvik mit Strom zu versorgen. Das neue Wasserkraftwerk und die von ihm ausgehenden Stromleitungen trugen zu einem starken Wachstumsschub im schwedischen Bergbau bei. Derzeit beträgt die installierte Kapazität des Kraftwerks Porjus 465 MW, damit ist es das drittgrößte in Schweden. Porjus ist zugleich die letzte Station auf dem Weg nach Laponia, einem von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Gebiet, das vier Nationalparks umfasst. Quelle Vattenfall

So zahlte der Energieproduzent Vattenfall, als er Wasserkraftwerke am Fluss Luleälv baute,  zwar Kompensationsleistungen, aber das waren nur geringe Summen und die Natur rundum wurde für mehrere Generationen zerstört. So versprach Vattenfall Arbeitsplätze für die dort wohnenden Anlieger, doch für die Wartung des Dammes holen sie nun keine Einheimischen, sondern Fachleute aus Italien.

„Und dann die Gruben mit undichten Dämmen, die Schadstoffe ins Wasser spülen. Von den vielen gigantischen Kahlschlägen in Norrbotten will ich gar nicht reden. Das alles hat einen einfachen Grund: Kolonialismus,“ so der Fotograf Tor Lundberg, Mitbegründer der Bewegung „Keine Gruben in Jokkmokk“.

Kiruna2Das schwedische Welterbe Laponia liegt in Lappland und ist Teil von Europas größter, weitgehend unbeeinflusster Wildnis (sofern man Nordwestrussland ausnimmt). Es ist sowohl Weltnatur- als auch Weltkulturerbe und wurde 1996 als solches festgelegt.

Laponia ist darüber hinaus eines von vier Welterbegebieten, die noch von einer indigenen Bevölkerung besiedelt sind. In diesem Fall sind es die Samen. Im Naturerbe wirtschaften sieben Samebyer: Baste Čearru (Mellanbyn), Unna Čearuš (Sörkaitum), Sirkas, Jåhkågasska und Tuorpon, sowie Luokta-Mávas und Gällivare skogssameby, die in den Sommermonaten im Gebiet wohnen. Die Samebyer betreiben Rentierzucht sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen des Weltnaturerbes. Quelle Wikipedia

Die Frage, die wir uns stellen: Was wird aus diesem Naturerbe? Inwieweit bleibt diese unberührte Wildnis von dem Hunger nach Rohstoffen verschont?

Seit 2006 finden in der Nähe des Weltnaturerbes verstärkte Anstrengungen bei der Suche nach Erzen statt. Südlich des Muddus plant beispielsweise eine britische Firma die Anlage einer Eisenerzgrube und nördlich von Sjaunja bemüht sich ein australischer Konzern um die Abbaurechte der riesigen Lagerstätte Ekströmsberg. Das letztgenannte Projekt war bislang aus Naturschutzgründen tabu, doch die Aussicht auf Profit kann hier zukünftig zu neuen Entwicklungen führen. Man befürchtet dadurch erhebliche negative Auswirkungen des Bergbaus auf die Rentierwirtschaft und die empfindliche Natur.

Wie die gtai.de  deutsche Unternehmen informiert, machen trotz den schwachen Wirtschaftsdaten aus der VR China die stabilisierenden Rohstoffpreise den Eisenerzabbau wieder attraktiv. So investieren Grubenunternehmen im Norden Schwedens kräftig in die Erweiterung und Erkundung von Lagerstätten. Darunter ist auch LKAB, die zusätzlich beflügelt ist durch Probebohrungen Anfang März bei der Grube in Svappavaara (ebenfalls in der Gemeinde Kiruna), die auf enorme Eisenerzvorkommen schließen lassen.

Kiruna1In der Weite Lapplands, wo früher nur Schnee und Eis die Landschaft bedeckten, in der vorher nur Nomaden lebten, die samische Urbevölkerung. Lappland – das Land der Samen, der Mitternachtssonne und Nordlichter, dort hat der Hunger nach Rohstoffen seine Spuren hinterlassen.

Doch warum protestiert kaum jemand  dagegen? Hier leben die bestbezahlten jungen Menschen Schwedens, sie verdienen fast doppelt so viel wie im Landesschnitt. Die Stadt sieht in dem aufwändigen Vorhaben eine Chance, denn man erhofft sich ein dichteres, attraktiveres Stadtzentrum, das Menschen anzieht und so zum Wachstum der Stadt im hohen Norden beitragen soll. Was ist schon unberührte Wildnis gegen die Gier nach Profit? Städte lassen sich umziehen und zerstören weitere Naturlandschaften. Die Gier ist groß, denn der Umzug ist dem Betreiber Milliarden wert. Nur bei längerer Suche finden wir doch einen Protest, und zwar von den Ureinwohnern, den Samis.

Zur Erinnerung: Wir sind in Europa, nicht in Kanada, wo indigene Völker gegen den Umweltzerstörer Teersand kämpfen. Wir sind nicht in Brasilien, wo sich indigene Völker gegen den Belo-Monte-Staudamm  wehren. Wir sind nicht in Indonesien, wo indigene Völker ihren Lebensraum durch Palmöl – Ein Boom mit verheerenden Folgen!, verlieren.

Sami kämpfen gegen Ausbeutung der Natur

In Jokkmokk hat sich eine Protestbewegung formiert, die eine geplante Eisenerz-Mine verhindern will. Die Bergbaugesellschaft Beowulf Mining hat 18 Erkundungsgenehmigungen für Eisenerz, Gold und Uran. Rund um Jokkmokk hat die Firma allein sieben Genehmigungen. Die Vorkommen in Kallak und Ruotevare lassen sich gut ausbeuten, dort kann man viel Geld einfahren, versprach Unternehmenschef Clive Sinclair Poulton kürzlich auf einem Kongress in Stockholm, und zeigte ein Foto der Gegend, die aus Wald und Sumpf besteht:

„Ich habe das hier in Großbritannien und Irland gezeigt, weil ich oft gefragt werde: Und was ist mit der Lokalbevölkerung? Dann zeige ich das Bild hier und frage: welche Lokalbevölkerung? Da wohnen schon Menschen in Jokkmokk und die meisten sind positiv eingestellt, aber die Bevölkerungsdichte dort ist nicht sehr hoch.“

Kiruna4Diese Aussage machte viele Menschen in Jokkmokk wütend und heizte den Protest noch mal an. Danach musste das Unternehmen Probebohrungen einstellen, weil es dafür keinen Arbeitsplan gab. Die Kommune unterstützt zwar die Pläne der Bergbaugesellschaft und viele Einwohner versprechen sich neue Arbeitsplätze in der landschaftlich reizvollen, aber strukturarmen Region. Doch viele Künstler, Kleinunternehmer, darunter touristische Betriebe, und nicht zuletzt die samischen Rentierzüchter sehen die Gefahr, dass eine Grube die Natur auf immer zerstört.

Das samische Parlament will auf seiner nächsten Sitzung in Tärnaby über eine Strategie beraten. Einstweilen versuchen es die Sami mit stiller Diplomatie. Sie wenden sich direkt an Investoren für Minenprojekte und weisen auf ihre Situation hin. Viele Geldgeber haben sich schon zurückgezogen, berichtet der Samische Rat. Eine andere Strategie ist, die Genehmigungsprozesse durch Einsprüche zu verzögern, sodass den Unternehmen das Geld ausgeht. Die Sami sehen sich nicht als Fortschrittsverhinderer, sondern als Wächter der Natur. Schließlich lockt gerade das Touristen: unberührte Wildnis und sauberes Wasser, das man direkt aus dem Bach trinken kann. Quelle: sverigesradio.se

Eine Stadt mit mehr als 3000 Wohnungen und Häusern, Hotels, Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Gewerbeflächen wird rund zwei Kilometer nach Osten verlagert. Während die Stadt sich neue Einnahmequellen erhofft und junge Menschen von einem wirtschaftlichen Wohlstand träumen, kämpfen die Samis gegen neue Bergwerke im Land, dem Land der Sami, das ihnen nicht gehört, das sie aber als Weideflächen für die Rentiere brauchen.

“Von unseren alten Leuten wird erzählt, dass diese Welt nicht nur für unsere Vorfahren und für die, die jetzt leben, geschaffen wurde. Sie wurde auch für unsere Kinder, für alle, die nach uns kommen werden, deren Gesichter wir niemals sehen werden, geschaffen. Für sie muss die Welt erhalten bleiben.”
Tekarontake, Sprecher der Mohawk aus Konfli J., Buddde P: Fliegende Feder, Ökotopia Verlag, Münster 1998

Netzfrau  Doro Schreier

Eine Schlussfolgerung, über die wir alle einmal nachdenken sollten

Kaspisches Meer – der letzte Ölgigant! Rohstoffe, wen interessiert da noch das ÖKO-System und die Menschenrechte?

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