Viele Menschen haben sich dafür eingesetzt, dass die 26-jährige Reyhaneh Jabbari, die vor 7 Jahren den Mann, der sie vergewaltigen wollte, in Notwehr erstach, nicht gehängt wird. Am Mittwoch wurde bekannt gegeben, dass die Hinrichtung verschoben wurde. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Aber durch die Unterstützung vieler tausend Menschen hat sich erstmal ein Zeitfenster geöffnet, das Raum für weitere Aktionen lässt.
Reyhaneh Jabbari lebt noch. Einige Quellen sprechen von sieben Tagen Aufschub, andere von einem noch unbestimmten Datum. Reyhaneh Jabbari sitzt also immer noch im Gefängnis und muss um ihr Leben bangen. Wie mag es ihr wohl gehen? Das zu erahnen, wird uns nicht einmal im Ansatz möglich sein. Es muss furchtbar sein, jeden Tag dem Tod so nah zu sein. Und es muss grausam sein, in diesem Gefängnis zu leben.
Medienberichten zufolge ist das Evin-Gefängnis in Teheran bekannt für die dort angewendete psychische, körperliche und auch sexuelle Folter. Es gibt kaum Fotos von diesem Gefängnis, weil es weder von außen noch von innen fotografiert werden darf. Mitte 2003 starb die Fotografin Zahra Kazemi im Alter von 54 Jahren an den Folgen der im Evin-Gefängnis erlittenen schwersten körperlichen und sexuellen Misshandlungen. Sie hatte während einer Demonstration von Angehörigen Inhaftierter vor dem Gefängnistrakt Fotos gemacht.
Unter diesem Aspekt verwundert es nicht weiter, dass Reyhaneh Jabbari unter Folter zu einem Geständnis gezwungen worden sein soll. Allerdings hat sie die gesamten sieben Jahre nach ihrem Geständnis trotz Folter und trotz der Angst, die sie um ihre Familie haben muss, darauf beharrt, in Notwehr gehandelt zu haben. Es ist insgesamt ein Fall, der einen extrem bitteren Beigeschmack hat, und das ganz abgesehen vom Tathergang und davon, dass sich die Todesstrafe im Iran immer noch großer Beliebtheit erfreut.
Reyhanehs Opfer, Morteza Abdolali Sarbandi, war Arzt und ehemaliges Mitglied des Geheimdienstes. Nach ihren Angaben sprach er sie in einem Café an, in dem er mit einem Bekannten war. Sie hatte später vermutet, dass einer der beiden ihr geschäftliches Telefonat belauscht und so erfahren hatte, dass sie als Innenausstatterin arbeitete. Sarbandi behauptete, sie mit der Umgestaltung seines Büros beauftragen zu wollen.
Sarbandi holte Reyhaneh Jabbari ab und auf dem Weg zu seinem angeblichen Büro besorgte er etwas in der Apotheke. Im überhaupt nicht nach geschäftlichen Räumlichkeiten anmutenden Haus angekommen startet er erste Annäherungsversuche, die Reyhaneh abblockt. Sie will nur den Auftrag, an einer Liaison mit dem deutlich älteren Sarbandi hat sie kein Interesse.
Als Sarbandi versucht, sie zu vergewaltigen, zieht sie ihr Messer aus der Tasche und sticht ihm in die Rückseite der linken Schulter. Als Jabbari gerade fliehen will, öffnet sich die Haustüre und der Freund Sarbandis, mit dem sie ihn im Café gesehen hatte, kommt herein.
Später wurden am Tatort mit Sedativa versetzter Fruchtsaft und Kondome gefunden. War es das, was Sarbandi in der Apotheke besorgt hatte – Sedativa und Kondome? Jedenfalls wurden diese Indizien bei der Rechtsprechung außer Acht gelassen. Der Mann, der das Haus betreten hatte, wurde nicht verhört. Statt dessen warf man Reyhaneh Jabbari vor, Sarbandi vorsätzlich getötet zu haben.
Die Überprüfung der zwischen Reyhaneh Jabbari und Morteza Abdolali Sarbandi getätigten Textnachrichten bestätigte, dass die beiden weder vor noch nach der Kontaktaufnahme ein anderes als geschäftliches Verhältnis zueinander hatten. Wo also sollte ein Motiv liegen, wenn nicht in Notwehr? Immerhin hatte Sarbandi selbst Reyhaneh Jabbari angesprochen und nicht umgekehrt.
Noch am gleichen Tag wurde sie unter Folter zu einem Geständnis genötigt und – ebenfalls noch am gleichen Tag – zum Tode verurteilt. Hätte man nicht im Fall der Ermordung eines ehemaligen Geheimdienstmitglieds genauere Untersuchungen erwarten können? Kann ein erwachsener Mensch durch einen einzelnen Messerstich in die Schulter tatsächlich so schnell verbluten? Warum hat der Freund dem Verletzten nicht geholfen? Oder hat er? Warum ist dieser ominöse Freund nicht befragt worden?
Wenn man sich ansieht, was in den letzten Tagen geschah, tauchen weitere Fragen auf:
Gegen Reyhaneh Jabbari wurde gemäß der Sharia ein „Ghessas“ erlassen, die Anordnung der sofortigen Hinrichtung, die nur durch die Familie des Opfers aufgehoben werden kann. Am 07. April 2014 fand eine Anhörung mit der Familie des Opfers statt, bei der auch der Vollstreckungsbeschluss unterschrieben werden sollte. Viele Fürsprecher der Angeklagten, u. a. Künstler, Sportler, Schriftsteller waren anwesend und ergriffen das Wort. Nachdem zwei von Sarbandis Angehörigen geäußert hatten, dass sie Reyhanehs Hinrichtung nicht zustimmen, schien am Ende der Anhörung von Seiten beider Familien – der des Opfers und der der Angeklagten – klar, dass man Reyhanehs zweifelhaften Fall noch einmal aufrollen lassen wolle. Am nächsten Tag wurde die junge Frau mit Namen ausgerufen und von einem Seelsorger auf ihre anstehende Hinrichtung vorbereitet.
Wie kam das so plötzlich? Hat womöglich jemand die Familie Sarbandi unter Druck gesetzt, damit sie den Vollstreckungsbeschluss doch noch unterschreiben? Oder war einfach über deren Wunsch, den Fall noch einmal aufzurollen, hinweg gegangen worden? Aber warum? Soll Reyhaneh tatsächlich als Sündenbock herhalten, wie es die Menschenrechtsaktivistin Shabnam Assadollahi vermutet? Sie hat den Eindruck, dass es gar nicht mehr wirklich auf Sarbandis Familie ankommt oder darauf, wie klar oder unklar die Aktenlage ist.
Ähnlich sieht es der bei der UN als Sonderberichterstatter für den Iran zuständige Menschenrechtsexperte Ahmed Shaheed, der auch die iranische Regierung dazu aufgerufen hatte, die Hinrichtung zu stoppen. Er scheint davon überzeugt, dass es sich bei dem Fall um Notwehr handelt und bezeichnete die Untersuchungen im Fall Reyhaneh Jabbari als fehlerhaft . Er kritisierte das erzwungene Geständnis und die oberflächliche Überprüfung der vorliegenden Beweise und forderte die iranischen Behörden auf, den Fall zu überprüfen und eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzustreben.
Jetzt, da die Hinrichtung vertagt wurde, ist besonders wichtig, dass die Unterstützer von Reyhaneh Jabbari nicht nachlassen. Das Signal, dass die Öffentlichkeit nicht einverstanden ist damit, wie mit ihr verfahren wurde und wird und dass das öffentliche Interesse nicht nachlässt dadurch, dass ein Aufschub gewährt wird, könnte für die junge Frau lebenswichtig sein.
Tausende haben dazu beigetragen, dass ihr Fall an die Öffentlichkeit kommt und dass die Hinrichtung vorübergehend ausgesetzt ist. Allen voran ihre Mutter, die Lehrerin und Schauspielerin ist und sich gemeinsam mit vielen Fürsprechern aus Film, Kunst und Kultur unermüdlich für Reyhanehs Freilassung einsetzt. Menschenrechtler auf der ganzen Welt haben sich eingeklinkt, es gibt zig Petitionen auf verschiedenen Plattformen und Aktionen von Menschenrechtsorganisationen wie z. B. Amnesty International. Auf Facebook gibt es mehrere Seiten und eine Veranstaltung mit dem Titel „Save Reyhaneh Jabbari“ und auf youtube finden sich Aufnahmen von Demonstrationen, in denen die Freilassung von Reyhaneh Jabbari und die Abschaffung der Todesstrafe gefordert wird.
Wir Netzfrauen werden uns auf jeden Fall nach unseren Möglichkeiten weiter einsetzen. Wir danken allen, die unserer Aufforderung gefolgt sind, sich an der Mailaktion von Amnesty International zu beteiligen, und bitten jene, die es noch nicht getan haben, dies noch zu tun. Einzelheiten entnehmen Sie bitte unserem Artikel Reyhaneh Jabbari – nur noch wenige Stunden, um das Todesurteil abzuwenden.
Netzfrau Andrea Wlazik
Reyhaneh Jabbari – nur noch wenige Stunden um das Todesurteil abzuwenden
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