Rohmilch – gefährlich oder nicht?

MilchIn der Frage „Milchkonsum – ja oder nein?“ gehen die Meinungen auseinander, ebenso wie in der Frage, ob Rohmilch nun gefährlich ist oder nicht.

Im Rahmen der Slow-Food-Messe in Stuttgart vom 10. 4. – 13. 4. 2014 wurde die Frage der Unbedenklichkeit von Rohmilch in einer Podiumsdiskussion unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert.

Professor Ton Baars vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau, Antje Hassenpflug vom Bundesverband der Vorzugsmilcherzeuger, Christoph Simpfendörfer, Vorsitzender im Aufsichtsrat von Demeter sowie Dr. Leif Koch von der Welttierschutz-Gesellschaft fassten dort den heutigen Stand des Wissens über Rohmilch zusammen.

Rohmilch (RM) wird die Milch genannt, die völlig unbehandelt ist. Sie darf nicht frei verkauft werden, sondern der Landwirt muss eine Genehmigung für den Verkauf ab Hof beantragen, was streng kontrolliert wird. Außerdem ist er verpflichtet, deutlich darauf hinzuweisen, dass Rohmilch vor dem Verzehr abgekocht werden muss. „Rohmilch muss als unbearbeitete Milch bei der Gewinnung, Lagerung und Abgabe besonders hohen Anforderungen hygienischer Art genügen“.

Vorzugsmilch (VM) ist Rohmilch, die im Handel verkauft werden darf. Ähnlich wie Rohmilch ist sie gefiltert und gekühlt, aber ansonsten unbehandelt und unterliegt ebenfalls sehr strengen Vorgaben. Laut Hassenpflug wird die Vorzugsmilch jeden Monat kontrolliert, ebenso wie der Viehbestand, und die Hofmolkerei muss vom Veterinäramt abgenommen sein. EU-weit ist der Handel mit Vorzugsmilch nicht üblich und wird unterschiedlich gehandhabt. In Deutschland ist es eher eine Ausnahme, in Österreich darf der Bauer Rohmilch abfüllen und in den Handel geben und in Italien darf die Rohmilch sogar über Automaten verkauft werden.

Die Geschichte der Rohmilch bzw. Vorzugsmilch ist eine wechselhafte. Wurde sie Anfang des letzten Jahrhunderts von den Ärzten noch als Heilmittel empfohlen und vor dem Verzehr von pasteurisierter Milch bei Kindern gewarnt, so hat sich das heute grundlegend gewandelt. Die Wissenschaft befindet sich in Punkto Rohmilch in einem Dilemma. Auf der einen Seite ist das Risiko einer Kontamination der Rohmilch durch zoonotische Keime wie Salmonellen, Listerien, EHEC- Bakterien und Ähnlichem sehr real und es muss empfohlen werden, die Milch vor dem Verzehr abzukochen. Ebenso wenig kann der Verzehr von Rohmilchkäse durch Schwangere und kleine Kinder empfohlen werden, aktuell rät der Verband der Kinder- und Jugendärzte im Netz vom Rohmilchkonsum bei Kindern ab.

Auf der anderen Seite betonte Professor Baars, dass die Forschung in den letzten 10 Jahren wieder neu auf Rohmilch und ihre Schutzfunktionen hinsichtlich Allergien und Asthma aufmerksam geworden sei. So befassten sich Wissenschaftler 2011 auf der 1. Rohmilch-Konferenz in Prag fachübergreifend mit den Vor- und Nachteilen des RM-Konsums und es gibt viele internationale Studien zum Thema Allergien, Asthma, Hygiene, Bauernhofkinder, Rohmilch etc. „Kinder, die auf einem kleinen, Milch-verarbeitenden Betrieb aufwachsen, sind am besten vor allergischen Erkrankungen geschützt“, so Erika von Mutius, Professorin für Pädiatrische Allergologie und Oberärztin am Dr. von Haunerschen Kinderspital des Klinikums der Universität München, die sich intensiv mit dem Thema Allergien und Hygiene beschäftigt. Neben anderen, auch genetischen Faktoren, spielt RM bei dem Schutz vor Erkrankungen eine große Rolle, der sogar noch effektiver zu sein scheint, wenn bereits die Mütter in der Schwangerschaft RM getrunken haben. Das Immunsystem scheint dann mit so vielen Keimen beschäftigt zu sein, dass es sich um so etwas „Nebensächliches“ wie z. B. Pollen nicht mehr kümmern kann. Das Risiko einer Infektion durch Keime wird von den Landwirten, die regelmäßig RM trinken, als gering eingestuft, wie auch Christoph Simpfendörfer bestätigte. Die Hälfte der deutschen Milchbauern trinkt Rohmilch – noch lauwarm aus dem Euter. Rohmilchprodukte wie Kefir oder Käse führen auch bei Erwachsenen zu einer signifikanten Verbesserung des Allgemeinzustandes, sie haben einen positiven Einfluss auf die Darmflora und stärken die Immunabwehr.

Diese gesundheitsfördernden Effekte der Rohmilch lassen sich in der pasteurisierten und homogenisierten Milch nicht mehr in diesem Maße nachweisen, obwohl der Vitamin- und Nährstoffgehalt nur geringfügig beeinflusst wird. Aber die Fette und Proteine werden bei den Verfahren stark verändert und beiden scheint eine Schlüsselfunktion bei dem Schutz vor Allergien und Asthma zuzukommen. Christoph Simpfendörfer gibt zu bedenken: „Die starke Verarbeitung von Milch mindert deren Qualität. Bei Demeter ist das Homogenisieren von Milch deshalb nicht erlaubt. Milch wird bei diesem Verfahren mit hohem Druck durch sehr feine Düsen gepresst. Fettteilchen in der Milch werden dabei aufgebrochen.“ Es gibt fast 200 verschiedene Fettsäuren (FS) in der Milch, unter anderem die Omega3-Fettsäure, die heute in aller Munde ist, genauso wie die von den Wiederkäuern gebildeten konjugierten Linolsäuren. Auch „Nicht-Allergiker“ profitieren davon. Die verschiedenen Milcharten wie Rohmilch, Heumilch u. a. weisen in Abhängigkeit vom Futter eine unterschiedliche Fettzusammensetzung auf: Heu, Silage und Getreide reduzieren den Anteil der langkettigen Fettsäuren, die Butter „verblasst“ und der Käse ist weniger geschmeidig. Ebenso wird der Schutzeffekt der Milchproteine vor Allergien diskutiert, die durch Erhitzen in ihrer räumlichen Struktur und damit in ihrer Funktion verändert werden. Hitzeempfindliche Molkenproteine wie Alpha-Lactalbumin, Beta-Lactoglobulin oder das bovine Serum-Albumin scheinen dort eine Rolle zu spielen.

Man befindet sich also in einem Dilemma, auf der einen Seite ist die Rohmilch nachgewiesenermaßen gesundheitsfördernd, auf der anderen Seite ist die Rohmilch aber womöglich auch gesundheitsgefährdend. Eine Lösung wäre, der Milch einzelne (gesunde) Bestandteile nach der Pasteurisierung wieder zuzusetzen, was aber eigentlich in einem kompletten Kunstprodukt resultieren würde – die Frage ist, ob man das will. Denkbar wäre auch der Einsatz sogenannter Baktofugen, – das sind Zentrifugen, die zur Abscheidung von Bakterien und Sporen aus der Milch verwendet werden können – oder auch das Filtern der Milch durch spezielle Membranen, wodurch ebenfalls die Sporen und Mikroben entfernt werden. Die daraus resultierende Milch wäre mehr oder weniger unverändert, aber im besten Falle eben auch mehr oder weniger keimfrei. Für Prof. Dr. Joost van Neerven von der Universität Wageningen (NL) wäre das zumindest eine denkbare Alternative, denn auch wenn diese Methoden teurer sind, erhält man dadurch eine Milch, in der die biologisch wichtigen Teile für die Immunabwehr weiter vorhanden sind.

Nach Professor Baars erzielt man grundsätzlich den besten Effekt der Milch auf die menschliche Gesundheit, wenn die Kühe so lange wie möglich auf der Weide gehalten werden, wenn fast nichts zugefüttert wird und wenn aus der Rohmilch dann ein Rohmilchkäse hergestellt wird – denn damit verringert man automatisch die Gefahr der Infektion durch pathogene Keime. Der ausgedehnte Weidegang ist nicht nur positiv für die Milchqualität, sondern natürlich auch für die Kuh selbst, wie Dr. Koch von der Welttierschutzgesellschaft darlegte.

Offensichtlich muss jeder für sich entscheiden, was er höher gewichtet – einen länderübergreifend in vielen wissenschaftlichen Studien nachgewiesenen positiven Effekt von Rohmilch auf die Gesundheit oder das Risiko einer Infektion durch die unbehandelte Milch. Wie bereits anfangs gesagt, ist die offizielle Empfehlung die, die Rohmilch abzukochen.

Dominique Vuitton, emeritierte Immunologin der Universität der Franche Comte, fasste die gegenwärtige Stimmung in einem Vortrag zusammen: Die Angst vor Keimen beherrsche die Berichterstattung, während man die schleichenden Krankheiten wie Allergien oder Diabetes eher billigend in Kauf nehme und sie als weniger gefährlich einstufe. Der Gefährdung durch RM sollte korrekterweise auch der Nutzen gegenübergestellt werden. Ein „Zero-Risk“ könne es nicht geben.

Netzfrau Jutta P. Klatt

Abkürzungen und Erklärungen

  • RM : Rohmilch
  • VM : Vorzugsmilch
  • FA: Fettsäuren (fatty acids)

Links:

Risk versus benefit of raw milk consumption, Dominique Angèle Vuitton:

Weitere Artikel von den Netzfrauen über das Thema Milch

Rette ich als Veganer die Welt, sterbe ich vorher an meinen Mangelerscheinungen, oder – was noch schlimmer wäre – verhungere ich, weil vegan so teuer ist?

Chinas Durst auf Milch – Nestlé ist weltgrößtes Milchunternehmen

Was steckt wirklich in der Milch? Milch schadet den Knochen…

Lebensmittelskandale: Alles im Griff? Käse wegen Listerinbefall zurückgerufen !

Missbildungen, Krankheit und Viehsterben: der tatsächliche Preis von Glyphosat & GVO Tierfutter?

6 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.