In den letzten Wochen rückte der Iran wieder vermehrt in die Schlagzeilen. Die Kritik gilt vor allem der Rechtsprechung und der mangelnden Grundlage für verkündete Todesurteile. Da werden Beweise und Indizien ignoriert, Geständnisse erzwungen, da wird gefoltert und isoliert.
Was für ein Rechtssystem ist das, dem es egal ist, ob eine Verurteilung tatsächlich zu Recht geschieht oder nicht?
Sollte ein Rechtssystem nicht die Wahrheit aufzudecken und Schuldige bestrafen, anstatt die wahren Täter laufen zu lassen und Unschuldigen mit Gewalt Unwahrheiten abzuringen? Führt sich ein Rechtssystem sonst nicht selbst ad absurdum, leistet es nicht dem Unrecht Vorschub und begünstigt Korruption, Vertuschung und Verleumdung?
Im Oktober 2013 besuchte die Britin Roya Saberi Negad Nobakht ihre Familie im Iran. Auf dem Weg zu einem Bekannten wurde sie auf dem Flughafen in Shiraz festgenommen und inhaftiert. Seit fast 6 Monaten sitzt die 47-jährige im gefürchteten Evin-Gefängnis, dem Gefängnis, in dem schon viele Menschen zu Unrecht gesessen haben und einige zu Tode gefoltert wurden. Die Anklage gegen Frau Nobakht lautet auf Spionage, Verschwörung gegen die innere Sicherheit der islamischen Republik Iran und Beleidigung des Islams.
Ihr Ehemann Daryoush Taghipoor vermutet, dass der Grund für ihre Festnahme die Äußerung seiner Frau auf Facebook war, der Iran sei ihr zu kontrolliert und zu islamisch. Der Teilzeitkoch und seine Frau Roya, eine Englischstudentin am Stockport College, leben seit 6 Jahren in Heald Green und sind eingebürgerte Briten. Daryoush, ebenfalls 47, macht sich große Sorgen um seine Frau. Sie habe viel Gewicht verloren und sie habe große Angst, dass die iranische Regierung sie hinrichten lässt, berichtet er der Dailymail. Daryoush ist der Ansicht, dass Roya mit Gewalt zu einem Geständnis gezwungen wurde.
Bis zu ihrer Verhandlung bleibt Roya in Untersuchungshaft im Evin-Gefängnis. Wie wir bereits in unserem Artikel „Reyhaneh Jabbari – Hinrichtung aufgeschoben“ berichteten, ist dieses Gefängnis berüchtigt für die psychische, physische und auch sexuelle Gewalt, die dort an der Tagesordnung ist. Außerdem werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Geständnisse mit brutaler Gewalt erzwungen wurden.
Reyhaneh Jabbari sitzt bereits seit 7 Jahren an diesem schrecklichen Ort. Auch sie soll ihr Geständnis unter Folter abgelegt haben. Auch in ihrem Fall scheinen Fakten weniger zu wiegen als Mutmaßungen.
Warum interessiert es niemanden, was diese beiden Frauen wirklich zu sagen haben? Ist die Angst vor dem, was sie sagen könnten, so groß? Warum rollt man nicht einfach den Fall Jabbari wieder auf, führt ihn wieder dem Gerichtshof zu und findet in einem fairen Prozess heraus, was am Tag von Sarbandis Tod tatsächlich passiert ist?
Und sollte es im Fall von Roya Saberi Negad Nobakht nicht möglich sein, zügig zu ermitteln und zumindest schon einmal die Vorwürfe der Spionage und der Verschwörung rasch aus dem Weg zu räumen? Ist das iranische Rechtssystem dazu nicht imstande? Oder schlicht und einfach nicht willens, einen Fehler einzugestehen?
Warum darf ein Mensch nicht auf seiner Facebookseite schreiben, was er will? Sieht denn niemand, dass die Anschuldigungen gegen die Britin und die Art und Weise, wie mit ihr verfahren wurde, dem Islam mehr schaden als die kurze persönliche Einschätzung ihres Urlaubslandes, die sie für ihre Freunde abgegeben hat? All die Zeitungsberichte von manipulierten Prozessen, dem Einsatz brutaler Gewalt bei den Ermittlungen, dem Einschüchtern und Foltern von Frauen (und Männern!) und der Todesurteile für Nichtigkeiten, zumindest aber ohne ausreichende Beweise – nähren sie nicht das „Feindbild Islam“, das von engstirnigen Kritikern so gerne in der Welt verbreitet wird? Das Bild einer barbarischen Religion, die ihre Frauen brutal züchtigt, sie zwingt, sich zu vermummen und ihnen einen eigenen Willen abspricht?
Ganz gleich, was Islamkritiker und -verleumder schimpfen: Der Islam ist eine Religion der Aufrichtigkeit und der Rechtschaffenheit. Sollte nicht schon alleine deshalb in einer islamischen Republik wie dem Iran das oberste Gebot der Rechtsprechung sein, dass die Wahrheit ans Licht kommt? Gibt es nicht im Islam eine sehr ablehnende Haltung gegenüber jenen, die nur mutmaßen? Was sind denn die Anschuldigungen gegenüber den beiden Frauen anderes als Mutmaßungen? Und ist es gerechtfertigt, dass diese die Todesstrafe nach sich ziehen?
Hat nicht gerade erst ein Rat iranischer Justizexperten dem Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Ahmed Shaheed versichert, dass Justizbeamte nicht den Wunsch hätten, die Todesstrafe anzuwenden, sondern dass nur extreme Fälle und Umstände manchmal eine so harte Behandlung erfordern würden, „natürlich nur nach ausführlicher gerichtlicher Überprüfung und der Sondierung alternativer Strafmöglichkeiten“?
Ich kann selbst bei allerbestem Willen weder im Fall Reyhaneh Jabbari noch im Fall Roya Saberi Negad Nobakht auch nur ansatzweise den Wunsch erkennen, ausführliche und auf Wahrheitsfindung ausgerichtete Untersuchungen durchzuführen.
Gerade anlässlich dieser Versicherung müsse noch detaillierter hinterfragt werden, warum es trotz vorhandener Gesetze immer noch Einzelne oder Personengruppen gibt, deren Einfluss so groß ist, dass sie diese Gesetze ganz offensichtlich unterwandern können, meint Shaheed. Liest man im Internet nach, stößt man in diesem Zusammenhang immer wieder auf den iranischen Geheimdienst. Reyhaneh Jabbaris Opfer Morteza Abdolali Sarbandi war ehemaliges Mitglied des iranischen Geheimdienstes. Wenn jener einen so großen Einfluss auf das iranische Rechtssystem hat, wie man einigen Quellen entnehmen kann (und wie auch dessen ständige Präsenz im Evin-Gefängnis belegt), stellt sich mir die Frage, wie objektiv die Untersuchungen im Fall Jabbari geführt wurden. Zum einen aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Getöteten um einen „Kollegen“ handelte, zum anderen auf Grund der Möglichkeit, dass es sich bei dem angeblich Unbekannten, der sowohl in Sarbandis Haus als auch bei den Vernehmungen gesehen wurde, um einen Geheimdienstler handeln könnte.
Ich möchte mich nicht in Spekulationen verlieren, nur noch einmal „das Grobe“ Revue passieren lassen – das, was mir seit Tagen nicht aus dem Kopf geht:
Roya Saberi Negad Nobakht flog in den Iran, um ihre Familie zu besuchen. Ein paar unbedachte persönliche Worte in sozialen Netzwerken reichten, um sie in ein Gefängnis zu bringen, in dem brutale Folter an der Tagesordnung ist. Seit mehr als 5 Monaten wartet sie auf ein Urteil. Es könnte ihr Todesurteil sein.
Reyhaneh Jabbari wehrte sich gegen den Mann, der sie vergewaltigen wollte. Obwohl nicht bewiesen werden konnte, dass der gegen sie erhobene Vorwurf des vorsätzlichen Mordes zutrifft, wurde sie innerhalb eines Tages zum Tode verurteilt. Sie sitzt seit 7 Jahren in einem Gefängnis, das sie wenn überhaupt, dann tot oder als gebrochene Frau verlassen wird.
Rechtsprechung und Gerechtigkeit sehen anders aus. Das sehe nicht nur ich so, das sehen viele tausend Menschen so, ganz unabhängig von ihrer Religion und ihrer Herkunft. So viele setzen sich ein für Reyhaneh Jabbari, in Demonstrationen, Kundgebungen, Blogs und Petitionen. Und auch für die Freilassung von Roya Saberi Negad Nobakht gibt es bereits eine Petition.
Nur eines fehlt: Die Stimmen unserer sogenannten Volksvertreter. Warum äußern sich unsere Politiker nicht? Warum werden in den letzten Jahren Menschenrechtsverletzungen in der Politik scheinbar totgeschwiegen? Ist die wirtschaftliche Verbindung zu einem Land wie z. B. dem Iran – oder zu Indien mit dem Genozid an seinen Frauen – so wertvoll, dass man dafür über die Tötung, die Folter, die Demütigung vieler tausender Menschen hinwegsehen kann? Hat nicht vor allem auch unsere Politik die Pflicht, sich für Menschenrechte einzusetzen?
Warum, werte Frau Merkel, werter Herr Gabriel, werter Herr Steinmeier? Warum gibt es aus der Politik keine öffentliche Stellungnahme zu menschenrechtlich brisanten Themen mehr? Warum gibt es keine konkreten Konsequenzen mehr für Verstöße gegen Menschenrechte? Überall wird mit Sanktionen gedroht und Druck gemacht – warum nicht dort, wo es um das höchste Menschenrecht geht, das Recht auf Leben? Ist unsere Regierung womöglich nicht mehr als ein Haufen macht- und geldhungriger Duckmäuser?
Netzfrau Andrea Wlazik
Reyhaneh Jabbari – Hinrichtung aufgeschoben
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