„Nationalparks repräsentieren in Deutschland ein nationales Naturerbe. Sie sind gemäß § 24 Abs. 1 BNatSchG „einheitlich zu schützende Gebiete“.
Nach langem und zähem Ringen wurde er am ersten Mai-Wochenende offiziell eröffnet, der neue Nationalpark Schwarzwald, der erste seiner Art in Baden-Württemberg und der 15. in Deutschland.
Seit dem 01. 01. 2014 wird dort ein kleines Stück Natur nun langfristig sich selbst überlassen bleiben – auf einer Fläche von 10 000 ha, soll in zwei Teilgebieten, entlang der Höhenrücken zwischen Baden-Baden und Freudenstadt, aus einer vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft wieder eine Wildnis werden. Vorausgegangen waren über zwei Jahre erbitterte Diskussionen hinsichtlich Pro und Contra Nationalpark (NLP). Sägewerke und Holzindustrie, Teile der oppositionellen CDU sowie die FDP und Anwohner der betroffenen Gemeinden sprachen sich vehement gegen das – wie sie sagen – grüne Prestigeobjekt aus. Aber landesweit fand sich eine deutliche Zustimmung für den Nationalpark. Hinter der emotional geführten Debatte steht die ganz grundsätzliche Überlegung, wie viel „Wildnis“ wir uns leisten wollen. Was soll im Vordergrund stehen – der Wald als Kulturlandschaft oder sind wir bereit dazu, sich die Natur auch frei von menschlichem Einwirken entwickeln zu lassen, und in Generationen und nicht in Gewinnspannen zu denken?
Wildnis in Deutschland hat nur einen geringen Flächenanteil
Der geschätzte Flächenanteil von Wildnis in Deutschland beträgt nur 0,5% und soll nach dem Willen der Bundesregierung im Rahmen der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (2007)“ bis zum Jahr 2020 auf 2% anwachsen, bezogen auf den Wald sind es 5%. In Deutschland werden die Wälder zwar zunehmend naturnah bewirtschaftet, aber auch bei dieser Form der Waldwirtschaft stehen Ertrag und Produktivität im Vordergrund. Nach durchschnittlich 80 bis 100 Jahren werden die Bäume geerntet und ältere Bäume oder Totholz kommen nur in geringem Umfang vor. Dabei können Buchen bis zu 500 Jahre und Eichen sogar über 1000 Jahre alt werden.
Alte Wälder findet man heutzutage fast nur noch dort, wo sich eine Nutzung durch den Menschen nicht gelohnt hat, bzw. wo eine Nutzung schlichtweg nicht möglich war und Urwälder im eigentlichen Sinne gibt es bei uns schon längst nicht mehr. Aber wo die Wälder über einen langen Zeitraum hinweg sich selber überlassen wurden, hat sich eine ganz eigene Dynamik entwickelt: Dicke alte Bäume stehen neben Jungwuchs, umgestürzte Bäume bleiben liegen und sich selbst überlassen, Tiere können wieder heimisch werden, obwohl sie andernorts bereits verschwunden sind. Trotzdem ist diese „Unordnung“, dieses vermeintlich ungepflegte Waldbild für manche nur schwer zu ertragen. Fast könnte man sie verstehen, wenn man an die Baumleichen der Fichten im Bayerischen Wald denkt, die Opfer des Borkenkäfers geworden sind. Aber auch da sollte man genau hinschauen, denn Totholz steht für Artenvielfalt. Zwischen dem toten Holz wächst ein junger Wald heran, Pflanzen, die sich durchgesetzt haben, weil sie mit den Lebensbedingungen an dieser Stelle bestens zurecht kommen – oft viel besser als die Fichte, die durch die Klimaerwärmung sowieso früher oder später Probleme bekommen und dann nur noch in kühleren Lagen anzutreffen sein wird.
Naturschutzgebiete im Schwarzwald
Im Nationalpark Schwarzwald befinden sich schon jetzt bereits Naturschutzgebiete und weitere geschützte Flächen wie zum Beispiel der Bannwald „Wilder See“, der 1911 unter Schutz gestellt wurde. Dort wird seit über 100 Jahren keine Forstwirtschaft mehr betrieben und auf rund 75 ha um den fast kreisrunden Karsee ist jegliche Nutzung untersagt. Besucher dürfen die markierten Wege nicht verlassen, auf Schildern wirbt man um Verständnis: „Dieser Wald soll sich zum „Urwald von morgen“ entwickeln. Er dient außerdem als wissenschaftliche Beobachtungsfläche für die Urwaldforschung. … Bitte beachten Sie: Im Bannwald ist die Gefahr durch herabfallende Äste und umstürzende Bäume besonders groß!“ Auf abenteuerlichen Wegen gelangt man zum See, ohne die sonst allgegenwärtige Geräuschkulisse – bei geführten Touren lassen die Wanderer oft einfach die Stille auf sich wirken. „Der Abstieg zum Wilden See erfordert Trittsicherheit, die Wanderung etwas Ausdauer“. Seit Mitte der 1990er Jahre brütet der Dreizehenspecht, der auf alte oder morsche Bäume als Lebensraum angewiesen ist, wieder im Bannwald, ebenso findet man den Gartenschläfer oder auch den Sperlingskauz, der gleichzeitig das Maskottchen dieses neuen NLP ist. Er bezieht verlassene Spechthöhlen und fühlt sich in diesen Altholzstrukturen richtig wohl.
Eröffnung des Nationalparks
Während seiner Eröffnungsrede bei der NLP-Feier bezeichnete Ministerpräsident Winfried Kretschmann diesen Tag als einen historischen für Baden-Württemberg, große Trittsteine ungenutzter Natur würden sich nun in einer ureigenen Dynamik entwickeln können. Es sei höchste Zeit, dass sich Baden-Württemberg als wohlhabendes Industrieland seiner besonderen Verantwortung stelle und Teil des weltumspannenden Nationalparknetzes werde. Dem Arten- und Naturschutz werde der gebührende Stellenwert eingeräumt und auf dieser kleinen Fläche stehe der Schutz vor der Nutzung, die Natur sei der Impulsgeber und nicht der Mensch. Der Nationalpark sei auch ein ethisches Projekt, mit dem man den Eigenwert von Natur und Schöpfung anerkenne. Ähnlich äußerte sich Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, der wie kaum ein anderer in den letzten beiden Jahren im Kreuzfeuer der Kritik gestanden hatte und auch persönlichen Anfeindungen ausgesetzt war. Während der Feier gab es dann auch Pfiffe und Gelächter von einer kleinen Gruppe Gegner, die sich und ihre Argumente während des zweijährigen Dialogs der Landesregierung mit den Bürgern vor Ort, sowie im anschließenden Entscheidungsprozess, nicht gebührend gewürdigt fühlten. Seit 2011 hatte es immer wieder solche Proteste gegeben und es ist nur zu hoffen, dass man sich jetzt arrangiert. Der Minister jedenfalls blickte in die Zukunft und meinte: „Mit dem Nationalpark übernehmen wir die Verantwortung für künftige Generationen und schaffen ein Naturjuwel für unsere Kinder und Enkel.“
Entwicklungsnationalpark der Zukunft
Der Nationalpark Schwarzwald ist ein sogenannter Entwicklungsnationalpark, in dem der Mensch noch in den nächsten 30 Jahren regulierend eingreifen wird mit dem Ziel, dass danach 75% des Gebietes zur sogenannten Kernzone gehören werden, in der die Natur sich selbst überlassen bleibt. 25% bleiben Managementzone mit Landschaftspflegeflächen wie den beweideten Grinden (Feuchtheiden) sowie einem 500 m breiten Pufferstreifen entlang der Grenze des NLP, in dem der Borkenkäfer weiter aktiv bekämpft wird. In den nächsten fünf Jahren wird ebenfalls ein sogenannter Managementplan erstellt werden, der auch solche Fragen behandelt wie: welche Wege verlaufen wo, dürfen Beeren und Pilze gesammelt werden, wie sieht die Besucherlenkung aus und wie wird das Wildtiermanagement organisiert? Die grün-rote Landesregierung hat entgegen den Behauptungen der Gegner auf eine größtmögliche Einbeziehung aller Betroffenen Wert gelegt. So gibt es neben der NLP-Verwaltung noch den NLP-Rat, der „in allen Angelegenheiten des Nationalparks von grundsätzlicher Bedeutung entscheidet“. Dieser NLP-Rat ist bundesweit einmalig und seine 24 Mitglieder sind zur Hälfte Vertreter von Kommunen, Landkreisen und dem Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, die andere Hälfte stellen „Vertreterinnen und Vertreter der Nationalparkverwaltung, der Regierungspräsidien und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz“. Zusätzlich konstituierte sich der NLP-Beirat, an dem 32 Vertreter der im Gesetz festgelegten Institutionen, Organisationen und Verbänden aus Baden-Württemberg beteiligt sind. Dazu gehören zum Beispiel NABU, LNV, BUND, die Kirchen, der Schwarzwaldverein, der Landessportbund, die Waldbesitzer, der Landesjagdverband, die IHK, Regionalverbände und Tourismusverbände, um nur einige zu nennen. Der Beirat hat die Aufgabe, den Nationalpark-Rat und die Nationalpark-Verwaltung fachlich zu beraten. Durch diese Zusammenarbeit soll eine größtmögliche Beteiligung der Bürgergesellschaft gewährleistet werden.
Trotz Wetter rund 8000 Besucher am Eröffnungswochenende
Das Eröffnungswochenende nahmen besagte Bürger zum Anlass, sich direkt vor Ort zu informieren. Die beiden Leiter der Nationalpark-Verwaltung, Dr. Wolfgang Schlund und Dr. Thomas Waldenspuhl, konnten zusammen mit ihrem Team an beiden Tagen rund 8000 Besucher begrüßen und das, obwohl das Wetter am Samstag mit 3 Grad Außentemperatur nicht so richtig mitspielte. Das Fest bot etwas für jeden Geschmack und bei der Nationalpark-Messe präsentierten sich auch die Kooperationspartner des Nationalparks. Der Freundeskreis Nationalpark Schwarzwald und der Naturschutzbund Deutschland (NABU), die sich in den vergangenen zwei Jahren sehr stark für die Einrichtung eines Nationalparks im Schwarzwald engagierten, übergaben als Symbol dieses Aufbruchs eine riesige Torte in Herzform. Das erste Stück nahm Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus den Händen von Schauspielerin Ursula Cantieni, die eine Botschafterin des Freundeskreises ist, entgegen.
Nationalparks als Wirtschaftsfaktor für den Standort
Das grüne Herz in Baden-Württemberg schlägt nun also auch im Nordschwarzwald. Die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), die als Vertreterin der Bundesregierung gratulierte, sieht dies als ein Signal für noch mehr Naturschutz in Deutschland. Die Mehrheit der Deutschen sehne sich nach unberührter Natur, das habe auch die Naturbewusstseinsstudie der Bundesregierung gerade erst gezeigt. Nationalparks genießen eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung, sie seien Touristenmagnete, werten ländliche Regionen auf und bereits 70 000 Arbeitsplätze seien im Umfeld der NLP’s geschaffen worden. Langfristiges Ziel sei es, die beiden Teilgebiete des Nationalparks zu vereinigen. Der Vorsitzende des NLP-Beirats Gerhard Goll (CDU) fügte hinzu, dass die Natur eine andere Zeitrechnung habe als der Mensch und dass schon allein aus diesem Grund die Parteipolitik hier nicht den Takt vorgeben dürfe. Er rief gleichzeitig die Gegner und Befürworter des Parks dazu auf, nicht in das alte Muster von „Gut und Böse“ zu verfallen, vielmehr seien Respekt und Toleranz angesagt.
Gegner eindeutig in der Minderheit
Auch wenn bei den 30 bis 50 Gegnern, die am Samstag die Eröffnungsreden durch Lärm störten, noch nicht allzu viel Respekt zu spüren war, wurden sie in all dem Trubel letztendlich nur am Rande wahrgenommen. Angesichts des beeindruckenden Besucherandrangs ist es auch naheliegend, dass ihre Einschätzung, die meisten Leute vor Ort seien gegen diesen Park, doch auf einer gravierenden Fehleinschätzung beruht. Es wäre der Region und dem Nationalpark jedenfalls zu gönnen, dass sich die Gemüter beruhigen. Sicher ist es das Recht eines Jeden, seine Meinung auf Demonstrationen kund zu tun, aber es gehört genauso zu den Grundlagen einer Demokratie, dass man die Meinung der Mehrheit akzeptieren muss. Bei der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg handelt es sich um gewählte Abgeordnete, auch wenn einige besonders Uneinsichtige das partout nicht begreifen wollen. 10 000 ha Wildnis sind keine Katastrophe, im Gegenteil, denn solche forstlich ungenutzten Flächen werden immer wichtiger werden, da sie eine große Vielfalt an Genen, Arten, Strukturen und Lebensräumen entwickeln und ganz pragmatisch gesehen, auch wegen des Klimawandels notwendig sind, weil dort Anpassungsprozesse in freier Natur ablaufen. Und wenn bis 2020 5% der Wälder aus der Nutzung genommen werden, heißt es im Umkehrschluss ja auch, dass 95% weiterhin bewirtschaftet werden, was in dieser Größenordnung durchaus möglich sein sollte und auch die zufrieden stellen müsste, die fest davon überzeugt sind, es sei eine Sünde, das Holz im Wald verrotten zu lassen. Oder um es mit den Worten von Aldo Leopold, einem US-amerikanischen Forstwissenschaftler, Wildbiologen, Jäger und Ökologen, der als einer der Gründer der Naturschutzbewegung gilt, zu sagen: „Das Privileg, die Erde zu besitzen, umfasst die Verantwortung, sie, durch unsere Nutzung gebessert, nicht nur an die unmittelbaren Nachkommen, sondern auch an eine unbekannte Zukunft weiterzugeben, von der wir noch nichts wissen können.“
Netzfrau Jutta P. Klatt
Abkürzungen:
- NLP Nationalpark
- NABU Naturschutzbund Deutschland
- LNV Landesnaturschutzverband
- IHK Industrie- und Handelskammer
Links:
- http://www.nordschwarzwald-nationalpark.de/index.php?id=1
- https://pro-nationalpark-schwarzwald.de/freundeskreis
- http://baden-wuerttemberg.nabu.de/themen/biosphaerengebietundnationalpark/nationalpark/16772.html
- http://www.bmub.bund.de/bmub/presse-reden/pressemitteilungen/pm/artikel/naturbewusstseinsstudie-deutsche-moegen-wildnis/?tx_ttnews[backPid]=289
Fotos: M.Klatt,
Foto: der Nationalpark ist eröffnet: (von rechts): Minister Bonde, Ministerpräsident Kretschmann, Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), Gerhard Goll, Vorsitzender des NLP-Beirats und seitlich Michael Rückert, Vorsitzender des NLP-Rats
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