Indische Politiker verharmlosen Gewalt gegen Frauen

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Gleich zweifach trat der indische Politiker, Babulal Gaur (BJP) in einen Fettnapf aus Ignoranz und mangelndem Feingefühl gegenüber der erniedrigendsten Form von Gewalt gegen Frauen. Erst leistete er sich selbst einen artikulären Lapsus, dann Mulayam Sing Yadav, dem Vorsitzenden der regierenden Partei des Staates Uttar Pradesh, Schützenhilfe. Dieser hatte mit einer Äußerung für Empörung gesorgt, in der er Vergewaltigung als eine Art „Lausbubenstreich“ verharmloste.

Wie bereits in unserem Artikel „Indien: Zwei minderjährige Mädchen vergewaltigt und getötet“ berichtet, sagte der Vorsitzende der im Staat Uttar Pradesh regierenden Samajwadi Party (SP) letzten Monat auf einer Wahlversammlung, seine Partei sei gegen das Gesetz, das für Gruppenvergewaltiger die Todesstrafe vorsieht. Er empörte die Öffentlichkeit mit seiner Aussage: „Jungs bleiben Jungs. Sie machen Fehler.“

In einem Interview mit der „Times of India“ äußerte sich Babulal Gaur, Innenminister im Staat Madhya Pradesh, zu den letzten Vergewaltigungen. Nur Gott könne „perverse Menschen von Vergewaltigungen abhalten“, sagte er.

Weitere Kontroversen löste der politische Veteran aus, als er einen Tag später die Tatenlosigkeit seiner Kollegen von der Opposition aus Uttar Pradesh mit der Aussage: „Vergewaltigungen können nicht verhindert werden, weil kein Vergewaltiger diese ankündigt“ entschuldigte. Außerdem erzürnte er viele Frauenrechtler durch seinen Kommentar „Anklagen wegen Vergewaltigung sind manchmal richtig und manchmal falsch“. Er meinte, die Minister von Uttar Pradesh seien lediglich hilflos und fragte, was diese schon tun könnten.

Bei 12 gemeldeten mutmaßlichen Vergewaltigungen pro Tag in Madyar Pradesh schockierten diese Aussagen politische und soziale Kreise. Die Opposition verlangte seinen Rücktritt. Gaur versuchte, seine Aussagen richtig zu stellen mit den Worten „Was ich meinte, war, ob eine Vergewaltigung vorlag oder nicht kann nur ein Gericht feststellen. Auch die Bestrafung ist Aufgabe des Gerichts.“

„Die Polizei kann Vergewaltigungen nicht verhindern, sondern nur in Aktion treten, nachdem sie gemeldet worden ist. Vergewaltigungen passieren hinter geschlossen Türen oder an abgeschiedenen Plätzen. Wie soll die Polizei ohne vorherige Information so etwas verhindern?“ sagte er weiter. Zu erwähnen ist, dass die Proteste gegen die Behörden durch zu lasche polizeiliche Ermittlungen ausgelöst wurden.

Gaur behauptet, dass Vergewaltigungen das Resultat einer kranken Gesellschaft seien. Man habe trotz größter Anstrengungen vergeblich versucht, Kriminalität und Korruption zu stoppen. Nacktheit in Filmen und Zeitschriften verschmutzten die Gesellschaft.

Es kam zu massiven Protesten von weiblichen Aktivisten vor seinem Haus. „Was nutzen Polizei und Innenminister, wenn wir uns selbst gegen Kriminelle verteidigen müssen? Wir verlangen seinen Rücktritt und dass der Ministerpräsident wegen der unverantwortlichen Aussagen gegen Gaur vorgeht. Er sollte ihn auffordern, sich zu entschuldigen. Er [Gaur] verdient es nicht, Innenminister zu sein“

Frei übersetzt aus dem englischsprachigen Interview.

Vermutlich hat Babulal Gaur Recht: Vergewaltigungen sind das Resultat einer kranken Gesellschaft. Allerdings würde ich nicht auf die Idee kommen, die Verschmutzung der Gesellschaft der „Nacktheit in Filmen und Zeitschriften“ unterschieben zu wollen.

Ist es nicht vielmehr so, dass sowohl indische Männer als auch indische Frauen viel zu lange in dem Glauben aufgezogen wurden, Jungs und Männer seien mehr wert als Mädchen und Frauen? Hat nicht über Jahrzehnte des vermeintlichen Fortschritts die indische Regierung selbst das Patriarchat aufrecht erhalten – aus Angst vor einem Machtverlust? Sind nicht die Regierung selbst und das komplette Rechtssystem in diesem Patriarchat verwachsen?

Wen wundert es da, dass Indien seinen Femizid – den Völkermord an indischen Frauen und Mädchen – nicht in den Griff bekommt? Ist nicht der allererste Schritt zur Problembewältigung der, das Problem zu erkennen? Wie soll etwas als gesellschaftliches Problem erkannt werden, das Ewigkeiten als „normal“ oder zumindest als „gegeben“ angesehen wurde?

Wie groß sind die Chancen, dass sich etwas ändert? Mittlerweile ist es so, dass es in Indien mehr Männer als Frauen gibt. Somit gibt es mehr männliche Wähler als weibliche. Nach wie vor gibt es mehr männliche Politiker als weibliche. Tatsächlich sitzen in Indien unter anderem Vergewaltiger und andere Verbrecher in der Politik.

Kennen wir nicht den Spruch „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“? Abgesehen davon, dass dieser Spruch inhaltlich falsch ist, lässt er sich doch sinngemäß auf die indische Politik übertragen. So versprach zum Beispiel die SP in Uttar Pradesh – jawohl, ganz richtig, jene regierende Partei, deren Vorsitzender Vergewaltigung als eine Art Lausbubenstreich ansieht – den Wählern, die Vergewaltigungsgesetze zu lockern, wenn sie die Wahl gewinnt.

Dass eine Gesellschaft, die solche Verbrechen zulässt (und deren Politiker solche Verbrechen auch noch rechtfertigen) krank ist, ist aber auch das Einzige, worin ich mit Babulal Gaur übereinstimme. Der Rest dessen, was gesagt wurde, all die fadenscheinigen Ausreden und die vorgebliche Hilflosigkeit – all dies ist eine bodenlose Unverschämtheit! Polizei und Gesetzgebung waren so lange untätig, was Vergewaltigungen angeht. Immer noch sitzen so viele Vergewaltiger und andere Verbrecher in den Behörden und decken ihresgleichen. Selbst nachdem es einige Reformen gab, werden die geänderten Gesetze vielerorts einfach nicht durchgesetzt, sondern korrumpiert und ignoriert.

Wie viele Vergewaltigungen wurden nicht verhindert, die hätten verhindert werden können – mit vernünftiger Gesetzgebung und konsequenter Durchsetzung? Wie viele wurden nicht verhindert, weil die Täter Polizisten waren, die sich gegenseitig deckten oder die Beweise verschwinden ließen? Oder weil wie im Fall der beiden Mädchen in Katra – in dem im Übrigen auch einige der Täter Polizisten waren – eine Vermisstenanzeige ignoriert wurde? Auch kein Einzelfall: Vermisstenanzeigen werden in Indien häufig nicht ernst genommen, vor allem dann nicht, wenn sie von Familien der „niederen Kasten“ ausgehen.

Ich zitiere mal aus einem Artikel der „The 50 Million Missing Campaign“, der Kampagne gegen den Völkermord an Indiens Frauen und Mädchen:

Polizist: Wenn wir sie kriegen, werden wir Ihnen das Mädchen übergeben. Sie können sie verheiraten. Wenn ihr das nicht gefällt, dann tun Sie, was Sie vorgeschlagen haben. Aber ich würde das nicht vorschlagen. Es ist eine Sünde.  Wenn es jedoch ein großes Problem ist, dann töten Sie sie und entsorgen Sie sie selbst.

Nicht nur die Vergewaltigung in Katra hätte möglicherweise verhindert werden können. Wie im Fall der beiden Mädchen, die nachts das Haus verließen, weil es keine Toilette gab, gibt es viele Vergewaltigungsfälle bei nächtlichen „Feldgängen“ auf Grund mangelnder Sanitäranlagen. Es könnten also zumindest einmal Grundlagen geschaffen werden, die eine potentielle Gefahr entschärfen.

Nach der Gruppenvergewaltigung in Delhi 2012 führte das „Justice Verma Committee“ eine Untersuchung zur Gewalt an Frauen und Mädchen in Indien durch und präsentierte in einer Rekordzeit von 29 Tagen einen ellenlangen Bericht inklusive Vorschlägen und Empfehlungen. Dieses Werk wurde von der Regierung öffentlich in den Himmel gelobt und unter der Hand ignoriert.

Hilflos ist anders. Hilflos ist man, wenn man keine Möglichkeit hat zu helfen. Wenn es keinen Weg gibt, Dinge von außen zu verändern. Dann ist man hilflos. Hier fehlt es schlicht und einfach am ernsthaften Willen, Veränderungen einzuleiten, die gegebene Machtstrukturen verändern könnten.

Zum Abschluss noch ein Sprichwort: „Der Fisch stinkt vom Kopf“ – inhaltlich korrekt, auch und vor allem im Bezug auf indische Politiker, das indische Rechtssystem und die Gewalt an Frauen und Mädchen in Indien.

Netzfrau Andrea Wlazik

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