„Abschiebung eines Säuglings vorerst gestoppt“ titelte der NDR.
Doch immer noch gibt es kein Bleiberecht für die knapp fünf Wochen alte Duha Aline und ihre Mutter. Kaum zwei Wochen nach ihrer Geburt erhielt der Anwalt der Familie ein Schreiben, in dem der Kleinen mit Abschiebung gedroht wurde.
Das, was der NDR jetzt unpassend als „Stopp“ betitelt, ist nichts weiter als ein Lippenbekenntnis.
Am 10. Mai 2014 wurde Duha Aline im Krankenhaus von Stade in Niedersachsen geboren.
Duha Alines Mutter Zohra ist Marokkanerin. Bevor sie 2013 bei einem Besuch in Deutschland in einem Café in Hemmoor (Landkreis Cuxhaven) Maher Al Mahdi kennenlernte, arbeitete sie mit offizieller Arbeitsgenehmigung als Ernethelferin in Spanien. Der Palästinenser Maher war damals schon seit gut 12 Jahren in Deutschland und hat im Landkreis Cuxhaven ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen. Die beiden verliebten sich und heirateten bald darauf im Standesamt von Hemmoor.
Anfang November 2013 lief Zohras Aufenthaltsgenehmigung aus. Weil sie damals bereits schwanger war, profitierte sie von einer Art „Schonfrist aus gesundheitlichen Gründen“. Im Januar 2014 erhielt Maher (nach 13 Jahren!) endlich die lang ersehnte Arbeitserlaubnis. Anfang März konnte eine angedrohte Abschiebung der hochschwangeren Zohra mit Mühe verhindert werden.
Als Duha Aline am 10. Mai 2014 im Krankenhaus von Stade (Niedersachsen) zur Welt kam, schien das Glück des jungen Paares perfekt. Niemand hätte erwartet, dass nur knapp zwei Wochen nach ihrer Geburt eine weitere Abschiebeandrohung erfolgt – dieses Mal betrifft sie den Säugling:
„Ich beabsichtige daher, das Kind… aufzufordern, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig unverzüglich bis zu einem noch zu bestimmenden Datum zu verlassen… Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise beabsichtige ich dem Kind… die Abschiebung nach Spanien oder Marokko anzudrohen. Das Kind… kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden… Ich weise nochmals darauf hin, dass erforderlichenfalls auch die zwangsweise Rückführung als aufenthaltsbeendende Maßnahme eingeleitet werden würde, wenn das Kind…seiner Ausreisepflicht nicht wie zu fordern beabsichtigt nachkommt…“
(Auszüge des Schreibens an den Anwalt der Familie)
Duha Aline soll nun also gemeinsam mit ihrer Mutter abgeschoben werden. Da der Vater als staatenloser Flüchtling in keinem Land aufgenommen werden würde, würde die kleine Familie auseinandergerissen werden. Dass Zohra ohne Mahers Unterstützung eventuell nicht für sich und Duha Aline sorgen könnte, wird dabei ebenso in Kauf genommen, wie der Umstand, dass ein kleines Kind der Obhut eines Elternteils entrissen und ein glückliches Ehepaar getrennt würde.
Der Schutz der Familie ist explizit in Artikel 6 unseres Grundgesetzes verankert:
Absatz 1
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“
Im Fall der Familie Al Mahdi scheint die staatliche Ordnung zu versagen.
Absatz 2
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“
Hier würde nicht nur einem Elternteil das „natürliche Recht“ zur Pflege und Erziehung seines Kindes genommen, der Vater würde zudem konkret an der Ausübung dieser Pflicht gehindert.
Absatz 3
„Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“
Nein, der Satz hört nicht mit dem Komma auf. Da keinerlei Hinweise über eine Unzulänglichkeit der Al Mahdis als Eltern vorliegt, wird von behördlicher Seite auch gegen diesen Absatz aus Artikel 6 verstoßen.
Absatz 4
„Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“
Man mag mich für borniert halten, aber ich erkenne in der geplanten Abschiebung und der zwangsweisen Trennung von ihrem Ehemann keinerlei Schutz oder Fürsorge seitens der Gemeinschaft. Frau Al Mahdi soll im Gegenteil gemeinsam mit ihrer Tochter einer ungewissen Zukunft ohne familiäre Unterstützung ausgesetzt werden.
Abgesehen davon hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in 2009 klargestellt, dass nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater ein Pflege- und Erziehungsrecht hat. Auch das Kind hat durch die von der Bundesrepublik ratifizierte Kinderrechtskonvention ein eigenes Recht, nicht von Mutter und Vater getrennt zu werden. So besagt Artikel 9 der UN-Kinderrechtskonvention:
Absatz 1
„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist…“
Die Juristin Angela Heinssen hat über eine Petition auf Change.org weit über 60 000 Unterschriften für die Familie generiert. Sie sieht diese Stimmen als „Signal für mehr Menschlichkeit“ und steht dem vermeintlichen „Stop“ des Vorgangs skeptisch gegenüber. Der Abschiebeprozess sei angestoßen und keineswegs aufgehalten. Mutter und Kind drohe ohne die öffentliche Aufmerksamkeit möglicherweise weiterhin die stillschweigende Abschiebung.
Auf der Petitionsseite schildert sie zwei weitere Fälle aus Niedersachsen:
2005 war eine schwangere Kurdin mit ihrer einjährigen Tochter in die Türkei abgeschoben worden, während der Vater die beiden älteren Töchter zur Schule brachte. 8 Jahre dauerte es, bis die Familie wieder vereint war und die in Deutschland Lebenden den jüngsten Sohn kennenlernen konnten. Die Gefahr, dass nach einem Besuch in der Türkei Vater und Töchter nicht wieder hätten einreisen dürfen, wäre zu groß gewesen.
Im Dezember 2013 wurde kurz vor Weihnachten eine Mutter mit ihren 2 und 8 Jahre alten Töchtern abgeschoben. Um 5 Uhr Morgens wurden die drei aus dem Schlaf gerissen und mussten das Land verlassen. Das ältere Mädchen besuchte bereits die deutsche Schule, die Familie war gerade umgezogen.
Wo bleibt bei alledem die Menschlichkeit, wo der Schutz der Kinder?
Die einzige Sorge von Behördenleiter Kai Wollenweber war übrigens, dass laut Petitionstext das Anschreiben an Mutter und Tochter ging. Er beharrt darauf, dass es an deren Anwalt gerichtet war. Aber lieber Herr Wollenweber!? Was macht denn das bitteschön für einen Unterschied? Ein Anwalt nimmt derlei Behördenanschreiben lediglich im Auftrag und für seine Mandanten entgegen. Wenn Ihnen sonst nichts Gescheites einfällt…
Da kennen wir übrigens noch jemanden, dem so wirklich kluge Dinge nicht einfallen wollen. So hat der Rat der Stadt Hemmoor aufgrund des Falls von Familie Al Mahdi eine Arbeitsgruppe eingerichtet mit dem Ziel, den mit Abschiebeandrohungen einhergehenden Schriftverkehr künftig freundlicher zu gestalten. Das könnte dann vielleicht so aussehen:
„Lieber Säugling,
wir haben Dir eine freudige Mitteilung zu machen. Du darfst mit Deiner Mama verreisen. Die Koffer sind schon gepackt. Als Reiseziel sind wahlweise Spanien oder Marokko vorgesehen, beides Länder, in denen fast immer die Sonne scheint. Eine Flasche Kindersonnencreme findest Du in der Seitentasche.
Sag Deinem Papa auf Wiedersehen – immerhin gibt es Skype und Internet.
Freundlichst
Landrat Kai-Uwe Bielefeld“
Das ist übrigens jener Landrat, der im Internet behauptet, der Landkreis Cuxhaven schiebe niemals Säuglinge ab. Zur Zeit werde „der aufenthaltsrechtliche Status einer Mutter mit ihrem neugeborenen Kind geprüft.“ Zu diesem Zwecke sei der Rechtsanwalt der Mutter um Stellungnahme gebeten und nicht das Kind persönlich angeschrieben worden. Mehr sei bisher nicht passiert.
Schauen wir uns doch noch mal den Auszug aus dem Anschreiben an:
„Ich beabsichtige daher, das Kind… aufzufordern, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig unverzüglich bis zu einem noch zu bestimmenden Datum zu verlassen… Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise beabsichtige ich dem Kind… die Abschiebung nach Spanien oder Marokko anzudrohen. Das Kind… kann auch in einen anderen Staat abgeschoben werden… Ich weise nochmals darauf hin, dass erforderlichenfalls auch die zwangsweise Rückführung als aufenthaltsbeendende Maßnahme eingeleitet werden würde, wenn das Kind…seiner Ausreisepflicht nicht wie zu fordern beabsichtigt nachkommt…“
(Auszüge des Schreibens an den Anwalt der Familie)
Da klingt die Stellungnahme des Herrn Landrats dann doch verdächtig nach Augenwischerei. Die scheint in diesem Fall noch weitere Kreise zu ziehen. So sagte Staatsanwalt Uwe Dubbert (SPD) der Niederelbe Zeitung, dem Abschiebeprozess seien noch etliche andere Verfahrensschritte vorgeschaltet, „…vom Widerspruchsverfahren über die Klagemöglichkeit bis hin zur Härtefallregelung.“ Dabei verschweigt er aber (oder vielleicht ist es ihm auch einfach nicht bekannt), dass dem Ehepaar Al Mahdi die Prozesskostenhilfe verweigert wurde. Bislang konnten sich Zohra und Maher die anwaltliche Unterstützung nur auf Grund des fairen Honorars des Anwaltes und einer Ratenzahlungsvereinbarung leisten. Abgesehen davon ist ein langes Verwaltungsverfahren mit der ständigen Angst vor Abschiebung und Familientrennung nicht gerade das, was sich eine junge Familie für ihren Start in das Leben mit Baby wünscht. Dieser Zustand ist zermürbend und unzumutbar!
Unsere Bitte! Beteiligen Sie sich an der Petition „Keine Abschiebung des Säuglings Duha Aline“, die eine erneute Überprüfung des Falls auch aus menschenrechtlichter Sicht fordert.
Schreiben Sie außerdem unbedingt an:
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport
Innenminister Boris Pistorius
Lavesallee 6
30169 Hannover
Fax: 0511/120-6555
E-Mail: poststelle@mi.niedersachsen.de
Landkreis Cuxhaven – Ordnungsamt
Landrat Kai-Uwe Bielefeld
Vincent-Lübeck-Straße 2
27474 Cuxhaven
Fax: 04721 66-270047
E-Mail: a.joost@landkreis-cuxhaven.de
Landkreis Cuxhaven – Ordnungsamt
Herrn Kai Wollenweber
Vincent-Lübeck-Straße 2
27474 Cuxhaven
Fax: 04721 66-270169
E-Mail: k.wollenweber@landkreis-cuxhaven.de
Sehr geehrte Herren,
Ihre Handlungsweise im Fall der Familie Al Mahdi verstößt in weiten Teilen gegen unser Grundgesetz, Artikel 6 zum Schutz der Familie. Desweiteren widerspricht Ihr Vorgehen Artikel 9 der UN-Kinderrechtskonvention, der besagt: „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist…“
Ich fordere Sie hiermit auf, umgehend Rechtssicherheit durch ein Aufenthalts- und Bleiberecht für die Familie zu schaffen. Eine Trennung ist weder für das Ehepaar noch für das Kind zumutbar. Ebensowenig wie ein langes, von der ständigen Angst, getrennt zu werden, begleitetes Verwaltungsverfahren. Sichern Sie der Familie schriftlich oder wenigstens in einer offiziellen Stellungnahme wie z.B. einer Presseerklärung zu, dass eine Abschiebung des Kindes und der Mutter nicht stattfinden wird.
Bitte setzen Sie sich außerdem im Rahmen Ihrer Möglichkeiten für einen Erlass ein, der es den zuständigen Behörden ermöglicht, ähnlich gelagerte Fälle zum Wohle des Kindes zu entscheiden.
Freundliche Grüße
(Ihr Name)
Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Netzfrau Andrea Wlazik
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