Pflege geht uns alle an

Pflege_geht_uns_alle_anTheoretisch könnte jeder von uns aus Altersgründen oder als Folge einer Krankheit oder eines Unfalls pflegebedürftig werden. Dennoch interessieren sich leider recht wenige Menschen für diesen Bereich – es sei denn, sie haben aktuell pflegebedürftige Angehörige oder gehören bereits selbst zum Klientel.

Eine Leserin der Netzfrauen, die zur Berufsfindung in den Pflegebereich reingeschnuppert hat, berichtet, wie sie die Situation empfunden hat.

„Ich habe neulich für zwei Stunden in einem Wohnheim für behinderte Menschen hospitiert – zwecks Berufsfindung. Nur zwei Stunden… wow…, aber diese zwei Stunden haben mir wirklich die Augen geöffnet. Also a.) bekäme man für eine 30-Stunden-Woche trotz Schichtbetrieb und Wochenendarbeit (vermutlich mit geringen Zuschlägen) gerade mal 1.050 € Netto… 1.465 € Brutto waren es und b.) waren da Rentner und berufstätige Menschen gemischt, auch die Art der Behinderung war ganz unterschiedlich. Es war alles vertreten.
 

Leider Gottes war in dieser Zeit so viel los, dass ich nicht zählen konnte, wie viele Menschen da auf einer Etage betreut wurden. Ich kann nur schätzen und ich schätze, es waren auf „meiner“ Etage ca. 15 Menschen. Dafür zuständig war eine Frau – eine! Neben mir. Ich war zur Abendbrotzeit da… Die Menschen kamen gerade von der Arbeit nach Hause. Das war nur Stress und Hektik. Es war ein Verwalten und versuchtes Beaufsichtigen der Menschen. Es wurde Wäsche verteilt und Essen gerichtet. Es wurde auf die Toilette gesetzt, entweder beaufsichtigt oder später wieder abgeholt.
 

Es war einfach nur wuselig. Es wurde zwar auch mal gefragt… wie war Dein Tag… Aber Zeit, um die Antwort wirklich abzuwarten war nicht da. Ich empfand den Mangel an Aufmerksamkeit für die Bewohner so schlimm, dass ich mir fest vorgenommen habe, hätte ich einen nahen Angehörigen der pflegebedürftig würde, ich würde ihn auf gar keinen Fall in ein Heim geben. Zumindest nicht so. Da muss sich gewaltig was ändern.
 

Es ist gibt viel zu wenig Personal, aber der Bedarf wird immer größer und darunter leidet die Qualität.
 

Ich habe einen Fall im Bekanntenkreis, da ist ein jugendliches Kind pflegebedürftig. Die alleinerziehende Mutter ist Geringverdienerin. Würde sie ihr Kind in eine Einrichtung geben, hätte sie keine Probleme mit dessen Grundsicherung. So hat sie viel Rennerei, muss Fragen beantworten und sich anhören, sie sollte mal „anpeilen“ das Kind in eine Einrichtung zu geben. Dieser Schritt kommt für sie, aber schon alleine aufgrund der Zustände, in diesen Einrichtungen nicht in Frage. Aber was, wenn sie ihr Kind irgendwann nicht mehr selbst pflegen kann, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie zu alt dafür ist?“

Unsere Netzfrau Tania Zimmer sitzt hautnah am Geschehen. Sie gehört zu den Pflegeaktivisten, die u. a. mit Briefflashmobs auf die desolate Situation in der Pflege aufmerksam machen. Sie schreibt:

„Wenn der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt wird, werden sämtliche Probleme im Pflegesystem über Nacht verschwinden.“

Aber was haben wir eigentlich wirklich davon? Werden nach der Einführung der neuen Definition, was „pflegebedürftig” ist, die Menschen plötzlich menschenwürdig gepflegt? Kommen die Pflegebedürftigen dann täglich an die frische Luft? Haben sie dann Begleitung bei Toilettengängen und müssen keine Inko-Slips mehr anziehen, wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ja mehr oder weniger gefordert wurde?

Wird das Pflegepersonal dann nicht mehr nur wertgeschätzt, sondern auch dementsprechend entlohnt? Geben die Kranken- und Pflegekassen dann ihre Zahlungsverweigerungspolitik auf? Wird dann in den Krankenhäusern endlich das Fallpauschalenabrechnungssystem nach DRGs wegfallen? Wird sich all das und noch viel mehr mit der Umdefinierung eines Wortes ändern?

>>>Die Pflegebedürftigkeit bekommt eine neue Begrifflichkeit – das war’s erst mal…<<<

Statt der dringend benötigten Pflegekräfte gibt es nun Betreuungskräfte.

TOLL, liebe Regierung! Das heißt, für die Pflege (Waschen, Duschen, Behandlungspflege, medizinische Versorgung) gibt es nach wie vor NICHT mehr Personal. Was auch noch übelst aufstößt bei dem Ganzen ist, dass die Pflegekräfte so zu „WaschAnziehMedikamentenausteilVerbändeMachBehandlungspflege”-Kräften werden.

Das, was durchaus auch ein Teil des Berufsbildes der Pflegekraft ist und auch Freude machen kann an dem Beruf, wird kurzerhand einfach ausgelagert! So, dass die Pflegekraft sich voll der Pflege widmen kann, aber dazu gehört nun mal auch die Beschäftigung, finde ich! Verdammt noch mal, hat eine Pflegekraft, die den Beruf ganz bewusst gewählt hat wegen der Verschiedenartigkeit der Aufgaben, nicht das Recht, auch einmal einfach die schönen Seiten des Berufes auszuüben? Mal Kuchen backen mit den Bewohnern, basteln, Brettspiele machen, quatschen etc.?

Schön, dass wir dann einen neuen Begriff haben, der dann bestimmt auch in die tägliche Dokumentation einzufließen hat. Aber ändern, ändern wird sich wohl nichts. Es wird weiter versucht, ein vollkommen krankes und marodes Gesundheitssystem künstlich am Leben zu erhalten. Solange einige Wenige von diesem System derart profitieren auf Kosten der Allgemeinheit; solange Menschenwürde mit Füßen getreten wird, über Leichen gegangen wird, die Pharmaindustrie der beste Berater des Gesundheitsministeriums ist, sich Lobbyisten die Türklinke im Bundestag in die Hand geben und wir nur zuschauen, wird ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff keinerlei Veränderungen hervorrufen.

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Es ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, dass mit dieser Offensive, mehr Betreuungskräfte einzustellen, die Pflege besser wird. Pflegekräfte werden nach wie vor mit der Lupe gesucht werden müssen, in den Fluren und Zimmern der Pflegeheime. Und diese werden sich nach wie vor im „WieSollIchAlleine10BewohnerVersorgenSchlechtesGewissen”-Modus befinden. Diese werden nach wie vor total ausgebrannt und gestresst durch die Flure hetzen. Diese werden nach wie vor nicht angemessen bezahlt, TROTZ Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge. Die kommt nämlich nicht bei uns, der Basis an, sondern verschwindet irgendwo im System! Diese werden nach wie vor nur noch „Sicher-Satt-Sauber-Pflege“ leisten dürfen und können – wenn überhaupt.

Und der Spaß an der Arbeit? Wird ausgelagert, weggenommen, drastisch ausgedrückt, den machen dann andere, die wiederum NICHT helfen dürfen in der Pflege.
 
[Tania Zimmer und Robert Gruber, PflegeAktivisten]

Die Netzfrauen

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