Wovon hängt es ab, ob die Konjunktur in Deutschland gut läuft?
Richtig: Von der Stimmung in der Industrie, im Handel und bei Dienstleistungen. Und wovon hängt wiederum die Stimmung ab? Richtig! Von der Konjunktur … Hohe Lohnnebenkosten sind da eine latente Spaßbremse, und wenn ein Konfliktherd im Absatzmarkt explodiert, leidet die Stimmung ebenso.
Solche Schüsse vor den Bug des Konjunkturdampfers sind Handelsembargos wie z. B. eben jenes, das die EU gegen Russland ausgesprochen hat. „Da schneiden wir uns nur ins eigene Fleisch“, weiß der belesene Volksmund sogleich zu berichten.
Doch in diesem Erfahrungsschatz klafft eine Lücke, denn was EU-Länder zu wesentlichen Teilen exportieren, sind Vorleistungsgüter. Das sind z. B. Metalle und chemische Grundstoffe, mit denen in Russland bestehende Produkte veredelt und wiederum gewinnbringend exportiert werden können. Klar, wenn wir nicht mehr liefern, bekommen wir auch kein Geld. Klar aber auch: Wenn kein Metall mehr für die Produktion nach Kiew gelangt, ist das dort direkt und rasch spürbar. Umgekehrt sind die Maßnahmen von Russland gegen die EU – z. B. der Stopp von Agrarimporten – eher ein Bumerang: Bei steigender Inflationsrate ist es für Russland eher teuer und unangenehm, Agrargüter aus größerer Ferne importieren zu müssen. Aber das nur am Rande.
Ein Embargo ist immer eine Konjunkturbremse – auch bei uns. Deswegen können gute Aussichten auf einen verbesserten Handel hilfsweise die Stimmung anheben. TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wird deswegen als so ein Stimmungsheber in diesen Tagen gerne platziert – z. B. jüngst in einer Pressemitteilung am 15. 08. von „Germany Trade & Invest“, einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Organisation.
Das klingt dort dann so:
„Die Bundesregierung verspricht sich von TTIP ferner eine stärkere Diffusion von Innovationen und ‚Know-How‘, eine Ausweitung bilateraler Direktinvestitionen sowie verbesserte Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven.“
Nochmal zum Anfang des Satzes: „Die Bundesregierung verspricht sich…“ und gegen Ende des Satzes „…perspektiven“. Was also konkret verspricht sich die Bundesregierung? Bessere Perspektiven und bessere Stimmung. Von positiven Effekten ist allseits im Kontext mit TTIP die Rede und auch davon, dass diese auch „Länder des ‚globalen Südens‘ indirekt“ begünstigen.
Diese PR-Maschinerie, die hier läuft, erinnert an eine Lebensmittelwerbung: „Macht Spaß, enthält Milch und kann Krankheiten vorbeugen.“ Und noch bevor uns die Packungsbeilage mit ihren Nebenwirkungen oder der Aufkleber mit der Zusammensetzung vorliegen, sollen wir uns für TTIP erwärmen. So funktioniert Werbung – so funktioniert PR nun einmal. Erst die gute Stimmung, dann die Fakten. Während der bilaterale Handel mit Russland erst kürzlich noch hochgelobt und für die Konjunktur Europas als wichtig bezeichnet wurde, sind die Fakten über TTIP noch nicht ausgepackt, aber es wird schon der Verzehr empfohlen. Der bewährte gelobte Handel mit Russland wird boykottiert, das unbekannte TTIP wärmstens empfohlen.
Der umfangreiche Handel Deutschlands mit Vorleistungsgütern werde durch TTIP gefördert. Eine wechselkursbereinigte Tabelle zeigt dann, dass Deutschland Vorleistungsgüter in 2013 zu allererst an Frankreich, dann an die Niederlande und an dritter Stelle an die USA lieferte. Die Volksrepublik China folgt im Anschluss an die USA und die Werte für Russland gehen in „übrige Länder“ unter. Wenn das nun als Argument für eine weitere Liberalisierung des Marktes mit den USA und für einen weiteren Abbau von Handelshemmnissen als Argument dienlich sein soll, so müsste ein TTIP mit China unmittelbar folgen. Was ist eigentlich mit einem verbesserten Handel mit Griechenland, Spanien und Portugal? Wäre nicht in erster Linie ein Handel mit den Ländern zu fördern, in die wir im Glauben auf Wirtschaftswachstum unsere Kredite gegeben haben?
Soll TTIP vielleicht das Wachstum mit den USA für Vorleistungsgüter in neuen Sektoren fördern, in solchen Marktbereichen, die bisher noch nicht gut zusammenarbeiten? Dazu weiß „Germany Trade & Invest“: „Grundsätzlich profitieren in Deutschland von dem angestrebten TTIP vor allem solche Sektoren, die bereits innerhalb bestehender bilateraler Handelsbeziehungen einen Schwerpunkt bilden. Dies trifft insbesondere auf den Fahrzeugbau, den Chemiebereich und den Maschinen- und Anlagenbau zu.“ Ja – warum dann in aller Welt TTIP, wenn doch Vorleistungsgüter schon heute ein wichtiger Exportmarkt der Bundesrepublik sind und die Zusammenarbeit mit den USA hier schon heute auf Platz 3 rankt? Nun, der springende Punkt sind die Importe.
Die Importe an Vorleistungsgütern aus den USA sind vergleichsweise niedrig – sie liegen etwa auf dem Niveau der Schweiz oder Italiens. Wenn also TTIP überhaupt einen Nutzwert hat, dann für die USA, die sich versprechen können, mehr Vorleistungsgüter auf unserem Markt zu platzieren – auf einem Markt, der nicht von Rohstoffexporten lebt, sondern exakt davon, selbst Vorleistungsgüter (Beratungsdienstleistungen!) zu exportieren.
Von Menschen oder Arbeitsplätzen ist hier nicht die Rede. Wenn Vorleistungsgüter eher importiert denn exportiert werden, wenn Produktionen ins Ausland verlagert werden, so wird oftmals versucht, durch Subventionen und andere flankierende Maßnahmen dies zu verhindern. Dabei ist es einerlei, ob eine Vorleistung wegen eines Embargos oder wegen eines Handelsabkommens nicht mehr in Deutschland erstellt wird: Arbeitsplätze werden dort benötigt, wo die „Vorleistung“ anfällt. Kernpunkt von TTIP ist und bleibt es, den USA einen besseren Zugang zum deutschen bzw. europäischen Markt zu ermöglichen.
Dahinter mag auch die Idee einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz stehen. Für diese Idee braucht es auch ein Abkommen wie das TTIP. Wenn von „exportiertem Mehrwert“ des „Tertiärsektors“ und von „komparativen Wettbewerbsvorteilen“ die Rede ist, wenn uns statistische Werte als vergleichende Prozentzahlen angeboten werden und wenn an keiner Stelle davon die Rede ist, wie es jedem einzelnen von uns morgen durch TTIP besser gehen könnte, dann können wir sicher sein: Hier werden Seifenblasen produziert, die nur den altbekannten Verdächtigen – der Großindustrie – hilfreich sein werden und die vor unserer Haustüre zerplatzen, noch ehe wir sie bewundert haben.
Quelle: Deutschland handelt umfangreich mit Vorleistungsgütern
Statistische Werte:
In- und Output Tabellen (bis 2011) ausgewählter Länder
Definition Vorleistungsgüter:
Das sind Erzeugnisse, die überwiegend für Unternehmen bestimmt sind und dort im Produktionsprozess verbraucht, verarbeitet oder umgewandelt werden. Dazu zählen zum Beispiel Metalle, Holz, chemische Grundstoffe, Gummi- und Kunststoffwaren, Papier und Karton sowie elektronische Bauelemente.
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