Kindersklaven in Indien
Wer am Mittwoch Abend den Filmbeitrag „Kindersklaven – Im Focus: Indien“ gesehen und sich ein wenig darüber informiert hat, mag sich gedacht haben, dass die Recherchen dazu in 2006 und 2007 stattfanden und sich das Thema Kinderarbeit in Indien sicher mittlerweile überholt hat. Dem ist leider nicht so.
Eng verbunden mit den Themen Armut und Profitgier ist Kinderarbeit in Indien auch 8 Jahre nach Beginn der Recherchen zu „Kindersklaven“ noch brandaktuell.
Der Film beginnt in Bihar, dem ärmsten Bundesstaat im Nordosten Indiens. Die Armut ist dort so groß, dass viele Eltern ihre eigenen Kinder verkaufen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben glauben sie falschen Versprechen und greifen nach jedem Strohhalm. So auch die Eltern von Sumit (11) und seinem Bruder Rawi (18). Ihr Vater verdient als Feldarbeiter umgerechnet gerade einmal 70 Cents pro Tag, das reicht oft nicht einmal fürs Essen, geschweige denn für Medikamente oder Reparaturen am Haus.
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Vor vier Jahren kam ein Fremder und bot dem damals 7-jährigen Sumit und dem 15-jährigen Rawi einen Ausbildungsplatz. Die Eltern sollten dafür einmalig 1000 Rupien erhalten und monatlich 300 Rupien. Dafür sollten die beiden Jungen sofort mit nach Neu-Delhi kommen. Nachdem die Kinder mit dem berüchtigten „Shrandan-Express“, was soviel bedeutet wie „Express der Fronarbeit“, abtransportiert wurden, blieben sie drei Jahre lang verschwunden.
Nicht nur gekaufte Kinder werden täglich mit diesem Zug abtransportiert. 600 Kinder werden in den Dörfern der Umgebung vermisst.
Während die Eltern vergeblich auf ein Lebenszeichen oder eine Kontaktadresse ihrer Söhne warteten, wurden diese über Zwischenhändler weiterverkauft und mussten schließlich – ohne Schutzkleidung oder Schutzbrille – als Schweißer arbeiten. Von Morgens bis Mitternacht mussten sie schuften. Waren sie erschöpft, wurden sie geschlagen. Essen gab es nur wenig, Ausgang gar nicht. Und keinen Lohn – auch nicht an die Eltern. Eines Tages flog Sumit beim Schweißen ein Funke ins Auge. Der „Besitzer“ – aber nennen wir ihn doch lieber „Sklavenhalter“ nahm das nicht ernst, medizinische Versorgung gab es nicht. Sumit erblindete auf dem rechten Auge. Später brach ihm ein herabfallender Balken den Arm. Sein Sklavenhalter schrie ihn nur an, dass er weiterarbeiten solle.
Diese und ähnliche Schicksale sehen wir in „Kindersklaven“.
10-15 gekaufte oder gestohlene Kinder in einem winzigen Kellerraum, die 11-15 Stunden am Tag Pailletten ansticken – oft nur bei Kerzenlicht. Kinder, die stundenlang Schmucksteine auf Kulis und kleine Dosen kleben. Kinder, die seelisch so ausgehungert sind, dass sie bereits Anzeichen von Hospitalismus zeigen, sich vor- und zurückwiegen. Kinder ab 6 Jahren aufwärts, die in den engen Werkstatträumen schlafen, damit sie dringende Aufträge auch Nachts erledigen können.
Kinder, die geschlagen und manchmal auch missbraucht werden.
Fast 500 Werkstätten gibt es alleine in dem einen Viertel, erklärt einer der Kindersklaven-Mafioso, der 20 dieser Produktionsstätten kontrolliert. Behörden oder Polizei machten keine Probleme, berichtet er, es gebe keine Regeln und keine Bestimmungen. Tatsächlich existiert in Indien die Pflicht zum unentgeltlichen Schulbesuch. Auch wurden dort schon sehr früh Gesetze gegen Menschenhandel, Zwangsarbeit und Kinderarbeit erlassen. Allerdings verbieten diese Gesetze letztere nicht, sondern schränken sie nur insofern ein, als dass Kinder unter 14 Jahren keine gefährlichen Arbeiten verrichten dürfen. Und wie so oft in Indien bestehen die Gesetze mehr oder weniger nur auf dem Papier und ihre Umsetzung richtet sich hauptsächlich nach den Beziehungen und dem Geldbeutel der Beschuldigten.
Aber das ist nicht die einzige Wurzel des Problems. Kinderarbeit ist in Indien so weit verbreitet, dass die Menschen sich an das Bild arbeitender Kinder gewöhnt haben. Sie stoßen sich schlicht nicht daran. Selbst die direkten Nachbarn der Produktionsstätten ignorieren deren Anwesenheit.
Wahre Detektivarbeit müssen die Journalisten leisten, um über verschiedene Zwischenhändler und Exporteure herauszufinden, ob die von Kinderhand hergestellten Artikel auch nach Deutschland gehen. Und tatsächlich, sie tun es.
Ebenso wie die Pflastersteine, der Granit, der Sandstein und der Marmor, die in den diversen besuchten Steinbrüchen geschlagen werden. Es ist ein unfassbares Bild. Kleine magere Kinder schlagen Steinbrocken zu Schotter für Eisenbahntrassen, bearbeiten mit Hammer und Meissel Stein für Stein nach den deutschen Größennormen für Pflastersteine. Die Endprodukte werden – wieder über Zwischenhändler und Exporteure – in Deutschland aufgekauft und u. a. für von öffentlicher Hand ausgeschriebene Arbeiten verwendet.
Häufig sind es Kinder von Wanderarbeitern, die in den Steinbrüchen arbeiten. Die Eltern alleine bekommen für diese Knochenarbeit nicht genug Geld. Oft haben sie um Nahrung oder Medizin kaufen zu können beim Chef Schulden gemacht und die ganze Familie muss die Wucherzinsen abarbeiten. Ein Teufelskreislauf.
Die Lebenserwartung dieser Menschen liegt bei 40 Jahren. Sie sterben früh – an Steinstaublunge.
Ein Mann berichtet, dass alle seine sieben Kinder mitarbeiten. Ein Kleinkind ist dabei, vielleicht gerade mal 3-4 Jahre. Auch der Säugling der Familie wächst im Steinbruch auf. Es wird rund um die Uhr gearbeitet, auch die Nächte verbringt die Familie im Steinbruch.
Die deutschen Steinimporteure beteuern, dass durch staatliche Kontrolle und diverse Zertifikate belegt werden könne, dass es sich bei ihren Produkten nicht um durch Kinderarbeit hergestellte Steine handele. Dass Indien für seine Korruption bekannt ist und man dort nahezu jedes Zertifikat kaufen kann, übersehen sie. Die zertifizierenden Stellen haben sie nie selbst aufgesucht.
Selbst der Arbeitsminister habe ihm bestätigt, dass die staatlichen Kontrolleure nicht über die Mittel verfügen, die notwendig wären, um die einzelnen Steinbrüche zu kontrollieren, erzählt ein Aktivist.
Eines der besagten Zertifikate ist von der UNESCO ausgestellt. Mit der allgemein bekannten „United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“ hat diese Firma allerdings nichts zu tun. Es handelt sich um einen dubiosen „Club of Unesco“ mit Sitz im indischen Bundesstaat Rajasthan. Der „Generalsekretär“, der das Zertifikat unterschrieben hat, ist ein hochrangiger Richter aus Jaipur. Kontrolliert hat er die Steinbrüche nicht, er gehe davon aus, dass „jeder ehrlich und vertrauenswürdig ist“.
Staatlichen Angaben zufolge gibt es in Indien um die 17 Millionen Kinderarbeiter. Schätzungen diverser Hilfsorganisationen tendieren eher zu einer Zahl zwischen 40 Millionen und 80 Millionen.
Es ist für Unternehmen und Verbraucher nicht immer einfach, die richtigen Kaufentscheidungen zu treffen. Oft verwischt ein Netz aus Zwischenhändlern, Subunternehmen und Exporteuren die Spuren der Kinderarbeit. Viele Dinge lassen sich aber mit ein wenig gutem Willen recherchieren – und dieser sollte für uns alle selbstverständlich sein, wenn wir bedenken, was Kindheit eigentlich bedeuten sollte:
Spielen, Schule, Natur erfahren und genießen, in einem sicheren und liebevollen Umfeld in Geborgenheit aufwachsen. Und nicht etwa Gefangenschaft, Knochenarbeit und Schläge!
Viele Unternehmen veröffentlichen Selbstverpflichtungen, Verhaltenskodexe, Social Responsibility Statements o. ä. Die Kampagne „Aktiv gegen Kinderarbeit“ bietet zahlreiche Informationen zu Wirtschaftsinitiativen, internationalen Organisationen, Fair Handelshäusern, Kampagnen, Siegeln und Zertifikaten. Sie klärt außerdem darüber auf, was jeder einzelne aktiv gegen Kinderarbeit tun kann.
KINDERSKLAVEN in Indien
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Machen Sie sich schlau, bevor sie kaufen. Wir können vielleicht nicht alles beeinflussen, aber wir können tun, was in unserer Macht steht.
Netzfrau Andrea Wlazik
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