Auf Sand gebaut

Sand_AbdruckWenn Nena das wüsste …: Aus der Traum vom Schloss aus Sand!

Zugegeben: Vom Strand von Elafonisi auf Kreta habe ich mal ein kleines Glas Sand mitgehen lassen. Der Sand hat nämlich eine besondere Farbe: Rote Sandkörner sind darin eingeschlossen.

Und zugegeben: Ich hatte dabei ein verdammt schlechtes Gewissen. Ich hatte mir überlegt, wie viele Touristen an diesen Strand kommen und wie rasch der Strand leer wäre, wenn das jeder so machen würde. Und dann käme ja noch hinzu: Jeder Tourist hat den Sand am Körper, an der Kleidung und der Decke anhaften – jeder schleppt etwas Sand von diesem herrlichen Strand hinweg. Heute weiß ich: Es muss viel mehr passieren, damit ein solcher Strand verschwindet, aber: was die Touristen an Strand wegtragen, sind ebenfalls einige Tonnen Sand pro Jahr.

Das Thema ließ mich seither nicht mehr los, und seit ich dazu recherchiert habe, genieße ich jeden Anblick eines Strandes doppelt und dreifach. Doch der Reihe nach …

Zusammenhänge sind auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen

Kein Eingriff, den wir Menschen in die Natur vornehmen, bleibt wirklich ohne Wirkung. Manchmal übersehen wir gerade noch, welche Auswirkungen ein Eingriff haben könnte, meistens sind wir überfordert, die Tragweite unseres Handels und die vollständigen Zusammenhänge zu überblicken. Dies gilt für mit bloßem Auge unsichtbare Prozesse, z. B. in der Zelle, und für viele Wissenschaftsbereiche, z. B. die Biochemie und Gentechnologie ebenso wie für viele mit den Augen unmittelbar sichtbare Prozesse. Wir sind gerade dabei zu begreifen, dass unsere technischen Eingriffe in die Naturkreisläufe immer weitere technische Lösungen und wieder weitere Eingriffe benötigen, um die daraus resultierenden Folgen abzufangen. Wir sind gerade dabei zu verstehen, dass wir mit reinen technischen Lösungen oft nicht weiter kommen: Wir müssen sehen, wie die Natur diese Themen bislang gelöst hat, und wir müssen diese Lösungen bewahren. Noch besser: Wir müssen sie optimieren, aber mit den Prinzipien der Natur und nicht gegen sie.

Die Menge macht das Gift

Diese Erkenntnisse sind nicht neu – jedenfalls für die meisten Belesenen und Selbst-Denkenden unter uns nicht. Doch bislang lernen wir wenig daraus. Ich war vor Jahren auch noch ein glühender Verfechter der Wasserenergie. Da schienen auch Staudämme ein geeignetes Mittel zu sein, gleichzeitig Energie zu liefern wie auch die Wasserversorgung über schwankende Niederschlagszeiten hinweg sicherzustellen. Ein kleines Mühlrad am Bach zum Schöpfen einiger Mengen des Wasserstromes für ein Feld oder zum Betreiben einer Getreidemühle war als angepasste Technologie für die Natur kein Problem. Auch eine Vielzahl von Staudämmen schien eher sinnvoll denn widersinnig für die Kreisläufe des Wassers zu sein. Erst große, durch die Weltbank geförderte Staudammprojekte machten uns dahingehend hellhörig, dass wir es wieder einmal übertreiben. Dies – so schien es – waren lokale Katastrophen: Menschen wurde ihre Heimat genommen, sie wurden umgesiedelt, landwirtschaftliche Flächen und Wälder, ja sogar Städte mussten verschwinden. Ob das noch richtig sein konnte?

Mit dem fokussierten Blick auf diese Großprojekte ging uns der weite Blick auf die allgemeine Situation verloren. Wir schauen – ähnlich wie bei einem Öl-Tanker-Unglück – auf diese große Katastrophe und sind im Begriff zu übersehen, was latent passiert. So wird – um im Bild zu bleiben – weitaus mehr Öl durch tägliches Altöl-Abpumpen ins Meer gespült als jemals durch irgendwelche Tankerkatastrophen. Bei den Staudämmen ist die Situation ähnlich: Die Großprojekte sind uns alle ein Begriff. Wir stehen staunend und skeptisch davor. Und wie ist das mit den vielen kleinen Staudämmen? Auch hier gilt: Die Menge macht das Gift! Es gibt Berechnungen, in denen allein in den USA seit der Unabhängigkeitserklärung 1776 auf Tage umgerechnet jeden Tag ein Staudamm gebaut worden sein soll. In China gilt, dass inzwischen praktisch kein Fluss mehr direkt das Meer erreicht – der Weg führt immer durch Stauseen. Zahlreiche Wasserreservoire trocknen aus. Es gibt einen Konflikt zwischen Wasser- und Energieversorgung. Damit die Turbinen laufen, muss Wasser fließen. Damit die Vorräte länger reichen, darf Wasser nur fließen, wenn es benötigt wird. Diese beiden Situationen stimmen zeitlich oft nicht miteinander überein. Soweit sind die Zusammenhänge alle noch verständlich und überschaubar.

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Zurück am Strand von Elafonisi

Sand_BuchtEin Vater spielt mit seinem Kind im Sand. Sie buddeln, backen Sandkuchen und eine Sandburg entsteht. Ein selbstverständliches Bild voller losgelassener Freiheit und zeitlosem Spiel. Aber ein Bild, das in nicht ferner Zukunft eine Seltenheit werden könnte. Was das mit Staudämmen zu tun hat? Sehen Sie sich einmal an, wo sich die schönsten, oft verschwiegensten Sandbuchten und -strände befinden. Genau: Sie sind immer dort, wo Flüsse ins Meer münden.

Es ist umso sandiger, je ungebremster der Fluss seinen steinernen Ballast ins Meer spülen kann, je mehr Flussströmung und Meeresbrandung die Steine zu feinem Sand zermahlen können. Wird dieser Ballast bereits im Fluss an einem Staudamm aufgefangen und/oder wird die Flussströmung ausgebremst, so gelangt viel weniger Ballast ins Meer. Unnütze Sedimente setzen sich als Geröll am Staudamm ab und müssen mit hohen Kosten ausgebaggert werden. Gleichzeitig fehlen die Sedimente im Meer. Die Folgen sind fatal. Bei steigenden Meeresspiegeln bietet der Sand einen weiteren, guten Puffer gegen die Brandung. Ist der Strand weg, unterspült das Meer nach und nach die Ufer, zieht sie ins Meer. Weltweit gibt es viele Hunderte von Küstenkilometern, an denen heute Sand ins Meer gespült werden muss, um diesen Trend aufzuhalten, um Strände für die Touristen zu erhalten und um Villen und Hotels in Strandnähe zu schützen.

Sand ist nicht gleich Sand

Es kommt allerdings noch schlimmer und das weiß jeder Sandburg-Bauherr: Sand ist nicht gleich Sand. Der Sand, der von den Flüssen ins Meer gespült wird, ist ein quarzhaltiger Sand und nur dieser Sand eignet sich zum Bauen mit dem weitverbreiteten Stahlbeton. Wenn wir also zukünftig wieder davon sprechen, dass etwas so häufig ist wie „Sand am Meer“, sollten wir innehalten, denn der Sand am Meer wird immer seltener. Wie immer, wenn etwas rar wird, wird es teuer. Und wenn es teuer wird, zieht es die Mafia an. Es gibt Fälle, in denen in Marokko für den Hotelbau in einer sandigen Bucht der Sand aus der danebenliegenden Bucht zum Bauen verwendet wird. Kleindiebe schaufeln den Sand in Schubkarren, laden diesen in Lastkraftwagen, die Polizei wird bestochen, die Mafia verdient. Natürlich wird die Natur das in ein paar Jahren ausgleichen – dann werden beide Buchten keinen nennenswerten Strand mehr haben, aber für den Moment ist dem Investor Genüge getan.

Oder nehmen Sie Dubai. Betonburgen werden aus dem Nichts aus dem Boden gestampft und auf Sand gebaut. Um diese auf Sand zu bauen, musste der Sand aus Übersee herangeschafft werden, denn der endlos verfügbare Wüstensand enthält keinen Quarz und eignet sich nicht für Beton. Vielerorts werden Betonklötze mit Bambusgerüsten hochgezogen. Doppelt paradox, da Bambus ebenfalls herangeschafft werden muss. Wenn jemals ein Baustoff den dringend benötigten und immer rarer werdenden Sand ersetzen könnte, so könnte dies Holz sein – vor allem der schnell wachsende Bambus.

Sand – ein Milliardenmarkt

Flüsse, Seen, Meere – alles wird leergebaggert. In einem mittelgroßen Haus befinden sich rund 200 Tonnen Sand. Wenn Sie das nächste Mal 900 Kilometer auf einer Autobahn zu Ihrem Lieblingsstrand an die Costa-wo-es-so-schön-ist donnern, rechnen Sie mal mit: 30 000 Tonnen Sand stecken in jedem Kilometer Autobahn. Im Irrwitz menschlicher Energieerzeugung, einem Atomkraftwerk, werden rund 12 Millionen Tonnen verbaut – lächerliche 400 Kilometer Autobahn. 40 Milliarden Tonnen soll der jährliche Bedarf an Bausand betragen und 15 Milliarden Euro sollen der Natur entnommen werden – Jahr für Jahr. So ganz genau weiß das niemand, denn Sie können sich vorstellen, dass ein Milliardenmarkt bei rarer werdenden Ressourcen natürlich die Sandmafia anzieht wie reife Zwetschgen die Wespen.

In Asien wird vielerorts illegal einfach Sand auf hoher See vom Meeresgrund aufgesogen. Dass dabei Milliarden von Pflanzen und Lebewesen zerstört und getötet werden und der Boden auf Jahrzehnte unfruchtbar gemacht wird, interessiert nur ein paar Umweltschützer und vielleicht ein paar Taucher, für die der indonesische Archipel fortan als Tauchparadies verloren ist. Die Malediven und die Seychellen – schon vom Wasseranstieg durch die Klimaveränderung betroffen – saufen jetzt noch schneller ab, weil man den Sand von der einen Insel holt, um damit Gebäude auf der anderen Insel hochzuziehen. Je schneller die Nebeninseln vom Sand „befreit“ werden, desto schneller saufen sie ab, desto mehr Menschen retten sich auf die Hauptinsel und desto mehr Häuser müssen dort gebaut werden.

Wenn weg – dann weg …

Der Teufelskreis im Kleinen wie im Großen ist nicht aufzuhalten. Wo Flüsse aufgestaut werden, gelangt der Sand nicht mehr ins Meer. Wo der Sand in das Meer gelangt, wird er abgebaut oder geklaut. Sofern er den Meeresboden und die Inseln erreicht, wird er dort abgepumpt und abgebaut. Dabei spielt es mittelfristig keine Rolle, ob der Sand direkt am Strand abgetragen wird oder auf hoher See.

Sand_StrandDas Abpumpen des Sandes auf hoher See bewirkt, dass sich das Meer den Strand holt, um diese unterseeischen Lücken aufzufüllen. Mit anderen Worten – es ist wie beim Discounter: Wenn weg – dann weg – ausverkauft. Wir meinen immer noch, wir könnten Herr der Lage sein oder werden? Wir meinen immer noch, dass es langfristig gut geht, wenn wir weiterhin auf Wachstum wider die natürlichen Grenzen setzen? Wir meinen immer noch, uns nicht einschränken zu müssen? Morgen pflanzen wir alle Bambus und Stroh und bauen dann mit Holz und Lehm? Was wird wohl passieren, wenn wir das alle gleichzeitig so expansiv wie bisher tun?

Ich bau Dir ein Schloss aus Sand

Der Anblick eines jeden Strandes ist für mich ein um so wertvollerer und kostbarerer Genuss, seit ich diese Zusammenhänge erkannt habe. Und eine Liedzeile in einem Nena-Song „Ich bau Dir ein Schloss aus Sand – irgendwie, irgendwo, irgendwann!“ gewinnt an zusätzlicher Melancholie. Die kinderliebende Sängerin konnte es damals noch nicht wissen, aber vermutlich wird die Zeit knapp für Dein Sandschloss-Projekt.

Vermutlich hinterlassen wir unseren Kindern eine Erdkugel ohne Sandstrände, ohne das Wunderbarste, was Kinderfüße spüren, was buddelnde Hände fühlen und Touristenaugen erblicken können. Vermutlich werden wir zukünftig nur noch Strände in so fürchterlichen Hallen haben, in denen die Luft stickig und der Lärm unerträglich ist und die Leute dafür Eintritt bezahlen, um etwas in einem Betonstahlgebäude zu erleben, was sie kostenlos erleben könnten, wenn es solche Gebäude nicht gäbe? Ach, sie meinen, dass diese Schwimmhallen ja überwiegend aus Glas bestehen. Stimmt: Und woraus wird Glas im Regelfall hergestellt? Aus Siliciumdioxid. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll, aber schauen Sie mal, was Wikipedia dazu schreibt: „So besteht Sand vorwiegend aus Siliciumdioxid. Quarz ist reines Siliciumdioxid.“

© Andreas Müller-Alwart für Netzfrauen.org

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