Der Bericht ist erschütternd. Er handelt von der zweijährigen Sughra, die wenige Wochen vor dem Dreh in Karachi, Pakistan, auf dem Müll gefunden wurde. Dort landen viele kleine Kinder in Pakistan. Oft sind sie gerade erst geboren, meistens sind es Mädchen.
Pakistan liegt auf der Liste der für Frauen und Mädchen gefährlichsten Orte der Welt auf Platz 3 – direkt hinter Afghanistan und dem Kongo.
Wir berichteten schon oft über den Genderzid, den Völkermord am weiblichen Geschlecht in Indien. Dabei gibt es einige Länder, die ebenso gefährlich sind für Mädchen und Frauen. Länder, in denen sie ebenfalls auf Grund ihres Geschlechts unterdrückt, misshandelt, vergewaltigt und/oder getötet werden.
Sughra – Hilfloser menschlicher Abfall
Die zweijährige Sughra wurde von der Polizei auf einem Müllplatz in Karachi gefunden. Dort, wo man hinwirft, was niemand mehr will. Sie blutete. Dass sie überlebte, grenzt an ein Wunder. Nun lebt Sughra in einem Waisenhaus. 45 weitere Kinder leben dort – hauptsächlich Mädchen – , die Ähnliches erlebt haben wie sie.
Hunderte von Kindern werden in Pakistan jährlich ausgesetzt. Andere werden gleich getötet und entsorgt. Viele sind das Ergebnis einer Vergewaltigung, manchmal vom eigenen Ehemann oder dessen Familienangehören. Die Kinder dürfen nicht leben, weil sie unehelich sind, weil sie daran erinnern, wie sie gezeugt wurden, weil sie ein lebender Beweis wären. Niemand will sie haben.
Sie sind ungewollt, überflüssig – Müll eben. Oft werden sie direkt nach der Geburt von der Geburtshelferin in einem Müllsack entsorgt.
Adoptierte Kinder sind nach islamischem Recht unehelich, weshalb Adoptionen bislang nicht stattfanden. Nun hat eine Hilfsorganisation vor laufender Kamera ein Baby seinen Adoptiveltern übergeben und damit für viel Wirbel in Pakistan gesorgt. Nicht etwa wegen der weggeworfenen Kinder, sondern eher darüber, ob es erlaubt ist, ein Kind zu adoptieren. Ob es erlaubt ist, Kinder auf den Müll zu werfen und ihrem Schicksal zu überlassen oder sie gleich zu töten, danach fragt kaum jemand.
Video „Pakistan – Mädchen landen auf dem Müll“
Pakistan, ein gefährliches Pflaster für Frauen und Mädchen
Laut Amnesty International wurden in Pakistan Tausende von Fällen dokumentiert, bei denen Frauen und Mädchen Opfer von Gewalt wurden. Wie auch in Indien wird die Dunkelziffer auf Grund der traditionell untergeordneten Rolle der Frau und der Ächtung der Opfer durch die Gesellschaft deutlich höher liegen. Auch die gezielte Abtreibung weiblicher Föten, das Töten und Aussetzen vornehmlich weiblicher Kinder, Zwangsverheiratung, Kinderhochzeiten, Misshandlungen, Säureattacken, Ehrenmorde, Vergewaltigung erinnern an den Genderzid in Indien, von dem wir schon des Öfteren berichteten.
Auch in Pakistans Justiz – von der Polizei bis zu den Richtern – herrscht Korruption und „Recht“ wird eher nach Geldbeutel und Ansehen des Täters als nach Beweisen (sofern diese überhaupt gesichert werden) gesprochen. Und auch hier gibt es Dorfgerichte, die zwar nicht erlaubt sind, aber dennoch Urteile fällen und deren Vollzug anordnen. Auch Vergewaltigung ist bei diesen Gerichten eine häufige Strafe.
Erschwerend kommt hinzu, dass in Pakistan das islamische Recht – die Sharia – gilt und Richter häufig eher nach religiösem als nach weltlichem Recht urteilen, wodurch sie zum Schutz von Frauenrechten erlassene Gesetzesänderungen quasi aushebeln und einen dahingehenden Fortschritt ausbremsen.
Und es bewegt sich doch
In der Vergangenheit wurden in Pakistan diverse Anschläge auf Frauenrechtlerinnen verübt. Bekanntestes Beispiel ist wohl Malala Yousafzai, das Mädchen, das sich unermüdlich einsetzt für das Recht auf Bildung für Mädchen. Ihre Geschichte ging um die Welt, nachdem sie ein von den Taliban auf sie verübtes Attentat, bei dem sie in den Kopf geschossen wurde, nur knapp überlebte.
Die Geschichte von Kainat
Kainat war gerade 13 Jahre alt und ging in die 8. Klasse. Beim Einkaufen wurde sie von drei Männern überwältigt, verschleppt, unter Drogen gesetzt und von ihnen und einem weiteren Mann vergewaltigt. Das Stammesgericht erklärte Kainat für geächtet und forderte ihren Vater und ihren älteren Bruder auf, sie zu töten. Trotz dieses „Urteils“, obwohl die Männer die Tat abstritten und, obwohl Kainat „entehrt“ worden war, hielt ihre Familie zu ihr. Mit Hilfe eines Menschenrechtsanwalts klagte sie über drei Jahre. Die Männer wurden aus Mangel an Beweisen und freigesprochen, weil der Richter Kainats Aussagen nicht glaubte. Auch nachdem ihr Bruder erschossen wurde – die Familie vermutet, dass dies von Kainats Peinigern veranlasst wurde –, kämpft sie weiter. Sie hat Berufung eingelegt. Und sie geht weiter an die Öffentlichkeit. Bereits während der ersten Verhandlung hat sie sich an die Presse gewandt und gemeinsam mit ihrer Familie öffentlich protestiert.
Kainats Anwalt bezeichnet ihren Kampf als „Kampf voller Hoffnung“. Man könne die beinahe schon revolutionäre „Flut an Aussagen von Frauen“ nicht mehr eindämmen. Er glaube nicht, „dass man die Vergewaltigungsopfer nach Hause schickt und ihnen den Mund verbietet.“
Licht am Horizont – auch für Sughra?
Dass Menschenrechtsorganisationen öffentlich für Frauen und Mädchen eintreten und das Thema Adoption aus der Tabuzone zwingen, ist sicherlich ein erster Schritt für Kinder wie Sughra. Dank Menschen wie Malala Yousafzai darf sie vielleicht von dem neuen Gesetz profitieren, das eine (kostenfreie) Schulpflicht auch für Mädchen im Alter von 5 bis 16 Jahren festlegt. Vielleicht steht auch Sughra eines Tages auf der Straße neben vielen anderen und protestiert – für die Rechte von Mädchen und Frauen mit einem Schicksal wie dem ihren.
Netzfrau Andrea Wlazik
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