„Ist ein Suizidversuch denn eine solche Schande?“
Nachdem sie zwei Versuche überlebte, sich das Leben zu nehmen, will die Journalistin Cara Anna Menschen, die ähnliches erlebt haben, zu mehr professioneller Unterstützung verhelfen.
Als Robin Williams‘ Tod bekannt gegeben wurde, kam es in den Medien in Großbritannien und auf der ganzen Welt zu wilden Spekulationen, was ihn dazu gebracht haben könnte, sich das Leben zu nehmen…
Die amerikanische Journalistin Cara Anna hat die Berichterstattung genau verfolgt. Anders als bei anderen Reportern war ihr Interesse allerdings eher persönlicher als beruflicher Natur. Für jemanden wie Anna, die zweimal versucht hatte, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und die sich seither dafür einsetzt, dass Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, bessere Unterstützung bekommen, war ein weiterer prominenter Todesfall eine nachdrückliche Erinnerung daran, wie viel noch getan werden muss im Bereich der Suizidprävention.
Seit Anna 2010 und 2011 während ihrer Arbeit als Auslandskorrespondentin in China versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, ist die 41-jährige bekannt geworden als Mitglied einer schnell anwachsenden und immer beredteren Schar von Selbstmordversuch-Überlebenden in den USA, die sich „outen“. Sie argumentieren, dass die Zeit längst überfällig ist, das Tabu, das über all den „versteckten“ Suizidversuch-Überlebenden liegt, zur Sprache zu bringen – denn diese fühlen sich zu häufig abgeschottet und ohne den benötigten Beistand, während sie sich erholen.
„Ist es [ein Suizidversuch] denn eine solch fürchterliche Schande, dass wir alle nach einem so traumatischen und dramatischen Ereignis still durch die Gegend schleichen müssen? Erwartet man von uns, dass wir es einfach hinunterschlucken und so tun, als wäre es nie passiert?“
Der Mangel an adäquater Unterstützung für Überlebende in den USA und in anderen Ländern, auch im Vereinigten Königreich ist nicht zuletzt deshalb eine ernste Angelegenheit, weil vorangegangene Suizidversuche einer der Hauptrisikofaktoren für den Tod durch Suizid sind, sagt Anna. Sie findet es umso befremdlicher in Anbetracht der Tatsache, dass jährlich allein in den USA eine Million Menschen einen Suizidversuch begehen. „Das ist keine geringe Anzahl“, sagt sie.
Während Menschen, die mit einer psychischen Erkrankung leben, in den letzten Jahren in Nordamerika und Großbritannien verstärkt darüber sprechen, bleiben Menschen, die einen Selbstmordversuch überlebt haben, im Gegensatz dazu meist im Verborgenen, wie Anna bekräftigt. Sie bewundert Alistair Campbell dafür, dass er nach Williams‘ Tod über seine wiederkehrenden suizidalen Gedanken geschrieben hat, und auch die Anti-Stigma-Kampagne im Vereinigten Königreich, Time to Change, weil diese Überlebenden in ihren Projekten eine Plattform bietet.
Dennoch sind dies seltene Beispiele von Menschen, die aus erster Hand Erfahrungen mit einem Suizidversuch gemacht haben und denen eine Stimme gegeben wird oder die Unterstützung bekommen. Und dies brachte Anna in den letzten drei Jahren dazu, auf öffentlichen Veranstaltungen zu sprechen und Lobbyarbeit für Überlebende zu leisten.
Es war ihre eigene vergebliche Suche nach Selbsthilfegruppen im Internet, die sie aktiv werden ließ. Die große Mehrheit der „Survivor Sites“ und Selbsthilfegruppen, die sie fand, waren für Menschen gedacht, die jemanden durch Suizid verloren hatten.
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„Ich hatte geglaubt, dass es bestimmt Organisationen für Leute wie mich geben würde. Aber meine Überraschung wuchs, als ich herausfand, dass es da nichts gibt. Du findest für alles Selbsthilfegruppen im Internet, somit war dieses große nachhallende Nichts wirklich erschreckend. Existieren wir etwa nach einem Suizidversuch nicht mehr?“
In einem Gastblog auf Campbells Webseite vom letzten Jahr schrieb Anna: „Anonyme Selbstmordforen führten ein Schattendasein und konzentrierten sich auf das Sich-schlecht-fühlen, Sich-nicht-besser-fühlen. Ich versuchte, mich in einem oder zwei Depressionsforen zu beteiligen, aber dort hieß es nur: „Über so etwas reden wir hier nicht“.“
Als Reaktion darauf rief sie mit talkingaboutsuicide.com ihre eigene Unterstützerwebseite ins Leben. Bei den Blogs auf der Seite und den Interviews mit anderen Überlebenden, kommt ihr journalistisches Know-How ihr zugute. Sie wurde schnell im Netz bekannt und bekam schließlich eine Anfrage der Amerikanischen Suizidologie-Gesellschaft (American Association of Suicidology, AAS), die Seite attemptsurvivors.com für sie zu betreuen, wo sie hauptsächlich die Beiträge anderer Überlebender editiert. Beide Seiten verweisen ihre Besucher auf etablierte Organisationen wie etwa Samaritans und Anna macht unmissverständlich klar, dass sie keine Expertin, Therapeutin oder Beraterin ist.
Sie hat sich seit kurzem mit anderen auskunftswilligen Überlebenden zu einer Reihe von Projekten zusammengeschlossen, unter anderem für eine Dokumentation mit dem Titel „The „S“ Word“ [das S-Wort], die 2015 gesendet werden soll und die mit Dese’Rae L. Stage eine andere kreative Überlebende zu Wort kommen lässt. Deren Webseite, livethroughthis.org, benutzt Fotos und Erste-Hand-Berichte von Überlebenden, um das Thema zu entmystifizieren. Anna hat außerdem an „A voice at the table“ [Eine Stimme am Tisch] mitgearbeitet, einer Online-Dokumentation, die dieses Jahr veröffentlicht wird, und an einem Bericht mit dem Titel „The Way Forward“ [Der Weg vorwärts]. Letzterer wurde im Juli als Teil einer Taskforce veröffentlicht, die durch die US National Action Alliance for Suicide Prevention gestartet wurde. Der Bericht schlägt durchschlagende Änderungen der Art und Weise vor, wie Suizidversuch-Überlebende angesprochen und mit einbezogen werden sollen.
Die AAS hat in diesem Jahr „nach Jahren der Nervosität“ hinsichtlich des Einbezugs Überlebender in ihre Aktivitäten eine Spezialabteilung ins Leben gerufen und während ihrer Jahrestagung ein Forum mit dem Titel „new voices“ [neue Stimmen] veranstaltet.
Anna sagt, die Zurückhaltung Überlebender eines Suizidversuchs, wo auch immer sie leben, über ihre Erfahrungen zu sprechen, gründe häufig auf der Angst, dass sie dadurch „definiert“ werden und auf eine bestimmte Art gesehen oder diskriminiert werden könnten. „Es ist ein belastendes Thema“, sagt sie und fügt hinzu, dass die Unmöglichkeit, darüber zu sprechen oder die richtige Unterstützung zu finden, Gefühle der Isoliertheit verschlimmern kann – ein weiterer Risikofaktor für Suizid. Ihre eigene Erfahrung beschreibt sie so: „[Du denkst] Was, wenn sich alle zurückziehen? Was, wenn keiner mehr mit mir reden will?’“
Sie ist begierig darauf, mit Überlebenden und Präventions-Organisationen im Vereinigten Königreich als Teil eines derzeit neu entstehenden internationalen Interessennetzwerkes zusammen zu arbeiten. Anna sagt: „Ich tue mein Bestes, um ein seit Langem bestehendes und wirklich gefährliches Tabu aufzubrechen – gefährlich in dem Sinn, dass Menschen sterben, weil sie zuviel Angst haben, darüber zu sprechen.“
Frei übersetzt aus dem englischen Original „Is attempted suicide just so terribly shameful?“
Netzfrau Katja Seel
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