Die in der letzten Woche verabschiedete UN-Resolution 2178 verpflichtet Staaten zu Maßnahmen, deren Durchführung in einigen demokratischen Ländern nicht so ganz unkritisch betrachtet werden.
Auf der einen Seite erfordert die zunehmende Bedrohung durch die Terrorgruppe IS konketes nationales Handeln, z. B. durch die Verschärfung von Anti-Terror-Gesetzen.
Auf der anderen Seite können verschärfte Gesetze neben ihrer Wirkung als Instrument zur Bekämpfung terroristischer Akte und Gruppierungen durchaus auch Grundwerte wie Freiheit und Demokratie gefährden – was die Gesetzgebung zu einer Gratwanderung macht.
Frankreich: Beratende Kommission für Menschenrechte kritisiert verwaltungsseitige Sperrung von Terror-Webseiten
Frankreich: Die beratende Kommission für Menschenrechte (Commission Nationale Consultative des Droits de l’Homme – CNCDH), hat eine kritische Stellungnahme zur Antiterror-Gesetzesvorlage abgegeben. Die Behörde kritisiert insbesondere die verwaltungsseitige Sperrung von Terrorwebseiten und verlangt, dass die richterliche Instanz wieder in diesen Kreislauf einbezogen wird. Die in erster Lesung von der Nationalversammlung am 18. September 2014 verabschiedete Vorlage zum Antiterrorrgesetz muss noch einige legale Prozeduren durchlaufen, bevor das Gesetz in Kraft tritt.
Die CNCDH, die schon früher das französische Gesetz zur inneren Sicherheit (LOPPSI) angeprangert und verlangt hatte, dass das Recht zur Geheimhaltung von Quellen auch auf Blogger ausgedehnt wird, hinterfragte insbesondere die Maßnahme zur Einführung einer verwaltungsseitigen Sperrung für Terrorwebseiten.
Das Recht, den Zugriff auf eine Webseite zu verhindern, solle dem Ermittlungsrichter übertragen werden, so die Behörde. Der Richter entscheide innerhalb einer kurzen Frist von 48 oder 72 Stunden auf Ersuchen der zuständigen Staatsanwaltschaft (insbesondere aufgrund eines Hinweises bei der Plattform PHAROS), über die Sperrung. Man solle sich zurückbesinnen auf das Subsidiaritätsprinzip. Dieses ermögliche es, illegalen Inhalten im Internet stufenweise entgegen zu wirken. „Bevor das Gericht damit befasst wird, muss der Herausgeber oder der Hoster von der Staatsanwaltschaft aufgefordert werden, den illegalen Inhalt zu entfernen.“, schrieb die CNCDH.
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Die CNCDH hält es für richtig, dass die Regierung Maßnahmen ergreift, um sich den neuen Fomen des Terrorismus anzupassen. Sie ist jedoch der Meinung, dass diese nicht die Rechtsstaatlichkeit untergraben dürften, so lautet sinngemäß die Aussage von Christine Lazerges, der Vorsitzenden der Behörde. Sie erinnert an „das notwendige und heikle Gleichgewicht zwischen dem Bemühen um Effizienz zur Anpassung des Rechtsrahmens an die neuen Bedrohungen für Frankreich und der Wahrung der Grundrechte und der individuellen Freiheiten.“ Es sei notwendig, sich wieder auf die Wurzeln zu besinnen. Frankreichs Stärke sei es, sich auf diese zu konzentrieren, „wenn Andere sich von Angst ernähren“.
„Wenn wir beim Schutz der Grundrechte und der individuellen Freiheit Zugeständnisse machen, wird dies den offensichtlichsten und nachhaltigsten Sieg des Terrors über die Werte bedeuten, die uns tragen.“
Christine Lazerges, Vorsitzende der CNCDH
Der von Innenminister Bernard Cazeneuve unterstützte Gesetzentwurf zielt neben der Bekämpfung der terroristischen Propaganda im Internet außerdem darauf ab, individuelle terroristische Unternehmungen strafrechtlich ahnden zu können, um so-genannte „einsame Wölfe“ besser bekämpfen zu können und Franzosen, die in bestimmte Krisengebiete reisen wollen, davon abzuhalten, das Land zu verlassen. Quelle
Justizminister Maas bezieht Stellung zur Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze
Ähnliche Sorgen hat Justizminister Heiko Maas. Zwar will er „dem IS-Terror mit allen strafrechtlichen Mitteln begegnen“. Er will Gesetze aber nur dort ändern, wo es wirklich nötig ist. So sei der IS in Deutschland bereits verboten. Unterstützungshandlungen können geahndet werden, auch ohne die bestehenden Gesetze zu verschärfen. Auch eine Ausreise sei bereits strafbar, wenn sie der Vorbereitung terroristischer Anschläge diene.
„Wir dürfen nicht aus Angst vor dem IS-Terrorismus unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beschädigen. Wenn wir unseren Rechtsstaat beschneiden, hätten die Terroristen eines ihrer Ziele bereits erreicht.“
Heiko Maas, Justizminister
Grundrechte kontra Sicherheit
Die in der letzten Woche verabschiedete Resolution 2178 soll verhindern, dass weitere gewaltbereite Terroristen in die Krisengebiete ausreisen. Außerdem soll die Sympathiewerbung für und finanzielle Unterstützung des IS strafbar werden, außerdem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe oder der Besuch eines Ausbildungslagers. Zudem sollen die Geheimdienste enger zusammenarbeiten. Die Resolution ist bindend, bei Verstößen hat ein Staat mit wirtschaftlichen und/oder militärischen Sanktionen zu rechnen.
Ein schwieriges Thema: Natürlich ist es wichtig, dass die Länder ihre Grundrechte und Werte schützen. Freiheit und Demokratie dürfen dem Kampf gegen den Terror nicht geopfert werden. Aber ist es in einem demokratischen Land gewünscht und möglich, „mutmaßlich“ an irgendwelchen Geschehnissen beteiligte Personen festzunehmen, sie durch ein Merkmal im Pass als verdächtig zu kennzeichnen oder ihnen gar die Staatsbürgerschaft abzuerkennen?
Auf der anderen Seite geht der IS unglaublich brutal vor: Entführungen, öffentliche Hinrichtungen, Folter, Mord, Vergewaltigungen – selbst von Kindern. Sie sind wie einst die Kreuzritter, sie rauben und morden, kennen weder Ehre noch Skrupel und verstecken ihre barbarischen Taten unter dem Mantel ihres Glaubens. Aber so wie die Gräueltaten der Kreuzritter nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hatten, so haben auch die der IS-Miliz nichts mit dem Islam zu tun. Immer mehr Moslems grenzen sich öffentlich in den Medien oder anlässlich von Demonstrationen – vom Tun des IS ab.
Ausbreitung des Terrors
Der IS ist wie ein Krebsgeschwür des Bösen. Es breitet sich aus und ist kaum einzudämmen. Bekannt ist, dass die Terrorgruppe in Syrien und im Irak ihr Unwesen treibt. Aber auch in Indonesien, Malaysia und auf den Philippinen droht Gefahr.
„In Südostasien haben Extremisten schon ihre Loyalität mit IS beschworen“, sagt Rommel Banlaoi, Direktor des philippinischen Instituts für Frieden-, Gewalt- und Terrorforschung. So auch die indonesische Terrorgruppe Jemaah Islamiyah, die Anschläge bevorzugt auf Touristen-Orte in Indonesien verübt. Oder Abu Sayyaf, die in Malaysia und auf den Philippinen ansässige Terrororganisation, die eine Solidaritätsbekundung mit dem IS auf Youtube veröffentlichte. Die Gruppe entführt Ausländer und erpresst Lösegeld. Andere Gruppierungen wie die größte muslimische Rebellenorganisation auf den Philippinen, die MILF, sympathisieren mit dem IS, lehnen aber deren Kampfmethoden ab.
Der Islam
Viele größere Islamorganisationen bezeichnen den IS als „verboten“.
Uns erreichte der Link zur Übersetzung eines offenen Briefes an IS-Anführer Abū Bakr al-Baġdādī, unterzeichnet von 120 Islamgelehrten. In diesem Brief werden zusammenfassend nachfolgende Punkte unterstrichen:
- Es ist im Islam verboten, ohne die dafür jeweils notwendige Bildung und Kenntnis zu haben, fatwā (Rechtsurteile) zu sprechen. Sogar diese Fatwās müssen der islamischen Rechtstheorie folgen, wie sie in den klassischen Texten dargelegt wurde. Es ist ebenfalls verboten, einen Teil aus dem Koran oder eines Verses zu zitieren, ohne auf den gesamten Rest zu achten, was der Koran und die Hadithe über diese Angelegenheit lehren. Mit anderen Worten gibt es strikt subjektive und objektive Vorbedingungen für Fatwās. Bei der Sprechung einer Fatwā unter Verwendung des Korans können nicht „die Rosinen unter den Versen herausgepickt“ werden ohne Berücksichtigung des gesamten Korans und der Hadithe.
- Es ist im Islam vollkommen verboten, Recht zu sprechen, wenn die arabische Sprache nicht gemeistert wurde.
- Es ist im Islam verboten, Scharia Angelegenheiten zu stark zu vereinfachen und festgelegte islamische Wissenschaften zu missachten.
- Es ist im Islam [den Gelehrten] gestattet, Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Angelegenheiten zu haben, außer in all jenen, welche als die Fundamente der Religion gelten, die allen Muslimen bekannt sein müssen.
- Es ist im Islam verboten, bei der Rechtsprechung die Wirklichkeit der Gegenwart zu missachten.
- Es ist im Islam verboten, Unschuldige zu töten.
- Es ist im Islam verboten, Sendboten, Botschafter und Diplomaten zu töten; somit ist es auch verboten, alle Journalisten und Entwicklungshelfer zu töten.
- Jihad ist im Islam ein Verteidigungskrieg. Er ist ohne die rechten Gründe, die rechten Ziele und ohne das rechte Benehmen verboten.
- Es ist im Islam verboten, die Menschen als Nichtmuslime zu bezeichnen, außer sie haben offenkundig den Unglauben kundgetan.
- Es ist im Islam verboten, Christen und allen „Schriftbesitzern“ – in jeder erdenklichen Art – zu schaden oder sie zu missbrauchen.
- Es ist eine Pflicht, die Jesiden als Schriftbesitzer zu achten.
- Die Wiedereinführung der Sklaverei ist im Islam verboten. Sie wurde durch universellen Konsens aufgehoben.
- Es ist im Islam verboten, die Menschen zur Konvertierung zu zwingen.
- Es ist im Islam verboten, Frauen ihre Rechte zu verwehren.
- Es ist im Islam verboten, Kindern ihre Rechte zu verwehren.
- Es ist im Islam verboten, rechtliche Bestrafungen sowie Körperstrafen (ḥudūd) ohne die Folgen des korrekten Prozedere, welches Gerechtigkeit und Barmherzigkeit versichert, auszuführen.
- Es ist im Islam verboten, Menschen zu foltern.
- Es ist im Islam verboten, Tote zu entstellen.
- Es ist im Islam verboten, Gott – erhaben und makellos ist Er – böse Taten zuzuschreiben.
- Es ist im Islam verboten, die Gräber und Gedenkstätten der Propheten und Gefährten zu zerstören.
- Bewaffneter Aufstand ist im Islam in jeglicher Hinsicht verboten, außer bei offenkundigem Unglauben des Herrschers und bei Verbot des Gebets.
- Es ist im Islam verboten, ohne den Konsens aller Muslime ein Kalifat zu behaupten.
- Loyalität zur eigenen Nation ist im Islam gestattet.
- Nach dem Tod des Propheten – Frieden und Segen seien auf ihm – verpflichtet der Islam niemanden, irgendwohin auszuwandern.
Es lohnt sich durchaus, den Brief vollständig zu lesen. In ihm befassen sich die Gelehrten mit dem Islamischen Staat und dem, was der Koran zu dessen Taten sagt – unbedingt lesenswert!
„IS-Kämpfer, die sind nichts als Banditen.“
Mahmoud Labati, Islamgelehrter, Malaysia
Ich möchte momentan nicht in der Haut derer stecken, die darüber entscheiden, was im Kampf gegen den Terror zwingend notwendig ist und was unsere Grundrechte zu sehr beschneidet. Steht man allerdings auf diesem Drahtseil, hat man auf der einen Seite ein paar kleinere Einschränkungen, auf der anderen Seite der IS – da dürfte die Entscheidung, welche der beiden Optionen einen größeren Verlust an Freiheit und Demokratie bedeutet, wohl nicht allzu schwer fallen…
Netzfrau Andrea Wlazik
Übersetzung: Cédric Samson
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