»Ich bekenne, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen.« Siegfried Lenz
Heute verstarb ein großer Erzähler, einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, Siegfried Lenz.
Siegfried Lenz, der am 17. März 1926 in Lyck, einer kleinen Stadt im masurischen Ostpreußen geboren wurde, zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Seine Bücher sind in rund 30 Ländern, in 22 Sprachen übersetzt, in einer Auflage von mehr als 20 Millionen Exemplaren erschienen. Das berühmteste: „Deutschstunde“ von 1968.
Unvergessen bleibt für mich „SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN“. Ich war noch ein kleines Mädchen, als ich dieses Buch irgendwo auf einem Regal fand und zu lesen begann. Es war einmal ein zärtliches Dörfchen, Suleyken genannt, gelegen irgendwo und nirgendwo in Masuren, zu erreichen… Ich habe damals so über Hamilkar Schaß, den Großvater des Ich-Erzählers, lachen müssen, der durch seine Ausdauer die Poggenwiese für Suleyken rettete. Seither habe ich nie mehr die Masuren vergessen und konnte mir bildlich vorstellen, wie es sein muss, in einem Boot auf einem der vielen Seen zu rudern.
Ein Ring schließt sich, ein Lebensring. Alles hat seinen Anfang, für alles gibt es ein erstes Mal. Wir werden es gewahr bei dem Versuch, uns zu erinnern, sagte er in seiner Rede zum Dank für die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt, der heutigen Stadt Ełk in Polen. Ja, ein Lebensring schließt sich und wir werden uns noch oft an ihn erinnern. Die kleine Stadt Lyck, in der er geboren wurde. Das kleine arme Haus, in dem er bei seiner Großmutter lebte, lag nahe am Lyck-See. So wie er es beschrieb, ist es, als sehe ich es vor mir. Den kleinen Siegfried mit Schlittschuhen auf dem Lyck-See und seine Großmutter wartet auf ihn und macht den Ofen an, damit er sich aufwärmen kann, damit er sich nicht erkältet. Ich könnte noch viel schreiben, über Siegfried Lenz, denn er hat mich durch mein Leben begleitet. Traurig bin ich nicht, dass er gehen musste, denn er hatte ein erfülltes Leben. Er hätte es auch gar nicht haben wollen, denn wie würde er sagen: „Schreibe weiter, schaue nicht tatenlos zu. Worte können etwas bewegen.“ Ein Zitat von ihm macht es deutlich: „Wer zu handeln versäumt, ist noch keineswegs frei von Schuld. Niemand erhält seine Reinheit durch Teilnahmslosigkeit.“
Mit Helmut Schmidt verband Siegfried Lenz eine lange Männerfreundschaft und ich erinnere mich gerade an die Szene, in der Helmut zu Siegfried sagte „Hättest du das gedacht, dass wir uns mal schieben lassen müssen?“ Beide saßen im Rollstuhl, waren alt geworden, aber nicht leise. Beide haben von je her immer gesagt, was sie dachten. So als wären es die letzten Worte, bevor das Leben erlischt.
Aus dem Leben von Siegfried Lenz
Nachdem Lenz aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, ging er nach Hamburg und studierte Philosophie, Anglistik und deutsche Literaturgeschichte, ehe er 1950/51 als Redakteur für die „Welt“ arbeitete. Seit 1951 lebte er als freier Schriftsteller in Hamburg. Bereits mit seinem ersten Roman „Es waren Habichte in der Luft“, gelang es ihm, die Kritiker und die Leser für sich einzunehmen, und bis heute zeichnet sich Lenz‘ Werk dadurch aus, dass es menschliche Schicksale und aktuelle gesellschaftliche Fragen auf eine Weise verknüpft, die literarisch ambitioniert die Bedürfnisse breiter Leserschichten nicht vernachlässigt.
Lenz‘ Bücher sind in rund 30 Ländern und in 22 Sprachen übersetzt in einer Auflage von mehr als 20 Millionen Exemplaren erschienen. Er wurde er mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der Thomas-Mann-Preis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der Bayerische Staatspreis für Literatur, der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main sowie seit dem 2. Dezember 2004 die Ehrenbürgerschaft des Landes Schleswig-Holstein. Diese Auszeichnungen galten dem literarisch unvergleichlichen Werk und sie rühmten immer auch das unerschrockene Engagement des Autors.
„Wissen Sie, ich habe ein unerträglich schlichtes Prinzip: Weitermachen. Weitermachen in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten, die ich habe. Möglichkeiten der Wahrnehmung, Möglichkeiten der Konfliktbetrachtung und der Bewältigung dieser Konflikte am Schreibtisch. Das reicht mir vollkommen aus. Natürlich höre ich gern Witze, natürlich nehme ich gern zur Kenntnis, was die von Ihnen apostrophierte Spaßgesellschaft in die Welt bringt. Es erheitert mich auch. Nur, ich nehme mir die Freiheit zu gestehen, es erreicht mich nicht. Es ist kurzweilig, unterhaltsam, angenehm zu hören, aber bereits zum Vergessen verurteilt von mir persönlich. Soweit ist es. Das ist kein Hochmut, sondern man sucht sich ja das, was einem entspricht und worauf man glaubt, sich festgelegt zu haben: intellektuell, charakterlich usw. Und das entspricht dem, was ich gerade tue und weiß. Ich mache mir da nichts vor, dass ich sehr vieles versäume, aber sehr vieles, was in der Welt geschieht, geht zwangsläufig an einem vorbei, da man nicht so viele Möglichkeiten hat, seine Fühler auszustrecken und wahrzunehmen und für die Bewirtschaftung seiner Konfliktmasse zu reklamieren. Das geht nicht.“ Aus einem Interview, hier finden Sie auch alles zu Siegfried Lenz.
Siegfried Lenz lebte in Hamburg und viele Monate im Jahr auch im Kreis Schleswig-Flensburg in Tetenhusen. Er ist Ehrenbürger von Hamburg und Schleswig-Holstein.
Rede zum Dank für die Ehrenbürgerschaft meiner Geburtsstadt, der heutigen Stadt Ełk in Polen. VON SIEGFRIED LENZ Hat die Zeit am 23.Oktober 2011 veröffentlicht, eine schöne Rede, Sie finden diese hier: http://www.zeit.de/2011/43/Ehrenbuergerschaft-Siegfried-Lenz
Siegfried Lenz starb im Alter von 88 Jahren im Kreise der Familie.
Danke, Siegfried Lenz, für deine Geschichten, die du uns schenktest, die Welt zu verstehen.
Netzfrau Doro Schreier
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