Am 26.10. ist der zweite Wahlgang, die Stichwahl, in dem die BrasilianerInnen ihre Präsidentin/ihren Präsidenten wählen werden. Sie werden entscheiden, ob Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei oder Aécio Neves von der Sozialdemokratischen Partei die Regierung bilden wird.
Das eine Wahlergebnis würde einen Schritt nach vorne bedeuten, im Sinne der breiten Masse, das andere einen Schritt zurück und alleinigen Gewinn für die Reichen.
Warum es dennoch schwer ist, das Ergebnis vorauszusagen…
Was bedeutet der Wahlausgang für Brasilien?
Wenn Aécio Neves Präsident wird, werden die Reichsten wieder schrankenlos machen können, was sie wollen. Staatsausgaben, mit denen den Ärmsten ermöglicht wird, dass ihre Kinder zur Schule gehen und geimpft werden, werden zurückgenommen werden. Die Ungleichheit in Brasilien, das eines der ungleichsten Länder der Erde ist, wird wieder zunehmen. Dies wird geschehen, nachdem unter den Präsidenten der Arbeiterpartei, Lula da Silva und Dilma Rousseff, die Reichen mehr Steuern zahlen mussten und 20 Millionen Menschen aus der verzweifeltsten Armut befreit wurden. Die Reichsten könnten unter einem potentiellen Präsidenten Neves wieder die Löhne senken, ihre Steuern hinterziehen, Arbeitsschutzbestimmungen ignorieren, ihre Bediensteten zur Hausarbeit zu jeder Tages- und Nachtstunde verpflichten, usw.
Eine zweite Amtsperiode für Präsidentin Dilma Rousseff bedeutet einige Schranken für die Reichsten. Die Armen werden mehr unterstützt. Bildung und Gesundheitswesen erhalten etwas mehr. Die Fortschritte des letzten Jahrzehnts werden nicht rückgängig gemacht.
Warum sind viele einfache Menschen, die nicht zu den Reichsten gehören, gegen Dilma? Wie alle brasilianischen Regierungen seit der Militärdiktatur, die 21 Jahre lang Brasilien beherrschte, ist die der Arbeiterpartei korrupt. Vielleicht weniger als die vorherigen, aber noch genug, dass die Menschen zornig und frustriert sind. Sie fragen sich, warum die öffentlichen Krankenhäuser noch so schlecht sind. Sie fragen sich, warum die Grundschulen für die Armen noch mies sind, während für Universitäten, die auch von Kindern der Reichen besucht werden, viel Geld ausgegeben wird. Letztes Jahr, als die Menschen sahen, wie viel Geld für die Fußballweltmeisterschaft ausgegeben wurde (und wie viel davon in den Taschen der Bauunternehmer und ihrer staatlichen Auftraggeber einfach verschwand), demonstrierten Hunderttausende unter dem Motto: „Wir wollen Krankenhäuser und Schulen auf Weltmeisterschaftsniveau! – Escolas padrão FIFA!“
Diese Demonstrationen gaben den korruptesten Politikern sicher zu denken, es nicht gar zu arg zu treiben. Jedoch haben beide Kandidaten, sowohl Dilma Rousseff als auch Aécio Neves, die weitere Zerstörung des Regenwaldes des Amazonas im Programm.
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Unter Aécio Neves wäre sowieso den Reichsten alles erlaubt. Holz des Waldes rauben und Rinder auf die entstehende Savanne treiben? Klar. Die Menschen ermorden, wie 2005 die amerikanische Nonne Dorothy Stang, die die Waldeinwohner gegen den Raub ihrer Lebensgrundlage unterstützte? Kein Problem.
Ein zentraler Punkt, den wir oft nicht verstehen, ist die entscheidende Rolle, die die brutale Gewalt spielt in der Auseinandersetzung zwischen den Ärmsten und den Reichen in Brasilien und die Hemmungslosigkeit, mit der die Reichsten ermorden lassen, wen immer sie als lästig empfinden, wer immer ihnen bei ihren Geschäften hinderlich ist. Dies ist etwas, das leicht zu übersehen ist: Dass die Reichsten ihre kultivierte Sprechweise, ihre Bücherschränke und Theateraufführungen den Morden verdanken an denen, die sie berauben.
Die Armen wollen den Wald schützen, von dem sie leben. Sie schützen damit die Erde, von der wir alle leben. Denken wir daran, dass Bücher und Theateraufführungen allen zugänglich sein können, wenn der Würgegriff der Reichsten auf Land und Ressourcen in Brasilien gelockert wird. Die Kinder der heutigen Reichsten werden immer noch ins Theater gehen können. Die Universitäten werden besser sein, auch für die Kinder der heutigen Reichsten. Die Begabten aller Schichten werden zauberhafte Musik machen können.
In der Wahl zwischen Dilma Rousseff und Aécio Neves ist die Zukunft eines besseren Brasiliens klar auf Dilmas Seite. Aber der Ausgang ist keineswegs klar. Viele frustrierte Menschen sagen vielleicht, probieren wir einmal die andere Partei, nachdem Dilmas Regierung der Korruption keinen Einhalt gebot. Andere sagen, wenn die Reichen zufriedener sind, fallen für uns vielleicht auch mehr Krumen ab.
Aber was ist mit Marina Silva, die selbst dem Amazonas entstammt und die den Schutz des Waldes ganz oben auf ihre Fahnen geschrieben hatte? Warum ist sie gescheitert und hat im ersten Wahlgang die wenigsten Stimmen bekommen? Ganz kurz gesagt: Sie hat sich mit reichen Geschäftsleuten verbündet statt mit den Vereinigungen der Ärmsten. Sie wurde als Kandidatin der Geschäftemacher gesehen. Als ihr Sieg noch wahrscheinlich erschien, stiegen die Aktien an der brasilianischen Börse.
Ich habe Marina Silva zweimal sprechen gehört und bewundere sie sehr. Einmal hat sie mich auf brasilianische Art zum Gruß auf beide Backen geküsst – ich fand das wunderbar. Ich bin traurig über ihre Abwendung von ihren Wurzeln und ihre Zuwendung zu Menschen, denen der Schutz des Waldes und der Flüsse gar nichts bedeutet. Dies ist besonders schlimm, weil in Dilma die Menschen des Waldes und der Flüsse auch keine Verteidigerin haben.
Ein andermal mehr über Marina. War vielleicht ihre Zuwendung zu einer evangelikalen Wohlstandsreligion, nach der Gott seine Liebsten mit viel Geld belohnt, ein Faktor in ihrer jüngsten politischen Entwicklung?
Als Schlussfolgerung bleibt: Was uns am Wichtigsten ist, müssen wir selbst verteidigen. Wir müssen wählen gehen, weil auch kleine Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien große Folgen haben können. Aber wir können nie darauf vertrauen, dass eine Partei, ein Politiker, oder eine Regierung schon für uns sorgen wird. Wir müssen uns klar sein, dass wir selbst persönlich uns mit anderen zusammentun müssen, um zu verteidigen, was uns am Herzen liegt. Wir müssen die Gewalt ächten und Respekt für alle bewusst verteidigen – gegen den unbewussten Rassismus in uns allen, gegen die unbewusste Missachtung der „Ungebildeten“, die einfach die Ärmsten und am meisten Unterdrückten dieser Erde sind. Wir müssen die ethischen Helden ehren, statt die am höchsten zu schätzen, die sich mit den meisten Symbolen des Reichtums, des „Coolseins,“ oder der „Kultur“ zieren. Wir können dies tun, egal wo wir sind – in Deutschland, in Brasilien, in den USA und auf jedem Flecken der Erde.
Netzfrau Maria May
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