Die Story im Ersten: Fukushima – Unterwegs in der größten Nuklearbaustelle der Welt

Fukushima RangaFukushima und die gesamte japanische Gesellschaft werden nie wieder so sein, wie sie vor dem Unfall einmal waren. Die Radioaktivität wird man einfach nicht mehr los.

Wir berichteten, dass Ranga Yogeshwar und sein Team für eine Reportage unmittelbar an den Unglücksreaktoren in Fukushima Daiichi eigene Strahlenmessungen vorgenommen haben. Das Team um den Wissenschaftsjournalisten hat als erstes ausländisches Reporterteam solch umfassenden Zugang und Drehmöglichkeiten gehabt.

Dabei konnten sie sich unter anderem sowohl vom Kontrollraum in Block 1 als auch vom Abklingbecken bei Block 4 ein Bild vom Stand der Aufräumarbeiten machen.

Von den Erlebnissen vor Ort berichtet die Reportage ‚Ranga Yogeshwar in Fukushima’ – Video> ARD Mediathek – Eine erschütternde Dokumentation, die sich jeder anschauen sollte.

Fukushima: „Die Radioaktivität wird man nicht mehr los“

Ranga Yogeshwar und sein Team haben für diese Reportage unmittelbar an den Unglücksreaktoren in Fukushima Daiichi eigene Strahlenmessungen vorgenommen und geben einen Einblick in die zerstörte Anlage. Hier wird auch gezeigt, wie viel cbm hoch kontaminiertes Wasser oberirdisch in großen Behältern lagert. Jeder Behälter fasst 1 Million Liter und 350 Behälter sind es bereits. Täglich kommen 700 cbm stark kontaminiertes Wasser hinzu. Es besteht eine große Gefahr, dass kontaminiertes Wasser ins Grundwasser läuft. Laut der Dokumentation ist eine Kernschmelze nach wie vor nicht abgewendet und das Fazit nach dem wir uns die Dokumentation angeschaut haben, lautet: Fukushima darf nicht vergessen werden.

Im Gespräch mit tagesschau.de berichtet Ranga, wie es in den Sperrzonen aussieht. Hier ein Ausschnitt aus dem Interview: 

tagesschau.de: Was passiert zurzeit in der Anlage?

Yogeshwar: In Fukushima arbeiten bis zu 6000 Menschen. Die Schichten sind sehr kurz, sie dauern zwei bis drei Stunden. Länger hält man das auch nicht aus in solchen Schutzmonturen. Die Lage an Reaktorblock 4 war besonders kritisch, der Block drohte einzustürzen. Dabei war das sogenannte Abklingbecken dort mit vielen Brennstäben gefüllt. Tepco hat eine riesige Konstruktion mit einem gigantischen Kran gebaut. Mit einer eigens entwickelten Abschirmhülse werden diese Brennstäbe nun nach und nach herausgezogen. Es ist durchaus realistisch, dass bis Ende des Jahres alle Brennstäbe dort herausgezogen sind.

tagesschau.de: Probleme gibt es aber mit kontaminiertem Wasser?

Yogeshwar: Die Reaktorblöcke müssen immer noch gekühlt werden, da fließen hunderttausende Liter Wasser pro Tag. Dieses kontaminierte Wasser wird dann in großen Wassertanks gespeichert. Auf dem Gelände sieht man eine Landschaft, die zutapeziert ist mit diesen gigantischen Tanks. Irgendwann wird der Platz einfach eng. Man versucht nun, sogenannte Nuklidreinigungsanlagen zu bauen. Das läuft aber noch nicht wie erhofft. Damit kein kontaminiertes Wasser ins Grundwasser oder Meer gelangen kann, soll nun eine Barriere konstruiert werden: Dazu will man den Boden auf mindestens einem Kilometer Länge tiefgefrieren.

tagesschau.de: Sie sind Physiker. Wie stark haben Ihre Erlebnisse den Wissenschaftler in Ihnen erschüttert?

Yogeshwar: Man sieht eben ganz deutlich: So eine Katastrophe kann man nicht mehr ausradieren. Man kann zwar Häuser sanieren – und das machen die Japaner auch sehr gewissenhaft – aber dann läuft aus den Büschen und Wäldern doch wieder kontaminiertes Wasser in die Gärten. Die Radioaktivität wird man einfach nicht mehr los. Das gibt schon zu denken und man fragt sich, wie es um die Kernenergie überhaupt bestellt ist. Wenn schon die Japaner so große Probleme haben, die Folgen dieses Unfalls in den Griff zu kriegen, liefe das bei uns garantiert nicht anders ab.

Das ganze Interview finden Sie hier auf Tagesschau.de.

Ranga Yogeshwar hat Achtung vor dem Einsatz der Japaner. Aber am Ende sind die Menschen dort vergebliche Helden: Fukushima und die gesamte japanische Gesellschaft werden nie wieder so sein, wie sie vor dem Unfall einmal waren. Wir haben Rangas Reise nach Fukushima verfolgt und sind gespannt, welche weiteren Informationen er aus Fukushima mitgebracht hat.

Der Wissenschaftsredakteur und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar in Fukushima.

Er drehte dort mit seinem Team über Fukushima und schrieb am 13. September auf seiner Facebook- Seite:

„Heute möchte ich euch ein paar Details der Anlage erläutern. Wie bereits gesagt, ist das Filmen unter diesen Rahmenbedingungen alles andere als einfach, und ich bin begeistert von unserem Team (Danke Rüdiger, Timo und natürlich auch Reinhard!!!)

Neben der Schutzkleidung ist die Vollgesichtsmaske ein echtes Problem, denn bei den Temperaturen schwitze ich und kann mir die Schweißperlen nicht abwischen. Durch den Sucher zu schauen ist eine Herausforderung und auch die Bedienung der völlig verpackten Kamera bzw. des Fotoapparates ist mühsam. In der Anlage darf man zudem einige Dinge aus Sicherheitsgründen nicht abbilden.

Manchmal erzählen Bilder versteckte Geschichten:
Entlang der Straße erkenne ich einen blauen Feuerwehrschlauch. Damit wurde versucht, den Reaktor unmittelbar nach der Havarie zu kühlen. Noch immer ist diese Kühlung nötig und in der Reaktorwarte konnte ich auch den Flussmesser ausmachen.

Auf der Anzeige erkennt man, dass über zwei Leitungen 2,05 und 2,53 m3 Wasser in der Stunde fließen, also ca. 4500 Liter pro Stunde, macht 108 Tonnen pro Tag und das nur für Block 1. Insgesamt fallen etwa 400 Tonnen Wasser an und etwa dieselbe Menge tritt über das Grundwasser in die Anlage. Auf dem Gelände fallen also etwa 800 Tonnen kontaminiertes Wasser pro Tag an. Dieses Wasser wird in große Tanks gepumpt um dann später gereinigt zu werden. Das Gelände ist voller Wassertanks!!!

Die Techniker versuchen, über eine Nuklidwaschanlage das verseuchte Wasser von den radioaktiven Isotopen zu reinigen. Die erste Versuchsanlage hatte viele Probleme, doch inzwischen sind zwei weitere Anlagen im Bau, die in wenigen Wochen ihren Betrieb aufnehmen. Die Halle wird gebaut und das ganze ist eine Fabrik.

Für diese Leistung zolle ich den japanischen Technikern Respekt, denn in diesen Dimensionen wurde das noch nie gemacht. Falls das funktioniert, und das hoffen hier alle, könnte man einen geschlossenen Kühlkreislauf bauen, sodass kein zusätzliches Wasser anfällt.

Im Kontrollraum entdeckte ich auch eine weitere aufschlussreiche Anzeige: Eine Windanzeige mit einer Reihe von Messstellen.

Als wir drehen, bläst der Wind mit 4,1 m/s Richtung Nordosten. Aufschlussreich sind die Anzeigen der Dosismesspunkte: MP-1, MP-2 etc. Alle zeigen Messwerte weit über dem roten Bereich. Während der Katastrophe blies der Wind einen großen Teil des radioaktiven Staubs hinaus auf den Pazifik, bis auf einige Phasen, in denen die Radioaktivität Richtung Nordwesten wanderte. Bei dieser Anzeige gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Man stelle sich nur vor, der Wind hätte noch mehr radioaktive Staubteilchen ins Landesinnere transportiert – womöglich Richtung Südwest – also Richtung Tokio!!!

Die Japaner hatten in gewisser Weise noch „Glück” im Unglück.

Bei der Explosion von Block 1 wurde das Dach zerstört. In der Folgezeit hat man ein provisorisches Dach über den Reaktor gestülpt, doch für die weiteren Arbeiten möchte man das Dach öffnen, um so Zugang ins Innere zu bekommen. In der Region gibt es jedoch Proteste, denn sollte etwas schief gehen, würde erneut Radioaktivität ins Umland gelangen. Über klebrige Sprays möchte man daher zuvor den Staub im Innern binden …

Zu den vielen abstrusen Aspekten dieser Katastrophe zählt auch ein besonderer Ort: J-Village. Es handelt sich um eine Fußball-Ausbildungsanlage ca. 20 km südlich der Reaktoranlage Fukushima-Daiichi.

Dieses Trainingscamp wurde zum Krisenzentrum umfunktioniert. Auf einem der Fußballfelder stehen die Wohncontainer – eine seltsame Kombination. Hier wird auch bei den Mitarbeitern der sog. Whole Body Count durchgeführt. Dabei wird die Radioaktivität im Körper genau erfasst; Das ist wichtig, denn es ist besonders gefährlich, wenn Staub etc. in den Körper gelangt und somit auch länger verbleibt.

Von hier aus starten die Arbeiter in den Schichten per Bus, immer Richtung Reaktoranlage. Mit zwei besonderen Personen habe ich länger sprechen können: Herr Tadafumi ASAMURA leitet die Arbeiten am „Ice-wall”. (Durch das Vereisen des Bodens will man einen Schutzwall erreichen.) Er ist sehr sympathisch und wirkt auf mich auch sehr kompetent. Der Ingenieur hat zwei große Töchter und zu Beginn wollten sie nicht, dass ihr Vater hierher kommt. Ähnlich war es auch bei Herrn Yuji SAYO. Er ist 60 Jahre alt und koordiniert die Bohrungen Vorort. Als ich ihn frage, ob er Angst hat, sagt er: „Ja, jedoch will ich meinen Enkeln ein gutes Land überlassen”.

Ich habe große Achtung vor diesen Menschen, die oft selbstlos unter diesen sehr schweren Bedingungen arbeiten. Diese Haltung ist bewundernswert und ich frage mich, ob wir in Deutschland nicht mitunter unfair mit diesen Menschen umgehen. Ich war sowohl in Tschernobyl als auch hier und kann die Dinge daher ganz gut vergleichen. Die Japaner leisten Großartiges und trotz aller Rückschläge habe ich wirklich Respekt vor dem, was hier umgesetzt wird.

In technologischer Hinsicht sind sie hervorragend aufgestellt und die Umsetzung ist bemerkenswert. Bei vier zerstörten Reaktorblöcken und vielen Quadratkilometern kontaminierter Erde geben sie nicht auf und gehen mit großer Energie die Dinge an.

In Deutschland hört man immer nur schlechte Berichte. Vielleicht ist es an der Zeit, die Dinge etwas objektiver zu betrachten … Soweit zwischendurch.

Cheers Ranga  (8 Fotos)

Weitere Fotos und Berichte von Ranga können Sie auf seiner Facebook-Seite finden: https://www.facebook.com/pages/Ranga-Yogeshwar/221408874579947?fref=ts

Wir bedanken uns bei Ranga und seinem Team für seine Berichterstattungen und freuen uns schon jetzt auf seine Dokumentation, heute ARD – leider erst um 22:45 Uhr.

Nach allem, was wir bereits über Fukushima berichtet haben, müsste doch jede Regierung gegen Atomkraftwerke sein, aber die Regierung Japans scheint unbelehrbar. Auch nach all den Naturkatastrophen, ob nun Erdbeben oder Vulkane: Die Regierung in Tokio will derweil an ihrem Atom-Kurs festhalten. Und nicht nur Japan, die Europäische Kommission hat die umstrittenen Subventionen für das Atomkraftwerk Hinkley Point C in England genehmigt. [Lesen Sie dazu: Skandalöse Entscheidung für Atomkraftförderung! EU-Kommission genehmigt Subventionen für AKW Hinkley Point in England]

Netzfrau Doro Schreier

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