„Herr Gabriel, welcher Teufel hat Sie geritten?
Wirtschaftsminister Gabriel sagte auf dem diesjährigen Deutschen Arbeitgebertag „..Hartz IV für Kraftwerke, nicht arbeiten, aber Geld kriegen…“ und nannte die Debatte um das Freihandelsabkommen putzig und Eltern würden ihr Kind ja auch in einen Swimmingpool schicken, da wäre mehr Chlor, als ein Hühnchen in den USA je gesehen hat.
Gabriel will lieber einen guten Draht zur Wirtschaft als zur Arbeiterklasse, für die die SPD einst stand, denn wie sind sonst seine Aussagen zu verstehen? Damals war sie eine Arbeiterpartei. Heute weiß anscheinend die SPD nicht mehr so genau, für wen sie da ist. Und genau das zeigte sich gestern auf dem Deutschen Arbeitgebertag, eine jährlich stattfindende Spitzenveranstaltung der deutschen Wirtschaft mit 1500 Gästen in Berlin.
Am 4. November sprach Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf dem diesjährigen Deutschen Arbeitgebertag in Berlin über die wirtschaftspolitischen Ziele und Vorhaben der Bundesregierung. Für die nachhaltige Erneuerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas brauche es mehr Investitionen, eine systematischere Energiepolitik, verstärkte Anstrengungen zur Fachkräftesicherung und die konsequente Nutzung der Potenziale der Digitalisierung, so Gabriel laut der Webseite der Regierung. Aber irgendwie scheint er ganz vergessen zu haben, wofür die SPD eigentlich steht.
SPD: „Wir wollen Arbeit, von der die Menschen gut leben können und die ihre Würde wahrt. Gute Arbeit bedeutet Sicherheit und ermöglicht Teilhabe. Arbeit prägt unser Leben und ist die Grundlage unseres Wohlstandes.“
Genau dafür sollte die SPD stehen, doch was hatte sich Gabriel dabei gedacht, als er Hartz IV mit Kraftwerksbetreibern verglich.
Gabriel Minute 27-29: „… es kann nicht sein, dass wir alle Überkapazitäten über den Strompreis subventionieren, Hartz IV für Kraftwerke, nicht arbeiten, aber Geld kriegen…“
Hartz IV: Schauen wir zurück und zwar in das Jahr 2002, denn da begann das, was heute als Hartz IV bekannt ist.
Das Hartz-Konzept ist eine Bezeichnung für Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, die in Deutschland unter der Leitung von Peter Hartz tagte und im August 2002 ihren Bericht vorlegte.
Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder setzte die Kommission ein. Sie unterbreitete Vorschläge, wie die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effizienter gestaltet und die staatliche Arbeitsvermittlung reformiert werden sollte. Anlass dafür war unter anderem das Bekanntwerden von geschönten Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit, über deren Vermittlungserfolge und über den Umfang des Verwaltungspersonals (etwa 85 000) im Verhältnis zur Zahl der Vermittler (etwa 15 000). Ziel des Hartz-Konzeptes war es, innerhalb von vier Jahren die Arbeitslosenzahl von damals vier Millionen zu halbieren.
Was hat uns Hartz IV wirklich gebracht?
Gleiche Arbeit – weniger Geld
Früher nannte man diese Firmen SEELENVERKÄUFER – sie vermieteten Arbeiter an andere Firmen, meist in anderen großen Städten.
Wahlweise wurden diese meist kleinen Unternehmen auch Seelenvermieter genannt.
SEELENVERKÄUFER – ein uralter Begriff, die Bezeichnung für ein nicht mehr ganz fahrtüchtiges, unsicheres Schiff.
Diese Form der modernen Sklaverei ist mittlerweile salonfähig geworden und wird sogar von der Regierung unterstützt.
Schon 2002 wurde mit dieser Schlagzeile auf Hartz aufmerksam gemacht:
„Arbeit auf Abruf – Die Hartz-Kommission will Erwerbslose in die Zeitarbeit drängen. Die Branche freut sich schon.”
Peter Hartz, bekannt aus dem nach ihm benannten Harz IV, war der Meinung, dass Zeitarbeit für viele eine Brücke sei, eine Probezeit, eine Eingewöhnung in das Arbeitsleben, der Weg zu einem festen Job. Für Konzerne bedeutete es, dass für die Stammbelegschaft geltenden teuren Tarifverträge und ebenso der Kündigungsschutz umgangen werden kann. Ausfallzeiten der Zeitarbeiter gehen zu Lasten des Verleihbetriebs.
Glaubte man den Statistiken der Zeitarbeitsbranche, hatte Hartz Recht. Rund eine halbe Million Menschen wurden von den etwa 3800 deutschen Verleihfirmen im Laufe des Jahres 2000 übernommen, 60 Prozent von ihnen hatten vorher keine Stelle und 236 000 fanden im gleichen Jahr über den Umweg Zeitarbeit einen festen Arbeitsplatz. Manpower, neben Randstad und Adecco, zwei der Großen am Zeitarbeitsmarkt der Bundesrepublik, vermittelten im vergangenen Jahr 2300 Langzeitarbeitslose und 7700 Arbeitssuchende ohne Ausbildung in eine Beschäftigung. Bei den meisten Arbeitsämtern werden die Verleiher längst als wichtige Partner anerkannt.
Deutschland ist übrigens das Niedrig-Lohn-Land und – Weltmeister im Lohndumping.
Mittlerweile sind die Regeln der Leiharbeit strenger geworden. Unternehmen aus Handel und Industrie wissen, diese zu umgehen. Viele Unternehmen drücken die Löhne jetzt mithilfe von Werkverträgen. Dabei übertragen Unternehmen zentrale Aufgaben an Subunternehmen. Diese Subunternehmen werden pro sogenanntes Werk bezahlt. [Mehr Informationen: Gleiche Arbeit – weniger Geld – Peter Hartz und seine Reform]
Zu dem Vergleich Energieversorger und Hartz IV
ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany, so steht es in den ICSID-Akten. Streitpunkt: die finanziellen Folgen des deutschen Atomausstiegs. Exakt 4 675 903 975,32 Euro fordern die Schweden von der Bundesregierung zurück – zuzüglich vier Prozent Zinsen – weil der Bund nach der Katastrophe von Fukushima die Pannenkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel wegen Sicherheitsbedenken aus dem Verkehr zog.
Nun fragen wir Sie, Herr Gabriel, wie kommen Sie auf den Vergleich mit Hartz IV? Nicht arbeiten, aber Geld? Dieser Vergleich ist eines SPD-lers nicht würdig und schon gar nicht gegenüber Hartz IV-lern, die verzweifelt versuchen, Arbeit zu bekommen. Und bekommen sie Arbeit, dann meist nur bei irgendwelchen Zeitarbeitsfirmen mit gravierenden Folgen. Keine Sicherheit, wo man sich morgen wiederfindet, und die Löhne sind weitaus niedriger als die Tarifgehälter bei Festangestellten.
Gabriel und das Freihandelsabkommen TTIP
Gabriel bekennt sich mal wieder als Fürsprecher für das Freihandelsabkommen TTIP. Das bringt ihm eine Menge Beifall bei den Gästen ein, wo auch einige ehemalige Minister zugegen waren, die noch vor kurzem auf der Regierungsbank saßen, doch nun die Seiten gewechselt haben wie der Herr Niebel. Seine Begründung sollte so manchen Verbraucher hochschrecken und sich erneut fragen, welcher Teufel ihn geritten hat.
Gabriel in der Min. 31,41: „ …das wir sozusagen aus Angst vor der eigenen Courage die letzte, vielleicht letzte Chance verpassen, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten die Bedingungen des Freihandels in der Welt zu bestimmen und zwar mit besseren Standards als in der Vergangenheit. Verpassen wir diese Chance, wird das nächste Abkommen das die Welt bestimmt, das Abkommen zwischen den USA und China sein…“
Auch hier hätte sich Wirtschaftsminister Gabriel besser erkundigen müssen. Kennen Sie die Trans-Pacific Partnership?
Die 12 TPP-Länder, zu denen auch Australien, Brunei, Kanada, Chile und Neuseeland zählen, versuchten zunächst das Abkommen bis Ende 2013 durch zu bekommen, aber diese Fristsetzung wurde vor allem wegen des Japan-US-Gezänks verfehlt. Die TPP würde eine gewaltige Freihandelszone am Rande des Pazifiks ergeben, die rund 40 Prozent des globalen BIP und ein Drittel des gesamten Welthandels umfassen. [Siehe: Wir decken auf: Nicht nur TTIP, nein auch TPP – Aktuell aus Singapur!] Mittlerweile wurden auch Mexiko und Kanada zu den Verhandlungen eingeladen. Da die TPP weiteren Ländern offen steht, ist mit einer steigenden Mitgliedschaft zu rechnen. Langfristig hoffen die USA auf die Weiterentwicklung zu einer »Free Trade Area of the Asia Pacific« (FTAAP). Herr Gabriel, wenn die TTIP nichts wird, macht nichts, das Augenmerk der USA liegt eh bei TPP:
Denn TPP ist nicht nur in wirtschaftlicher Sicht interessant für die USA, sondern würde auch ihren strategischen und geopolitischen Interessen in der Asien-Pazifik-Region dienen. Viele asiatische Staaten sind an einem Engagement der USA in der Region interessiert, um ein Gegengewicht zur militärischen und wirtschaftlichen Dominanz Chinas zu schaffen. Doch vielleicht hat man Ihnen das auch bei Ihrem letzten Besuch in den USA kundgetan.
Chlorhühner in den USA
Gabriel ab Minute 32.18: „…es war ja schon eine putzige Debatte, das monatelang über etwas debattiert wurde, was gar nicht Gegenstand des Freihandelsabkommen ist, aber ansonsten Menschen gerne in die USA fahren und dort Hühnchen essen. Oder ihre Kinder in Schwimmingspools schicken, wo mehr Chlor ist, als jedes Huhn in den USA je erlebt haben wird. Erleben werden sie ja es eh nicht… bin mir auch nicht sicher, ob das Füttern mit Antibiotika in der europäischen Landwirtschaft in Europa gesünder ist als das Abtöten der Bakterien mit Chlor, bin nicht so ganz sicher… wir müssen die Debatte wieder entmystifizieren… wir dürfen das Thema nicht so kaputtreden, dass…“
Herr Gabriel, wie können Sie behaupten, dass Menschen in die USA fahren, um dort ein Chlorhühnchen zu essen, und wo sollen Eltern ihre Kinder sonst zum Schwimmen schicken, wenn nicht in einen Swimming-Pool, damit meinen Sie sicher das Hallenbad. Das Thema Chlor in Hallenbädern steht schon lange zur Debatte, dann brauchen wir nicht noch Hähnchen, die mit Chlor behandelt wurden.
Und zu den Antibiotika: Ist es nicht an der Zeit, dass hier die Regierung aktiv wird? Wir wollen weder ein Chlorhühnchen noch ein mit Antibiotika gefüttertes Huhn. Und eine putzige Debatte ist es schon gar nicht. Denn wären Sie informiert, wüssten Sie, was die bisherigen Freihandelsabkommen mit den USA gebracht haben, zum Beispiel das Monsanto-Gesetz, und auch sonst wehren sich bereits viele Länder, mit denen ein Freihandelsabkommen abgeschlossen wurde. [Lesen Sie dazu: Medien schweigen: Trotz Bedingung für DR-CAFTA – Umstrittenes Monsanto-Gesetz in Guatemala aufgehoben]
Deutscher Arbeitgebertag: Sigmar Gabriel zu Bürokratieabbau & Steuerpolitik am 04.11.2014
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Herr Gabriel, Sie sollten die Ängste der Bürgerinnen und Bürger schon ernst nehmen und nicht als „putzig“ darstellen, denn wir führen absichtlich vorher Debatten und nicht erst, wenn es zu spät ist. Außerdem raten wir Ihnen, die SPD wieder dahin zu führen, wofür Sie einst stand, denn nicht die Konzerne werden Sie zu einem Kanzler machen, wie Sie es sich vielleicht wünschen, sondern die Wählerinnen und Wähler. Und das sind Bürgerinnen und Bürger, die solche Aussagen, wie Sie sie tätigen, nicht vergessen.
Dieser Beitrag beeinträchtigt nicht die Neutralität der Netzfrauen.
Netzfrau Doro Schreier
Herr Gabriel…Sie fahren die Energiewende an die Wand!
Die frisch angeheuerte Crew ist an Bord – Wie viel erhält ein Bundestagsabgeordneter?
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