Am Wochenende stimmen im Kanton Luzern die LuzernerInnen über eine Änderung des Universitätsgesetzes ab. Bleibt die Lehr- und Forschungsfreiheit die Aufgabe der öffentlichen Hand oder bestimmen Wirtschaftskonzerne und Schweizer Banken, wie die zukünftigen Lehr- und Forschungsinhalte aussehen und wer welchen Lehrstuhl besetzen wird?
Seit 2006 wird dem Lebensmittelriesen Nestlé im Bereich der Hirnforschung an der bundeseigenen Technischen Hochschule ETH Lausanne (Eidgenössische Technische Hochschule) ein vertraglich zugesichertes Vetorecht auf Forschungsinhalte und die Besetzung von Lehrstühlen eingeräumt. Im Gegenzug dazu finanziert Nestlé der ETH Lausanne mit jährlich zehn Millionen zwei Lehrstühle und mit weiteren zwei bis vier Millionen Schweizer Franken Forschungsprojekte. Da gewisse Nahrungsmittel die Hirnleistung möglicherweise beeinflussen können und dies ein großer Markt für Nestlé wäre, wird deutlich, aus welchem Grund sich der Lebensmittelkonzern in diesen Forschungsbereichen finanziell „engagiert“. Quelle
Netzfrauen berichteten erstmalig am 19. November 2013: „Polizeieinsatz an der Uni Basel bei Vortrag von Paul Bulcke, CEO von Nestlé.
Was ist das für eine Uni…
ein offener Brief von Katharina Baur
…an der bewaffnete Polizeibeamte die Eingänge kontrollieren?
…bei der wir vor Betreten gefilzt werden?
…in der der CEO von Nestlé über gesellschaftliche Verantwortung referiert? [Lesen Sie dazu: “Nestlégate” Kritik unerwünscht! Wegen Flyern gegen Nestlé – Polizeieinsatz an der Uni]
In Luzern so wie in vielen anderen Kantonen und Ländern auf der Welt sind die öffentlichen Kassen leer infolge von Steuergeschenken an Reiche und Unternehmen. Kein Wunder, dass somit eine Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Privatwirtschaft immer häufiger in Betracht gezogen wird. Es scheint für die politischen Akteurinnen und Akteure, ob in der Schweiz oder andernorts auf der Welt, leichter zu sein, Bildung als Aufgabe der öffentlichen Hand aus der Hand zu geben als Steuergeschenke wieder zurückzufordern.
Luzern plant trotz leerer Kassen eine neue Fakultät, die von Banken, Versicherungen und weiteren Großsponsoren mit notwendigen vier bis fünf Millionen Schweizer Franken finanziert werden soll. Eine großzügige Geste der Geldgeber oder eine Investition mit aussichtsreichen Gewinnchancen?
Die Universität Zürich erhält bis mindestens 2022 von der UBS eine Finanzhilfe, um den Aufbau eines Forschungszentrums zu finanzieren. Der Vertrag sollte geheim gehalten werden, bis zwei Journalisten der Geheimniskrämerei ein Ende bereiteten. Quelle
Die Glaubwürdigkeit der Universität sowie die Unabhängigkeit von Lehre und Forschung sind stark gefährdet. Großkonzerne können auf Personalvorschläge Einfluss nehmen oder sie sogar verhindern. Alles eine Frage der vertraglichen Regelung?
Die Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern und Partnern im Bildungsbereich bleibt unsicher und birgt die Gefahr, dass die öffentliche Hand im Bedarfsfall trotzdem einzuspringen hat. Der Verteilungs- und Konkurrenzkampf innerhalb der Unis und Fakultäten ist vorprogrammiert, Sparmaßnahmen sind die Folge. Die Schweizer Regierung sowie das Parlament lehnen eine vollständige Transparenz bei der Finanzierung von Universitäten durch private Geldgeber ab.
UBS- und Nestlé-Fakultäten anstatt öffentliche Universitäten in der Schweiz? Wie werden die LuzernerInnen abstimmen? Privatisierung im öffentlichen Sektor bleibt ein Thema weltweit und auch in der „reichen“ Schweiz.
Dominik Crimi und Ulrike Göking
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