Wenn das Thermometer sinkt, wird das Leben auf der Straße für viele Obdachlose zum Überlebenskampf. Jede Nacht geht es nur ums nackte Überleben. Notunterkünfte sind überlastet und immer mehr Obdachlose brauchen einen Schlafplatz.
In vielen Ländern Europas steigt, verschärft durch die Wirtschaftskrise, die Zahl der Obdachlosen. Doch anstatt zu helfen, werden in einigen Länder Bußgelder verhängt, Obdachlose sind nicht erwünscht.
Auch in einem reichen Land wie Deutschland leben Menschen auf der Straße. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Aber statt die Armut zu bekämpfen, werden Arme auch hier aus den Innenstädten vertrieben. Der Kampf gegen die Armut hat sich zum Kampf gegen die Armen gewandelt.
In Spanien trat in Januar die neue „Verordnung über das Zusammenleben im öffentlichen Raum“ in Kraft: Strafen von 1500 Euro für Bettelnde mit Kind sowie unerlaubtes Campieren im öffentlichen Raum. In Spanien werden immer mehr Menschen zwangsgeräumt und landen auf der Straße.
Hier erwarten sie dann Bußgelder, wenn sie in der Öffentlichkeit auf Straßen übernachten. Mehr Informationen: Jeden Monat ca. zehntausend Familien zwangsgeräumt! Übernachten auf den Straßen Madrids mit Strafe belegt.
In London sind Obdachlose nicht erwünscht. In den vergangenen drei Jahren sei allein die Zahl der Menschen, die in London auf der Straße schlafen, um 75 Prozent gestiegen, zitierte der „Guardian“, eine Hilfsorganisation. Demnach lebten 2013 mehr als 6400 Leute in der britischen Hauptstadt auf der Straße. Damit sich Obdachlose nicht in windgeschützte Hauseingänge niederlassen können, werden Metallspieße angebracht, die aus dem Boden ragen.
In Frankreich sind sogar Zehntausende trotz Jobs obdachlos. Eine vom französischen Statistikamt Insee veröffentlichte Studie zur Beschäftigungslage französischsprachiger Obdachloser kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Jeder vierte Obdachlose in Frankreich hat eine Arbeit. Das Gehalt reicht nicht aus, um eine Wohnung zu halten. Die Hälfte der obdachlosen Frauen sind als Haushaltshilfe, in der Kinderbetreuung oder als Krankenpflegerin tätig.
Rund 60 000 Frauen leben schätzungsweise in Deutschland auf der Straße. Sie neigen stärker dazu, ihre Not zu vertuschen, leben meist in verdeckter Wohnungslosigkeit. Besonders obdachlose Frauen leiden unter dem Klischee der herumlungernden Obdachlosen und versuchen, nicht aufzufallen: Sie verstecken sich, werden unsichtbar und nicht selten Opfer sexueller Ausbeutung. In Köln wurde die Initiative H.i.K. Heimatlos in Köln gegründet, ihr Ziel ist es, eine Begegnungsstätte zu erschaffen, die speziell auf die Bedürfnisse von obdachlosen Frauen ausgerichtet ist und zum Abbau von Klischees und Vorurteilen gegenüber Obdachlosen beiträgt. [Mehr Informationen erhalten Sie hier: H.i.K. Heimatlos in Köln]
Auch Straßenkinder trifft man überall, auch hier in Deutschland, ob in Parks, auf Bahnhöfen, auf alten Fabrikhöfen – sie sind unter uns.
In den USA sind fast 2,5 Millionen Kinder obdachlos. Die Zahl der Minderjährigen ohne eigene Wohnung ist damit so hoch wie nie zuvor, wie aus einem Bericht des National Center on Family Homelessness hervorgeht. Auch hier die gleichen Gründe wie in Europa: hohe Armutsquote, zu wenig bezahlbarer Wohnraum und die Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Menschlichkeit geht anders…
Nicht nur Obdachlose werden bestraft, in Florida kommt es zur Zeit zu einer richtigen Verhaftungswelle, denn Obdachlose mit Nahrung zu versorgen, ist ein Schwerverbrechen, geahndet mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 60 Tagen und ein Bußgeld in Höhe von 500 $. Arnold Abbott hat bereits die Stadt Fort Lauderdale verklagt. 90-Jähriger Arnold Abbott wieder verhaftet – Obdachlose mit Nahrung zu versorgen ein Schwerverbrechen.
Zeltstädte für Obdachlose
In den USA werden die dramatischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise immer deutlicher. Täglich verlieren Menschen ihr Zuhause und landen auf der Straße. Obdachlosenheime sind überfüllt und so entstehen immer mehr provisorisch errichtete Zeltstädte in Amerikas Großstädten.
Während in Detroit vierzig Menschen in einer quer durch Amerika laufenden Aktion für eine Nacht in die Rolle Obdachloser schlüpften, hat die Stadtregierung in Seattle unlängst die Entscheidung getroffen, ein Sonderbudget für Obdachlose zu genehmigen. Mit diesen 100 000 $ sollen Zeltstädte errichtet werden, die Toiletten haben, Strom, Wasser, Müllabfuhr, Kochgelegenheiten und Internet-Zugang. Dieser würde den Obdachlosen erlauben, nach offenen Stellen zu suchen, zu kommunizieren und einen Zugang zu Nachrichten zu haben. Internet ist kein Luxus mehr, wird gesagt, sondern ein menschlicher Service, der jedem zugänglich sein soll.
Die Meinungen darüber gehen weit auseinander, auch in den Dutzenden von Zeltstädten in und um Seattle.
In Detroit hingegen brachte diese eine Nacht des „Sleep Out“ für eine Nonprofitorganisation, Covenant House Michigan, die sich um obdachlose Jugendliche kümmert, die stolze Summe von 200 000 $. Und alle, die die Nacht in den zur Verfügung gestellten zwei Pappkartons und einem Schlafsack verbrachten, denken jetzt wohl auch anders über Obdachlosigkeit.
Das Detroit Event war nur eines von mehr als einem Dutzend derartiger quer durch Amerika. Bisher wurden von 1000 Mitmachenden 4,5 Millionen $ „erschlafen“. Ganz ohne Internetzugang.
„Obdach“ bedeutet Unterkunft oder Wohnung. Obdachlosigkeit wird definiert als Zustand, in dem Menschen über keinen festen Wohnsitz verfügen und im öffentlichen Raum, im Freien oder in Notunterkünften übernachten.
In Wien steigt die Zahl der Obdachlosen seit Jahren stetig an. 2013 gab die „Gruft“ (Notschlafstelle der Caritas in Wien-Mariahilf) an, dass sie 97 000 warme Mahlzeiten an Menschen ausgegeben haben, denen das Geld oft für das Nötigste fehlt, so viele wie noch nie zuvor. Das Problem nicht leistbarer Mieten hat die Mittelschicht längst erreicht. Über Ziffern kann man nicht reden, sie bloß schätzen. Wenigstens einige Hundert schlafen immer im Freien, ebenso viele nehmen Zuflucht in den vielen Notschlafstellen der Stadt.
Lt. Wiener Tafel weist Wien mit 17% der Bevölkerung das größte Armutsrisiko auf. Längst schon geht Armut durch alle Bevölkerungsschichten. Neben den geschätzten 800 permanent Obdachlosen nehmen über 7100 Menschen zeitweise Obdachloseneinrichtungen in Anspruch. In Wien stehen 4500 Wohn- und Schlafplätze für Menschen ohne Wohnung zur Verfügung. Expertenschätzungen zufolge sind in Österreich insgesamt rund 12 000 Menschen wohnungslos. Armut macht krank und einsam. Sie grenzt aus, entwürdigt den Menschen, schwächt ihn und die Gesellschaft.
Obdachlosigkeit trifft auch immer häufiger Menschen unter 30, heißt es von der Caritas. „Das Bild des klassischen Sandlers hat ausgedient. An seine Stelle treten vermehrt junge Menschen, Frauen und psychisch erkrankte Personen“, sagte Klaus Schwertner, der Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Viele von ihnen finden akut Hilfe bei der zentralen Anlaufstelle „P7“. [Mehr dazu in: Hilfe für Obdachlose: „P7“ ist zehn]
Auch immer mehr europäische Besucher in Österreich sind von Obdachlosigkeit betroffen und sie kommen aus vielen Ländern Europas, vornehmlich aber aus den früheren Ostblock-Staaten Bulgarien, Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien. Sie kommen, um Arbeit zu finden. Doch wenn das nicht funktioniert, bleiben sie trotzdem. Sie denken wohl, „besser in Wien obdachlos als in Budapest“. Die ungarische Regierung hat bekanntlich das Übernachten auf der Straße verboten, Obdachlosen drohen Geld- und Gefängnisstrafen.
Die ersten zwei Monate sind für die Obdachlosen in den Notschlafstätten kostenlos. Danach aber müssen sie einen Kostenbeitrag von 4 € pro Nacht bezahlen, wie die Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Sonja Wehsely (SPÖ), per 1. September 2010 einführte. Sie begründete dies damals als Maßnahme „im Sinne der sozialpolitischen Steuerung“.
Mehr Zynismus geht nicht mehr.
Gleichzeitig hat die Stadt Wien noch dazu den Heizkostenzuschuß halbiert und im Winter 2012-2013 von Geldleistungen auf Sachleistungen umgestellt.
Durch Wien, diese Glitzer-Metropole, streunen nach einer Schätzung der Caritas-Einrichtung a_way mindestens 300 obdachlose Minderjährige, seltsam frühreife Wesen mit übertriebener Selbstständigkeit, die ihre Tage mit der Beschaffung des nächsten Schlafplatzes, von Lebensmitteln und Drogen verbringen. Sie haben gelernt zu nehmen, was kommt, auch wenn nichts kommt. Seit der frühen Kindheit in desolaten Familien misshandelt, vernachlässigt, traumatisiert und schließlich verjagt.
Im Vorjahr wurden aufgrund von Anrainerbeschwerden die Obdachlosen aus dem Stadtpark von der Polizei vertrieben. Im Anschluß daran herrschte große Aufregung bei allen NGOs, den Ämtern und der Bevölkerung. Der Vorschlag, eine Zeltstadt zur Verfügung zu stellen, wurde abgelehnt. Eine Expertenkommission sollte etabliert werden, dies fand jedoch keine Mehrheit. Ob sonst jemand über eine gute Lösung nachdachte, ist fraglich. Und der nächste Winter steht schon vor der Tür.
Netzfrauen Lisa Natterer und Doro Schreier
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