Straßenkinder trifft man überall, auch hier in Deutschland, ob in Parks, auf Bahnhöfen, auf alten Fabrikhöfen – sie sind unter uns.
Obdachlose Kinder in Deutschland gibt es nicht. Zumindest nicht offiziell, denn bis zum 18. Lebensjahr gelten Jugendliche als „obhutlos“ und werden im Zweifel formal der Wohnadresse ihrer Herkunftsfamilie zugerechnet.
Doch die Realität sieht ganz anders aus, wie die ZDFzoom-Reportage „Obdachlose Kinder in Deutschland“ zeigt.
Tausende Kinder in einem Wohlstandsland auf der Straße – wie kann das sein?
Wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland auf der Straße leben, weiß niemand so genau. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig weist im Interview mit „ZDFzoom“ darauf hin, dass man kein Instrument habe, um Kinder und Jugendliche ohne Wohnung erfassen zu können. Die Bundesregierung gab zuletzt 2005 offizielle Zahlen heraus. Damals war von 7200 obdachlosen Kindern und Jugendlichen die Rede. Heute gibt es Schätzungen, dass die Zahl der Heranwachsenden ohne festen Wohnsitz zwischen 9000 bis 20 000 liegt.
ZDFzoom-Reporterin Stephanie Gargosch begleitete obdachlose Kinder in Deutschland. Sie erlebt mit den Jugendlichen deren eintönigen Alltag und ist dabei, wenn sie ihre Schlafplätze aufsuchen. Sie beobachtet zudem, welche Antworten die Behörden den Hilfsbedürftigen geben. Die Autorin kommt zu dem Befund: „Schwierig ist vor allem, dass es zu lange dauert, bis die Jugendämter helfen. Im Jugendhilfesystem werden die Kinder und Jugendlichen zunächst hin- und hergeschickt und das erhöht die Gefahr, dass das Leben auf der Straße als einzige Lösung gesehen wird.“
Der ZDFzoom-Film begleitet eine 17-Jährige, deren Überlebensformel für das Leben auf der Straße lautet: „Nicht nass werden und nicht kalt werden.“ Die junge Obdachlose kommt aus München, lebt aber seit zwei Monaten ohne festen Wohnsitz in Berlin. Sie hatte mit 14 ihren ersten Antrag auf Jugendhilfe gestellt. Aber ihr sei nie richtig geholfen worden, klagt sie an.
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Der Film macht deutlich, dass die Arbeit von Jugendämtern, Kinderheimen, Notunterkünften und Streetworkern nicht koordiniert wird und die Vernetzung fehlt. Dabei ist bei den Straßenkindern oft Eile geboten: Denn je länger ein Jugendlicher auf der Straße lebt, desto schwieriger ist es, ihn wieder zu integrieren – und damit kostet er die Gesellschaft am Ende viel Geld. [Zum Video: Obdachlose Jugendliche – Nur ein kleines Zelt als Zuhause]
Obdachlose Kinder in Deutschland
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Wenn Jugendliche die Straße als Lebensmittelpunkt gewählt haben, bleibt ihnen selten eine realistische Chance, ihre materielle Situation zu verbessern. Sie kommen nur schwer an Geld, haben kaum eine Möglichkeit, sich weiter zu bilden, und sind gesundheitlich ständigen Gefahren ausgesetzt. Wohn- und Übernachtungsmöglichkeiten sind äußerst prekär. Die Grenzen zwischen legaler und illegaler Tätigkeit auf der Straße sind fließend. Lukrativer als legale Gelegenheitsjobs – Schuhe putzen, Autos bewachen, Zigaretten verkaufen und Waren transportieren – sind Diebstahl, Drogenhandel und Prostitution. Dies gilt in Deutschland und erst recht in Entwicklungsländern. Als Mittel zur Sicherung der elementarsten Bedürfnisse reicht jedoch auf Dauer weder das eine noch das andere aus. [http://www.strassenkinderreport.de/]
32 000 Jugendliche leben auf der Straße
Von den 16 500 Menschen, die in Nordrhein-Westfalen als „wohnungslos“ in der Statistik geführt werden, ist mittlerweile jeder Neunte unter 18 Jahre alt. Das geht aus den aktuellen Zahlen des Sozialministeriums NRW für das Jahr 2012 hervor. Bundesweit leben rund 284 000 Menschen ohne eine feste Unterkunft. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass deutschlandweit 32 000 Kinder und Jugendliche ohne Obdach sind.
Jugendämter kommen ihrer Pflicht nicht nach
Hat wirklich das Jugendamt bei diesen Kindern und Teenagern versagt? Die Redaktion von ZDFzoom macht einen Test: Eine Mitarbeiterin gibt sich als Jugendliche aus und ruft bei mehreren deutschen Jugendämtern an. Sie erzählt am Telefon, dass sie unbedingt von zu Hause weg müsse, Angst vor ihrer Mutter habe und woanders unterkommen müsse. Was sie zu hören bekommt, sind Aussagen wie „Ich muss in einer halben Stunde nach Hause“, „Sorry, aber der Kollege ist krank“, „Wenn du Probleme hast, geh‘ halt zur Polizei, wir sind nicht zuständig“.
Nur eines von zehn Jugendämtern bietet unverzüglich Hilfe. Dabei verlangt es sogar das Gesetz: Das Jugendamt ist verpflichtet, einen Minderjährigen in Obhut zu nehmen, wenn er darum bittet. Geschieht das nicht, ist das ein klarer Rechtsbruch.
Netzfrau Doro Schreier
[Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag: Obdachlose – Der Kampf gegen die Armut hat sich zum Kampf gegen die Armen gewandt]
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