Die 13-jährige Judith aus Schleswig-Holstein ist beim Inhalieren von Treibgasen aus Deosprays erstickt. Die Mutter fand das tote Mädchen in ihrem Kinderzimmer. Die Eltern suchen die Öffentlichkeit, um andere Eltern zu warnen.
„Wenn wir nur ein Kind durch unseren Appell retten und anderen Familien diesen Schmerz ersparen, haben wir bereits gewonnen“, so der Vater von Judith. „Sie lag neben ihrem Schreibtisch, hatte eine Plastiktüte auf dem Gesicht, neben ihr lag eine Deo-Dose“, beschreibt der Vater, wie er seine 13-jährige Tochter gefunden hatte.
„Offenbar hat unsere Judith über einen längeren Zeitraum Lösungsmittel und Treibgase geschnüffelt, um sich zu berauschen, und wir haben nichts gemerkt“. Die Eltern machen sich schwere Vorwürfe und rufen alle Eltern zu erhöhter Wachsamkeit auf.
Gerade Kinder und Jugendliche nutzen diese Art des Rauschkonsums. Sie schnüffeln Butan-Gas aus Deosprays, Lösungsmitteln, Haarsprays, Filzstiften, Nagellackentfernern, Klebstoffen und Verdünnungsmitteln – alles legal und günstig zu erwerben. Die Anwendung ist simpel: Die Stoffe werden in eine Tüte gefüllt und inhaliert. Alternativ kann man sie auf Tücher träufeln oder sprühen und einatmen.
Laut der Europäischen Schülerstudie Espad suchten im Jahr 2007 11,5 Prozent der deutschen Minderjährigen die Grenzerfahrung mit dieser Form des Substanzmissbrauchs. In Bayern liegt die Quote der unter 16-Jährigen bei 14 Prozent. In Deutschland werden die Todesfälle durch Lösungsmittel nicht gesondert registriert, weil sie nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Anders in Großbritannien und Spanien, wo die meisten Opfer an Butan-Gas-Missbrauch sterben. Diese Zahlen fanden wir in einem Spiegel-Beitrag, nachdem sich 2010 Nico und Fabian mit Deosprays zu Tode geschnüffelt hatten.
Petra M. entdeckte ihren Sohn im Hobbykeller mit einer Plastiktüte über dem Kopf. Der 14-Jährige war längst tot, aus seinem Mund tropfte Blut. Nico ersticktet innerlich. Er starb an einem toxischen Schock in Verbindung mit Sauerstoffverlust.
„Man schützt sein Kind vor dem Straßenverkehr, vor Pädophilen, hat ständig Angst um sie“, sagte Burkhard Nachtigall, Vater eines 15-Jährigen, der durch Schnüffeln 2010 verstarb. „Auf einmal ist es 15, vernünftig und fast erwachsen – und dann stirbt es zu Hause durch Deo – davor muss man doch warnen“! In den USA laufen im Fernsehen und in den Kinos längst Warnvideos. Die Firma Unilever wirbt beispielsweise für ihr bekanntestes Männerdeo „Axe“ mit dem Slogan: „Axe schnüffeln macht dein Spiel kaputt.“ Auf Deos in Deutschland dagegen findet man lediglich allgemeine Warnhinweise. Quelle
In diesem Video kommt Fabians Vater zu Wort:
Fassungslos muss sich Nachtigall nun eingestehen, dass ihm nicht klar war, dass ein handelsübliches Achselspray zur berauschenden Droge werden kann. Eines, das er auch noch selbst gekauft hatte. Erst im Nachhinein fiel ihm auf, dass es irgendwann „ein paar Dosen mehr als sonst“ waren. „Aber wer denkt denn schon an so etwas“? – Vor allem, wenn das Kind so behütet aufwächst wie Fabian.
Nun starb die 13-jährige Schülerin aus Kronshagen bei Kiel. Sie erstickte beim Inhalieren von Treibgasen aus Deosprays. Eine Nachricht, die uns erschüttert.
„Warum? Warum Judith? Warum unsere Tochter“? Die Gedanken kreisen. Unablässig. Seit fast einer Woche schon. Es gibt kein Entrinnen – weder für die Eltern Marco und Ramona noch für die drei Geschwister der 13-Jährigen. Der Tod der Tochter und Schwester ist endgültig. Vor knapp einer Woche starb die Schülerin an einer Überdosis Treibgas aus einer Deo-Spraydose.
Nach Angaben eines Sprechers des Landeskriminalamtes ist es nicht der erste Fall in Schleswig-Holstein, bei dem ein Mensch als Folge des Schnüffelns von Treibgasen starb. Eine genaue Zahl konnte er nicht nennen, weil darüber keine Statistik geführt werden. Leider ist der Beitrag der Kieler Zeitung vom 12. März nur für Abonnenten lesbar – die Zeitung liegt uns Netzfrauen in Papierform vor. Sollten sie den ausführlichen Bericht über Judiths traurigen Tod lesen wollen, finden Sie den Beitrag hier.
Tod durch Deo-Schnüffeln – Ein unterschätztes Risiko
Tausende „schnüffeln“ regelmäßig. Das heißt, sie atmen eine hochkonzentrierte Substanz ein, um high zu werden. Das in Deodosen als Treibmittel verwendete Propan- oder Butangas „ist leicht in Fett löslich und verteilt sich deshalb schnell im Gehirn“, erklärt Dr. Maren Hermanns-Clausen, Leiterin der Vergiftungs-Informations-Zentrale des Uniklinikums Freiburg. Das Butangas ersetzt den Sauerstoff im Blut, das Gift dringt ins Nervensystem ein, anschließend schüttet der Körper große Mengen Adrenalin aus – der Rausch setzt ein. Zu wenig Sauerstoff im Blut kann aber zu Bewusstlosigkeit führen. Das Sudden-Sniffing-Death-Syndrom droht – der plötzliche Schnüffel-Tod. Bei falscher Dosierung ist eine Lähmung des Atemzentrums möglich, häufig tritt eine Herzrhythmusstörung auf. Langfristig führt Propangas zu geistiger Verwirrung, Gehörverlust, Nervenschädigungen, Schäden am Kurzzeitgedächtnis. Um den Rausch zu verstärken, lassen Süchtige das Gas in Plastiktüten strömen. Diese ziehen sie sich über den Kopf und atmen das hochkonzentrierte Gift ein. Wer dann bewusstlos wird, erstickt.
Der Nagellackentferner
Auch dieser wird eingeatmet, über Lunge und Blut gelangt der Wirkstoff Aceton ins Gehirn. Mögliche Folgen des Rauschs: Panikattacken, Muskelschwund und Leukämie. Quelle
Kinder und Jugendliche probieren die Stoffe aus. Die Dunkelziffer ist laut Drogenberatung groß.
Im Netz tauschen sich Teenager und Jugendliche offen über ihre Erfahrungen mit Deo-Schnüffeln aus. Sogar auf youtube findet man eine Anleitung, wie man „Deo schnüffelt“ – erschreckend.
Das Gesundheitsministerium in Kiel führte nach Bekanntwerden von Judiths Tod bereits erste Gespräche mit der Landesstelle für Suchtfragen. „Die LSSH wird anlässlich des tragischen Falls das Thema Ende März in die landesweite Koordinierung zur Prävention einbringen und beraten, ob und wie das Thema Schnüffeln künftig noch stärker in die Präventions-Angebote integriert werden kann“, kündigt Ministeriumssprecher Christian Kohl an.
Schriftliche Warnhinweise müssen auf Deo-Sprays angebracht werden und eine Aufklärung muss erfolgen, denn die Fälle, in denen Kinder an den Folgen sterben, nehmen zu und jedes Kind, das stirbt – ist eines zu viel.
„Wenn wir nur ein Kind durch unseren Appell retten und anderen Familien diesen Schmerz ersparen, haben wir bereits gewonnen.“
Unser Mitgefühl gilt den Eltern, Geschwistern und allen Verwandten und Bekannten der 13-jährigen Judith, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hätte. Am 27. März wäre sie 14 Jahre alt geworden.
Netzfrau Doro Schreier
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