Demenz: Ein drängendes Thema in einer Gesellschaft, in der immer mehr alte Menschen leben. 1,2 Millionen Demenzbetroffene soll es mittlerweile in Deutschland geben.
Auswirkungen einer Demenz sind sehr vielfältig: U. a. durch krankheitsbedingte Hirnleistungsstörung, bei der das Gedächtnis und die Denkfähigkeit abnehmen, und die Menschen sind – je nach Erkrankungsstadium – im Alltag deutlich beeinträchtigt bis stark pflegebedürftig.
Doch wir müssen uns auch fragen, wo die Würde eines demenzkranken Menschen bleibt.
So sollen Berichten zufolge etwa 50 Prozent der dementen Menschen in Pflegeheimen mit einem Cocktail aus Neuroleptika und anderen Psychopharmaka behandelt werden, obwohl diese gerade bei alten Menschen schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die europäische und auch die deutsche Arzneimittelbehörde warnen vor dem unbedachten Einsatz dieser Mittel. Vergeblich.
Der Einsatz von Neuroleptika bei Demenzkranken soll zu einer erhöhten Sterblichkeit führen. Eine veröffentlichte amerikanische Studie unterstreicht die Problematik des Off-Label-Use und weist auf relevante Unterschiede im Gefahrenpotenzial unterschiedlicher Neuroleptika hin. In der Praxis werden diese Daten weitgehend ignoriert. Neuroleptika werden bei Demenz – ohne entsprechende Zulassung – im großen Stil gegen Aggressivität und innere Unruhe sowie nächtliches Umherwandern eingesetzt. Kritiker argumentieren, Neuroleptika würden gegen problematisches Verhalten eingesetzt, um dem Personal die Pflege zu erleichtern und das eigentliche Problem des Pflegenotstandes zu kompensieren. Lesen Sie auch: Demenz – Rechtlos und ausgeliefert?
Um auf das Thema Demenz aufmerksam zu machen, haben wir diesen Brief veröffentlicht. Es ist sehr wohl möglich, mit Demenz würdevoll zu leben, sofern die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jeden kann es treffen, den Weg des Vergessens zu betreten.
Diese Geschichte sagt so viel aus.
Eine grantige, alte Frau
Was sehen Sie, Schwester, wenn Sie mich angucken und was denken Sie? „Eine knöchrige Alte“ mit abwesenden Blick, nicht mehr ganz zurechnungsfähig, die sich nicht zu benehmen weiß und kleckert und nicht antwortet, wenn Sie mit ihrer lauten Stimme sagen, sie solle sich doch wenigstens ein bisschen Mühe geben, die nicht zu beachten scheint, was Sie machen, die mal hier einen Strumpf verliert und da einen Schuh, und die trotz aller Ermahnungen nicht mithilft, wenn sie gebadet oder gefüttert wird.
Wenn Sie das, Schwester, sehen und denken, dann liegen Sie falsch. Das bin ich nicht, die da so still sitzt, und die auf Ihr Geheiß aufsteht und isst. Machen Sie die Augen auf, ich sage Ihnen, wer ich bin:
Ich bin ein Kind von 10 mit einem Vater und einer Mutter und Brüdern und Schwestern, die einander lieben. Ein junges Mädchen von 16 mit Flügeln an den Füssen, die davon träumt, bald ihre wahre Liebe zu treffen. Eine Braut von 20, mein Herz springt vor Freude, wenn ich an die Gelübde denke, die ich zu halten versprach. Mit 25 habe ich dann eigene Kinder, für die ich ein sicheres, glückliches Heim baue. Eine Frau von 30, meine Kinder wachsen schnell, miteinander durch treue Bande verbunden.
Mit 40 bin ich, meine Söhne sind weg, aber an meiner Seite steht mein Mann und unterstützt mich. Mit 50 habe ich wieder spielende Kinder um mich. Wir haben Enkel, mein Liebster und ich.
Dann kommen dunkle Tage, mein Mann stirbt, ich schaue mit Angst in die Zukunft, denn meine Kinder sind dabei, ihr eigenes Heim zu bauen. Ich denke an die Jahre und die Liebe, die ich erfahren habe.
Ich bin jetzt eine alte Frau, die Natur ist sehr grausam. Sie hat sich ausgedacht, Alte wie N A R R E N erscheinen zu lassen. Der Körper zerfällt, Anmut und Stärke schwinden, wo einst ein Herz war, ist jetzt ein Stein.
Aber in diesem alten Gerüst wohnt ein noch junges Mädchen, und hin und wieder schwillt mein geschundenes Herz.
Ich denke an die Freude zurück und den Schmerz, und ich liebe und lebe das Leben noch mal, und erinnere die Jahre, viel zu wenig und viel zu schnell vergangen und nehme die bittere Tatsache an, dass nichts bleibt.
So machen Sie die Augen auf, SCHWESTER und sehen Sie nicht eine alte kratzbürstige Frau, sehen Sie mich!!!
Diesen Brief fand man nach dem Tode einer demenzkranken Frau in ihrem Nachlass.
Wir fordern: Menschenwürdiger Umgang mit Pflegebedürftigen, Kranken und Pflegekräften
Sie können uns helfen, schildern Sie uns Ihre Erfahrungen.
Netzfrau Doro Schreier
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