Chile nach Überschwemmung, das neue Fukushima?

Eine Woche nach Beginn der verheerenden Regenfälle im Norden Chiles ist die Opferzahl weiterhin ungewiss. Bislang wurden 23 Tote gemeldet, 57 Menschen werden vermisst. Schwere Unwetter zerstörten Ortschaften in Chile. In der an sich sehr trockenen Region Chiles begannen heftige Regenfälle, die zahlreiche Straßen überschwemmten und zu Stromausfällen führten – 61 000 Menschen hatten keinen Strom, insgesamt 50 000 kein Trinkwasser und das Unglück geht weiter. Zu der ohnehin schon schlimmen Katastrophe, kommt noch die Angst vor überlaufenden Staudämmen im Norden und auch den hochgiftigen Becken des Bergbaus.

Arsen, Cadmium, Quecksilber, alles schon gemischt

Die Bergbauabfälle sind hoch kontaminierend und ein Risiko für Mensch und Natur. Sie bestehen aus chemischen Abfällen, die für die Gewinnung von Mineralien entstehen. Sie werden in Dämmen gehalten wandeln sich in eine Paste.

Diese unsichere Form von Aufbewahrung ist eine Bedrohung. Sie führen zur Verschmutzung des Grundwassers. Wie zur Zeit durch starken Regenfälle oder Erdbeben besteht die Gefahr des Einsturzes. Eine Gefahr entsteht ebenfalls durch den Oberflächenstaub, der vom Wind verweht und weite Entfernungen erreichen kann.

Nach Informationen der Nationalen Dienststelle für Geologie und Bergbau, bleibt um 1 Tonne Mineral zu erhalten, 30 Tonnen Bergbauabfall. In einem Bergbauland wie Chile, gibt es sehr zahlreiche Dämme und sie stellen eine Gefahr in diesem von Erdbeben geplagten Land dar. Oft sind sie in der Nähe von Siedlungen. Nach Informationen der Nationalen Dienststelle für Geologie und Bergbau, gab es im Jahr 2010 449 dieser Dämme, von denen 324 nicht mehr aktiv sind.

Immer wieder wird über die Auswirkungen des rücksichtslosen und ungehemmten Bergbaus hingewiesen. So wies bereits Terre des Hommes in einer Studie auf die Auswirkungen des Bergbaus auf Kinder hin. Fakt ist, dass der Rohstoffverbrauch steigt, aber die Schäden auch. Dieses wird nun durch die erneute Katastrophe deutlich, die das Land erschüttert.

Immer wieder wird von Organisationen auf die Problematik der Verschmutzung des Trinkwassers und auch des hohen Verbrauchs von Wasser und die damit verbundene Wasserknappheit für die Agrikultur hingewiesen. Schuld daran ist das riesige Bergbaugeschäft. Es wird so gut wie nie überwacht, mir selbst sagte mal ein hoher Beamter des Umweltministeriums: „Das Bergbaugesetz in Chile steht über allen Gesetzen”.

Ich selber forsche seit vier Jahren, untersuche und informiere über die Wasserverschmutzung durch Arsen in meiner Region Chacabuco mit fast 6000 m². Ich kenne mich daher sehr gut aus und bin mit dem Thema sehr vertraut.

Etwas nördlicher, in Caimanes, einem Dorf nur 175 km Luftlinie nördlich von Santiago de Chile (Stgo) entfernt gibt es einen langwierigen Protest der Anwohner gegen ein Bergwerk, dessen Mitbesitzer eine der reichsten Familien Chiles und engste Freunde des Präsidenten sind. Es gab gewalttätige Ausschreitungen, als Gegner für mehr als 3 Monate den Zugang zum Bergwerk verweigerten und Straßen blockierten. Der Grund dafür waren Diebstahl des Wassers der Kleinbauern für das Bergwerk und Kontamination des Trinkwassers.

Der Anführer der Organisation El Movimiento Social por la Recuperación del Agua y la Vida (soziale Bewegung für das Zurückerlangen des Wassers und des Lebens), Rodrigo Mundaca, wurde sogar zu einer Geldstrafe für seine Behauptungen verurteilt und bekam öfters Todesandrohungen. Auch wurde er von Unbekannten tätlich angegriffen. Hungerstreiks und großes Schweigen der traditionellen Presse begleiteten diesen Kampf, immer wieder wurden Wasserproben bewusst gefälscht.

Wenn die Wasserproben von den Einwohnern selbst oder ohne vorherige Ankündigung genommen wurden, zeigte sich stets eine Kontamination von Arsen, Blei und anderen Schwermetallen. Wenn aber Verantwortliche des Gesundheitsystems Proben nahmen, war das Wasser stets in Ordnung.

Die Organisationen rechnen mit der Hilfe eines international anerkannten Toxikologen, Dr. Tchernichin, Präsident der Umweltkomission der nationalen Medizinischen Fakultät, der für die verschiedenen Resultate der Wasserproben nur eine Erklärung hat:  Wenn Obrigkeiten in der Nähe sind, um Proben zu entnehmen, könnte das Wasser im Damm mit sauberem Wasser verdünnt werden und somit erreicht man niedrige Werte. [http://www.semanariotiempo.cl/2012/10/12/experto-nacional-en-toxicologia-senala-que-informe-de-la-pdi-sobre-caimanes-es-irrefutable/]

Rodrigo Mundaca nach dem feigen Anschlag

Anfang dieses Monats gab es einen ersten großen und historischen Erfolg.

Ein Richter bestimmte, dass das Bergwerk seinen Damm abreißen muss. Die Besitzer kündigten Berufung an und natürlich beteuerten sie, dass das Urteil verheerend für das Land sei, da der Bergbau insgesamt leiden wird, Arbeitsplätze abgebaut werden müssten etc etc.

Nach den derzeitigen schwersten Regenfälllen im Norden Chiles gibt es alarmierende Nachrichten: Mögliche Zusammenbrüche von Dämmen für Berkwerkabfälle [Posible colapso de Relaves Mineros por aluviones] [Lesen Sie dazu auch meinen Bericht: SOS von unserer Netzfrau aus Chile – WASSER, FEUER UND VULKAN BEDROHEN CHILE]

Im Bericht vom 25. März der Nationalen Dienststelle für Geologie und Bergbau heißt es: „Neun Dämme werden auf mögliche Teilzusammenbrüche untersucht”, die Situation ist kritisch, die Regierung gibt jedoch keine weitere Nachrichten. Einzelne Politiker rufen jedoch dazu auf, nur Flaschenwasser zu trinken. Sie können sich sicher vorstellen, wie empört wir darüber sind, dass die Preise für Flaschenwasser in die Höhe schnellten.

1998 gab es eine Studie, finanziert mit deutschem Geld, die die verwaisten Bergwerksammelbecken mit ihrem hochgiftigen Material rund um Copiapó als große Gefahr ansehen. Es gab eine Menge Empfehlungen, aber es geschah nichts. Die größte Gefahr besteht nach Aussage der Deutschen in der unmittelbaren Nachbarschaft von diesen Sammelbecken und den Ansiedlungen von Menschen. Eines davon ist in Copiapó, einer Stadt von 170 000 Einwohnern im Norden Chiles, namens Ojancos, eine der 14 gefährlichsten, die im Besitz von Sali Hochschild ist.

 Das Foto stellt sehr eindeutig die Gefahr dar, die von massiven Regenfällen ausgehen kann.

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Und das ist Copiapó heute nach den schrecklichen Regenfällen:

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Die öffentliche Presse berichtet 24 Stunden über die Katastrophe, jedoch so gut wie nichts über die Gefahren, die von den Bergwerken bzw. deren Sammelbecken ausgehen. Die einzige offizielle Information kommt von der nationalen Dienststelle für Geologie und Bergbau, in der eine Liste mit den gefährlichsten Sammelbecken bekannt gegeben wird, bei denen aber zur Zeit keine Gefahr eines Staumauerbruchs bestehe.

Die internationale Beobachtungsstelle für Umweltkonflikte OLCA, veröffentlichte ihre Besorgnis über mögliche Überflutungen dieser Staumauern und die furchtbaren Konsequenzen, die dies mit sich bringe: „Ich hoffe nur, dass es nicht wahr ist, dass das Wasser dieser Dämme durch die Straßen der Städte und Dörfer laufen wird. Es wäre entsetzlich, weil es hochkontaminiert ist; es ist pures Gift und wir müssten Jahrhunderte damit leben.”

Außerdem geben sie bekannt, dass sie Meldungen von Ortsansässigen bekommen haben, Videos und Fotos, die darauf hinweisen, dass zumindest einer dieser Staudämme bracht und und der Inhalt des Sees mit den Regenfällen ins berühmte Elqui-Tal gelangte. Alles mündet in den Fluss Elqui, aus dem das Trinkwasser gewonnen wird.

Verschiedene unabhängige Radiostationen geben auch immer wieder Meldungen mit Zeugenaussagen Betroffener aus verschiedenen Ortschaften bekannt.

Noch ein komplexer Fall ist Chañaral, eine der am meist betroffenen Ortschaften, 170 km entfernt von Copiapó mit 15 000 Einwohnern.

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Das, was wie ein Strand aussieht, ist zwar Küste, aber in Form eines Bergwerksammelbeckens mit 350 Millionen Tonnen giftigem Bergwerkabfall.

Und so sieht Chañaral heute nach den Regenfluten aus:

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Es fällt uns schwer zu glauben, dass das, was heute durch die Straßen und Häuser fließt, „nur” Regenwasser sein soll!

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Durch einen sehr zuverlässigen persönlichen Freund, der eine hohe Position auf nationaler Ebene und im Sektor Bergwerk inne hat, musste ich erfahren, dass es bis jetzt keine wirkliche Möglichkeit der Kontrolle gibt, da es keinen Zugang zu den Sammelbecken gibt. Er ist sehr betroffen über die Situation und fragt : „Was erzählen die uns da?”

Die Situation generell ist schon schwierig genug:

Die Zahl der durch das Unwetter im Norden Chiles getöteten Menschen hat sich auf mindestens 23 erhöht, zudem gibt es noch 57 Vermisste und fast 30 000 Häuser wurden zerstört und viele sind nun obdachlos. Die Regierung kündigte laut unseren Nachrichten hier in Chile eine Einrichtung von 1200 Notunterkünften an, doch was ist mit den gesundheitsschädlichen Bergbauabfällen?

Wir haben hier in Chile menschliche Schicksale, wie z. B. das eines Vaters, der seine beiden Kinder vor den tsunamiähnlichen Fluten retten wollte  und weil er sich dabei einen Arm brach, eines seiner Kinder loslassen musste. Sein kleiner Körper wurde am nächsten Tag in den Schlammmassen gefunden.

Armes Chile, im Süden wüten weiterhin viele Waldbrände – hier ein aktuelles Foto von der NASA

Smoke from Wildfires in Southern Chile

und auch der Vulkan Villarica macht uns immer noch Sorgen. Hier ein Foto von der Nacht vor drei Tagen:

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Zusätzlich setzen uns permanente Erbeben zu. Während ich diesen Text schreibe, gab es sie mehrfach in der Stärke 5.5, jetzt gerade 82km NNW of Coquimbo, Chile. Gestern, 5.6 magnitude earthquake hits northern Chile und permanent ist die Erde in Bewegung, schwarmartig – um die Stärke 3.

INFOBOX

Chile: Mit einer Fläche von 755 696 Quadratkilometern ist Chile mehr als doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, verfügt jedoch lediglich über etwa 20 % der Einwohnerzahl. Das Land grenzt im Westen und Süden an den Pazifischen Ozean, im Norden an Peru, im Nordosten an Bolivien und im Osten an Argentinien, welches mit 5308 Kilometer die längste Ländergrenze mit Chile hat. Prägend für Chile ist die relativ zur Gesamtgröße des Landes extrem lange Küstenlinie im Westen. Der Osten des Landes wird durch die chilenischen Anden geprägt, welche eine Reihe aktiver Vulkane beherbergen und Teile Chiles unbewohnbar machen. Neben den gravierenden Höhenunterschieden innerhalb Chiles bedingt auch die enorme Nord-Süd-Ausdehnung des Landes gibt es eine große Vielfalt an Klima- und Vegetationszonen. Wie auch Peru ist Chile dem alle vier bis sieben Jahre auftretenden Phänomen „El Niño“ ausgesetzt.

Die Hauptstadt des Landes ist Santiago de Chile, in deren Großraum fast die Hälfte der chilenischen Bevölkerung heimisch ist. Weitere wichtige Städte des Landes sind beispielsweise Puente Alto, Viña del Mar und Antofagasta, von denen jedoch neben Santiago keine eine weitere Millionenmetropole ist.

Exporte

Mehr als 50 % der Exporte Chiles kommen aus dem Bergbau.

Bergbau in US$ Mrd  2011/49,080  2012/ 46,537 -5,2

Bergbauaktivitäten sind im ganzen Land zu finden. In Nord-Chile befindet sich der größte Teil der Gold- und Kupfervorkommen. Der wichtigste Bereich ist die Gewinnung von Kupfer, danach folgen der Abbau von Gold und Silber. Der staatliche Bergbau wird von Codelco und Enami durchgeführt. Der private Bergbau ist durch seine Zulieferungsstruktur mit Enami verknüpft.

Mehr Informationen zum Bergbau in Chile hier:  BERGBAU UND ZULIEFERPRODUKTE DES MASCHINENUND ANLAGENBAU Chile und Peru BMWi-Markterschließungsprogramm für KMU

Wir sind in Sorge, sind wir das nächste Fukushima?

Netzfrau Birgit Steinmeyer aus Chile

Fotos und Informationen :

SOS von unserer Netzfrau aus Chile – WASSER, FEUER UND VULKAN BEDROHEN CHILE

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