Erfahrungsbericht Pflegefall – plötzlich ist alles anders

Pflegefall – plötzlich ist alles anders.

Nach einem doppelten Schlaganfall lag mein Vater im Koma. Er hatte leider die Patientenverfügung, die ich ihm vor Jahren schon ausgedruckt hatte, nicht unterschrieben. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Nach dem zweiten Schlaganfall war die Atmung so schwach, dass mein Vater intubiert wurde. Ich kam morgens ins Krankenhaus und wurde dann auf die Stroke Unit (Intensiv für Schlaganfall Patienten) geschickt, wo er an der Beatmungsmaschine lag.

Das Koma dauerte an, nach 6 Wochen war die Beatmung über den Mund durch die Luftröhre (Intubation) nicht mehr tragbar, sagten die Ärzte. Da ich die Betreuung übernommen hatte, musste ich entscheiden, ob mein Vater tracheotomiert wird, sprich einen Luftröhrenschnitt bekommt, über den er dann weiter beatmet wird.

Ich war dagegen, denn ich wusste ja, mein Vater wollte eigentlich nie lebensverlängernde Maßnahmen.

Und liebe Leser, wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich mich nicht von dem Herrn Oberarzt so unter Druck setzen lassen. Ich hatte extra eine Bekannte mitgenommen und hab zum Glück einen Zeugen für das, was ich nun zu berichten habe.

Der Stationsarzt erklärte uns genau, warum man die Beatmungsmethode ändern muss, das hab ich auch alles gut verstanden und es war mir einleuchtend, warum so eine OP anstand.

Dennoch wollte ich dem leider nicht festgeschrieben Willen meines Vaters nachkommen und verweigerte die Unterschrift.

Dann kam der Herr Oberarzt! Er sagte sehr deutlich, ich müsste für die OP unterschreiben. Wenn ich nicht unterschreibe, ruft er bei Gericht an und würde mir die Betreuung wegnehmen lassen.

Ich dachte erstmal, ich spinne und meine Bekannte war auch sprachlos. Leider hatte ich damals keine Ahnung und Panik, dass mein Papa in „fremden staatlichen Händen“ ist. Dieser Arzt hat mich in der Situation sowas von unter Druck gesetzt, dass ich letztendlich unterschrieb.

Heute weiß ich, dass sowas in den Krankenhäusern vorkommen kann, wenn keine Patientenverfügung vorliegt! Aber das ist so nicht richtig, denn heut zählt durchaus auch die Willensäußerung des Betroffenen. Und dass mein Vater keine lebensverlängernden Maßnahmen für sich wollte, das wussten die Verwandtschaft und auch die Freunde von Papa.

Der mutmaßliche Wille zählt!

Denn die Eruierung (Feststellung) des mutmaßlichen Willens ist in unserm Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben (BGB) § 1901a Abs.2

Nun ist es leider nicht mehr für meinen Papa zu ändern, aber ich hoffe, durch die Veröffentlichung meiner Erfahrung, dass sowas in Zukunft nicht mehr passieren wird.

Aufenthalt in der Rehaklinik

Die Odyssee ging weiter, 6 Wochen in einer Reha Klinik. Die PflegerInnen in der Reha waren, wie es fast überall der Fall ist, total überlastet. Man kann den PflegerInnen keinen Vorwurf machen. Sie haben auch nur 2 Hände für 12 Patienten, ich verstehe, dass sie nicht überall sein können.

Aber es war für mich schrecklich zu sehen, wiedie Patienten vernachlässigt werden. Egal, zu welcher Zeit ich dort hin kam, war der Oberkörper und das Kopfkissen meines Papa mit Hustensekret durchtränkt. Das Röhrchen (Tracheostoma) war vom Sekret total verklebt. Und ich sah in seinen Augen die Angst zu ersticken. Es war so grausam! Diesen Blick werde ich nie mehr vergessen. Zum Glück war die Klinik in der Nähe und so war es mir möglich, durch Besuche den Aufenthalt meines Vaters zu erleichtern. Leider ist es nicht allen Angehörigen möglich, permanent Vorort beim Pflegebedürftigen zu sein.

Im Bett neben Papa lag ein junger Mann, der ebenfalls an den Folgen eines Schlaganfalls litt. Er konnte ebenfalls nicht selbst aufstehen und war auf Hilfe angewiesen. Oft hab ich ihn klingeln sehen, wenn er auf die Toilette mußte, aber es hieß immer wieder: Wir kommen gleich Herr … Einmal sah ich eine Schwester am Zimmer vorbei laufen und die rief ins Zimmer: Jetzt nicht Herr …!

Ein anderes Mal passierte gar nichts, sodass dann die Natur ihren Lauf nahm und eine Duftwolke durch das Zimmer zog. Er war verschämt und sagte: „Es tut mir leid! Ich hab hier schon Stunde um Stunde gewartet, aber irgendwann hält man es nicht mehr aus”.

Ich war froh, als sich die Reha dem Ende neigte und ich einen guten Platz für Papa fand.

Wohngruppe mit ambulanter Intensiv- und Beatmungspflege

Nach der Reha konnte Papa in eine Holas-Wohngruppe mit ambulanter Intensiv- und Beatmungspflege einziehen. Diese Wohngruppe muss ich einfach loben, 1 ½ Jahre verbrachte mein Vater dort. Das Team dort leistete ganze Arbeit und päppelte meinen Papa super auf.

Trotz der 1 zu 1,5 Betreuung in der Wohngruppe zog Papa sich durch einen Sturz einen Oberschenkelhalsbruch zu. Keiner der Betreuer konnte so schnell reagieren, als er losgelaufen war und fiel. Keiner hat Schuld, das möchte ich hier ausdrücklich betonen!

Ich bin dem Team der Holas-WG sehr dankbar. Sie haben mich immer unterstützt und die Lebensqualität meines Papas erheblich gesteigert.

Nach der Oberschenkelhals-OP veränderte sich leider der Zustand von Papa. Er war verwirrt und man sagte mir, dass die Narkose eine Demenz verstärken könne. Es gab die Hoffnung, dass es nur vorübergehend sei, aber leider war es in diesem Fall nicht so.

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Es war, als würde die Demenz galoppieren …ins Tal des Vergessens…

Im September hatte Papa noch die Geburtstagskarte an seine Schwester unterschrieben, ganz ohne Probleme. Bereits im Dezember war es mit der Weihnachtskarte nicht mehr möglich. Als er sich dann die Tracheostoma zog, war leider sein Umzug in ein Pflegeheim nicht mehr zu verhindern.

Das Pflegeheim

Ein Kulturschock für meinen Papa aus der 1 zu 1,5 Betreuung, in eine „gefühlte“ 30 zu 2 Betreuung.

Unglaublich! Die Pflege Personal – Richtwerte in NRW sind noch aus dem letzten Jahrtausend Anno 1998  Quelle:

Nur allgemeine Regelung nach SGB XI und HeimPersV. geringfügig Beschäftigten Anteil darf 20 % nicht übersteigen.
Ermittlungsbogen für Versorgungsvertrag enthält Orientierungswerte:

Verhältnis Beschäftigte zu Pflegebedürftige

Pflegestufe 0 1 : 8
Pflegestufe I 1 : 4
Pflegestufe II 1 : 2,5
Pflegestufe III 1 : 1,8

Mein Papa wusste gar nicht, wie ihm geschah und er sagt nur noch:

„Was soll ich hier? Hier kommt ja keiner, da kann ich besser auch sterben“

Aber leider bleibt ihm dieses Recht ja auch verwehrt.

Wie aus der WG gewohnt, meldet mein Papa sich, wenn er zur Toilette muss. Natürlich konnte in der WG viel schneller gehandelt werden als im Pflegeheim üblich. Im Pflegeheim kann es auch schon mal 20 Minuten dauern, bis jemand kommt. Meistens ist dann schon alles passiert. Papa, Bett und Boden nass…

Man setzte kurzerhand und ohne nachzufragen einen Katheder. Beim nächsten Besuch stand ich vor vollendeten Tatsachen. Natürlich regte ich mich darüber auf, aber ohne Erfolg.

Man könne den Katheder wieder ziehen, sagte man mir. Aber im selben Satz wurde erwähnt, dass Papa mit dem Katheder mehr Ruhe hätte, da der „ständige nervige“ Harndrang nicht mehr erfolgen würde. Die Blase hatte ganz viel Resturin gehabt, der durch den Katheder völlig entfernt worden war. Ohne den ständigen Harndrang könnte Papa durchschlafen und wäre nicht ewig nass.

DemenzIch mag gar nicht dran denken, wie mein Papa sich fühlen muss. Er war immer ein großer, starker, fleißiger, geselliger Mann und jetzt ist er so hilflos und die meiste Zeit allein.

Ich wage zu behaupten – ZU WENIG PERSONAL – so ist eine menschenwürdige Pflege nicht zu leisten. 

Ich verstehe nicht, wie die Regierung sowas zulassen kann. Warum werden nicht mehr Planstellen zugewiesen?.Immerhin kostet der Pflegeplatz ca 4000 Euro im Monat, davon zahlt in unserem Fall 1330 Euro die Pflegekasse.

Trotzdem ist nicht genug Personal da, um die „alten Herrschaften“, die unsere Heimat wieder aufgebaut haben, den Rest ihres Lebens in Würde verbringen zu lassen.

Der demographische Wandel ist Fakt und so nicht aufzuhalten!

Wir brauchen mehr Planstellen in der Pflegewirtschaft, bessere Bezahlung und bessere Arbeitszeiten für die PflegerInnen. Man muss diesen Beruf attraktiver machen, sonst wird der Nachwuchs ausbleiben.

Netzfrau – Mo Scheer

Mehr Informationen:

Pflege geht uns ALLE an – “Solche Pflege ist Folter”

„Problemkind Pflege“ Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel

Pflege- Wir fordern: Menschenwürdiger Umgang mit ‪Pflegebedürftigen, ‪Kranken und‪ Pflegekräften

Erfahrungsbericht einer Pflegekraft

Wenn ich einmal alt bin und auf dem Weg ins Vergessen…

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