Uns schmecken Milch, Käse und Fleisch. Die meisten Menschen wollen nicht darauf verzichten.
Wenn wir uns beim Genuss unseres täglichen Joghurts vorstellen, dass der Joghurt von einer glücklichen Kuh stammt, die auf einer grünen Weide steht und ebenso genüsslich Gras genießt, dann schmeckt er uns noch besser.
Diese Wunschvorstellung hat allerdings nichts mit der Realität der modernen Massentierhaltung zu tun. Die Realität ist eine andere: Ausgelaugte Kühe enden krank im Schlachthof, nachdem sie gerade zweimal gekalbt haben.
ARD zeigte am 20. Juli 2015 um 21:50 Uhr eine Reportage zur Milcherzeugung in Deutschland. Die „Report Mainz“-Reporter Monika Anthes und Edgar Verheyen hatten sich bundesweit auf Spurensuche begeben.
Von Natur aus haben Kühe einen großen Raumbedarf und zum Abgrasen von Wiesen legen freilaufende Kühe täglich bis zu mehreren Kilometern zurück. Zwischen der Nahrungsaufnahme legen sie sich hin, um die vorverdaute Nahrung wiederzukäuen und am wohlsten fühlen sie sich im Kontakt mit ihren Artgenossen.
Die Massentierhaltung von Nutzkühen
Die Bindung zwischen einer Kuh und ihrem neugeborenen Kalb ist sehr stark. Die Mutterkuh kümmert sich intensiv um ihr Neugeborenes. Jedoch werden nicht nur in der Massentierhaltung die Kälber nach der Geburt von der Mutter getrennt, sie werden mit Milchersatzprodukten weiter genährt und wachsen zu Milchkühen heran, die männlichen Tiere kommen in die Kälber- oder die Rindermast.
Da Kühe nur so viel Milch geben, wie sie zur Ernährung ihrer Kälber benötigen, das sind etwa acht Liter am Tag, und zudem nur dann Milch produzieren, wenn sie ein Kalb geboren haben, werden sie jährlich künstlich befruchtet, um eine gute Milchproduktion zu garantieren. Auch während der neunmonatigen Schwangerschaft werden die Kühe gemolken, lediglich die letzten zwei Monate vor der Geburt des neuen Kalbs wird das Melken unterbrochen.
Die industrielle Milchproduktion muss auf Hochtouren laufen, um unserem unersättlichen Milchkonsum nachzukommen. So helfen die Züchter mit zweckmäßig gezüchteten Rassen nach, die bis zu 50 Liter und mehr am Tag produzieren. Diese Höchstleistung der Milchproduktion führt zu zahlreichen Erkrankungen bei den Tieren. Die Milchkühe sind nach einigen Jahren körperlich nicht mehr in der Lage, ihre Milchproduktion aufrecht zu erhalten und sind somit nicht mehr rentabel.
Verheizt für billige Milch – Das Leiden der deutschen Turbokühe
Wenn der schwäbische Milchkuhhalter Albert Schwellinger seine Herde beschreibt, dann spricht Verzweiflung aus dem Landwirt. Viele Tiere seien krank, erzählt er, immer wieder müsse er tote Milchkühe aus dem Stall ziehen. Tierärzte bestärken den Bauern in seinem Eindruck. Nicht nur seine Tiere seien krank, es gehe hier um ein Grundproblem in Deutschlands Kuhbeständen. Viele Tiere würden heute nicht mehr älter als 5,5 Jahre im Durchschnitt. Sie würden gerade noch zwei Geburten überstehen.
Ein Tierarzt bei der Behandlung einer Kuh
Tatsächlich geht in jedem Jahr rund ein Viertel des gesamten deutschen Bestandes in den Schlachthof, weil die Tiere vor allem krank, nicht mehr leistungsfähig und ausgepowert sind. Der Hauptgrund für das Leiden in Deutschlands Ställen: Kühe sollen immer höhere Mengen Milch liefern. Deshalb wurden die Tiere über die vergangenen Jahrzehnte hinweg züchterisch verändert und so mit Kraftfutter versorgt, dass sie in der Lage sind, ein Vielfaches an Milch zu produzieren von dem, was sie noch vor Jahren produzierten.
Tierärzte sprechen von „Qualzucht“
Das Ergebnis: Hochleistungs- bzw. Turbokühe. Durch diesen Erfolg der Forschung hat sich die Jahresmilchmenge seit 1960 zwar mehr als verdoppelt, gleichzeitig stellen Veterinäre jedoch immer mehr Erkrankungen bei den Tieren fest. Kritische Tierärzte sprechen in diesem Zusammenhang inzwischen von „Qualzucht“. Den Tieren würden Leistungen abverlangt, die sie auf Dauer nicht erbringen könnten.
Die „Report Mainz“-Reporter Monika Anthes und Edgar Verheyen haben sich bundesweit auf Spurensuche begeben. Ihre exklusiven Recherchen decken das ganze Ausmaß des Leidens in deutschen Kuhställen auf. Sie sind der zentralen Frage nachgegangen: Wer zahlt den Preis für die billige Milch?
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Wohlbefinden und Krankheiten
Nach einem wissenschaftlichen Gutachten der efsa (European Food Safety Authority) von 2009 über die allgemeinen Auswirkungen landwirtschaftlicher Betriebssysteme sind die Krankheiten von Milchkühen in erster Linie eine Folge fehlenden Wohlbefindens. Zu diesen Krankheiten zählen insbesondere solche der Haut, der Gliedmaßen, der Fuß- und Beinkrankheiten, Mastitis (u. a. verursachen die Eutermaschinen Euterverletzungen) und Stoffwechsel- und Verhaltensprobleme.
Eine langfristige genetische Auswahl mit dem Ziel hoher Milchleistung wird als Hauptfaktor für Gesundheitsstörungen genannt. Um das Wohlbefinden der Milchkühe zu verbessern, sollte mehr Gewicht auf Fitness und Wohlbefinden gelegt werden.
Während die efsa von Fitness und Wohlbefinden der Milchkühe träumt, hat die Pharmaindustrie längst andere Pläne erfolgreich und lukrativ realisiert. Seit Januar 2013 gibt es ein Medikament, zugelassen und abgesegnet mit dem Namen Kexxtone und u. a. mit dem Wirkstoff Monensin, der bereits 2006 als Futterzusatz verboten wurde.
Laut einer Berichterstattung der ARD – Doping für Turbokühe, wird, um den bereits oben genannten Krankheiten vorzubeugen und um die Milchproduktion zu steigern, vorsorglich auch gesunden Kühen diese Arznei verabreicht. So können die Tiere bis zu 500 Liter Milch mehr im Jahr „produzieren“. Doping für Sportler ist allseits bekannt. Der Unterschied liegt bei der Verabreichung des Medikamentes, denn Kexxtone wird mit einer Druckluftpistole in den Schlund der Kühe gespritzt.
INFOBOX
Man kennt sich – So haben Führungskräfte von Eli Lilly-Elanco, DuPont Pioneer und Monsanto im Oktober 2013 zusammen an einer Podiumsdiskussion auf dem Welternährungspreis Borlaug Dialog „Research and Returns – Die Zukunft von Agrartechnologie und Investment“ teilgenommen.
Alles vor dem Hintergrund: Welternährung bis 2050
„Wir sind derzeit auf der Überholspur zu einer Krise und einem weltweiten Mangel an Grundnahrungsmitteln wie Fleisch, Milch und Eiern. Zum Beispiel befriedigen wir heute die globale Nachfrage nach Milch vor allem durch mehr Kühe. Auf diesem Weg werden wir 40 Millionen mehr Milchkühe brauchen, um die Nachfrage der Verbraucher für Milchprodukte im Jahr 2050 zu erfüllen. Das ist einfach nicht nachhaltig“, sagte Simmons. (Senior Vice President and President, Elanco Animal Health)
„Aber Alternativen gibt es. Wir haben – entweder ab sofort oder in der Pipeline – die Technologie, die es uns ermöglichen würde, die Nachfrage im Jahr 2050 zu erfüllen. Aber wir müssen den Landwirten den Zugang zu dieser Technologie ermöglichen und dafür sorgen, dass geprüfte Neuerungen und landwirtschaftliche Praktiken, die Agrar-Gesundheit und Produktivität erhalten, zur Verfügung stehen“, fährt Simmons fort. Original: Enough is Enough in Food Security Debate
Wenn wir das richtig verstanden haben, gilt es, nicht mehr Kühe für die Milchproduktion einzusetzen, sondern eher, dass die Kühe mehr Milch produzieren. Was ja auch bereits real ist.
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Unsere Milch – Zwischen Turbokuh und Almidylle
„SPIEGEL TV Österreich“ widmet sich in dieser Folge dem Thema Milch. Auch bei der Milch geht es heute nicht mehr nur um die Almidylle, sondern um Absätze und Produktionsvereinfachung.
Früher tranken nicht nur Bauernfamilien die Milch gern kuhwarm direkt nach dem Melken. Auch für viele Menschen war das tägliche Milchholen ein fixer Bestandteil im Alltagsablauf und dabei wusste man auch genau, woher die Milch kam. Nämlich genau von der Kuh, die man gerade davor gestreichelt hatte.
Heute wird die Milch in hochmodernen Industrieanlagen produziert bzw. für den Absatzmarkt fertig gemacht. Denn auch nach wie vor kommt die Milch von der Kuh. Nur die Arbeitsprozesse haben sich grundlegend geändert. Heut geht es vielmehr um Absätze und beschleunigte Produktionsprozesse. Die Niederösterreichischen Molkereien sind beispielsweise einer der führenden Molkereibetriebe des Landes. Jedes Jahr verarbeiten sie 340 Millionen Liter Milch.
In der Arterhaltung von seltenen Milchkuhrassen nimmt Österreich ein Vorreiterrolle ein. So lagert in der Besamungsstation des Rinderforschungszentrums Raumberg Gumpenstein Europas zweitgrößte Gendatenbank für gefährdete Nutztiere. Die älteste Samenprobe dort stammt aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
„SPIEGEL TV Österreich“ widmet sich in dieser Folge der Milch, die gerade in Zeiten von wachsender Regionalität in einem Zwiespalt zwischen hochindustriallisierter Herstellung und Almidylle steht.
Das Wohlergehen der Kühe steht in den modernen Ställen zunehmend im Hintergrund. Um sich auf dem hart umkämpften Milch- und Fleischmarkt behaupten zu können, investieren die Bauern in immer größere Betriebe. Für die Verbraucher, die nur Produkte von „glücklichen“ Kühen konsumieren wollen, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Woher soll man schließlich wissen, von welchem Bauern beispielsweise das Fleisch stammt, das man kauft?
Netzfrauen
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