Chile ist nach 17 Jahren Diktatur seit 1990 wieder ein demokratisches Land, seine Präsidentin Michelle Bachelet hat unter der vergangenen Diktatur selbst gelitten, und sie ist Sozialistin. So haben viele von auβen ein sehr positives Bild vom aktuellen Chile. Leider ist die Realität nicht ganz so schön. Die von Diktator Pinochet 1980 eingesetzte Verfassung gilt immer noch. Das Land wurde nach dem Militärputsch 1973 zum Versuchslabor des Neoliberalismus nach dem Modell der Chicago Boys, und daran hat sich nichts geändert. Die Politik wird von Wirtschaftsinteressen bestimmt, da es starke Lobbys gibt und die meisten Politiker mit Firmen in Verbindung stehen, die zum Beispiel ihren Wahlkampf finanziert haben.
Als 1988 in einer Volksabstimmung das Land für den Verbleib von Pinochet stimmen sollte, war der Slogan der Diktaturgegner “La alegría ya viene” – bald können wir wieder froh sein. 25 Jahre später haben die Chilenen die Geduld verloren, da die Freude immer noch nicht kommt, im Gegenteil. Es wachsen die sozialen Proteste, aber die Reaktion der Regierung ist, den Medien Schweigen zu gebieten und die Proteste sich totlaufen zu lassen. Wenn die Demonstranten versuchen, sich durch Methoden wie Blockade von Straβen oder Zufahrtswegen sichtbar zu machen, wird brutal eingegriffen. Da die Medien von der Werbung für die Firmen abhängig sind und die Ordnungskräfte sich nicht demokratisiert haben, funktioniert die Strategie der Regierung, und die meisten Proteste und Forderungen erscheinen nur auf alternativen Webseiten. Auch genehmigte Demos werden oft mit Wasserwerfern und giftigem Tränengas behindert: Irgendjemand wirft einen Stein oder rüttelt an den Absperrgittern, und schon wird die Menge attackiert. Am vergangenen 21. Mai wurde in Valparaiso der Studentenführer Rodigo Avilés derart von zwei Wasserwerfern ins Kreuzfeuer genommen, dass er stürzte und sich eine schwere Kopfverletzung zuzog. Viele Tage schwebte er zwischen Leben und Tod und nun muss er mühsam vieles wieder erlernen; bleibende Folgen sind nicht auszuschlieβen.
Wenn dann doch einmal auf starken Druck hin neue Gesetze geschaffen werden, wie im Fall der Umwelt- oder Studentenbewegung, ist die Lobby der Unternehmer so stark, dass letztendlich keine Verbesserung zu spüren ist. Die Schüler und Studenten demonstrieren schon seit vielen Jahren für kostenlose und bessere Ausbildung, im Moment stehen wieder viele Unis still. Die von der Regierung unterbreiteten Vorschläge zäumen das Pferd von hinten auf und berücksichtigen in erster Linie Unternehmerinteressen, wie die der Besitzer von privaten Schulen und Universitäten. Ähnliches geschieht im Fall der Lehrer, die wochenlang gegen das neue Gesetz zur Lehramtskarriere gestreikt haben. Dieses soll die Qualität des Unterrichts und auch die finanzielle Situation der Lehrer verbessern, jedoch stellt es die Kollegen in Konkurrenz untereinander, da die Anzahl der besser bezahlten Stellen stark beschränkt ist und jeder einzeln darum kämpfen muss.
Andere Methoden der “Konfliktlösung” sind Bespitzelung der sozialen Bewegungen, Einschleusen von Agenten, und Kriminalisierung mittels Anschuldigungen, die zwar nicht belegt werden können, aber die betreffenden trotzdem ins Gefängnis bringen, so zum Beispiel viele Anführer der Mapuche-Bewegung, und die beiden Studenten Cristóbal Miranda und Germán Urrutia, die am 18. Juni diesen Jahres unter dem Vorwand, sie führten Molotov-Cocktails mit sich, um Polizisten anzugreifen, festgenommen, schwerstens misshandelt und inhaftiert wurden. Erst nach 6 Wochen wurde die Untersuchungshaft auf Druck der Öffentlichkeit und von Menschenrechtsorganisationen umgewandelt in Hausarrest. Der Vorwand mit den Molotov-Cocktails erinnert erschreckend an die Geschichte von Carmen Gloria Quintana und Rodrigo Rojas De Negri, die 1986 während der Proteste in der Endphase der Militärdiktatur von Militärs auf offener Straβe mit Benzin übergossen und angezündet wurden. Schwer verbrannt wurden die beiden danach am Stadtrand in einen Graben geworfen, wo sie von Landarbeitern gefunden und ins Krankenhaus gebracht wurden . Rodrigo erlag seinen Verletzungen 4 Tage später, Carmen Gloria überlebte mit Verbrennungen 2. und 3. Grades an 65% ihres Körpers. Die Militärs behaupteten, die beiden jungen Menschen hätten sich mit ihren eigenen Molotov-Cocktails, die versehentlich gezündet hätten, verbrannt. Vor wenigen Tagen brach jedoch einer der damaligen Wehrdienstleistenden, der dem Vorfall beigewohnt hatte, das Schweigen und deckte mit seiner Zeugenaussage die Wahrheit auf, sodass der Fall nach knapp 30 Jahren neu geöffnet wird und die Schuldigen endlich zur Verantwortung gezogen werden.
Nun wurde am Freitag, dem 24.Juli bei einer Blockade-Räumungsaktion im Zusammenhang mit einem Streik der Arbeiter der Kupfermine El Salvador im Norden von Chile einer der Streikenden von der Polizei erschossen. Wiederum versteckt sich die Polizei hinter Ausreden: Sie sei von einem Fahrlader angegriffen worden und habe in Notwehr gehandelt. Tatsächlich sind von der Polizei auβer zahlreichen Tränengaskartuschen und Gummi-und Bleischrot auch 30 Pistolenschüsse abgefeuert worden, einer davon traf Nelson Quinchillao tödlich. Ein Kollege des Verletzten, der hilfesuchend um Einstellung des Feuers bat, wurde von mehreren Luftgewehr-Projektilen schwer verletzt.
Links :
Die „Ethische Kommission gegen Folter“ gibt eine Stellungnahme zu diesem Fall ab.
Das Recht auf Leben und Gerechtigkeit respektieren – der Repression Einhalt gebieten
Angesichts der Ermordung von Nelson Quichillao López und der ständigen Repression der sozialen Bewegungen hält es die Ethische Kommission gegen Folter für ihre Pflicht, folgende Anklage zu erheben:
1.- Die anhaltende soziale Bewegung in unserem Land stöβt immer wieder auf die selben repressiven von der Diktatur geerbten Praktiken, die wir eigentlich dachten, hinter uns gelassen zu haben. Die chilenische Demokratie ist zu einem solchen Punkt in der Ausübung der Repression gelangt, dass die Kriminalisierung des sozialen Protests nicht mehr genug zu sein scheint, um die aus allen Ecken von Arbeitern, Studenten, einfachen Leuten und Ureinwohnern kommenden Forderungen nach Recht im Zaum zu halten.
2.- Am Freitag, dem 24. Juli meldete der Kupferarbeiterverband die Ermordung des 47-jährigen Arbeiters Nelson Quichillao López, der der Firma Geovita angehörte, durch eine Schusswaffe. In den frühen Morgenstunden schossen Spezialkräfte der Polizei 30 Schüsse ab, um den von den Arbeitern blockierten Zugang zum Bergwerk El Salvador freizumachen; das Polizeikontingent war um 23 Uhr des 23. Juli mit einem Räumungsbefehl aufgebrochen. Die Arbeiter, die sich seit Dienstag, dem 21. Juli in Streik befinden, wollten erreichen, dass der staatliche Kupferkonzern Codelco (der El Salvador betreibt und dem Geovita zuarbeitet) sich an den Verhandlungstisch setzt.
3.- Die Polizei hat eine Videoaufzeichnung gezeigt, die den Gebrauch von Feuerwaffen gegen die Arbeiter rechtfertigen soll; diese Aufzeichnung hat jedoch keinen Ton und erlaubt es daher nicht festzustellen, ob die Polizei unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäβigkeit gehandelt und ob sie die Arbeiter vor dem Einschreiten zum Rückzug aufgerufen hat.
4.- Der Polizeieinsatz mitten in der Nacht mit dem Auftrag, den Zugang zur Firma freizuräumen, ist auffallend und scheint widersinnig, da um diese Uhrzeit NIEMAND die Firma betritt oder verlässt.
5.- Vielmehr sieht es uns nach einer überproportionierten repressiven Aktion aus, deren Ziel es war, die mobilisierten Arbeiter einzuschüchtern, und die Bewegung zu zerbrechen; es scheint uns keine demokratische Vorgehensweise zu sein, mitten in der Nacht und in völliger Dunkelheit ein Polizeiaufgebot zu einem Angriff ohne Zeugen zu schicken.
6.- Die Ermordung von Nelson Quichillao López wie auch die der Mapuche Alex Lemún (2002), Matías Catrileo (2008), Johnny Cariqueo (2008) und Jaime Mendoza Collío (2009); des Arbeiters Rodrigo Cisterna (2007) und des Studenten Manuel Gutiérrez (2011) unter andern sind Verluste von Menschenleben durch die Hand einer Polizei, die darauf trainiert ist, die Bürger als ihre Feinde anzusehen, die in der selben Logik des “inneren Feindes” die schwere Menschenrechtsverletzungen zulässt, da sie sich wie im Ausnahmezustand verhält. Es ist eine polizeiliche Handlungsweise, die mit Unterstützung von Geheimdiensten Personen verstümmelt und sichtbar markiert; die Polizei entführt Menschen und verteilt mit blinder Wut Exemplarstrafen, vor allem an ausgesuchte Anführer. Wir sehen, wie die Apparate der Repression übergehen von unverhältnismäβiger Kraftanwendung zu kriminellem und terroristischem Handeln. Im selben Kontext können wir auch die Folter an Cristóbal Miranda und Germán Urrutia verstehen; die Verhaftung von weiteren sechs Studenten und eines Schülers unter Anklage terroristischer Handlungen, und eine Vielzahl von Personen, die durch Polizeischüsse ihre Augen verloren haben.
7.- Das Schweigen der demokratisch genannten Regierungen gegenüber diesen Vorgehensweisen zeigt, dass in unserem Land Menschen das LEBEN verlieren weil es kein Recht auf freien Ausdruck, keine Versammlungsfreiheit und noch weniger ein Demonstrations- und Petitionsrecht gibt.
8.- In unserer Rolle als Menschenrechte verteidigende Organisation klagen wir diese Handlungsweisen als Staatspolitik an; die Ermordung von Nelson Quichillao López ist von der Präsidentin Michelle Bachelet und ihrem Innenminister zu verantworten, von denen wir eine ausführliche Untersuchung des Falls und die Identifizierung der Verantwortlichen verlangen. Wir fordern die Regierung dazu auf, die Repression zu stoppen und volles Recht auf Leben und Gerechtigkeit zu garantieren.
COMISION ETICA CONTRA LA TORTURA
http://www.contralatortura.cl/
(Auf der Webseite stehen auch die Jahresberichte der Kommission zum Herunterladen bereit.)
Originaltext der Erklärung auf Spanisch:
Por el respeto del derecho a la vida y a la justicia: Alto a la represión
Posted on julio 26, 2015 by notascect
Ante el asesinato de Nelson Quichillao López y la recurrente represión a los movimientos sociales, la Comisión Ética Contra la Tortura se hace un deber denunciar lo siguiente:
1.- La persistencia de la movilización social en nuestro país, se sigue topando repetidas veces con las mismas prácticas represivas heredadas de la dictadura y que supuestamente habíamos dejado atrás. La democracia en Chile ha llegado a tal punto en el ejercicio de la represión que la criminalización de la protesta social parece no ser suficiente para contener las demandas por los derechos que exigen desde distintos puntos del país, los trabajadores, estudiantes, pobladores y pueblos originarios.
2- El día viernes, 24 de julio, la Confederación de Trabajadores del Cobre informó del asesinato, por bala, del trabajador Nelson Quichillao López, de 47 años, perteneciente a la empresa contratista Geovita. En la madrugada Fuerzas Especiales de Carabineros de Chile disparó un total de 30 tiros para cumplir con su objetivo de despejar el acceso a la empresa ocupado por los trabajadores; el contigente policial había salido a las 11 de la noche del jueves 23 de julio con la instrucción de desalojar a los trabajadores que exigían la instalación de una Mesa de Negociación a Codelco en el marco de una huelga iniciada el día martes 21 de julio.
3.- La policía ha mostrado un video para justificar el uso de sus armas de fuego contra los trabajadores; sin embargo, dicho video no tiene audio y por tanto no permite comprobar que la policía actuó conforme al principio de gradualidad en el uso de la fuerza y no se puede comprobar que llamó a los trabajadores a retirarse antes de actuar.
4.- Nos llama la atención el actuar policial en medio de la noche y la misión de despejar el acceso a la empresa, resulta un contrasentido, por cuanto a esas horas, NADIE entra o sale de ella.
5.- Nos parece que más bien se trata de una acción represiva desmedida, que buscaba amedrentar, desarticular y destruir la movilización; no nos parece un procedimiento democrático el envío de un contingente policial para atacar en medio de la oscuridad y en altas horas de la madrugada, sin testigos, incluso sin sus drones, a quienes habían obligado a la empresa estatal a detener su funcionamiento en demanda de sus derechos.
6.- El asesinato de Nelson Quichillao López; de los comuneros mapuches Alex Lemún (2002), Matías Catrileo (2008), Johnny Cariqueo (2008) y Jaime Mendoza Collío (2009); del trabajador Rodrigo Cisterna (2007) y del estudiante Manuel Gutiérrez (2011), entre otros, son pérdidas de vidas humanas, a manos de una policía entrenada para tratar a los ciudadanos como sus enemigos, en la misma lógica del “enemigo interno” que permite graves violaciones a los derechos humanos, dado que actúa como en un sistema de excepción. Se trata de un actuar policial que, con el apoyo de organismos de inteligencia, mutila personas y marca sus cuerpos de manera visible; secuestra, propina castigos ejemplares y con saña, sobre todo a dirigentes específicos. Estamos, en definitiva, presenciando cómo los aparatos represivos pasan del uso desproporcionado de la fuerza al accionar criminal y terrorista. Es este mismo contexto el que permite comprender las torturas sufridas por Cristóbal Miranda y Germán Urrutia; el encarcelamiento de otros seis estudiantes universitarios acusados de actos terroristas y de un estudiante menor de edad del Liceo Manuel Barros Borgoño y un sinnúmero de personas que han perdido sus ojos por disparos de la policía.
7.- El silencio de los gobiernos llamados democráticos ante estas prácticas, demuestran que en nuestro país, hay personas que pierden la VIDA porque no existe libertad de expresión, derecho de reunión y menos derecho a manifestación y petición.
8.- Finalmente, como organización de defensa de los derechos humanos denunciamos esta práctica como una política de Estado y el asesinato de Nelson Quichillao López, es una responsabilidad que recae sobre el Gobierno de Michelle Bachelet y de su Ministro del Interior a quienes les exigimos investigación exhaustiva e identificación de los responsables; llamamos al Gobierno a detener la represión, asegurar el respeto pleno del derecho a la VIDA y a la JUSTICIA.
COMISION ETICA CONTRA LA TORTURA
Netzfrau Barbara Müller (Chile)