Eine Firma aus dem Zuger Steuerparadies im Hintergrund
Die Firma ORS Services SA (Organisation für Regie und Spezialaufträge) wurde 1977 als Personalvermittlungsfirma in Lausanne gegründet. 1992 änderte sie ihren Namen in ORS Service AG und verlegte den Sitz nach Zürich. Der Zweck laut Handelsregister: Dienstleistungen im Personalbereich.
Als der Kanton Baselland beim Stellenvermittlungsunternehmen Adia Interim (heute Adecco) anfragt, ob man die Betreuung einer Asylunterkunft in Liestal übernehmen könne, wird kurzerhand die Tochterfirma ORS gegründet. Im selben Jahr überträgt das damalige Bundesamt für Flüchtlinge der neu gegründeten Firma die Betreuung in den Empfangszentren des Bundes in Basel, Kreuzlingen, Chiasso und Carouge. 1998, mittlerweile auch im Kanton Zürich tätig, betrug der Umsatz der Firma laut Medienberichten noch rund 20 Millionen Franken. Heute setzt die ORS in der Schweiz und in Österreich insgesamt geschätzte 70 Millionen Franken um.
Damals gehörte ORS der Private-Equity-Firma Invision. Das Unternehmen ist über einen Fonds namens Invision IV an der OX Holding beteiligt, die „Outsourcing-Lösungen“ über ihre operative Geschäftseinheit ORS anbietet. Sowohl die OX Holding als auch Invision sind im steuergünstigen Kanton Zug beheimatet.
Im Frühjahr 2007 änderte die ORS Service AG laut Handelsregister den Geschäftszweck. Seither kann sie „alle kommerziellen und finanziellen Geschäfte durchführen, die der Verwirklichung ihres Zwecks förderlich sind“, also auch Darlehen an oder Finanzierungen von Mutter- und Tochtergesellschaften. So lassen sich in der Schweiz innerhalb des Unternehmens Gewinne verschieben und Steuern „optimieren“.
Die Wochenzeitung recherchierte 2012, dass die ORS in den letzten fünf Jahren mindestens 41,2 Millionen Franken für die Betreuung in den fünf Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes erhielt. Allein im Jahr 2011 vergütete der Bund die Dienstleistungen der ORS mit 10,4 Millionen Franken.
Anfang Juni 2014 übernahm ORS Service AG die ABS Betreuungsservice AG in Pratteln. Mit der ausgewiesenen Integrationsspezialistin ABS baut die ORS ihre Expertise im Asyl- und Migrationsbereich aus. Die ABS wird Teil der Unternehmensgruppe, zu der auch die ORS AG und ORS GmbH gehören. Die ABS bleibt als eigenständiges Unternehmen bestehen.
Die Eigentümer der ORS AG sind bedeutende Exponenten des schweizerischen Finanzkapitals. Über eine Holding mit dem Namen OX Group gehört die Firma der Invision, einer in der Schweiz führenden Private-Equity-Gesellschaft mit Sitz in Baar, Kanton Zug. Die OX Group ist Kunde bei Equistone.
Im Board of Directors von Invision sitzt unter anderem Prof. Dr. Cuno Pümpin, emeritierter Professor an der Universität St. Gallen und Berater der liechtensteinischen LGT Group, die 2008 in Zusammenhang mit einer Steueraffäre in die Schlagzeilen geriet. Der Beirat kann unter anderem auf die Unterstützung von Ernst Buschor zählen, ehemaliger Bildungsdirektor des Kantons Zürich mit neoliberaler Politik.
Da horcht das österreichische Ohr doch auf: 1996 wurde von Kärntner Parteifreunden bei der LGT-Bank in Vaduz das erste Haider-Konto eröffnet. Die LGT kam auch bei Karlheinz Grassers Stiftung ins Spiel.
Private-Equity-Gesellschaften sammeln finanzielle Mittel bei institutionellen Anlegern oder bei Privatpersonen. Die Gesellschaften suchen gezielt Unternehmen aus, die baldigen und möglichst gesicherten Profit versprechen. Bis jetzt ist allerdings über die Höhe der Gewinne, welche die ORS AG durch das Geschäft mit den Flüchtlingen gemacht hat, nichts bekannt. Da die Aktien der Firma nicht an der Börse gehandelt werden, ist sie nicht zur Veröffentlichung von Geschäftszahlen verpflichtet.
ORS betreut seit 2012 die österreichischen Erstaufnahmestellen in Österreich. Das BMI lagerte diese Aufgabe 2003 aus und die European Homecare (EHC) übernahm bis 2010, als sie ihrerseits den Vertrag wegen „Unrentabilität“ aufkündigte. Die Entstehungsgeschichte von EHC liest sich seltsam, die Vorfälle in Traiskirchen zu ihrer Betreuungszeit brachten auch mehr mediale Aufmerksamkeit, als ihnen lieb war. Schon im Sommer 2003 sorgte das Engagement von EHC in Österreich für Schlagzeilen. Es gab eine Massenschlägerei mit Fäusten und Tischbeinen, bei der ein Tschetschene starb. Wenig später zeigte eine Asylbewerberin aus Kamerun einen Wachmann an, weil er sie vergewaltigt habe. „Der Standard“ titelte damals: „Juniorchef Sascha Korte macht Business mit Flüchtlingen“.
Auch in den EHC Betreuungsstellen in Deutschland kam es immer wieder zu Zwischenfällen.
Bereits 2011 schrieb der Falter „Profit mit Not“
ORS, Nachfolger für den sensiblen Auftrag, der jährlich zwischen zehn und 15 Millionen Euro einbringt…
…. So ist in der Ausschreibung, in der von Asylwerbern als „Fremden“ die Rede ist, etwa eine Geheimhaltungspflicht für den Auftragnehmer festgelegt. Dem künftigen Betreuer ist Öffentlichkeitsarbeit demnach untersagt, was dazu führt, dass er zum Thema Asyl keine Stellung mehr nehmen darf.
Zuwiderhandeln wird bestraft: „Für jeden Verstoß gegen die genannten Geheimhaltungspflichten ist der AG (Auftraggeber, also BMI, Red.) berechtigt, vom AN (Auftragnehmer, Red.) unverzüglich eine schadensunabhängige Vertragsstrafe in der Höhe von € 10 000 zu fordern.“
Die Betreuung von Asylsuchenden ist ein groß angelegtes Geschäft geworden. Um welche Summen es gehen kann, zeigt die Schweizer ORS Service AG, die mit einer Tochterfirma 2014 ein Flüchtlingsheim in München übernommen hat. Schweizer Medienberichten zufolge macht sie zweistellige Millionenumsätze.
Was für die EHC galt, gilt erst recht für die ORS.
Am 2. Juni 2015 brachte Alev Korun, Sprecherin für Menschenrechte, Migration und Integration, Abgeordnete zum Nationalrat (Die Grünen), eine parlamentarische Anfrage zum Sondervertrag mit ORS ein, die am 31.7.2015 beantwortet wurde.
Darin werden die an ORS ausgezahlten Beträge für 2014 mit rund 20 Mio € angegeben.
Zusätzlich sammelt ORS aber auch Spenden.
Auch in der Schweiz verdient ORS ähnlich gut an den Gestrandeten. Um die Aufträge, bei denen es angesichts der aktuellen Flüchtlingswelle um immer mehr Geld geht, kämpfen Non-Profit-Organisationen und gewinnorientierte Firmen. Neben den Kantons- und Gemeindeaufträgen wird seit 2011 auch das Betreuungsmandat der Bundeszentren öffentlich ausgeschrieben. Vorher war die Firma ORS AG allein dafür zuständig. Der Verteilkampf hält also auch hier Einzug.
Gemäss Recherchen der „Obersee Nachrichten“ unterbieten Private die Hilfswerke oft mit ihren Angeboten: Während die ABS AG, eine Tochterfirma der ORS, für eine Betreuungsperson pro Stunde 43 Franken verrechnet, verlangen Hilfswerke Caritas und das Rote Kreuz 85 Franken. Für eine Pflegefachperson verlangt die ABS 46 Franken pro Stunde, bei den Hilfswerken kostet eine Arbeitskraft 80 Franken. Unter dem Strich kommt die ABS nach Berechnungen der Zeitung so auf 1000 Franken Bruttoertrag pro Flüchtling. Vergangenes Jahr soll alleine die Tochterfirma ABS 60 Millionen Franken Umsatz gemacht haben.
Und so macht es ja auch Sinn, wenn alles in einer Hand bleibt. Seit Herbst 2014 ist das Schweizer Unternehmen ORS auch in Deutschland tätig. Die private Firma ist einer der größten Player im internationalen Geschäft der Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden. Über eine neu gegründete deutsche Tochtergesellschaft betreibt ORS seit kurzem das Flüchtlingsheim in der ehemaligen Funkkaserne in München. Dort ist sie für die komplette Versorgung vom Wachdienst über die Küche bis hin zum Sprachunterricht und Freizeitangeboten zuständig. Auch in Ingolstadt hat sie eine Betreuungsstelle übernommen.
Die Namen des Managements sind die der Schweizer ORS Service AG.
Die NZZ spricht mit dem Geschäftsführer der ORS Services AG, Stefan Moll-Thissen, der sich eher medienscheu gibt und nicht gerne porträtiert werden möchte.
Obwohl auf der Website der ORS viel von Transparenz die Rede ist, macht das Unternehmen keine Angaben zum Gewinn. Er sei zu exponiert, lautet die Erklärung Moll-Thissens. Denn die ORS sieht es nicht gerne, wenn der Fokus auf den wirtschaftlichen Aspekt ihrer Tätigkeit gelegt wird. Dass das Asylwesen auch einen ökonomischen Faktor darstellt – diese Tatsache scheint Moll-Thissen selbst in gewisser Weise unangenehm zu sein.
Denn die Interessen der Aktionäre und die Anliegen der Flüchtlinge stehen in einem Spannungsverhältnis, was wiederholt zu Mutmaßungen geführt hat, die ORS steigere ihre Erträge zulasten der Betreuungsqualität. Ein Glaubenskrieg ist darüber im Gange, ob Geschäfte und Gewinne in diesem Bereich moralisch überhaupt vertretbar sind. Peter Wenger, Mitglied der ORS-Geschäftsleitung und operativer Leiter in den Kantonen Basel-Stadt, Solothurn und Bern, scheinen solche Fragen allerdings weniger aus der Ruhe zu bringen als den angespannten Chef.
„Jede Organisation, ob gewinnorientiert oder nicht, muss Überschüsse machen, um ihre Qualität zu sichern und sich weiterzuentwickeln“, argumentiert Wenger, verweist routiniert auf Leistungsvereinbarungen, ISO-Zertifizierung, Weiterbildungsprogramme und Qualitätsmanagement. Die steigende Nachfrage nach den Dienstleistungen seines Unternehmens zeige, dass die Kritik nicht gerechtfertigt sei, so wischt er Einwände beiseite – und wirkt dabei dennoch leicht genervt.
Kritik an ORS kommt nie gut an. Auch in Vorarlberg kontert ORS-Leiter Wilhelm Brunner auf Kritik des Berufsverbandes der Sozialarbeiter am privaten Flüchtlingsbetreuungs-Unternehmen ORS mit der langen Erfahrung. Die ORS Service GmbH sei 20 Jahre lang in Österreich tätig und beschäftige über 400 Mitarbeiter. 20 Jahre in Österreich? Das findet sich in meiner Recherche – auch auf der Österreich-Seite der ORS nicht.
Als im Juli 2015 das Rote Kreuz trotz aller Kritik von ORS abgelöst wurde in der Betreuung der Dornbirner Messehalle, fanden sich lukrative Jobangebote bei ORS. Nachtportier (ohne Zulagen) 1562 €; Sozialbetreuer (Mindestgehalt) 2145; Sozialbetreuer Ferialjob 1863. alles brutto. Galt aber nur für einen Monat. Während die Caritas als gemeinnützige Organisation keinen Gewinn in der Flüchtlingsbetreuung macht, bilanziert ORS 2013 immerhin 5,9 Millionen € in Österreich (Schweiz 55 Milliarden Franken), wobei als Gewinn rund 600 000 aufscheinen, wie die Vorarlberger Nachrichten berichteten.
Der profitable Unternehmensgang schreitet voran: Im Juni hieß es, 250 Asylwerber werden im August im westslowakischen Ort Gabcíkovo untergebracht, weitere 250 sollen im September folgen. Unterbringung, Verpflegung und Reinigung übernimmt die Slowakei. Das Asylverfahren selbst wird weiterhin von den österreichischen Behörden durchgeführt. Für die Betreuung und Sicherheit der Flüchtlinge ist auch in der slowakischen Kleinstadt Österreich verantwortlich. Damit wurde, wie auch in Traiskirchen, die Schweizer Firma ORS beauftragt.
Die Innenministerin verantwortete dies mit dem Argument, dass „das Österreich billiger kommt“. Die Slowakei will ihrer Aufgabe, als EU-Mitgliedsland ebenfalls Asylwerber aufnehmen zu müssen, gar nicht nachkommen. In einer Umfrage hat sich Ende Juli eine Mehrheit von Gabcikovo gegen die Unterbringung von Flüchtlingen ausgesprochen. 60 Prozent der Bewohner stimmten ab, insgesamt gaben 2603 Menschen ihre Stimme ab. 97 Prozent stimmten mit Nein.
Immerhin kommt es nun aber zu Verzögerungen in der Abwicklung. Erstens, weil möglicherweise doch ein anderer Standort gefunden werden soll und zweitens, weil ORS erst eine Firma in der Slowakei gründen muss.
Ängste der Bevölkerung gab es auch bei der Errichtung der Zeltstadt in Krumpendorf, wo ebenfalls ORS der Durchführer der Betreuung ist. Aber natürlich gibt es auch hier Initiativen, die die Neuankömmlinge willkommen heißen.
Die Einquartierung von Asylwerbern in Klosterneuburgs Kaserne hingegen stieß auf keine Widerstände – im Gegenteil. Die benachbarte GaLeMo Schule begann sofort, eine Kulturinitiative zu organisieren. Kathi (Leiterin der Seku) und den mitwirkenden Eltern sei dafür gedankt!
„Klosterneuburg hilft“ begann ebenfalls umgehend mit Freiwilligenarbeit, für die ORS strenge Regeln hat.
Wenn die Problematik im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen auch eine besondere ist, weil das Lager für maximal 1800 Personen ausgelegt ist und seit Wochen mehr als 4000 dort sind, weil der Strom an Asylwerbern nicht abreißt, wobei nicht nur das Innenministerium überfordert ist, sondern auch die ORS, so muß man sich schon einige Kritik gefallen lassen.
„Man könne zwar die Aufgaben an Dienstleister übergeben, aber die Verantwortung lasse sich nicht delegieren. Das Innenministerium und die gesamte Bundesregierung sei für die Zustände in Traiskirchen verantwortlich“, so das Team von Amnesty International nach deren Inspektion von letzter Woche.
„Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten“, hatte sich Heinz Patzelt von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bereits am Vormittag des 14.8.2015 mehr als enttäuscht gezeigt. Bei der Präsentation des Berichtes (den Bericht finden Sie hier) über die Überprüfung des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen versagte Patzelt die Stimme. Die Research-Mission habe „grobe Versäumnisse“ festgestellt, die einen „Menschenrechtsskandal“ auf österreichischem Boden darstelle.
Nun ist das BMI mit Ärzte ohne Grenzen übereingekommen, dass man auch ihnen Zutritt zum Lager gewähren wird, damit sie die medizinische Betreuung ausweiten können.
Wenn aber tagtäglich Besucher des Lagers, die die Obdachlosen dort mit dem Nötigsten – durch den Zaun hindurch – zu versorgen versuchen, erzählen, dass alle Insassen um Nahrung bitten, weil sie zu wenig bekommen, dann ist das eindeutig ein Notstand, den ORS zu ändern hat.
Die Traiskirchner Asylwerber stellen sich bei den seit Wochen herrschenden Wüstentemperaturen von 38 Grad im Schatten stundenlang um Getränke an, die ausgehändigt werden, da sie nicht wissen, dass österreichisches Wasser aus dem Wasserhahn Trinkwasser ist.
ORS ist nicht in der Lage, bei den Wasserentnahmestellen Zettel aufzukleben, auf denen in allen erforderlichen Sprachen „Trinkwassser“ steht?
Und das Innenministerium ist mit ORS immer noch zufrieden? Kann ich gar nicht nachempfinden.
Netzfrau Lisa Natterer
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