Unterlassene Hilfeleistung für Flüchtlinge : Offener Brief – dem schließen wir uns an

Traiskirchen

Nicht nur in Österreich sind die Umstände skandalös, unter denen Flüchtlinge untergebracht sind. Traiskirchen aber gilt mittlerweile als das Symbol für das Versagen der Regierungen in der Flüchtlingshilfe.

Die 26-jährige schreibt auf ihrem Blog  , dass sie hilft , Tag für Tag , dazu hat sie einen OFFENEN BRIEF AN DAS BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES (Zurück ) geschrieben. Was sie erlebte, rührt uns zu Tränen. 

10 000 Flüchtlinge wohnen derzeit in Österreich in Zelten. Besonders die Lage in Traiskirchen ist schlimm. Sie wird mit keinem Tag besser. Medien sind nicht zugelassen.Traiskirchen ist eine ca. 30 km südlich von Wien gelegene Stadt. Auf Grund der dortigen Situation in der befindlichen Bundesbetreuungsstelle für Asylwerber ist das so-genannte Flüchtlingslager Traiskirchen auch außerhalb von Österreich bekannt. Die Lebensumstände der Flüchtlinge im Lager selbst seien ein Skandal, sagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. In ihrem aktuellen Bericht heißt es wörtlich, Traiskirchen sei „das zentrale Symptom für ein fast vollständiges Versagen Österreichs im Umgang mit Kriegsflüchtlingen“.

Wir haben für Sie einen offenen Brief, der die Situation deutlich macht. Doch gilt dies nicht nur in Österreich. Auch wir Netzfrauen haben versucht, Wohnungen oder andere Hilfsmittel vergeblich für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

Auch in Deutschland gibt es Zustände, die man durchaus als menschenunwürdig bezeichnen kann. So ist die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge in Hamburger Erstaufnahmestellen  offenbar schlechter als bisher bekannt. Neben der Einrichtung in Jenfeld ist nach Informationen des NDR-Fernsehens inzwischen auch in mehreren anderen Erstaufnahmestellen die Krankheit Krätze (Scabies) aufgetreten. Auch in der größten Hamburger Erstaufnahme in der Schnackenburgallee sind mehrere Menschen an Krätze erkrankt. Dort leben etwa 2000 Flüchtlinge.

OFFENER BRIEF AN DAS BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES

Sehr geehrte Beamtinnen, sehr geehrte Beamten,

ich, österreichische Staatsbürgerin, möchte mich mit diesem Schreiben an Sie wenden, da Sie uns ÖsterreicherInnen am 17. August 2015 um Hilfe gebeten haben. Sie haben an unsere konstruktiven Kräfte appelliert, von einem seriösen und sachlichen Dialog gesprochen. Sie sprachen von Zusammenarbeit.

Ich heiße Madeleine Alizadeh, bin 26 Jahre alt und seit einigen Wochen fahre ich fast täglich von Wien nach Traiskirchen. Ich kenne die Menschen dort beim Vornamen, weiß welches Kind welche Süßigkeiten gerne isst. Ich habe syrische Freunde gefunden mit denen ich am Sonntag essen gehe, während sie mir Schnitzel kauend arabische Wörter beibringen und ich ihnen versuche zu erklären wieso ich kein Fleisch esse. Ich whatsappe täglich mit Menschen die in Zelten schlafen, ich schicke ihnen Fotos vom Sofa Zuhause, sie schicken mir Selfies aus dem Zelt. Sobald es zu regnen anfängt wird mir übel, weil ich weiß dass das bedeutet dass meine Freunde jetzt frieren.

Ich erkenne Telefonstimmen vom Diakonie Wohnservice schon beim Namen, oft schmunzeln wir wenn wir zum 4. mal in Folge an einem Tag telefonieren und ich „kenne“ die Menschen am Telefon schon so gut, dass ich mich nicht mal mehr schäme wenn ich vor lauter Verzweiflung ins Telefon schluchze. Ich übersetze Arabisch mit Google Translate und ärgere mich einmal mehr dass mein iranischer Vater nie Farsi mit mir gesprochen hat, weil ich meine afghanischen Freunde nicht verstehe. Meine Wohnung ist ein Lager aus Männerschuhen in Größe 40 bis 43 (ja, Syrer haben kleinere Füße als Österreicher), Schlafsäcken, Trolleys (Flüchtlinge brauchen auch Gepäck) und Dingen die ich vorher nicht kannte (Milchpulver für Babies? Was ist das?). Ich habe meinen Job liegen gelassen, beantworte seit mehreren Wochen fast keine Mails mehr und widme mich nur mehr der Flüchtlingsthematik, weil meine Eltern mir beigebracht haben nicht wegzuschauen wenn jemand in Not ist.

Sie, das Bundesministerium für Inneres, haben sich an mich gewendet. Ich nehme Ihre Worte ernst, so wie es sich für eine devote und obrigkeitshörige Bürgerin gehört. Und weil ich Ihr Schreiben vom 17. August 2015 so ernst genommen habe, habe ich eine Unterkunft organisiert. Für eine irakische Familie.

Eine Familie, deren Haus und Garten im Irak zerbombt wurde. Eine Familie, die einen Fußmarsch durch sämtliche osteuropäischen Länder hinter sich hat. Ein Vater, dessen Bruder erschossen wurde. Eine Mutter, die bereits zwei Fehlgeburten hinter sich hat. Ein Sohn, dem ein besseres Leben ermöglicht werden soll. Eine Familie, die in Traiskirchen nach dem Aufnahmestop angekommen ist und 3 Tage in einem Bus festgehalten wurde. Eine Familie, die täglich von der Polizei vor Ort beschimpft und bedroht wird. Eine Familie für die ich eine Lösung finden wollte. Weil Sie uns BürgerInnen um Lösungen gebeten haben.

Diese Familie hat ein Zuhause das sie nicht beziehen kann. Ein warmes Bett im Haus einer österreichischen Familie, die sie aufnehmen würde. Seit Tagen telefoniere ich mehrmals täglich, schreibe E-Mails, fülle Anträge aus, weine, schreie, fühle mich gelähmt und innerlich zertsört. Weil ich helfen möchte und nicht kann. Ich bin der deutschen Sprache mächtig, habe einen Hochschulabschluss, kenne mich als Selbstständige mit dem österreichischen Bürokratiedschungel ganz gut aus und bin sehr belastbar. Und trotzdem wird es mir unmöglich gemacht zu helfen.

Wie Sie bereits geschrieben haben: pro Woche suchen 1600 Menschen Schutz in Österreich.  Sie schreiben: „In den nächsten Monaten – vor allem vor Einbruch des Winters – muss alles unternommen werden, um Obdachlosigkeit zu vermeiden.“ Sie schreiben auch, dass konstruktive Bemühungen, Quartiere zu realisieren und damit Menschen ein festes Dach über den Kopf zu geben, teils auf unterschiedlichen Ebenen auf Widerstand stoßen.

Den einzigen Widerstand auf den ich stoße sind Sie, liebes Bundesministerium für Inneres.
Als österreichische Staatsbürgerin hatte ich bisher eine ganz gute Beziehung zu meinem Heimatland. Doch wir stecken in einer nachhaltigen Beziehungskrise. Es liegt nicht an mir, es liegt an Ihnen. Ich habe in dieser Beziehung mein Bestes gegeben: kommuniziert, respektiert, vertraut. Alles was man in einer gut funktionierenden Beziehung halt so berücksichtigt. Ich versuche mit allen Mitteln Ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, doch Sie ignorieren mich und die Hilfe, die ich anbiete.

Familie K. aus dem Irak schläft während ich diese Zeilen schreibe in einem komplett durchnässten Zelt in der Akademiestraße in Traiskirchen. 60 km entfernt steht Frau V. in dem Haus das ich vermittelt habe vor einem leeren Zimmer. Die Betten sind frisch bezogen, drei Handtücher liegen drauf: eines für die Mutter, eines für den Vater und eines für den Sohn. Jeden Tag schreibe ich Herr K.: „Bitte lassen Sie den Kopf nicht hängen. Ich finde eine Lösung.“

Ich bin an dem Punkt angelangt wo ich nicht mehr weiß ob diese Lösung tatsächlich existiert. Ich bin an dem Punkt angelangt wo ich nicht mehr weiß ob Souveränität real oder ob nur ein abstrakter Begriff ist, den ich mal im Gymnasium aufgeschnappt habe.
Ich bin an dem Punkt angelangt wo ich nicht mehr weiß was ich tun soll.

Denn ich bin verzweifelt. Weil ich helfen möchte und Sie mich nicht lassen.

Hochachtungsvoll,
M. Alizadeh.

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